Wie Algorithmen die Arbeit in der Pathologie unterstützen können

Die Forderung nach Digitalisierung betrifft alle Bereiche unseres Lebens und erreicht auch die medizinischen Disziplinen. Der Begriff der Digitalisierung ist allgegenwärtig und trotzdem nicht geschärft genug, um die reine Ebene des Konzepts zu verlassen und echte Hilfestellung bei der Umsetzung zu sein. Digitalisierung bedeutet nicht, sich einen hochwertigen PC und Monitor anzuschaffen und analoge Prozesse digital durchzuführen. So umfasst die Digitalisierung in der medizinischen Diagnostik zunächst das genaue Ausloten der dafür notwendigen Schritte, die Neuplanung von Arbeitsabläufen, die Anschaffung der richtigen Geräte und Software, die Ausbildung und Einweisung des Personals. Durch Digitalisierung können nicht nur Arbeitsabläufe optimiert, sondern auch Algorithmen als Assistenzsysteme in der Diagnostik eingesetzt werden, was eine grundlegende Innovation der Diagnostik zur Folge hat.

Schlüsselwörter: KI-basierte Auswertungen, Deep-Learning-Ansatz, Weakly-Supervised-Ansatz

Die transformative Wirkung der Digitalisierung: eine Begriffseingrenzung

“Digital transformation of health care can be disruptive; however, technologies such as the Internet of things, virtual care, remote monitoring, artificial intelligence, big data analytics, blockchain, smart wear-ables, platforms, tools enabling data exchange and storage and tools enabling remote data capture and the exchange of data and sharing of relevant information across the health ecosystem creating a continuum of care have proven potential to enhance health outcomes by improving medical diagnosis, data-based treatment decisions, digital therapeutics, clinical trials, self-management of care and person-centred care as well as creating more evidence-based knowledge, skills and competence for professionals to support health care” [1]

Dieses Eingangszitat aus einem Strategiepapier der WHO zum Thema „Global strategy on digital health 2020–2025“ zeigt in wenigen Worten, welche disruptive Wirkung die Digitalisierung auf den Gesundheitssektor hat und haben wird. In einigen medizinischen Fachdisziplinen ist die Digitalisierung der Arbeitsprozesse schon weit vorangeschritten. In der Radiologie beispielsweise sind diese Arbeitsprozesse bereits sehr etabliert. Dort gibt es ein breites Spektrum an generierten Bilddaten, von per se digitalen Untersuchungen aus CT, MRT, Ultraschall bis hin zum klassischen Röntgenbild. Die Transformation zur digitalen Radiologie hat hier neue und effiziente Arbeitsabläufe geschaffen und Fehlerquellen wie Informationsverlust oder Zeitverlust minimiert. Bilddaten können dort abgelegt oder dorthin gesendet werden, wo die Expert:innen leicht und schnell Zugriff haben. Hochauflösende, große Bildschirme sorgen für eine einfache, ergonomische und effizientere Art der Befundung. Die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung von Bilddaten bindet externe Fachleute schnell und unkompliziert in die Befundung mit ein. Neben der reinen Digitalisierung der Bildinformation ist die Verwendung von Algorithmen eine wesentliche Entwicklung in der Digitalisierung der Radiologie und damit ebenfalls Teil dieser Begrifflichkeit [2].

In der Pathologie gelten ähnliche Anforderungen und Möglichkeiten wie in der Radiologie. Auch hier stehen zu Beginn der Transformation die Analyse der Arbeitsabläufe und die Identifikation jener Schritte, die fehleranfällig sind und/oder viel Zeit kosten. Die in der Pathologie generierten Bilddaten müssen nicht wie bisher in Form von Objektträgern zur Befundung bereitgestellt werden. Einmal hochauflösend gescannt können diese in digitaler Form schnell Expert:innen vor Ort oder weltweit zur Verfügung gestellt werden. Die Zweitmeinung ist nur einen Mausklick entfernt und die Probe stets in derselben Qualität vorhanden. Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass die Digitalisierung in der Pathologie sowie die Anpassungen der Arbeitsprozesse die Effizienz der Arbeit um etwa 21 Prozent steigert [3]. Um hier den Kreis zu schließen, muss darauf hingewiesen werden, dass die reine Digitalisierung des Labors durch die Anschaffung von Scannern und weiteren Produkten sowie die Etablierung eines Arbeitsprozesses, der die Priorisierung von Proben und deren Zuordnung, Darstellung und Ablage regelt, nur der erste Schritt ist. Der Einsatz von Algorithmen in der Befundung ist der eigentlich revolutionäre Ansatz, der die Arbeit in der Pathologie in die Zukunft trägt.

Algorithmen als Bausteine

Algorithmen sind innerhalb des Pathologie-Labors ein wichtiger Baustein zur Unterstützung und Optimierung von diagnostischen Arbeitsprozessen. Klassischerweise werden durch Algorithmen in den Gewebeschnitten gut definierte Strukturen wie zum Beispiel Tumorzellen erkannt und ermöglichen dem/der Pathologen/Pathologin eine Quantifizierung durch einen konkreten Messwert (Abb. 1).

Mittlerweile gibt es auf dem Markt viele Produkte, die für unterschiedliche Analyseansätze verwendet werden können. Im Gegensatz zum Menschen, dessen Fähigkeit zum Quantifizieren beschränkt ist, geht das Programm hier effizient und ohne Bias vor. Der Algorithmus unterliegt nicht dem Einfluss von optischen Täuschungen und lässt sich nicht von äußeren Störfaktoren wie Stress, Zeitdruck oder anderen Situationen beeinflussen. Auf diese Weise können vordefinierte Strukturen schneller und effizienter gefunden und reproduzierbar quantifiziert werden. Hier gibt es mittlerweile zahlreiche Studien, die die Anwendungen von Algorithmen in histologischen Präparaten verschiedener Organe und im Kontext unterschiedlicher Erkrankungen beschreiben [4, 5].

Klassisches Training von Algorithmen

Das typische Vorgehen beim Trainieren dieser Algorithmen basiert darauf, dass Fachleute definierte Strukturen in einem digitalisierten histologischen Schnitt markieren. Der Algorithmus wird nun mit zahlreichen derartigen Datensätzen trainiert, um diese Strukturen selbstständig zu erkennen. Bisher werden Algorithmen sehr fokussiert auf jeweils ein bestimmtes Krankheitsbild trainiert. Die Aufgabe ist das Erkennen und Quantifizieren von vorher festgelegten Strukturen. Mittlerweile gibt es auch Algorithmen, die komplexe Strukturen wie Lymphknotenmetastasen beim Mammakarzinom [6] oder unterschiedliche histologische Grade im Prostatakarzinom [7] erkennen und auswerten. Diese Verfahren sind jedoch auf bekannte und morphologisch definierte Strukturen begrenzt.

Bei der Leistungsfähigkeit eines Algorithmus ist zu beachten, dass ein Algorithmus nur so gut sein kann wie die Qualität der Daten, die zum Trainieren verwendet wurden. Ebenso muss gewährleistet sein, dass die Trainingsdaten unterschiedliche Krankheitsformen von den relevanten Personengruppen sowie das zu erwartende Spektrum der technischen Variabilität der digitalisierten Bildinformationen umfasst. Hierfür spielen Biobanken eine wichtige Rolle, die weltweit aufgebaut wurden und neben Gewebeproben auch eine umfangreiche Ressource an digitalen Schnitten bereitstellen können. Abschließend darf hier ebenfalls nicht der Hinweis fehlen, dass die Anwendung von Algorithmen in der Diagnostik den Anforderungen der europäischen Verordnung über In-vitro-Diagnostika entsprechen müssen.

Ein weiterer zu beachtender Aspekt ist, dass ein Algorithmus nur dann für den Einsatz in der Pathologie geeignet ist, wenn er dem/der Experten/Expertin seine Erklärbarkeit (Explainability) und Kausalität (Causability) offenlegen kann. Der Algorithmus muss klar aufzeigen, welche Merkmale er analysiert hat und welche Ergebnisse daraus gewonnen wurden. Denn nur so kann der/die Pathologe/Pathologin eine Plausibilitätsprüfung durchführen und eine Diagnose stellen, für die er/sie auch die Verantwortung übernehmen kann [8].

Neue Herangehensweise über den Weakly-Supervised- Ansatz

Die Möglichkeiten der Nutzung von Algorithmen gehen über die eben besprochenen Applikationsszenarien weit hinaus. Eine neue Richtung des Trainierens von Algorithmen ist, dass sie nicht mit vordefinierten Strukturen innerhalb der Bilddateien, sondern mit der gesamten Bildinformation in Korrelationen mit klinischen Daten trainiert werden. Dieses sogenannte „weakly supervised learning“ eröffnet völlig neue Perspektiven und ermöglicht es auch, bisher unbekannte Merkmale, die klinisch relevant sind, zu identifizieren [9, 10].

Neues klinisch-pathologisches Merkmal durch DLS identifiziert

Im Falle der Studie „Interpretable survival prediction for colorectal cancer using deep learning” ging es darum, ein Deep-Learning-System (DLS) zur Vorhersage des krankheitsspezifischen Überlebens bei Darmkrebs in den Stadien II und III zu entwickeln. Dafür wurden mehr als 5.600 Fälle mit über 43.000 digitalisierten Objektträgern herangezogen. Mittels des DLS konnte das krankheitsspezifische 5-Jahres-Überleben besser als mit klassischen diagnostischen Parametern vorhergesagt werden. Interessant hierbei war, dass das vom Algorithmus selbstständig erkannte Merkmal auch von Patholog:innen erkannt werden kann. Es handelt sich hierbei um Tumorzellcluster, die in direkter Beziehung zu Fettzellen stehen, was auf eine besondere Form der Tumor-Strom-Interaktion hinweist [11].

Neue Relevanz der Gewebsbefundung

Wenn wie in dem oben genannten Fall neue Merkmale im Gewebe mittels Algorithmen identifiziert werden, können diese in der Folge auch molekularbiologisch analysiert werden, um tiefergehende Erkenntnisse über die funktionelle Relevanz der gefundenen Merkmale zu gewinnen. Durch diesen neuen Ansatz erfährt die Gewebsbefundung neben der molekularpathologischen Analytik eine Renaissance in ihrer Bedeutung. Es zeigt sich, dass die Morphologie potenziell noch viel mehr klinisch relevante Informationen bietet als bisher angenommen.

Fazit

Abschließend ist zu sagen, dass Algorithmen – egal welcher Art – als Unterstützung zu sehen sind. Der Erfahrungsschatz der auf dem Gebiet der Pathologie fachärztlich tätigen Person ist unverzichtbar. Nicht nur, weil die Kombination aus Wissen, Erfahrung und der Fähigkeit, intuitiv und kreativ Verbindungen aus allem Gelernten und Erfahrenen zu knüpfen, durch keinen Algorithmus ersetzt werden kann. Die Zukunft der Pathologie fußt also auf der Kombination dieser vom Algorithmus bestimmten Werte sowie der Fähigkeit der medizinischen Fachleute, sich diese neuen Wege sinnvoll zunutze zu machen.

Interessenkonflikte:

Kurt Zatloukal ist Gründer und CEO der Zatloukal Innovations GmbH.

Autor
Univ.-Prof. Dr. med. univ. Kurt Zatloukal
Medizinische Universität Graz,
Diagnostic and Research Center for Molecular BioMedicine,
Diagnostic and Research Institute of Pathology
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