Wie Darm- und Hautflora unser Immunsystem prägen

Unser Immunsystem wird durch die frühkindliche Auseinandersetzung mit Haut- und Darmbakterien beeinflusst. Diese scheinen bereits die ersten Weichen für die Neigung zu Allergien und anderen immunologischen Erkrankungen zu stellen.

Auch wenn es intuitiv als Widerspruch erscheinen mag, so hängt unsere Gesundheit doch in hohem Maße von Mikroorganismen ab, die zu mehreren Billionen unsere Haut und Schleimhäute besiedeln. Allein im Darm haben wir zehnmal mehr Bakterien als Zellen im gesamten Körper. In aller Regel handelt es sich dabei nicht um Krankheitserreger, sondern um Symbionten.
Die für uns nützlichen Funktionen dieser Haut- und Darmflora reichen von der Abwehr infektiöser Keime über den Aufschluss der Nahrung bis zur Produktion lebenswichtiger biochemischer Verbindungen. Dabei übernimmt ein interaktives Netzwerk von Epithel- und Immunzellen auf allen äußeren und inneren Körperoberflächen die Rolle eines hochentwickelten Sensoriums, das ständig vor der Herausforderung steht, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Keimen zu unterscheiden.
Diese komplexe, fast möchte man sagen „intelligente“ Leistung basiert auf einem molekularen Lernprozess, der unter anderem durch stimulierende und hemmende Interleukine gesteuert wird. So konnte gezeigt werden, dass das kommensale Bakterium Staphylococcus epidermidis bestimmte T-Zellen (IL-17A+/CD8+) dazu anregt, in die Epidermis einzuwandern und das Immunsystem lokal so zu modulieren, dass es einerseits die vorhandenen Bakterien erkennt und toleriert, andererseits aber auf pathologische Veränderungen der Hautflora schnell und aggressiv reagieren kann. Bei schwerer atopischer Dermatitis nimmt der Anteil an pathogenen S. aureus im Vergleich zu S. epidermidis typischerweise stark zu; bessert sich der Zustand, wird das ursprüngliche Verhältnis im erkrankten Areal wieder hergestellt.
Solche wechselseitigen Beziehungen zwischen Mikroorganismen und ihrem Wirt sind derzeit Gegenstand der Mikrobiotaforschung, die sich im Gegensatz zur klassischen Mikrobiologie nicht mit einzelnen Spezies von Bakterien, Pilzen oder Parasiten befasst, sondern deren gesamte Population als Einheit begreift.
Dank neuer molekularbiologischer Hochdurchsatztechniken wie etwa Next Generation Sequencing (NGS) ist man heute in der Lage, eine „genetische  Volkszählung“ durchzuführen und dabei auch die Genome von Mikroben zu erfassen, die in vitro nicht kultivierbar sind. Mit diesem unmittelbaren und quantitativen Einblick in das Mikrobiom können selbst kleinste Veränderungen in der Zusammensetzung der Mikrobiota erfasst werden.
Entscheidend ist auch deren dynamischer Aspekt, zum Beispiel bei veränderter Nahrungsaufnahme – sozusagen die „Bevölkerungsentwicklung“. Tier­experimentell kann man heute beispielsweise komplett keimfreie Mäuse unter kontrollierten Ernährungsbedingungen mit einer bestimmten Mikroflora besiedeln. Erst kürzlich wurde mit solch einem Experiment gezeigt, dass Süßstoffe wie Aspartam Darmbakterien fördern, die Glukoseintoleranz als erstes Anzeichen eines Diabetes mellitus induzieren.

Mikroorganismen und Allergie

Nicht von ungefähr stehen neben Stoffwechselerkrankungen vor allem immunologische Phänomene wie etwa Infekt­anfälligkeit, Autoimmunerkrankungen und Allergien im Fokus der Mikrobiomforschung. Schon früh wurde ein Zusammenhang von mikrobieller Exposition in der Kindheit und der Reifung des Immunsystems beobachtet.
Immer deutlicher kristallisiert sich nun heraus, dass den Mikroben des Darmes schon bei und unmittelbar nach der Geburt eine besondere Bedeutung für die Entwicklung bestimmter immunologischer Erkrankungen – insbesondere einer allergischen Diathese – zukommt. Das Neugeborene erwirbt je nach Keimgehalt der Umgebung, frühkindlicher Ernährung, Hautkontakt oder Antibiotika­exposition eine ganz persönliche Mikro­flora, die sein Immun­system trainiert.
Für einen bereits vorgeburtlichen Einfluss mütterlicher Mikroorganismen auf das Immunsystem des Kindes sprechen Mekonium­analysen sowie der Nachweis bakterieller Komponenten im Nabel­schnur­blut. Auch die Art der Entbindung ist offenbar entscheidend für die Prägung des Immun­systems: So zeigen epidemiologische Studien, dass eine Geburt per Kaiserschnitt, bei der keine vaginalen Keime übertragen werden, mit verstärkter Atopie­neigung einhergeht.

Einfluss probiotischer Bakterien
Den unmittelbarsten Einfluss auf die Mikrobiota der Mund- und Darmschleimhäute hat natürlich die frühkindliche Ernährung. Ein gestilltes Baby nimmt bei einer Mahlzeit mit der Milch bis zu einer Million kommensale Bakterien auf, darunter den probiotisch wirksamen Stamm Lactobacillus gasseri, der das Gleichgewicht zwischen nützlichen und pathogenen Darmbakterien günstig beeinflusst.
Probiotische Lactobazillen und Bifidobakterien können nicht nur mit der Milch, sondern auch durch Speichel übertragen werden; interessanterweise haben Kinder, deren Eltern den Schnuller zur Reinigung kurz in den eigenen Mund nehmen, eine geringere Anfälligkeit für Asthma und Ekzeme. Auch Ernährungsstudien mit gezielter Aufnahme probiotischer Bakterien zeigen, dass die Probanden innerhalb der ersten zwei Lebensjahre eine leicht reduzierte Neigung zu Asthma und Ekzemen haben. Langzeitstudien sollen nun prüfen, ob dieser Effekt anhält und zur Allergieprävention empfohlen werden kann.
Neben der Aufnahme lebender Bakterien ist auch die chemische Zusammensetzung der Ernährung für die Bildung der Mikro­flora von Bedeutung. Eine balaststoff- und oligosaccharidreiche Ernährung fördert eine „gesunde“ Zusammensetzung mit einem hohen Anteil von kommensalen Bakterien, die einigen pathogenen und opportunistischen Keimen entgegenstehen. Ein einfach zu messendes biochemisches Kennzeichen einer solch ausgewogenen Darmflora ist die Bildung kurzkettiger Fettsäuren wie etwa Propion- und Buttersäure.
Es gibt in der Tat Hinweise, dass die neonatale Behandlung mit probiotischen Oligosacchariden (Lactulose, Lactosucrose, Inulin u. v. a.) ähnlich wie die Zufuhr lebender Bakterien die Anfälligkeit für Allergien vermindern kann. Der Vorteil  solcher Präparate liegt in der besseren Haltbarkeit.

Ausblick
Für die Allergieprävention wird die gezielte Beeinflussung der Mikroflora und ihrer Metabolite durch Maßnahmen in der Perinatalperiode und Kindheit sicherlich an Bedeutung gewinnen. Allerdings lassen sich unerwünschte Effekte wie beispielsweise Verlust der mikro­biellen Vielfalt noch nicht abschätzen. Deshalb ist weitere Forschung auf diesem dynamischen Gebiet unter Einsatz modernster Verfahren wie NGS oder Massenspektrometrie nötig, um Wirkungen und Nebenwirkungen ganzheitlich zu erfassen.     


Dr. rer. nat. C. Hömig-Hölzel

Prof. Dr. med. G. Hartmann

Exzellenz Cluster ImmunoSensation, Univ. Bonn