Serie "Vom Biomarker zur Therapie": CD30 (TNFRSF8)

Das Hodgkin-Lymphom war einer der ersten malignen Tumoren, für die auch in fortgeschrittenen Stadien kurative Therapien entwickelt wurden. Maßgeblich war daran die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe (GHSG) beteiligt, die in einer Serie von großen kontrollierten Studien systematisch Behandlungsoptionen entwickelte, mit denen mittlerweile über 90 % aller Hodgkin-Patienten langfristig geheilt werden können. Vor allem in fortgeschrittenen Stadien wird die Wirksamkeit dieser (überwiegend Chemo-)Therapien aber durch erhebliche Langzeittoxizitäten erkauft, die umso schwerer wiegen, als die Patienten bei Erkrankung teilweise noch sehr jung sind und daher Jahrzehnte mit diesen Nebenwirkungen – darunter auch Sekundärmalignome – leben müssen.Da die Wirksamkeit der Therapien kaum mehr gesteigert werden kann, geht die klinische Forschung in den letzten zehn Jahren vor allem dahin, die Aggressivität der Behandlung zu reduzieren, ohne dadurch die Heilungschancen zu kompromittieren. Neben einem Herunterfahren der Therapieintensität – etwa in Abhängigkeit vom Ansprechen in der Positronen-Emissions-Tomographie – macht man sich wie auch auf anderen Gebieten der Onkologie das Vorkommen spezifischer Marker auf den malignen Zellen zunutze: Die für das Hodgkin-Lymphom charakteristischen Reed-Sternberg-Zellen tragen auf ihrer Oberfläche ein Molekül aus der Familie der Tumornekrosefaktor-Rezeptoren, das CD30-Antigen, das auf kaum einem anderen Zelltyp vorkommt und sich daher als Ziel für spezifische Immuntherapien eignet.Ein Antikörper-Toxin-Konstrukt hat sich in den letzten Jahren zunächst in der rezidivierten/refraktären Situation und mittlerweile auch in der Erstlinientherapie des Hodgkin-Lymphoms – und darüber hinaus auch bei anderen Lymphomen – etabliert. Ganz ohne Chemotherapie kommen diese Therapien noch nicht aus, aber besonders toxische Komponenten dieser Kombinationen können durch das Immuntoxin ersetzt und damit bestimmte Nebenwirkungen wie etwa eine Lungentoxizität weitgehend eliminiert werden.

Schlüsselwörter: CD30, TNFRSF8, Hodgkin-Lymphom, ALCL, Tumornekrosefaktor-Rezeptoren, spezifische Immuntherapie, zielgerichtete Therapie, Antikörper-Toxin-Konjugat, Brentuximab Vedotin

Das CD30-Oberflächenantigen ist ein Mitglied der Superfamilie der Tumornekrosefaktor-Rezeptoren und auch unter der Bezeichnung TNFRSF8 bzw. Ki-1 bekannt, der zugehörige spezifische Ligand CD30L gehört entsprechend zur Familie der Tumornekrosefaktoren [1, 2]. CD30 ist ein prominenter Marker bestimmter Lymphome, vor allem des Hodg­kin-Lymphoms. Es wurde erstmals vor beinahe 40 Jahren identifiziert und anschließend als 120 kD schweres Transmembran-Glykoprotein charakterisiert, das Cystein-reiche extrazelluläre Domänen enthält; auch der Ligand ist ein Zell­oberflächen-Glykoprotein. Die Rezeptoren der TNFR-Superfamilie liegen im ungebundenen Zustand als Monomere vor, die sich nach Interaktion mit ihrem jeweiligen Liganden zu Trimeren verbinden.
CD30 ebenso wie CD30L finden sich auf bestimmten Subgruppen von normalen aktivierten T- und B-Lymphozyten, nicht aber auf ruhenden Zellen [3–5]. CD30L ist auch auf einigen dendritischen Zellen sowie auf Eosinophilen und Mastzellen nachweisbar [6, 7], während die Verbreitung von CD30 stärker beschränkt ist; bei den wenigen CD30-positiven Zellen im peripheren Blut handelt es sich um Gedächtniszellen. In Lymphknoten lassen sich CD30-positive Immunoblasten immunhistochemisch ebenfalls selten – und dann am Rand der Keimzentren – nachweisen [5, 8]. Interessanterweise findet sich CD30 auch auf einigen von Viren infizierten Lymphozyten, darunter B-Zellen, die das Epstein-Barr-Virus (EBV), sowie T-Zellen, die das humane T-Zell-Leukämie-Virus 1 (HTLV-1) enthalten. Niedrige Titer von CD30 sind im Serum nachweisbar und werden als Marker für einen CD30-positiven Tumor oder für die Krankheitsaktivität bei einigen Autoimmunerkrankungen interpretiert [9–11].
Die Expression von CD30 auf normalen Zellen beschränkt sich auf die lymphatische Reihe. Knockout-Mäuse zeigen Defekte der sekundären humoralen Immunantwort, was zu dem Konzept passen würde, dass die Expression des Antigens für die maximale Aktivierung der B-Lymphozyten erforderlich ist. Da es aber auf B- ebenso wie auf T-Zellen vorkommt, ist es schwierig, die Rolle in den beiden Zelltypen voneinander zu trennen [7, 12]. 
Der CD30-Rezeptor steht am Anfang einer intrazellulären Signalkette, deren zentrale Schaltstelle der Transkriptionsfaktor NF-κB ist. CD30 besitzt selbst keine Kinasedomäne, aber nach Ligandenbindung und Trimerisierung rekrutiert das C-terminale zytoplasmatische Ende weitere TNF-Rezeptor-assoziierte Proteine (TRAF), die in einer Signalkaskade die Aktivierung von NF-κB anstoßen (Abb. 1). 

Das resultiert in Proliferation und Differenzierung und über die Aktivierung von STAT5A in der Initiierung des Zellzyklus und der Hemmung der Apoptose [13, 14]. Ein zweiter Signalweg verläuft über die MAPK(mitogen-activated protein kinase)-Kaskade; er regt die Proliferation der Zelle an und interagiert mit dem NF-κB-Signalweg, um eine Apoptose zu verhindern [15].
Eine Variante von CD30, die nur aus dem zytoplasmatischen Ende des Proteins besteht (CD30v), benötigt keinen Liganden für die Aktivierung von NF-κB [17]. Sie kommt in Zellen des Hodgkin-Lymphoms und des anaplastischen großzelligen Lymphoms (ALCL) vor und könnte erklären, warum die malignen Zellen nicht auf eine intakte CD30-Si­gnalkette angewiesen zu sein scheinen.

Verbreitung von CD30

Neben dem klassischen Hodgkin-Lymphom findet man CD30 auf einer Reihe weiterer Malignome (Tab. 1). 

Tab. 1 Maligne Tumoren mit CD30-Expression.

Hämatopoetische Tumoren
  • Hodgkin-Lymphom
  • CD30-positives anaplastisches großzelliges Lymphom, 
  • meist aus der T-Zell-Reihe
  • Gelegentlich auf hochmalignen T- und B-Zell-Lymphomen
Nicht-hämatopoetische Tumoren
  • Embryonales Keimzellkarzinom
  • Möglicherweise undifferenziertes pleomorphes Sarkom 
    (früher: malignes fibröses Histiozytom)
  • Inflammatorischer myofibroblastischer Tumor

 

Dass der Rezeptor auf einem geringen Anteil von nahezu allen soliden Tumoren nachweisbar ist, geht wahrscheinlich auf eine aberrante Expression zurück, weil das Antigen in den normalen – diesen Tumoren entsprechenden – Geweben nicht exprimiert wird.

CD30 beim Hodgkin-Lymphom

Das Hodgkin-Lymphom wurde erstmals 1832 beschrieben, aber weit über hundert Jahre später war der Ursprung seiner malignen Zellen noch immer nicht bekannt, vor allem, weil diese Reed-Sternberg-Zellen in den Lymphomen nur in sehr geringer Anzahl vor einem Hintergrund zahlreicher reaktiver Zellen zu finden sind und weil es bis 1980 nicht gelungen war, sie in vitro zu kultivieren [18]. Die ersten monoklonalen Antikörper, die mit den frühen Zelllinien erzeugt wurden, richteten sich gegen ein als Ki-1 und später als CD30 bezeichnetes Antigen, konnten aber nur an gefrorenem Gewebe angewendet werden [19]. Erst mit einem weiteren Antikörper (BerH2), der 1989 entwickelt wurde und ein anderes Epitop auf dem Protein erkannte, konnte auch in Formalin fixiertes und in Paraffin eingebettetes (FFPE) Gewebe bearbeitet werden [20]. Weil der Antikörper außerdem eine höhere Affinität zu dem Antigen aufwies, konnte CD30 damit auch auf Zellen anderer Tumoren detektiert werden, auf denen es in geringerer Dichte exprimiert wird. In Reed-Sternberg-Zellen findet man den Rezeptor vor allem auf der Zelloberfläche und punktuell am Golgi-Apparat. Normale Immunoblasten zeigen eine geringere, diffuse Färbung, die auch ins Zytoplasma ausstrahlt.
Mit moderneren Mikrodissektions- und molekularen Analysemethoden konnten CD30-gefärbte Reed-Sternberg-Zellen dann Mitte der 1990er-Jahre als zur B-Zell-Reihe gehörig identifiziert werden [21–23], und zwar als Zellen aus dem Keimzentrum, die normalerweise einer Apoptose zum Opfer gefallen wären. Dabei ließ sich mittels Polymerasekettenreaktion nachweisen, dass alle Reed-Sternberg-Zellen eines Hodgkin-Patienten, auch bei einem Rezidiv, dieselben nicht produktiven Immunglobulin-Rearrangements aufwiesen. 
Die pathologische Diagnose des Hodg­kin-Lymphoms wurde durch die Entwicklung der CD30-Antikörper revolutioniert, auch wenn damit die Frage, warum die Zellen dennoch nicht nur überleben, sondern sogar üppig gedeihen, noch nicht vollständig beantwortet ist. Die vorliegenden aberranten Immunglobulin-Gene müssten die Zellen normalerweise in die Apoptose führen, zumal sie keinen B-Zell-Rezeptor exprimieren, dessen Stimulation für ihr Überleben sorgen könnte. Dass bei dieser Resistenz das inflammatorische Microenvironment in den Lymphomen eine zentrale Rolle spielt, ist mittlerweile allgemein akzeptiert. Dieser entzündliche Hintergrund ist jeweils charakteristisch für die verschiedenen Subtypen des Hodgkin-Lymphoms (Lymphozyten-reich, nodulär sklerotisch, gemischte Zellularität und Lymphozyten-arm). Das noduläre, Lymphozyten-prädominante Hodgkin-Lymphom ist eine eigene Entität, die meist durch das Fehlen von CD30 auffällt.
Heute wird dem Microenvironment bei den meisten malignen Tumoren Aufmerksamkeit geschenkt, aber beim Hodg­kin-Lymphom war es eben wegen der Seltenheit der eigentlichen malignen Zellen schon lange aufgefallen, und es ist sicher, dass es einen intensiven „Cross-talk“ zwischen beiden Zelltypen gibt, in dessen Zentrum CD30 steht. So spielt beispielsweise beim Hodgkin-Lymphom mit gemischter Zellularität eine Infektion der Reed-Sternberg-Zellen mit EBV eine Rolle, und dieses Virus kann auch in normalen B-Zellen die Expression von CD30 ankurbeln. Ob für die Aktivierung des CD30-Signalwegs immer die Bindung seines Liganden erforderlich ist, bleibt unklar, auch wenn daran in der Regel kein Mangel herrscht: CD30L wird auf Eosinophilen, Mastzellen und einigen dendritischen Zellen exprimiert, die in dieser Umgebung reichlich vorhanden sind. 
Es gibt nämlich auch Hinweise, dass Hodgkin- und ALCL-Zellen Mutationen in Genen des NF-κB-Signalwegs aufweisen, die zur konstitutiven Aktivierung dieses anti-apoptotischen Mechanismus – unabhängig von CD30 – führen. Die Überexpression von CD30 auf den Tumorzellen könnte jedoch die Funktion haben, inflammatorische Zellen in deren Nachbarschaft anzuziehen, die wiederum über andere Stimuli das Überleben der malignen Zellen sichern, auf jeden Fall aber zu den Krankheitssymptomen wie Fieber, Unterdrückung der zellulären Immunität und Eosinophilie beitragen.
Nicht zu vernachlässigen ist schließlich die Expression von CD30v, dem zytoplasmatischen Teil des Rezeptors, der beim Hodgkin-Lymphom und beim ALCL gefunden wird und unabhängig von einer Aktivierung durch einen Liganden funktioniert.

CD30 beim anaplastischen großzelligen Lymphom (ALCL)

  • Das ALCL ist keine homogene Entität, sondern besteht aus mindestens drei Subgruppen, die sich aber alle drei durch die Expression von CD30 auszeichnen [24]: 
  • Das ALK-positive ALCL weist eine Überexpression der anaplastischen Lymphomkinase (ALK) auf – als Folge einer Translokation zwischen dem ALK- und einem Partner-Gen, am häufigsten des Gens für Nucleophosmin (NPM). ALK wird dadurch in den Zellkern verfrachtet, wo es als Onkoprotein wirkt. Auf großen ALCL-Zellen wird CD30 stark exprimiert, während es in kleineren Zellen fehlen kann. Die ALK-Expression unterscheidet diese Lymphome von den peripheren T-Zell-Lymphomen, die auf einem Teil der Zellen ebenfalls CD30 exprimieren, während die CD30-Expression wiederum das unterscheidende Merkmal zum seltenen ALK-positiven diffus-großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) ist. Im Gegensatz zum Hodgkin-Lymphom stammen die ALK-positiven ALCL von aktivierten zytotoxischen T-Lymphozyten ab; neun von zehn dieser Lymphome haben ein Rearrangement des T-Zell-Rezeptors.
  • Das ALK-negative ALCL ist morphologisch und immunphänotypisch ähnlich; die starke Expression von CD30 unterscheidet es von den nicht näher definierten peripheren T-Zell-Lymphomen (PTCL, not otherwise specified – NOS), bei denen nur einige Zellen CD30 aufweisen. Das ALK-positive ALCL ist bei Kindern und jungen Erwachsenen am häufigsten und zeigt ein deutlich besseres Ansprechen auf Therapien und eine bessere Prognose als die ALK-negative Variante, die vor allem, wenngleich nicht ausschließlich bei älteren Erwachsenen auftritt.
  • Das primär kutane ALCL ist auf die Haut begrenzt und exprimiert ebenfalls CD30. Es besitzt keine ALK-Translokationen und weist oft das kutane Lymphozyten-Antigen auf, was zur Differentialdiagnose gegenüber kutanen Manifestationen von ALK-positiven und -negativen ALCL dienen kann.

Im Gegensatz zum Hodgkin-Lymphom zeigen Stimulation bzw. Blockade von CD30 Wirkungen auf ALCL-Zelllinien, die gegenläufig sein können: So kann es durch Stimulation zur Apoptose in zumindest einem Teil der Lymphom-Zellen kommen, während in den übrigen Zellen NF-κB aktiviert wird, was bei prolongierter CD30-Stimulierung zum Arrest des Zellzyklus führt [25]. 

CD30 als Zielmolekül für Therapien

Die Hoffnung, dass ein Antigen, das relativ spezifisch für ein Malignom ist, sich automatisch als Zielmolekül für Immuntherapien eignet, erfüllt sich nicht immer im ersten Anlauf: Während einfache monoklonale Antikörper gegen das CD20-Antigen bei B-Zell-Lymphomen oder gegen den Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) bei manchen epithelialen Tumoren direkt wirksam waren, haben unkonjugierte Anti-CD30-Antikörper beim Hodgkin-Lymphom keinen Effekt gezeigt [26, 27]. Sie scheinen die Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität nicht ausreichend zu stimulieren, um die Tumorzellen zu zerstören. Beim ALCL wurden solche Antikörper überhaupt nicht getestet – die teilweise stimulierende Aktivität in Zelllinien lässt befürchten, dass hier eher das Tumorwachstum begünstigt werden könnte.
Offensichtlich ist CD30 zumindest beim Hodgkin-Lymphom nur ein Marker, der für die Pathogenese keine wesentliche Rolle spielt. Ein solcher Marker lässt sich allerdings nutzen, um ein an einen entsprechenden Antikörper gebundenes Toxin zielgenau in die Tumorzellen zu bringen; ein solches Antikörper-Toxin-Konjugat, dessen Antikörperanteil CD30 erkennt, gehörte zu den ersten Immuntoxinen, die tatsächlich erfolgreich waren und den Weg in die Klinik fanden. In dem Präparat Brentuximab Vedotin wird der chimäre monoklonale Anti-CD30-Antikörper Brentuximab über einen speziellen chemischen Linker mit dem hochwirksamen Spindelgift Monomethyl Auristan E beladen und bindet, intravenös verabreicht, an das CD30-Antigen auf den Tumorzellen. Der chemische Linker ist so gestaltet, dass er im Blut stabil bleibt und erst nach Internalisierung in die Lymphom-Zelle im sauren Milieu von deren Lysosomen gespalten wird. Es bewirkt dann einen Arrest des Zellzyklus und die Apoptose – zumindest theoretisch ausschließlich in diesen Zellen. 

CD30-gerichtete Therapie beim Hodgkin-Lymphom

Brentuximab Vedotin wurde zuerst zugelassen zur Behandlung erwachsener Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem CD30-positivem Hodgkin-Lymphom nach einer autologen Stammzelltransplantation (ASCT) oder nach mindestens zwei vorangegangenen Therapien, wenn eine ASCT oder eine Kombinations-Chemotherapie nicht infrage kommen. Eine Zulassungserweiterung wurde sodann für erwachsene Patienten mit CD30-positivem Hodgkin-Lymphom und einem erhöhten Rezidiv- oder Progressionsrisiko nach ASCT ausgesprochen. Mittlerweile ist das Immunkonjugat im fortgeschrittenen Stadium IV eines Hodgkin-Lymphoms auch in der Erstlinie in Kombination mit einer Chemotherapie aus Doxorubicin, Vinblastin und Dacarbazin (AVD) zugelassen. 
Diese Erstlinienzulassung basiert auf den Ergebnissen der Phase-III-Studie ECHELON-1: Darin wurden mehr als 1.300 Patienten mit klassischem Hodgkin-Lymphom der Stadien III oder IV randomisiert, sechs Zyklen des bisherigen Standards einer Kombinationschemotherapie aus Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbazin (ABVD) oder sechs Zyklen Brentuximab Vedotin zusammen mit AVD zu erhalten [28]. Bereits nach median 37 Monaten Nachbeobachtungszeit zeigt sich ein klarer Vorteil für den experimentellen Arm beim progressionsfreien Überleben, und mittlerweile liegen 5-Jahres-Daten vor, die das bestätigen (Abb. 2; [29]):
Die Rate für das progressionsfreie Überleben lag nach fünf Jahren bei 82,2 % im Verum- gegenüber 75,3 % im Kontrollarm. 

Für die Patienten, die nach dem zweiten Zyklus eine negative Posi-tronen-Enemissions-Tomographie (PET) aufgewiesen hatten, waren es 84,9 % versus 78,9 %, und auch für diejenigen mit positivem PET war zumindest tendenziell ein Vorteil zu sehen mit 60,6 % versus 45,9 %. Der zusätzliche Nutzen der kombinierten Immun- und Chemotherapie schien unabhängig von Krankheitsstadium und prognostischen Risikofaktoren zu sein. Eine periphere Neuropathie – die häufigste Nebenwirkung von Brentuximab Vedotin – war nach fünf Jahren noch bei 19 % der Patienten im experimentellen gegenüber 9 % im Kontrollarm registriert worden. 
Da beim klassischen  Hodgkin-Lymphom die meisten Rezidive innerhalb von fünf Jahren auftreten, folgern die Autoren aus diesen Resultaten, dass im Brentuximab-Arm mehr Patienten potentiell eine Heilung erfahren haben; sie sehen die Kombination aus dem Immuntoxin und der reduzierten Chemotherapie daher als bevorzugte Therapieoption beim neu diagnostizierten Hodgkin-Lymphom im Stadium III oder IV an.
Die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe setzt beim fortgeschrittenen Hodgkin-Lymphom in der Erstlinie bevorzugt das sehr toxische BEACOPP-Protokoll (Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin und Prednison) in seiner eskalierten Form ein. In einer randomisierten Phase-II-Studie wurde Brentuximab Vedotin mit zwei reduzierten Regimes (Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Procarbazin, Prednison – BrECAPP – und Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Dacarbazin, Dexamethason – BrECADD) kombiniert [30]. BrECADD wurde mit einer Komplettremissionsrate von 88 % und einem günstigeren Toxizitätsprofil selektiert, in der laufenden Phase-III-Studie HD21 gegen den Standard BEACOPPeskaliert anzutreten.

Gegen CD30 gerichtete Therapie bei ALCL

Brentuximab Vedotin ist außerdem in Kombination mit Cyclophosphamid, Doxorubicin und Prednison (CHP) zur Therapie erwachsener Patienten mit bislang unbehandeltem ebenso wie mit rezidiviertem oder refraktärem systemischem ALCL zugelassen. Überdies können Erwachsene mit CD30-positivem kutanem T-Zell-Lymphom nach mindestens einer vorangegangenen systemischen Therapie behandelt werden.
Grundlage für die Erstlinienzulassung beim systemischen ALCL war die Phase-III-Studie ECHELON-2, in die 452 Patienten mit zuvor unbehandelten CD30-positiven peripheren T-Zell-Lymphomen (davon rund 70 % mit systemischem ALCL) eingeschlossen worden waren [31]. Sie hatten randomisiert sechs bis acht Zyklen Brentuximab Vedotin mit CHP oder die CHOP-Kombination (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednison) erhalten. Bei der virtuellen Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2020 wurden auch hierfür die 5-Jahres-Daten präsentiert [32]: Beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben hatte die Immun- plus Chemotherapie den Medianwert gegenüber der reinen Chemotherapie mit 62,3 versus 23,8 Monaten mehr als verdoppelt (Hazard Ratio 0,70; 95%-Konfidenzintervall 0,53–0,91; p = 0,0077). Nach median 66 Monaten Nachbeobachtung war auch das Mortalitätsrisiko signifikant um 28 % reduziert (HR 0,72; 95%-KI 0,53–0,99; p = 0,0424; Abb. 3).

Die Häufigkeit von peripheren Neuropathien bei der letzten Untersuchung war in beiden Armen mit 40 % versus 34 % etwa vergleichbar, bedingt im experimentellen Arm durch Brentuximab Vedotin, im Kontrollarm durch Vincristin.
Brentuximab Vedotin wird derzeit außerdem bei weiteren CD30-positiven Erkrankungen getestet, darunter verschiedene Typen CD30-positiver B-Zell-, T-Zell- sowie NK-Zell-Lymphome und extranodale NK/T-Zell-Lymphome vom nasalen Typ.

CD30 außerhalb von Reed-Sternberg-Zellen

Die Wirksamkeit von Brentuximab Vedotin ebenso wie seine Nebenwirkungen werden neuerdings noch unter einem weiteren Aspekt betrachtet. Der CD30-Rezeptor wird aus den Reed-Sternberg-Zellen ins Blut abgegeben. Dafür gibt es zweierlei Mechanismen [33]: Das komplette Rezeptormolekül kann in die Membran von extrazellulären Vesikeln integriert werden, die sich von den Reed-Sternberg-Zellen abspalten, während eine Protease (ADAM10 = A Disintegrin And Metalloproteinase 10) die Ektodomäne des Rezeptors abspalten und als lösliches Molekül in die Zirkulation entlassen kann. Diese lösliche Form (sCD30) stellt wahrscheinlich die überwiegende Menge des im Plasma von Hodgkin-Patienten nachweisbaren CD30 dar.
Diese Absonderung von CD30 aus den Tumorzellen kann wahrscheinlich auch die Wirkung von CD30-Immuntoxinen wie Brentuximab Vedotin beeinflussen: Das durch ADAM10 produzierte lösliche CD30 in der Zirkulation kann das Immuntoxin binden und es damit nicht nur von den eigentlichen Zielzellen abhalten, sondern ist möglicherweise auch für die systemischen Nebenwirkungen verantwortlich, wenn das Zytostatikum auf irgendeine Weise zum Beispiel in Nervenzellen gelangt. Andererseits könnten die von den Reed-Sternberg-Zellen abgelösten extrazellulären Vesikel die in ihnen enthaltenen CD30-Moleküle an Zellen des Microenvironments abladen und diese damit als Zielzellen für Brentuximab Vedotin markieren.

CD30 

Das Potential von gegen CD30 gerichteten Therapien ist damit noch nicht ausgeschöpft: Derzeit wird etwa versucht, CD30-gerichtete Ansätze mit anderen Immuntherapien zu kombinieren. So gibt es ein tetravalentes, bispezifisches Antikörper-Konstrukt, das nicht nur CD30, sondern auch das CD16A-Antigen auf natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) erkennt. Diese Zellen des angeborenen Immunsystems sollen dadurch in engen räumlichen Kontakt mit den Hodgkin-Zellen gebracht werden, die daraufhin 
– so die Theorie – die Tumorzellen eliminieren sollten.
In einer deutschen Phase-I-Studie konnte das Präparat in Monotherapie bei Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem Hodgkin-Lymphom dosisabhängig eine gewisse Wirkung zeigen [34], die allerdings in einer US-amerikanischen Phase-Ib-Studie in Kombination mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor Pembrolizumab deutlich höher ausfiel, mit einer Ansprechrate von 88 % bei der höchsten getesteten Dosis [35].
Bislang fand sich nur in Zellkulturversuchen auch eine vielversprechende Kooperation des bispezifischen Antikörper-Konstrukts mit NK-Zellen aus Nabelschnurblut, die mit Zytokinen (Interleukin 12/15/18) aktiviert wurden [36].

Autor