Neue Hämotherapie-Richtlinie

Gezielte pränatale Anti-D-Prophylaxe

Nach jahrelanger Entwicklung wird nun die molekulargenetische Pränataltes­tung (NIPT) auf Rh-Inkompatibilität von der Bundesärztekammer empfohlen. Der neue Test ist ein wichtiger Beitrag zur gezielten Anti-D-Prophylaxe.

Schlüsselwörter: NIPT, Schwangerschaftsvorsorge, Anti-D-Prophylaxe

Das Jahr 1998 markiert die Geburtsstunde der gezielten Anti-D-Prophylaxe: Basierend auf ersten Publikationen über zirkulierende Tumor-DNA entdeckte Prof. Dennis Yuk-Ming Lo an der Universität Oxford Spuren fetaler DNA im Serum von Schwangeren. 1998 gelang es ihm erstmals, daraus mittels Real-time PCR den kindlichen RhD-Status zu bestimmen[1].

In der im August 2017 veröffentlichten Hämotherapie-Richtlinie berücksichtig­te die Bundes­ärztekammer diesen nicht-invasiven pränatalen Test für RhD (NIPT RhD): Bei RhD-negativen Schwangeren ist die pränatale Anti-D-Prophylaxe nun nicht mehr notwendig, wenn der Fetus mit einem validierten Verfahren RhD-negativ bestimmt wurde.

Zwar ist das Anti-D-Hyperimmunglobulin ein relativ sicheres Medikament, doch Infektionen und schwere Unverträglichkeitsreaktionen lassen sich nicht völlig ausschließen. Diese Risiken einer streng genommen nicht indizierten Applikation eines Blutprodukts wurden bislang als unvermeidbar hingenommen.

Methodische Verbesserungen

Das von Lo et al. verwendete Nukleinsäureextraktionsverfahren musste hinsichtlich der optimalen Anreicherung kleiner, fetaler Nukleinsäurefragmente sowie der Wahl der Amplifikationsprimer und Sonden modifiziert werden. Von 2004 bis 2009 wurde innerhalb des Europäischen Exzellenznetzwerks SAFE (special non-invasive advances in fetal and neonatal evaluation network of excellence) ein Real-time PCR-Verfahren zur Bestimmung des fetalen RhD-Status aus mütterlichem Blut entwickelt[2] und an mehreren Standorten reproduziert.

Nach Abschluss von drei Studien mit insgesamt mehr als 3.000 Patientinnen begannen einige europäische Nachbarländer damit, eine pränatale Anti-D-Prophylaxe mit gezielter Verabreichung des Anti-D-Hyperimmunglobulins nur noch bei denjenigen Schwangeren anzuwenden, die aufgrund des NIPT RhD einen RhD-positiven Fetus tragen. In Dänemark und den Niederlanden hielt die gezielte Prophylaxe bereits im Rahmen eines landesweiten Programms Einzug in die Mutterschaftsvorsorge; zuvor hatte man sich dort auf eine Anti-D-Prophylaxe nach der Entbindung beschränkt.

Inzwischen liegen beeindruckende Resultate vor, die eine ungewöhnlich hohe Sensitivität des Verfahrens von bis zu 99,9% belegen[2–5] – ungewöhnlich vor allem deshalb, weil der Analyt ja nur in Spuren vorkommt. Zum Vergleich: Die Sensitivität serologischer RhD-Tests liegt nach unseren eigenen Studien bei nur 99,5%; falsch negative Ergebnisse resultieren dort vor allem aus schwachen RhD-Varianten[5].

Die Spezifität des NIPT RhD beträgt 97 bis 99%, was akzeptabel erscheint, denn beim Vorliegen eines falsch positiven Testergebnisses wird lediglich eine pränatale Anti-D-Prophylaxe injiziert, die eigentlich nicht notwendig ist.

 

Hinweise für die Laborpraxis

Mit der neuen Hämotherapie-Richt­linie fordert die Bundes­ärztekammer die medizinischen Laboratorien auf, die Bestimmung des fetalen RhD-Status in ihr Analysenspektrum aufzunehmen. Ein automatisiertes Nukleinsäureextraktionsverfahren und ein EDV-gestützter Datenfluss tragen wesentlich zur Vermeidung fehlerhafter Testergebnisse bei. Weiterhin ist eine Untersuchung von mindestens zwei RhD-spezifischen Exons in mehreren Reaktionsgefäßen mit Real-time PCR erforderlich, um die von den ausländischen Arbeitsgruppen beschriebene hohe Sensitivität sicherzustellen. Alternativ kommt das Next Generation Sequencing als Methode zur Bestimmung des fetalen RhD-Status infrage. Verlässliche Leistungsdaten wurden aber bisher mit dieser – ansonsten bei NIPT favorisierten – Methode nicht veröffentlicht.

Derzeit kann ein Primer-Sonden-Gemisch mit CE-Kennzeichnung von nur einem französischen Reagenzhersteller bezogen werden. Da aber das Patent von Dennis Lo 2018 ausläuft, ist in naher Zukunft auch mit Angeboten aus Deutschland zu rechnen.

Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) arbeiten derzeit an einer Empfehlung zur Validierung des NIPT-Verfahrens, um ein hohes Qualitätsniveau auf nationaler Ebene auch für nicht-kommerziell erhältliche Testverfahren zu gewährleisten. Als Vorlagen stehen die Protokolle für die nationalen Screening-Programme in den Niederlanden und Dänemark zur Verfügung.

 

Hinweise für Gynäkologen

Eine Abnahme von EDTA-Blut ab der 20. Schwangerschaftswoche stellt sicher, dass genügend fetale DNA in der Probe vorhanden ist; frühere Entnahmezeitpunkte bergen das Risiko erhöhter Falsch-negativ-Raten. Die fetale DNA ist in EDTA-Blut relativ stabil, sodass die Proben bei Raumtemperatur oder gekühlt transportiert werden können. Die Zeit zwischen Probengewinnung und Abtrennung des Plasmas sollte so kurz wie möglich sein und fünf Tage nicht überschreiten.

Da die Bestimmung im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge nicht dem Ziel dient, eine kindliche Erkrankung zu diagnostizieren, unterliegt der Test auch nicht dem Gendiagnostikgesetz für pränatale Untersuchungen (Entscheidung des BMG von 2010). Somit gelten meines Erachtens bei der Anforderung und Befundrückführung formal dieselben Regeln wie für die Bestimmung der mütterlichen Blutgruppenmerkmale.

 

Bewertungsverfahren des G-BA

Bislang werden NIPT im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung vor allem zur Erkennung der Trisomie 21 und anderer Aneuploidien eingesetzt[6], während die Untersuchung des fetalen RhD-Status aus mütterlichem Blut von den gesetzlichen Krankenkassen noch nicht übernommen wird. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) leitete jedoch Mitte August 2016 ein Beratungsverfahren ein, dessen Ausgang mit Spannung erwartet werden kann. Gegenstand ist der NIPT RhD im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen gemäß Mutterschafts-Richtlinien.

Seit einigen Monaten ist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitsweisen (IQWiG) mit der Recherche und Bewertung des NIPT RhD beauftragt, sodass schon bald seitens der Rh-negativen Schwangeren eine starke Nachfrage für die gezielte Anti-D-Prophylaxe zu erwarten ist.


apl. Prof. Dr. med. Tobias J. Legler

Universitätsmedizin Göttingen

Abteilung Transfusionsmedizin