Paradigmenwechsel bei der ANCA-Bestimmung

Diagnostik der primären Autoimmun-Vaskulitis

Primäre Vaskulitiden sind seltene, meist schwer verlaufende Autoimmunerkrankungen, mit einer vielfältigen, wenig aussagekräftigen Symptomatik. Seit Kurzem stehen Tests zur Erkennung definierter Zielantigene der zytoplasmatischen und perinukleären ANCA zur Verfügung, die die Spezifität der Diagnostik erheblich verbessern.

Vaskulitiden sind ein Chamäleon in der Medizin. Fast alle Organe, wie zum Beispiel Haut, Muskeln, Nervensystem, Herz, Lunge, Magen oder Nieren, können von einer Entzündung der Blutgefäße betroffen sein, und zwar solitär, simultan oder sukzessiv. Entsprechend vielgestaltig ist die klinische Symptomatik.

Leider sind die Beschwerden wie Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen bei der Erstvorstellung so unspezifisch, dass die Differenzialdiagnose einer Vaskulitis sehr oft im Raum steht. Manchmal lässt sich ein Auslöser, etwa eine Infektion, ein Medikament oder eine andere entzündliche Erkrankung eruieren. So können sekundäre Vaskulitiden durch Kryoglobuline – zum Beispiel bei Hepatitis C – ausgelöst werden.

Häufig aber bleibt der Auslöser unbekannt. Pathophysiologische Grundlage dieser primären oder idiopathischen Vaskulitis ist eine Autoimmunreaktion gegen das Endothel oder andere Gefäßschichten. Mit einer Prävalenz von weniger als 1 : 100.000 ist dieses Krankheitsbild sehr selten, muss aber schnellstmöglich diagnostiziert und behandelt werden, da es in der Regel schwer, manchmal tödlich verläuft.

cANCA und pANCA

Lange Zeit konnte das Labor nur indirekte Informationen liefern, etwa zur Organ­beteiligung bei primärer Vaskulitis oder zur Differenzialdiagnose der häufigeren sekundären Vaskulitiden. Dies änderte sich mit der Beschreibung von Autoantikörpern gegen zytosolische Bestandteile neutrophiler Granulozyten (ANCA = anti-neutrophile cytoplasmatic antibodies) für die Diagnostik bestimmter Kleingefäß-Vaskulitiden[1]. Der neue Parameter war den Klinikern so wertvoll, dass sie eine Entität danach benannten: die ANCA-assoziierte Vaskulitis.

ANCA werden überwiegend mit dem indirekten Immunfluoreszenztest (IIFT) bestimmt (Abb. 1 und Titelbild). Man kann bei der Standardpräparation der Granulozyten mit Ethanolfixierung zwei Färbemuster cANCA und pANCA unterscheiden (zyto­plasmatische und perinukleäre ANCA). In den Anfängen wurden mit dieser Technik nur Patienten im universitären Umfeld oder in spezialisierten Facharztpraxen untersucht, was eine hohe Prätestwahrscheinlichkeit (hohe Prävalenz im untersuchten Krankengut) und damit eine gute diagnostische Spezifität zur Folge hatte.

Durch die kommerzielle Verfügbarkeit und große Verbreitung des Tests hat sich die Bestimmung inzwischen aber als eine Art Screeningmethode bei allen Patienten mit den oben beschriebenen „Chamäleon-Symptomen" etabliert. ANCA wurden fast so häufig angefordert wie antinukleäre Antikörper (ANA), doch dafür reichte die diagnostische Spezifität der Methode nicht aus. Somit erhielt man bei geringer Prävalenz zu viele falsch positive Resultate. Insbesondere pANCA fanden sich häufiger bei verschiedenen anderen Erkrankungen als bei den mit pANCA assoziierten Vaskulitiden, zum Beispiel bei vielen Patienten mit einer PSC (primär sklerosierende
Cholangitis), einer Colitis ulcerosa oder einer Autoimmunhepatitis.

 

Methodische Weiterentwicklung

Zumindest einen Teil der ANCA, die nicht mit Vaskulitis assoziiert waren, konnte man erfassen, indem man zusätzlich formalinfixierte Granulozyten in den Test einsetzte. Diese unspezifischen Autoantikörper färben die formalinfixierten Granulozyten nämlich kaum oder ohne typisches Muster, während die krankheitsspezifischen pANCA dort eine granuläre, zytoplasmatische Fluoreszenz aufweisen. Allerdings erwies sich auch diese Unterscheidung als nicht sehr spezifisch. Sie fand deshalb keinen Eingang in die internationalen Konsensstatements zur ANCA-Diagnostik.

Verschiedene Autoren führten zur genaueren Differenzierung Begriffe wie xANCA oder aANCA (für atypische ANCA) ein[2, 3], doch auch diese Nomenklatur wurde nur von wenigen Laboren übernommen. Damit blieb der Befund „pANCA positiv" für den Kliniker im Hinblick auf die Dia­gnosestellung einer ANCA-assoziierten Vaskulitis ziemlich wertlos – ein unbefriedigender Zustand, denn wenn das Labor schon einmal eine klare klinische Fragestellung erhält, dann sollte es auch die Aussage „vaskulitis-assoziierte ANCA" bieten können.

 

Definierte Zielantigene

Ein großer Schritt in diese Richtung war die Entdeckung von zwei exakt definierbaren Zielantigenen der Autoantikörper. Es handelt sich um die Enzyme Serinproteinase 3 (PR3) und Myeloperoxidase (MPO). Damit standen bald deutlich spezifischere Immunoassays zur Verfügung, um wichtige Vaskulitiden wie etwa die GPA (Granulomatose mit Polyangiitis, früher Morbus Wegener), MPA (Mikroskopische Polyangiitis) und EGPA (Eosinophile Granulomatose mit Poly­angiitis, früher Churg-Strauss-Syndrom) zu differenzieren.

Die ersten Generationen dieser Tests waren noch wenig sensitiv, denn vor allem die Serinproteinase 3 als Hauptantigen der cANCA hat es proteinchemisch und immunologisch in sich: Zum einen kann sich dieses Enzym als Proteinase selbst verdauen, und zum anderen bindet es bei einem klassisch aufgebauten ELISA sterisch so ungünstig an die Festphase, dass es für Autoantikörper nur schwer zugänglich ist.

Aufgrund dieser technischen Unzulänglichkeiten wurde bis dato weiterhin der indirekte Immunfluoreszenztest (IIFT) als Screeningverfahren empfohlen. Nur wenn dieser ein positives Ergebnis lieferte, sollte ein spezifischer Immunoassay zur Bestätigung durchgeführt werden.

Erst neuere Weiterentwicklungen des Tests mit rekombinanten und z. T. sogar genetisch veränderten Antigenen sowie sogenannter Linkern, mit denen das Antigen an der Festphase gewissermaßen „auf Abstand" gehalten wurde, führten zur Entwicklung moderner Immunoassays mit exzellenter Sensitivität und Spezifität.

Ausblick

Eine große multizentrische Studie zeigte, dass damit jetzt Testsysteme verfügbar sind, die dem „guten alten Immunfluoreszenztest" sowohl in Spezifität als auch in Sensitivität für die Diagnostik der ANCA-assoziierten Vaskulitiden deutlich überlegen sind[4]. Besonders erwähnenswert ist, dass alle getesteten Immunoassays geeignet sind, den IIFT, der immerhin in zwei ausgewiesenen Referenzlaboren mit langjähriger Erfahrung durchgeführt wurde, als Goldstandard abzulösen.

Eine neue, daraus entstandene Leit­linie ist veröffentlicht[5, 6]; sie empfiehlt nun auch zum Screening einen spezifischen Immunoassay. Der IIFT zur Testung von ANCA bleibt anderen Krankheiten vorbehalten, wie etwa der PSC (primär sklerosierende Cholangitis) und der CU (Colitis ulcerosa). Damit kann heute jedes qualifizierte Labor „Vaskulitis-assoziierte ANCA" bestimmen und dem Kliniker einen aussagekräftigen Befund liefern.


Prof. Dr. med. Rudolf Gruber

Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg