Zelluläre Botschafter auf Reisen
Die bunte Vielfalt der extrazellulären Vesikel
Das wissenschaftliche und medizinische Interesse an den sogenannten extrazellulären Vesikeln (EVs) ist in den letzten zehn Jahren sprunghaft gestiegen. Nach derzeitiger Lehrmeinung werden diese winzigen, mit einer Phospholipid-Doppelmembran umhüllten Partikel von praktisch allen Zellen im Körper gebildet und „auf Reisen geschickt“, um biochemische Informationen untereinander auszutauschen. Das funktioniert lokal wie auch über das Blut und andere Körperflüssigkeiten. Zum Beispiel scheinen Tumoren auf diesem Wege die Immunabwehr zu unterdrücken und gesunde Zellen in ihrer Mikroumgebung sowie in entfernten prämetastatischen Nischen in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Diagnostischer Lauschangriff
Die Kommunikation erfolgt vorwiegend über RNA- und Proteinmoleküle. Vergleicht man die hormonelle Informationsverbreitung im Körper mit dem Rundfunk oder den direkten synaptischen Informationsaustausch zwischen zwei Nervenzellen mit dem Telefon, dann entspräche die Versendung der extrazellulären Vesikel mit ihren darin enthaltenen Informationspaketen dem Datenverkehr über SMS, E-Mail oder Twitter im Internet.
Was liegt in Zeiten von „Big Data“ näher, als diese Botschaften abzuhören, indem man die darin enthaltenen molekularen Muster analysiert und mit bioinformatischen Algorithmen auswertet? In der Tat gehört zu den Kernanliegen aktueller Forschung – neben einem besseren Verständnis der zugrundeliegenden Biologie und Pathophysiologie – die Entschlüsselung dieses Informationsflusses. Wenn das gelingt, dann sind extrazelluläre Vesikel Erfolg versprechende Biomarkerkandidaten für die Erkennung und Verlaufskontrolle zahlreicher Krankheiten (mehr dazu auf den nächsten Seiten).
Medizinische Anwendungen
Die besonders kleinen Exosomen stellen eine Untergruppe der extrazellulären Vesikel dar; mit Durchmessern von nur etwa 0,1 µm können sie nahezu alle Barrieren im Körper überwinden. Das gilt unter bestimmten Bedingungen sogar für die Blut-Hirn-Schranke, sodass man aus der Analyse von Exosomen im Blut möglicherweise Rückschlüsse auf Tumoren, neurodegenerative oder entzündliche Prozesse im Gehirn ziehen kann, ohne dem Patienten Liquor zu entnehmen. Neuere Untersuchungen weisen in diese Richtung.
Darüber hinaus besitzen Exosomen aus Glia- oder auch Stammzellen offenbar neuroprotektive Eigenschaften[1, 2], die man sich eines Tages womöglich zur Therapie ischämischer (Schlaganfall) oder neurodegenerativer Erkrankungen (M. Alzheimer, M. Parkinson) zunutze machen könnte.
Verschlüsselte Botschaften
So plausibel die Geschichte von den „zellulären Botschaftern auf Reisen“ auch klingen mag, so klar müssen wir derzeit noch zwischen Mythos und Fakten differenzieren. Aus der Grundlagenforschung wissen wir, dass die EVs so heterogen sind wie eine bunte Mischung Bonbons: viele verschiedene Populationen unterschiedlicher Herkunft und Wirkung, mit bislang nicht genau charakterisierten Inhalten und weitgehend unbekannten Empfängern. Das macht ihre Erforschung sehr komplex, aber auch äußerst spannend.
Priv.-Doz. Dr. Eva-Maria Krämer-Albers
Universität Mainz, Abt. Molekulare Zellbiologie
alberse[at]uni-mainz[dot]de