Neufassung mit Schwachstellen

Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM)

Die lang erwartete EBM-Neufassung für Humangenetik, Molekularpathologie und Immungenetik ist endlich Realität. Sie schafft Vergütungs-Klarheit in vielen bisher strittigen Fragen, doch nicht alle Neuerungen sind fachlich nachvollziehbar.
Schlüsselwörter: EBM, Kapitel 11, Kapitel 19, Kapitel 32, Laborvergütung, NGS

Der Bewertungsausschuss der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärzt­lichen Bundesvereinigung (KBV) hat in seiner 372. Sitzung am 11. März 2016 sowie seiner 376. Sitzung am 22. Juni 2016 weitreichende Änderungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) bei den humangenetischen Leistungen beschlossen; sie sind nun seit 1. Juli 2016 in Kraft.
Durch die Änderungen, die Kapitel 11.4 EBM betreffen, wurden längst überfällige Anpassungen an den Stand von Wissenschaft und Technik vorgenommen, die allerdings erheblich hinter den Forderungen der Berufsverbände – allen voran des BVDH (Berufsverband Deutscher Humangenetiker e. V.) – und auch hinter international anerkannten Standards zurückbleiben.
Neben der Neufassung des Kapitels Humangenetik wurde die Molekularpathologie (In-vitro-Diagnostik von tumorgenetischen Veränderungen) – auch im Zusammenhang mit der Indikationsstellung einer pharmakologischen Therapie (Companion Diagnostics) – in ein eigenes Kapitel 19.4 EBM ausgegliedert[1]. Kapitel 32.3 EBM wurde um den Abschnitt 32.3.15 (immungenetische Untersuchungen) ergänzt (nähere Informationen dazu finden Sie auf S. 113).

Gute und schlechte Nachrichten
Die gute Nachricht: Mit Inkrafttreten des überarbeiteten EBM für den Fachbereich Humangenetik (Kapitel 11) und Schaffung neuer Kapitel für Molekularpathologie (Kapitel 19.4) und Immungenetik (Kapitel 32.3.15) wird der Einsatz von Hochdurchsatz-DNA-Sequenzanalyseverfahren (Next Generation Sequencing, NGS) nun auch in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich möglich, wenn auch in begrenztem Umfang. Die Anforderung erfolgt wie bisher über den Überweisungsschein Muster 10. Neben sinnvollen Elementen, zum Beispiel der Vergütung der Indikationsprüfung oder Freigabe der Sequenziermethode, wurden allerdings auch fachlich und sachlich nicht nachvollziehbare Festlegungen getroffen, so etwa die Auswahl der Gene, die obligat bei bestimmten Indikationen untersucht werden müssen. Kritisch zu bewerten ist auch der Ausschluss wichtiger Indikationen wie familiäre Hypercholesterinämie oder hypertrophe Kardiomyopathie (da „zu häufig“), der Ausschluss der Untersuchung freier DNA im Plasma (da „keine Evidenz“ für die Bedeutung des Monitorings einer minimalen Resterkrankung) oder der Ausschluss der klassischen Pharmakogenetik (da „keine Evidenz“ für die Bedeutung des Phase-I- und Phase-II-Metabolismus). Ähnlich unverständliche Einschränkungen finden sich auch im neuen Kapitel 32.3.15 für die Immungenetik (s. S. 113).

Zündstoff vorprogrammiert
Die von internationalen Expertengremien[2] geforderte Qualität der Analytik wird bei der Vergütung in keiner Weise berücksichtigt. Vielmehr sieht der neue EBM deutliche Honorarminderungen – vor allem in der Molekulargenetik um durchschnittlich 30 bis 40% – vor, obwohl bereits die Kürzungen der vergangenen Jahre an die Belastungsgrenze der Laboratorien ging. Nun ist eine Konzentrierungswelle mit Verlust der Unabhängigkeit vieler Labore vorprogrammiert. Man kann erwarten, dass nicht nur die zahlreichen Ungereimtheiten in den Leistungslegenden, sondern auch die wirtschaftliche Unterbewertung der Leistungen für Zündstoff sorgen werden.
Vom Bundesministerium für Gesundheit wurde bereits die Genehmigungspflicht von diagnostischen Leistungen beanstandet, obwohl die Politik eigentlich extrem selten in die Beschlussfassung der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen eingreift. Bemerkenswert ist, dass die Beanstandung mit einem „unerlaubten Eingriff in die ärztliche Diagnose- und Therapiefreiheit“ begründet wurde. Der gemeinsame Bewertungsausschuss hat wiederum Klage gegen diese Beanstandung eingereicht, sodass die Genehmigungspflicht erst einmal in Kraft tritt. Es bleibt abzuwarten, welche Rechtsauffassung sich letztlich durchsetzt.

Kritisches Fazit

Der neue EBM scheint insgesamt stark von Obergrenzen und Ausschlüssen geprägt zu sein, die offenbar dem Ziel der Kos­tendämpfung dienen, den medizinischen Fortschritt in der Molekularen Diagnostik aber in vieler Hinsicht unberücksichtigt lassen. Andererseits muss man aber auch anmerken, dass Fachgesellschaften und Berufsverbände bislang versagt haben, medizinisch begründete Kriterien für den Einsatz der neuen leis­tungsfähigen Technologien zu definieren. Dies hat zu einem unkontrollierten Wildwuchs an Angeboten molekular­genetischer Laboranalysen geführt, weshalb heute bei einer Verdachts­diagnose völlig unterschiedliche Diagnostikangebote beraten und empfohlen werden. Dies hat nicht nur zu einer Verunsicherung bei den Patienten geführt, sondern offenbar auch beim Bewertungsausschuss.
Wie viel die neuen EBM-Kapitel 11.4 und 19.4 überhaupt wert sind, muss man sich ohnehin fragen angesichts der europaweiten Ausschreibung der AOK für „Companion Diagnostics“ der Gene BRCA1 und BRCA2 im Zusammenhang einer Therapie mit PARP-Inhibitoren. In den Ausschreibungsrichtlinien steht explizit, dass nur ein einziger Anbieter ausgewählt wird und ausschließlich der Preis entscheidungs­erheblich ist. Da kann man nur sagen: „Gute Nacht für eine Diagnostik mit ärztlichem Qualitätsanspruch.“