Sepsis-Diagnostik: Viele Wege führen zum 24/7-Labor
Jedes Jahr wird in Deutschland bei circa 180.000 Menschen eine Sepsis oder ein septischer Schock als Haupt- oder Nebendiagnose kodiert. Die Todesfallzahlen für Sepsis in deutschen Krankenhäusern liegen bei knapp 70.000 Patient:innen pro Jahr [1, 2]. Die Krankenhausletalität für den septischen Schock beträgt in Deutschland 50,9 %, wobei Erhebungen im Projekt „OPTIMISE“ des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) davon ausgehen, dass auf Basis der Kodierung eine Unterschätzung der Sepsis-Fallzahl erfolgt [3].
Schnellere Diagnostik etablieren
Bereits eine Verringerung der Krankenhaussterblichkeit um 10 % würde in Deutschland etwa 7.000 vermeidbare Todesfälle bedeuten. Eine Sepsis gilt als medizinischer Notfall. Schon beim Verdacht muss die Diagnose schnell gesichert, der Erreger identifiziert und die Therapie eingeleitet werden.
Vor dem Erregernachweis spielen Biomarker eine wichtige Rolle, um den klinischen Verdacht auf eine Sepsis zu stützen. Besonders Prokalzitonin (PCT) hat sich als Marker etabliert, der bei bakteriellen Infektionen rasch ansteigt und mit dem Schweregrad der Erkrankung korreliert. Er hilft, bakterielle von nicht-bakteriellen Ursachen abzugrenzen, und unterstützt damit die frühe Einschätzung des Risikos für eine Sepsis oder einen septischen Schock. Wiederholte Messungen liefern zudem Hinweise auf den Krankheitsverlauf und ermöglichen es, die Dauer einer antimikrobiellen Therapie gezielt zu steuern. Studien zeigen, dass PCT-gestützte Entscheidungen sowohl unnötige Antibiotikagaben reduzieren als auch die Patientensicherheit erhöhen können [4–6].
Entscheidend für die Auswahl des geeigneten Antibiotikums ist die mikrobiologische Diagnostik. Bis heute sind jedoch direkte Nachweise von Erregern und deren Resistenzen im Blut nicht flächendeckend in der klinischen Routine etabliert. Basis der Analytik sind kulturbasierte Verfahren zur Anzucht des Erregers aus dem Blut. Nach Kultivierungsstart im Blutkulturautomaten dauert es im Median etwa 15 Stunden – nicht selten aber bis zu 24 Stunden und mehr – bis zur Positivmeldung. In der Regel werden vom Materialeingang bis zur finalen Befunderstellung mindestens zwei bis drei Tage benötigt. Moderne molekulare Methoden und neue kulturbasierte Verfahren können die Diagnostik auf wenige Stunden verkürzen.
Der Faktor Zeit
Eine beschleunigte Identifizierung eines Erregers und die Bestimmung seiner Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika ermöglichen einen schnellen Übergang von der initialen breiten („empirischen“) Therapie hin zu einer gezielten Antibiotikabehandlung. Auf dem Weg dorthin sind bereits orientierende Ergebnisse von Zwischenschritten für Therapieentscheidungen hilfreich.
Direkte mikroskopische Verfahren sind in der Regel nicht sensitiv genug, um im Blut zirkulierende Erreger zu detektieren. Auch Amplifikationsverfahren konnten dieses Problem bisher nicht überwinden. Die Erreger müssen also zunächst vermehrt und für Isolierungsschritte überimpft werden. Anschließend folgen Identifizierungsreaktionen und Resistenzbestimmungen.
Moderne massenspektrometrische oder molekulare Verfahren kommen zum Teil mit nur sehr wenig Biomasse aus, welche in wenigen Stunden erzeugt werden kann. Wenn diese Geräte zusätzlich eine kurze Messdauer aufweisen, kann die Turnaround-Zeit (TAT) um mindestens einen Tag verkürzt werden. Zudem existieren Verfahren, die ohne Erregerkultivierung auskommen: Sie analysieren zellfreie mikrobielle DNA im Blut und basieren auf Sequenzdaten. Sie ermöglichen einen hypothesenfreien Erregernachweis und liefern in vielen Fällen bereits innerhalb von 24 Stunden klinisch verwertbare Ergebnisse.
Neue miniaturisierte Systeme für phänotypische Empfindlichkeitsprüfungen verkürzen die klassischen Kulturzeiten deutlich und liefern oft bereits innerhalb weniger Stunden belastbare Resistenzprofile. Digitale Auswerteverfahren unterstützen dabei eine standardisierte Interpretation der Wachstumsdynamik.
Der Nachweis von bestimmten Antibiotikaresistenzen kann orientierend mithilfe von molekularen Systemen erfolgen. Es stehen molekulare Schnelltests zur Verfügung, die Resistenzen direkt aus positiven Blutkulturen nachweisen können und innerhalb weniger Minuten Ergebnisse liefern. Solche Verfahren erleichtern eine frühe therapieentscheidende Orientierung, noch bevor vollständige phänotypische Daten vorliegen.
Im Labor muss man sich die Frage stellen, wie entsprechende Analysesysteme in den klinisch-mikrobiologischen Alltag eingebunden werden können. Häufig ist eine Neustrukturierung der Durchführung der mikrobiologischen Diagnostik auf allen Ebenen des analytischen Prozesses notwendig.
Technischen Fortschritt einbinden
Im historischen Vergleich befindet sich die medizinische Mikrobiologie durch Automatisierung und perspektivisch durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Umbruch vom „Manufakturzeitalter“ mit einem hohen Anteil händischer Tätigkeiten zum „Industriezeitalter“ mit einer sprunghaften Entwicklung der Methoden, Arbeitsorganisation und Prozessgeschwindigkeiten. Für den Erfolg bedarf es einer optimierten Präanalytik, der Automatisierung (auch von kulturbasierten Verfahren), der Ausstattung mit Sytemen für eine beschleunigte Diagnostik und einer verbesserten Postanalytik mit einer unmittelbaren
Befundübermittlung an Kliniker:innen.
Die Zeitersparnis schnellerer Methoden nützt aber wenig, wenn Proben zum Beispiel nur im „Batch“ abgearbeitet werden oder ein Labor nicht durchgehend besetzt ist.
Vorteile einer 24/7-Diagnostik
Das Positionspapier der Qualitätsinitiative Sepsis [7] beschreibt mehrere klinische Vorteile einer schnellen Blutkulturdiagnostik. Eine zügige Befundung verkürzt bei bis zu einem Drittel der Patient:innen die Phase inadäquater antimikrobieller Therapie, mindert damit die Sepsis-Letalität und verringert langfristige Folgeschäden. Zudem sinken Schweregrad und Dauer von Organdysfunktionen. Auch die frühere Möglichkeit zur Deeskalation wirkt sich positiv aus, weil sie das Mikrobiom schont und Resistenzentwicklungen begrenzt.
Eine technische und insbesondere personelle Unterfütterung der 24/7-Erfordernis wird herausfordernd sein und Investitionen und Restrukturierungen erfordern. Lösungen sollten abhängig von den lokalen bzw. regionalen Gegebenheiten auch „Out-of-the-Box“ gedacht werden, beispielsweise durch analytische Dezentralisierung, Kooperation und Netzwerkbildung. Die Sepsis-Diagnostik muss auch in ein Gesamtkonzept von „Antibiotic and Diagnostic Stewardship“ (ABS/DS) eingebunden werden, um maximal förderlich für die Patient:innen wirken zu können.
Qualitätssicherung
Sepsis ist eine anerkannte Notfallsituation und verdient die gleiche Aufmerksamkeit wie andere akute Krankheitsbilder, für die seit Jahren eine durchgehende 24/7-Versorgung mit modernen Methoden gilt. Auch hier braucht es strukturelle und prozessuale Qualitätsstandards, deren Einhaltung für Vergütung und Krankenhausplanung eine Rolle spielt.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Beschluss der „Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung: Themenspezifische Bestimmungen für ein Verfahren 20 – Diagnostik und Therapie der Sepsis“ durch den G-BA am 19.12.2024, geändert am 17.07.2025 [8]. Die Qualitätssicherungsmaßnahme fokussiert vor allem auf die klinische Arbeit und soll durch die Messung und vergleichende Darstellung patientenrelevanter Qualitätsaspekte eine Reduzierung der Mortalität, neu auftretender Morbidität und Pflegebedürftigkeit von Patient:innen mit Sepsis erreichen. Auch setzt die S3-Leitlinie: Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge – Update 2025, veröffentlicht am 25.07.2025, neue Standards in der Versorgung dieser lebensbedrohlichen Erkrankung [9–11].