Blutbasierte Biomarker in der Belastungssteuerung von Athlet:innen

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2022.03.07

Die Zeiten, in denen nur Laktat und Kreatinkinase als blutbasierte Biomarker für die Belastungssteuerung zur Verfügung standen, sind lange vorbei. Heutzutage steht eine große Anzahl von Biomarkern aus Blut, Urin und Speichel zur Verfügung. Ob deren Einsatz zusätzlich zu Trackingsystemen und Fragebögen sinnvoll ist, sollte sorgfältig geprüft werden. Sowohl die Probenentnahme und die Analyse als auch die Interpretation der generierten Daten erfordern Expertise.

Schlüsselwörter: Internal Load, external Load, Interleukine, Chemokine, Monitoring

The Mavericks’ Key to Keeping Players Fresh? Blood Samples!

Dieser Artikel der New York Times aus dem Jahr 2019 verdeutlicht den Ansatz des texanischen NBA-Topteams Dallas Mavericks in der Belastungssteuerung [1]. Ein Bluttropfen, der täglich vor dem Training aus dem Ohr oder der Fingerbeere entnommen wird, versorgt die Praktiker:innen mit präzisen Informationen über Ermüdung, Fitness- und Gesundheitszustand der Athlet:innen. Je nach Ergebnis können Trainings- oder Spielbelastungen individuell angepasst werden, um eine Überlastung zu vermeiden. Wie genau die Franchise um den ehemaligen deutschen NBA-Star Dirk Nowitzki von dem im Artikel genannten Anbieter beraten wurde oder wie die Konzentrationen der fast 50 Blutmarker interpretiert und folglich die sportliche Belastung gesteuert wurde, wird dabei nicht näher erläutert. Es ist jedoch offensichtlich, dass sich die (meist kapillare) Blutentnahme zur Belas­tungssteuerung gerade im Spitzensport einer gewissen Beliebtheit erfreut und dass sich einige Teams einen deutlichen Mehrwert davon erhoffen.

Die Anzahl der Forschungsarbeiten im Bereich der blutbasierten Biomarker wächst seit Jahren beständig. Was in den 1980er-Jahren noch hauptsächlich Laktat und Kreatinkinase (CK) waren, sind inzwischen eine Vielzahl von beispielsweise Interleukinen oder Chemokinen, die sich bereits aus einem geringem Blutvolumen bestimmen lassen. Die Möglichkeiten zur Bestimmung blutbasierter Biomarker sind dank innovativer methodischer Ansätze wie Proteomanalysen nahezu unbegrenzt. Die Idee dahinter: Blutprobe entnehmen, Konzentration bestimmen, im Kontext des Sports interpretieren und die Belastung der Athlet:innen individualisiert anpassen. Dies entspricht dem Prinzip des Load Mana­ge­ment (der Belastungssteuerung), also der Verschreibung, dem Monitoring und der Anpassung von sportlicher Belastung [2]. Primäres Ziel dabei ist es, die sportartspezifische Performance zu maximieren und gleichzeitig das Verletzungsrisiko zu minimieren [3].

Leider gibt es im Bereich der blutbasierten Biomarker noch keine Auswahl an Biomarkern, die als etabliert und valide im jeweiligen sportlichen Kontext gelten: Physiologische und psychologische Anforderungsprofile im Fußball unterscheiden sich von denen im Basketball und noch mehr von beispielsweise technisch-akrobatischen Sportarten. Zudem sind die meis­ten Blutmarker bisher nur unzureichend in wissenschaftlichen Studien über einen ausreichend langen Zeitraum in einem bestimmten Kontext untersucht worden.

 

Rationale zum Einsatz blutbasierter Biomarker

Idealerweise werden sportliche Belas­tungen ohnehin nicht allein aufgrund von Blutwerten verschrieben und angepasst. Ein Trackingsystem erfasst, wieviel sich die Athlet:innen bewegen, zeichnet Distanzen, Beschleunigungs- und Abbremsvorgänge auf und bestimmt somit den external Load (sprich: die objektiv geleistete Arbeit). Herzfrequenzdaten lassen dann etwa auf die akute und aufgrund verschiedener Moderatoren sehr individuelle physiologische Antwort (der internal Load) schließen (Abb. 1) [3].

Häufig werden ergänzend Fragebögen eingesetzt, um die Beanspruchung besser einschätzen zu können oder Veränderungen des Wohlbefindens zu detektieren [5]. Dies zeigt, wie Athlet:innen auf Belastungen reagieren, kann Ermüdung sowie Anpassungsprozesse erfassen und damit übergeordnet dem Ziel der individualisierten Trainingssteuerung dienen. Wie auch im Falle der blutbasierten Biomarker gibt es im Kontext der Belastungssteuerung bisher keinen Goldstandard. Es existieren viele weitere Tools, die sich prinzipiell zum Monitoring im Leistungssport eignen.

Wozu dient dann überhaupt noch die Bestimmung blutbasierter Biomarker? Die Frage nach dem konkreten Zweck und potenziellen Mehrwert sollte zunächst genau geklärt werden. Blutmarker (und inzwischen auch Biomarker aus anderen Körperflüssigkeiten wie Speichel und Urin) können ein objektives Instrument sein, das die Aussagekraft der subjektiv empfundenen Anstrengung in der Theo­rie hervorragend ergänzt. Regelmäßige Kapillarblutentnahmen und die Bestimmung vor und nach Trainingsbelastungen eignen sich beispielsweise, um rückblickend eine Aussage über den internal Load zu erhalten. Zudem können Blutentnahmen dem Monitoring des Gesundheitsstatus von Athlet:innen dienen. In diesem Fall wird in regelmäßigen Abständen Blut entnommen, etwa zur Bestimmung von Eisenhaushalt oder hämatologischen Parametern. Wie an diesen beiden Beispielen deutlich wird, verbergen sich hinter der Propagierung von Blutentnahmen also ganz unterschiedliche Denkansätze [6].

Schwierigkeiten bei der Interpretation

Auch wenn sich einige Praktiker:innen in der Lage fühlen, geringe Änderungen in der CK-Konzentration oder Laktatanstiege im Training mit der Trainingsbelastung zu assoziieren, so scheint diese Einschätzung aufgrund der Vielzahl der Einflussfaktoren auf Blutmarker-Konzentrationen rein auf Erfahrungsbasis kaum möglich. So können sich Tageszeitpunkt, Ernährung, eine kurz vorher durchgeführte leichte körperliche Aktivität oder auch der weibliche Menstruationszyklus auf Konzentrationen der Biomarker auswirken und damit nicht ausschließlich den eigentlichen Trainingsprozess widerspiegeln [7].

Es fehlt zudem im sportlichen Kontext oftmals an aussagekräftigen Referenzdaten. Werte aus der Klinik lassen sich nur schwer auf das Sportler:innenkollektiv übertragen. So können CK-Konzentrationen bei Athlet:innen nach intensiven Ausdauer- und Kraftbelastungen mehrere Tage nach der Belastung Konzentrationen erreichen, die im klinischen Alltag kritisch, im Leistungssport hingegen teilweise nicht unüblich sind [6]. Weiterhin relevant ist der Fakt, dass die subjektiv empfundene Erschöpfung nur unzureichend mit blutbasierten Variablen korreliert. Dies muss auch nicht zwingend der Fall sein; es erschwert aber dennoch die Akzeptanz solcher Testungen bei Athlet:innen, wenn ein Blutmarker eine vermeintliche Ermüdung anzeigt, die von der entsprechenden Person jedoch nicht wahrgenommen wird oder umgekehrt [5].

Offensichtlich ist zudem, dass ein einzelner Biomarker nur unzureichende Aussagen über das körperliche Gesamtbild ermöglicht. Die CK-Konzentration beispielsweise könnte einen Rückschluss auf die muskuläre Ermüdung zulassen; jedoch ist muskuläre Ermüdung nicht das einzige Symptom, mit dem Sportler:innen zu kämpfen haben. Um weitere physiologische Ebenen abzufragen, braucht es folglich mehr als nur einen Biomarker. Hier könnte die Quantifikation neuerer belastungssensitiver Biomarker wie Interleukine [8] oder zellfreie DNA [9] einen echten Mehrwert bieten. Anstiege dieser vielversprechenden Biomarker wurden bereits nach einer Vielzahl von sportlichen Belastungen gezeigt, jedoch gelten diese noch als unzureichend validiert und sind zudem in der Regel nicht schnell genug messbar.

Die „ideale“ Belastungssteuerung  – mit oder ohne blutbasierte Biomarker?

Neben der Nutzung von etablierten Monitoring-Tools (wie etwa Tracking­systemen zur Erfassung des external Loads) fordern Saw et al. [5] den selbstbewussten Einsatz von subjektiven Fragebögen, die Änderungen der Trainingsbelastung sehr sensitiv widerspiegeln können. Dieser Ansatz ist gut nachvollziehbar, stößt aber möglicherweise vor allem dann an seine Grenzen, wenn es sich aufgrund von Leis­tungsdruck lohnt, die Belastung zu „unterschätzen“ [10].

Entscheidet man sich für eine Verwendung objektiver Biomarker, besteht der erste Schritt darin, geeignete kontextspezifische Variablen zu ermitteln. Diese gilt es dann mit hoher Frequenz zu erheben, um engmaschige Daten auf individueller Basis zu sammeln [11]. Aus praktischer Sicht sollten nur solche Biomarker in Betracht gezogen werden, die neben einer Sensitivität zum körperlichen Training (oder dem Konstrukt, das man erfassen möchte) auch schnell mess- und bestimmbar sind und zudem nicht mit dem Trainingsprozess kollidieren. Ist ein Biomarker beispielsweise nur aufwendig über eine venöse Blutprobe bestimmbar und möchte man regelmäßig die akute Belastung der Athlet:innen erfassen, wären solche Biomarker folglich nicht alltagstauglich. Neben dem auf Dauer signifikanten Blutverlust stoßen wiederholte venöse Blutentnahmen auf nur geringe Akzeptanz im Athlethenkollektiv [12].

Sowohl Durchführung und Analyse als auch die Interpretation der generierten Daten erfordern Expertise. Aufgrund der Vielzahl von Daten braucht es geeignete statistische Verfahren, um Blutwerte mit objektiven Tracking- und subjektiven Daten sinnvoll zu verknüpfen. Um Einflussfaktoren wie Tageszeitpunkt oder Ernährung weitestgehend auszuschließen oder konstant zu halten, schlagen Pedlar et al. [7] standardisierte Abnahmen in den frühen Morgenstunden vor, was im Athlethenkollektiv jedoch schwer konstant durchführbar ist.

Zusammengefasst haben blutbasierte Bio­marker ein enormes Potenzial in der Belastungssteuerung. Werden sie wie in dem eingangs erwähnten Artikel engmaschig erhoben, können sie die Belastungssteuerung sinnvoll unterstützen. Haben Teams oder Einzelpersonen nicht die personellen und finanziellen Ressourcen sowie die wissenschaftliche Expertise, um über einen signifikanten Zeitraum Biomarkerdaten zu erheben und auszuwerten, sollte der Fokus auf einfach zu nutzenden Tools wie Trackingsystemen und Herzfrequenzdaten sowie auf subjektiven Messinstrumenten liegen.

Autor
Dr. Nils Haller
Abteilung Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland
AG Trainingswissenschaft, Motorik und Biomechanik an der Paris Lodron; Universität Salzburg, Österreich
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