Attraktive Ergänzung der Blutgruppenserologie

Molekularbiologische Immunhämatologie

Molekulardiagnostische Verfahren können die Immunhämatologie erheblich bereichern. Allerdings wird diese Option bislang nur für einige wenige Fragestellungen genutzt. Warum?

Schlüsselwörter: Blutgruppenbestimmung, Transfusion, Immunhämatologie

PCR, Gensequenzierung und andere molekularbiologische Methoden versprechen höchste Spezifität und konkurrenz­lose Detailtiefe bei der Blutgruppen­bestimmung. Dennoch beschränkt sich ihr tatsächlicher Einsatz in der Immunhämatologie derzeit auf wenige definierte Fragestellungen. Das verwundert zunächst, doch es gibt eine Reihe von Erklärungen für diese Zurückhaltung.

 

Gesetzliche Hürden

Im Vordergrund stehen vielfach gesetzliche und andere Regelungen für die Immunhämatologie in Deutschland. Es handelt sich nicht nur um Richtlinien der Labordiagnostik[1], gegebenenfalls auch Anforderungen der Akkreditierungsstellen[2], sondern insbesondere auch um spezifisch transfusionsmedizinische Vorgaben aus dem Transfusionsgesetz[3] und den hämotherapeutischen Richtlinien[4]; eventuell sind zusätzlich die Mutterschafts-Richtlinien zu beachten[5]. Die Verbindlichkeit der Richtlinien wird durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger, der vom Bundesjustizministerium herausgegeben wird, deutlich. Neue Techniken in der Immunhämatologie brauchen daher in Deutschland, wenn sie alte ablösen sollen, immer auch eine Autorisierung, die dem Gesetzgebungsverfahren nicht unähnlich ist.

Dazu kommen medizinisch-analytische Aspekte, denn molekularbiologische Methoden können nicht das gesamte Spektrum der Immun­hämatologie abdecken. Vor allem die Bestimmung von Antikörpern gegen Spenderblut ist weiterhin auf serologische Methoden angewiesen. Zudem steht in der Praxis oft nicht ausreichend Zeit für die Durchführung einer PCR zur Verfügung.

 

Vielfältige Vorteile

Bei Antigenbestimmungen können molekularbiologische Methoden hingegen Vorteile zur Geltung bringen, die serologisch nicht realisierbar sind. Der Umfang der Blutgruppen-Polymorphismen ist deutlich größer, als serologische Methoden vermuten lassen würden. Das beinhaltet Varianten insbesondere beim Rhesus­faktor, die serologisch als unauffällig positiv erscheinen, tatsächlich aber inkomplett sind, z. B. bei der Kategorie VII oder beim „D afrikanischen Ursprungs" (DAU). Da das Antigen nicht alle Standard-Epitope beinhaltet, können Patienten mit diesen Merkmalen Antikörper bilden.

Des Weiteren ist der Nachweis schwach ausgeprägter Antigene eine spezifische Stärke molekularbiologischer Methoden. So können bestimmte Fy(b)-Merkmale bei Spender-Erythrozyten, wenn sie nicht bekannt sind, Anlass für Konfusion und eventuell auch für Transfusionsreaktionen sein. Serologische Fehlbestimmungen schwacher Fy(b) kommen sogar in Referenzlaboren vor. Dieses Risiko lässt sich mit der Blutgruppendiagnostik aus DNA ausräumen.

Alleinstellungsmerkmale haben molekularbiologische Methoden vor allem auch bei vortransfundierten Patienten, denn die Diagnostik wird im Gegensatz zur Serologie aus (kernhaltigen) Leukozyten durchgeführt. Da Blutkonserven (Erythrozytenkonzentrate) praktisch keine Leukozyten enthalten, ist die zuverlässige Untersuchung der Blutgruppen unmittelbar nach Transfusion über die DNA des Patienten möglich. Leider ist diese Diagnostik in Deutschland nur teilweise durch die hämotherapeutischen Richtlinien autorisiert.

Einen speziellen Vorteil weist die Blutgruppendiagnostik aus DNA schließlich bei Schwangeren mit positivem Antikörpertest auf. Diese Immunglobuline werden über die Plazenta in das Kind übertragen und können dort eine schädliche Wirkung entfalten. So kann Anti-D einer Rhesus-negativen Schwangeren – wenn der Fetus Rhesus-positiv ist und das Antigen D exprimiert – einen Morbus hämolyticus neonatorum verursachen. Mittels PCR ist es möglich, fetale DNA aus dem Trophoblasten der Plazenta[6] im mütterlichen Blut zu amplifizieren, um den Rhesusfaktor des Feten zu untersuchen.

Alle Blutgruppen auf einen Schlag

Für die molekularbiologische Untersuchung stehen sowohl kommerzielle Tests als auch eine Vielzahl von Inhouse-Methoden zur Verfügung[7, 8]. PCR-Verfahren sind am weitesten verbreitet; sie kommen zum Einsatz, wenn die zu untersuchenden Polymorphismen bereits bekannt sind. Ganze Gene – auch solche mit bislang unbekannten Varianten – werden zunehmend mit Sequenzierungsmethoden (Next Generation Sequencing, NGS) erfasst. Mit geeigneten Kits ist es sogar möglich, die 45 Gene aller 36 erythrozytären Blutgruppen nach ISBT in einer Untersuchung zu erfassen.

Das geht mit neuen Größenordnungen an Rohdaten einher, deren Auswertung hohe Anforderungen an die IT stellt. Wenn NGS über wissenschaftliche Fragestellungen hinaus auch für die Spender- und Patientendiagnostik verwendet werden soll, ist eine eigene Bioinformatik-Pipeline für die Datenerfassung und -speicherung in ausreichender Kapazität mit Datenschutz und Auswertungsalgorithmen erforderlich[9].

Erste Erfahrungen mit der Sequenzierung ganzer Gene einschließlich der Introns zeigen, dass auf diese Weise eine Vielzahl neuer Mutationen entdeckt wird, deren Signifikanz unklar ist (variants of unknown significance, VUS). Dies sowie die apparativen und technischen Anforderungen erklären, warum eine so universelle Technologie wie NGS in der Immunhämatologie zunächst noch sehr begrenzt zum Einsatz kommt.

Ausblick

Die Kenntnis aller Blutgruppenantigene, und nicht nur der aktuell gesetzlich vorgeschriebenen, wird langfristig große Vorteile bieten. Bekanntlich ist die häufigste Nebenwirkung von Bluttransfusionen die Bildung von Antikörpern gegen fremde Erythrozyten-Merkmale[10]; betroffen sind bei der Standardversorgung (ABD) über acht Prozent der Patienten. Bis zur nachfolgenden Transfusion bleiben die Antikörper nur teilweise nachweisbar, sodass bei Berücksichtigung der bislang üblichen Antigene Boosterungen und verzögerte Transfusionsreaktionen möglich sind. Diese tragen wesentlich zur Morbidität von Transfusionen bei.

Die Inzidenz der Immunisierung hängt maßgeblich davon ab, wie viele Antigene bei der Auswahl von Erythrozytenkonzentraten berücksichtigt werden. Wenn Preis und Aufwand für molekulare Spendertypisierungen mit viel mehr als den aktuell zwei oder drei Blutgruppensystemen weiter sinken, dann kann die verbesserte Transfusionskompatibilität auch ökonomisch attraktiv werden. Medizinisch ist sie das bereits heute.


Priv.-Doz. Dr. med. Norbert Ahrens

Universitätsklinikum Regensburg