Hochwirksam und umsatzstark

Biologicals

Was haben Insulin und Antikörper gemeinsam? Sie kommen im Körper vor und können gentechnologisch hergestellt werden. Als Biologicals dienen sie der Substitution körpereigener Stoffe und der spezifischen Blockierung krankhafter Prozesse.

 Am 13. März 2006 wurde im Londoner Northwick Park Krankenhaus im Rahmen einer Phase-1-Studie der Wirkstoff TGN1412 an sechs gesunden Probanden getestet. Innerhalb weniger Minuten nach der Infusion kam es zu heftigen Reaktionen bis hin zum Multiorganversagen. Einige von ihnen lagen mehrere Wochen im Koma, aber glücklicherweise überlebten alle. Das Kürzel TGN1412 steht für ein sogenanntes Biological, also ein gentechnologisch hergestelltes Präparat, das mit einem Biomolekül des menschlichen Organismus (weitgehend) identisch ist. Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen monoklonalen Antikörper (MAK) gegen das entzündungsfördernde T-Zell-Membranprotein CD28, das die Synthese von Interleukin-6 ankurbelt.
Die ersten Biologicals dienten der Substitution fehlender körpereigener Substanzen wie etwa des Insulins beim Diabetes. Heute liegt der Fokus auf der Blockierung krankhafter Prozesse durch Antikörper und davon abgeleitete Fusionsproteine, zum Beispiel im Rheumamedikament Etanercept (Embrel), das sich aus der extrazellulären Ligandenbindungsdomäne des Tumor­nekrosefaktor-Rezeptors 2 (TNFR2/p75) und der Fc-Untereinheit des IgG1-Moleküls zusammensetzt. Im weiteren Sinne werden häufig auch Nukleinsäuren (z. B. Antisense-RNA) und gentechnisch modifizierte Zellen (z. B. CAT-Lymphozyten) dazugezählt.
Der dramatische Verlauf der Studie verdeutlicht drei Grundprinzipien von Biologicals: ihre enorme Wirkpotenz und hohe Spezifität sowie die Dosisabhängigkeit. TGN1412 wurde natürlich vor der Anwendung am Menschen in Zellkulturen und Tierexperimenten getestet. Menschen­affen, die ein fast (aber eben nicht völlig) identisches CD28-Molekül auf T-Zellen exprimieren, wurde die 500-fache Menge gefahrlos injiziert. Acht Jahre nach den Ereignissen in London erzielte derselbe Antikörper unter dem Namen TAB08 in extrem niedrigerer Dosis beeindruckende Erfolge bei Rheumapatienten – diesmal praktisch ohne Nebenwirkungen.
Biologicals gehören nicht nur zu den wirksamsten, sondern auch zu den teuersten und umsatzstärksten Medikamenten. In Deutschland entfallen bereits über 10% der Arzneimittelausgaben auf diese Klasse. Unter den Top Ten der weltweiten „Blockbuster“ fanden sich 2013 allein sechs mono­klonale Antikörper zur Anwendung bei Auto­immunerkrankungen und Krebs. Weitere wichtige Anwendungen sind Aller­gien, virale und bakterielle Infektionen sowie kardiovaskuläre Erkrankungen.
Die Spitzenplätze belegen derzeit Adalimumab, Infliximab und Rituximab. Die ersten beiden sind Antikörper, die den Tumornekrosefaktor blockieren und damit eines der wichtigsten proinflammatorischen Zytokine ausschalten. Rituximab hat einen gänzlich anderen Wirkungsmechanismus: Der MAK bindet an CD20 auf der Oberfläche von (Immunglobulin produzierenden) B-Zellen und führt dazu, dass diese Zellen vom Immunsystem als scheinbar fremd erkannt und zerstört werden.
Biologicals sind nicht nur ein einträglicher, sondern auch ein umkämpfter Markt. Während die Hersteller immer neue krankheitsrelevante Zielstrukturen identifizieren, laufen ältere Patente schon wieder aus. Für deren Nachfolgeprodukte hat sich ein neuer Markt etabliert, der unter dem Namen Biosimilars firmiert. Wegen produktionsbedingter Schwankungen ist deren Zulassung aufwendiger als bei klassischen (niedermolekularen) Generika. Biosimilars sorgen für sinkende Preise und tragen so zur weiteren Verbreitung bio­pharmazeutischer Medikamente bei.   


Prof. Dr. med. Rudolf Gruber

KH Barmherzige Brüder Regensburg