Somatopsychologie: PANDAS sind nicht niedlich!

Patienten mit PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections) entwickeln nach einer scheinbar harmlosen Infektion mit Streptokokken plötzlich psychische Störungen. Diagnose und Therapie dieser Immunerkrankung stellen Ärzte und Psychologen vor eine große Herausforderung.

Schlüsselwörter: PANDAS, Streptococcus pyogenes, Autoimmunerkrankung, Somatopsychologie

Ausgerechnet im Urlaub begannen die Symptome eines 9-jährigen Jungen, der eines Morgens extrem erschöpft aufwachte und an diesem Tag drei Panikattacken erlitt. In den folgenden zwei Tagen entwickelte er Bewegungsstörungen und emotionale Probleme bis hin zu zwanghaften Kontaminationsängsten. Der Junge machte unsinnige Äußerungen und zeigte übermäßig starke Trennungsangst. In der Notaufnahme einer Klinik wurde er auf eine Gruppe-A-Streptokokken-Infektion getestet. Obwohl seine Schwester Halsschmerzen hatte und einen positiven Befund zeigte, war der Befund des Jungen negativ. Sein Blutbild war bis auf eine dezent erhöhte Leukozytenzahl unauffällig. Die Ärzte glaubten an einen Hirntumor und wiesen die Familie an, so schnell wie möglich nach Hause zurückzureisen, um einen Neurologen aufzusuchen. Etwa sechs Tage nach dem ersten Auftreten remittierten jedoch alle Symptome. Nach zwei weiteren Tagen begann der kleine Patient dann erneut erhöhten Appetit und massives Schlafbedürfnis zu zeigen, außerdem fanden sich kognitive Anomalien, bis hin zum Nicht-Erkennen seines eigenen Vaters. Parallel nahm die Zwangssymptomatik wieder zu. Der Junge litt unter anhaltenden Kontaminations­ängsten und aggressiven Zwangsvorstellungen mit aufdringlichen Gedanken wie auch Sorgen über „schlimme Dinge“, die seiner Familie zustoßen würden. In den kommenden Tagen folgten erhöhte Erregung und Reizbarkeit, asoziales Verhalten und es traten motorische Tics auf (z. B. unwillkürliche Mundbewegungen), Räuspertics und unkontrollierbares Singen. Er schlief durchschnittlich18 bis 20 Stunden pro Tag und einmal sogar 72 Stunden ununterbrochen. Der Neunjährige zog sich zurück und sprach schließlich nicht einmal mehr mit seiner Familie. Er nahm an Gewicht zu, weil er ständig aß und dann vergaß, dass er bereits gegessen hatte. Andererseits weigerte er sich aber, ausreichend zu trinken. Außerdem fanden sich neurologische Auffälligkeiten mit Dysgrafie und Dyskalkulie. Immer wieder traten auch hoffnungsvolle symptomfreie Intervalle von bis zu zwei Wochen auf, in denen der Patient gesprächig, sozial und fast ohne zwanghaftes Verhalten war. Zu anderen Zeiten zeigte er Wahnvorstellungen, er bezeichnete seine Ärzte als „Mörder“ und dachte, sie beobachteten ihn durch Kameras. 

MRT und EEG waren unauffällig. Das Blutbild zeigte eine Erhöhung der Leukozytenzahl (11,3 × 103/μl) mit absoluter Neutrophilie (7,2 × 103/μl) und Monophilie (1,1 × 103/μl). Die Titer von Anti-DNase B und Anti-Streptolysin O (ASO) waren als Zeichen einer Streptokokken-Infektion mit 672 U/ml bzw. 322 U/ml erhöht. Dazu kamen IgM- und IgG-Antikörper gegen Mycoplasma Pneumoniae mit hohen Werten von 797 bzw. 1.666 U/l, die für eine mindestens drei Wochen zurückliegende Infektion sprachen.

Unter der antibiotischen Behandlung mit Azithromycin sowie zwei intravenösen Immunglobulingaben verlängerten sich seine asymptomatischen Intervalle und die Schwere seiner aktiven Episoden schwächte sich ab. Bei einer Untersuchung nach 12 Wochen hatten sich Stimmung, Zwangsstörungen und Tics stark gebessert und auch die Laborbefunde waren zum Teil rückläufig (ASO 395 U/ml, Anti-DNase B 458 U/ml. M. pneumoniae IgM nicht nachweisbar, IgG 1008 U/l). 

Einordnung

Die Preisfrage lautet: Was hat dieser Patient, dessen Geschichte 2015 in einem Fachblatt für Psychopharmakologie publiziert wurde [1]? Beschrieben wird hier der typische Verlauf einer PANDAS-Erkrankung. „Pandas“ hört sich nett nach den chinesischen Bären an, hinter dem Begriff verbirgt sich aber eine neuropsychiatrische Erkrankung, die fast ausschließlich Kinder betrifft. PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Strepto­coccal Infections) fallen unter den Oberbegriff des PANS (Pediatric Acute-onset Neuropsychiatric Syndrome), welches durch unterschiedliche Keime (darunter auch M. pneumoniae) sowie Stoffwechselstörungen oder Umgebungsfaktoren verursacht werden kann (Abb. 1). Im Falle der PANDAS handelt es sich um eine Infektion mit ß-hämolysierendem Streptococcus pyo­genes der Gruppe A (GAS). Infolge der Infektion setzen schlagartig neurologische Symptome ein, die ohne Behandlung einen chronischen Verlauf nehmen können. PANDAS und PANS gehören damit zu den typischen Erkrankungen aus dem Kreis der Somatopsychologie, also psychische Störungen, die als Folge organischer Erkrankungen auftreten [2]. 

Klinische Symptome

Nach den diagnostischen Kriterien des National Institute of Mental Health (NIMH) sind folgende Symptome typisch: Abrupter Beginn mit Denk- und Verhaltensstörungen wie z. B. Tics, Zwanghaftigkeit, Ängstlichkeit, emotionale Labilität mit Depressionen, Aggressionen oder unangemessenen Verhaltensweisen. Mitunter kommt es zur Verweigerung der Nahrungsaufnahme, häufiger zur Rückentwicklung mit sensorischen und motorischen Auffälligkeiten. Hierbei treten typischerweise schlecht zu unterdrückende choreatiforme Klavierspiel-Bewegung der Finger und Füße und eine Vergröberung der Handschrift auf. Außerdem beobachtet man vielfach Hyperaktivität, eine Verschlechterung der Schulleistungen, Schlafstörungen, Harndrang mit Einnässen und teilweise auch Gedächtnisprobleme und andere neuropsychologische Einschränkungen. 

Pathogenese

Wie aber führt nun eine im ersten Moment banal wirkende Infektion zu einem derart schwerwiegenden Krankheitsbild? Nach der Infektion bildet das Immunsys­tem Antikörper gegen Streptokokken, welche unglücklicherweise auch an körpereigene Antigene binden, die denen der Streptokokken ähneln. Die Autoimmunerkrankung greift körpereigene Zellen meist erst dann an, wenn die ursprünglichen Symptome der Infektion (wie z. B. Halsschmerzen) bereits abgeklungen sind. 

Im Falle von PANDAS binden die Antikörper vor allem an Strukturen in den Basalganglien und insbesondere im Striatum des Gehirns (Abb. 2). Vorrangig schädigen sie hierbei offenbar dopaminerge D2R-Neurone. Durch Läsionen dieser Bereiche kommt es zu Bewegungsstörungen und Verhaltensänderungen. Die Basalganglien umfassen eine Reihe von subkortikalen Kernen (z. B. Nucleus caudatus, Putamen, Globus pallidus, Nucleus subthalamicus und Substantia nigra). Ihre funktionalen Verbindungen zu mehreren kortikalen Regionen haben zum Konzept der kortikostriatalen-thalamokortikalen Verschaltungen (CSTC) geführt, d. h. mehrere parallele Rückkopplungsschleifen mit Ausgängen vom Striatum, die auf primäre motorische Hirnareale und spezifische vormotorische und präfrontale kortikale Bereiche projizieren. 

Die primäre Funktion dieser CSTC-Schaltungen ist die Steuerung und Auswahl des zielgerichteten motorischen, kognitiven und motivationalen Verhaltens. Weiterhin sind sie aber auch an der Ausbildung von Gewohnheiten beteiligt [3]. Eine Schädigung dieser Bereiche spielt generell eine Rolle bei der Entstehung von Tics, dem Tourette-Syndrom und auch von zwanghaftem Verhalten [4]. Kinder mit PANDAS hatten in akuten Krankheitsphasen erhöhte Striatumvolumina [5] und die Entzündung war zum Teil bis in den angrenzenden Nucleus caudatus und Nucleus lentiformis verbreitet. 

Als Immuneffektorzellen des zentralen Nervensystems kommt den Mikroglia bei der Entstehung von PANDAS eine tragende Rolle zu. Eine an Mäusen durchgeführte Studie untersuchte kürzlich die Auswirkungen einer intranasalen Streptokokkeninfektion der Gruppe A [6]. Wiederholte intranasale GAS-Inokulationen führen zu einer Erhöhung der Anzahl von CD68+/Iba1+-aktivierten Mikroglia in der glomerulären Schicht des Riechkolbens. Die Mehrheit der aktivierten Mikroglia wurde in unmittelbarer Nähe zu CD4+T-Zellen gefunden, was nahelegt, dass GAS-Antigene durch lokale Mikroglia den Th17-Zellen präsentiert werden könnten. 

Diagnose

Bei diesem ungewöhnlichen Krankheitsbild eine korrekte Diagnose zu stellen ist eine Herausforderung, da zwischen einer Infektion mit GAS und dem Einsetzen der psychischen PANDAS-Symptome Zeiträume zwischen wenigen Tagen und anderthalb Monaten liegen können. Eltern berichten bei der Vorstellung des Kindes beim Arzt häufig nicht spontan von einem vorhergehenden Infekt, sodass eine sorgfältige Anamneseerhebung notwendig ist. Auch die Familienanamnese spielt bei der Diagnose von PANDAS eine große Rolle. Bei Verwandten ersten Grades von Kindern mit dem PANDAS-Syndrom tritt z. B. häufiger rheumatisches Fieber auf als in einer Kontrollgruppe, was auf eine vererbte Anfälligkeit für nichtpyogene Folgeerkrankungen von Streptokokkeninfektionen hinweist. 

Differenzialdiagnostisch sollte natürlich eine klinische, psychiatrische und eine neurologische Untersuchung durchgeführt werden, um andere Erkrankungen auszuschließen oder weitere Hinweise auf PANDAS (z. B. rheumatisches Fieber, Pharyngitis) zu finden. 

Bei Verdacht auf PANS sollten immer ein Differenzialblutbild, BSG, CRP, ein umfassendes Stoffwechselprofil und eine Urinuntersuchung angeordnet werden. 

Der Nachweis von GAS erfolgt nach einem Rachenabstrich mittels Antigentest und/oder Kultur. Dieser gelingt aber nicht immer, da Streptokokken sich in körpereigene Zellen zurückziehen können. 

Serologisch kann eine GAS-Infektion durch einen Anstieg des Anti-Streptolysin-O-Titers oder des Anti-DNAse-B-Titers um 0,2 log10 (58%) innerhalb von vier bis acht Wochen nachgewiesen werden. Allerdings ist dies nur bei 62% der Neuansteckungen mit GAS der Fall. Ein einzelner hoher Titer ist nicht verlässlich, allerdings können doppelt erhöhte Werte (0,3 log10) hinweisend auf eine Infektion mit GAS sein [7]. 

Glücklicherweise sind nur äußerst wenige Kinder, die eine Streptokokken-Infektion durchlaufen, von einem PANDAS-Syndrom betroffen. Bei vielen Patienten treten die typischen Symptome offenbar erst nach wiederholten Streptococcus-pyogenes-Infektionen auf [8].

Gerade bei Krankheiten wie PANDAS sollten zukünftige Bemühungen auf die Analyse der Immunreaktivität von Seren von Patienten gerichtet sein, insbesondere mit dem Fokus auf Dopamin-D2-Rezeptoren. Der Nachweis von peripheren Autoantikörpern könnte nicht nur die Dia­gnose von PANDAS, sondern auch von unzähligen anderen entzündlichen neurologischen Störungen unterstützen [9]. So lassen sich periphere Autoantikörper bei verschiedenen neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen wie z. B. Multipler Sklerose, limbischer Enzephalitis oder Myasthenia gravis, als klinisch relevant nachweisen. Allerdings kommt es vor, dass bei Patienten im Serum zunächst keine antineuralen Antikörper zu finden sind, aber in der Zerebrospinalflüssigkeit doch auftreten. Ein fehlender Nachweis von Autoantikörpern im Serum schließt diese Erkrankungen also nicht aus [10]. 

Inzwischen haben erste Bildgebungsstudien mit Positronen-Emissions-Tomo­grafie (PET) bei PANDAS-Patienten Beweise für diese erhöhte Aktivierung von Mikroglia im Striatum erbracht. Im Zusammenhang mit der Identifizierung immunologischer diagnostischer Biomarker untersuchten beispielsweise Kumar et al. (2015) [11] die Neuroinflammation bei Kindern mit PANDAS. Mittels PET identifizierten sie den Translokatorprotein­rezeptor (TSPO) als Marker, der von aktivierter Mikroglia exprimiert wird. Zum selektiven TSPO-Nachweis verwendeten sie den schwach radioaktiven Tracer 11C-[R]-PK11195. 

Die Autoren analysierten mit dieser Technik die Neuroinflammation in Basalganglien und Thalamus und beobachteten bei PANDAS-Patienten ein erhöhtes Bindungspotenzial im bilateralen Nucleus caudatus und im bilateralen Nucleus lenti­formis. Daher könnte die Überwachung der Neuroinflammation mittels PET geeignet sein, pathophysiologische Mechanismen bei PANDAS aufzuklären.

Therapie

Momentan gibt es zu wenig Evidenz, um eine eindeutige Empfehlung für die Behandlung von PANDAS aussprechen zu können. Nach einem aktuellen Review scheint antibiotische Therapie kombiniert mit immunmodulatorischer und psychia­trischer Therapie die beste Option darzustellen [12]. Bei dieser Erkrankung ist die Zusammenarbeit von Psychologen und Ärzten von größter Bedeutung.