Astrozytome: Diagnostik und Therapie
Änderung der Einteilung und Therapie maligner Astrozytome gemäß der Revision der WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2021 / Vorstellung aktueller Studiendaten
Schlüsselwörter: malignes Gliom, Astrozytom, WHO-Klassifikation, IDH-Mutation
Ein astrozytärer Hirntumor wird bei rund sechs von 100.000 Menschen jährlich diagnostiziert [4]. Etwa zwei Drittel dieser Diagnosen entfallen in Deutschland auf das Glioblastom, während Astrozytome der WHO-Grade 2 und 3 wesentlich seltener sind
(8 % bzw. 9 %; [5]).
Diagnose
Erste klinische Zeichen für ein Astrozytom können in neu auftretenden fokalen neurologischen Ausfällen bestehen, deren Natur von der Lage des Tumors abhängt, und die sich als Aphasie, Hemiparese, Wesensveränderungen, kognitive Defizite oder andere neurokognitive Veränderungen äußern können. Neu auftretende epileptische Anfälle bei Erwachsenen sind meist das erste Symptom eines Hirntumors [4, 6, 7].
Den Goldstandard bei der diagnostischen Abklärung eines Astrozytoms stellt die kontrastmittelverstärkte Kernspintomographie (MRT) mit T2-, FLAIR- und T1-gewichteten Sequenzen dar [8]. Niedriggradige Astrozytome (WHO-Grad 2) reichern meist kein Kontrastmittel an [9]; es gibt aber Ausnahmen, sodass die histologische und molekularpathologische Diagnosesicherung obligat erscheint, wann immer Material dafür gewonnen werden kann. Die Nuklearmedizin kann außerdem bei unklaren Raumforderungen mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) helfen – mit radioaktiv markierten Aminosäuren, meist O-(2-[18F]-Fluoroethyl)-L-Tyrosin (FET). Die PET kann auch die Durchführung von Biopsien und die Verlaufsbeurteilung unterstützen (zum Beispiel zur Differenzierung von Progression vs. Pseudoprogression; [10]). Die MR-Spektroskopie schließlich kann quantitativ Metaboliten wie Cholin, Kreatinin und N-Acetyl-Aspartat darstellen, während mithilfe der MR-Perfusion hämodynamische Parameter und damit Angiogenese und Gefäßpermeabilität beurteilt werden können [11].
Neben histopathologischen Eigenschaften werden bei der Diagnose von Astrozytomen bereits seit der WHO-Klassifikation von 2016 auch molekulargenetische Kriterien herangezogen [1], deren Anwendung sich in der neuen Klassifikation von 2021 noch erheblich verbreitert hat [3] und auch die Empfehlungen zur Neuklassifikation der Gliome anhand des Mutationsstatus der Gene für die Isocitrat-Dehydrogenasen 1 und 2 (IDH1/2) einschließt, wie sie in der cIMPACT-NOW-Klassifikation vorgelegt wurden (Version 6; [2]).
Molekulare Marker bei Gliomen
Zentral für die Neuklassifikation der WHO ist die Unterteilung der Astrozytome nach dem IDH-Mutationsstatus [3]: IDH-mutierte Astrozytome (WHO-Grad 1–4) stehen den Astrozytomen mit IDH-Wildtyp gegenüber, die entweder vom WHO-Grad 2 oder 3 sind. Astrozytome mit IDH-Wildtyp vom Grad 4 gelten als Glioblastom sensu stricto [4], eine Diagnose, die also künftig nur mehr in Abwesenheit einer IDH-Mutation gestellt werden kann. Ein IDH-mutiertes Astrozytom, das histopathologische Zeichen eines Glioblastoms (Nekrose oder pathologische Gefäßproliferation) oder eine homozygote CDKN2A/B-Deletion aufweist, gilt nun als Astrozytom des WHO-Grads 4 [4]. Umgekehrt kann ein nach der WHO-Klassifikation 2016 als Astrozytom mit IDH-Wildtyp vom WHO-Grad 2 oder 3 diagnostizierter Tumor bei Nachweis histopathologischer Glioblastom-Merkmale oder wenn mindestens einer von drei molekularen Markern (TERT-Promotor-Mutation, EGFR-Amplifikation, Amplifikation von Chromosom 7 und Verlust von Chromosom 10 (7+/10-)) vorliegt, neuerdings als Glioblastom klassifiziert werden; konsequenterweise müsste er dann auch so behandelt werden.
IDH-Mutationsstatus
Vier von fünf diffusen Astrozytomen weisen eine Basenpaarmutation im IDH1- oder IDH2-Gen auf [12]. Isocitrat-Dehydrogenasen im Zytoplasma (IDH1) und in den Mitochondrien (IDH2) sind wichtige Regulatoren des zellulären Stoffwechsels wie z. B. des Citratzyklus, die unter anderem die Umwandlung von Isocitrat zu α-Ketoglutarat (α-KG) katalysieren, das wiederum epigenetisch aktive, v. a. demethylierende Enzyme aktiviert. Punktmutationen des Arginin-Rests 132 (Arg132) im IDH1- oder des Arg172 im IDH2-Enzym bewirken, dass anstelle von α-KG der Onkometabolit 2-Hydroxyglutarat (2-HG) gebildet wird, der die epigenetisch aktiven Enzyme nicht aktiviert, sondern hemmt. Insgesamt kommt es dadurch zu einer aberranten Hypermethylierung und damit zur epigenetischen Stilllegung von DNA, mit der Folge einer Differenzierungsblockade und letztlich der Transformation zur Tumorzelle [13–15]. Darüber hinaus beeinflusst 2-HG weitere Prozesse wie die Angiogenese oder die Dynamik der extrazellulären Matrix und begünstigt dadurch Proliferation, Nährstoffversorgung und invasive Eigenschaften der betreffenden Tumoren [16–18].
Mehr als 90 % der IDH-mutierten Gliome tragen eine IDH1-R132H-Mutation vor, die mit einem mutationsspezifischen immunhistochemischen Test oder per DNA-Sequenzierung des Gens nachgewiesen werden kann. Fällt der immunhistochemische Nachweis der IDH1-R132H-Mutation bei jüngeren Patienten (< 55 Jahre) negativ aus, ist eine DNA-Analyse mit dem Ziel des Nachweises einer der selteneren IDH1- und IDH2-Mutationen geraten [19], weil alle diese Mutationen mit einem längeren Gesamtüberleben assoziiert sind [4, 20].
MGMT-Promotor-Methylierung
Die O(6)-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) ist ein DNA-Reparaturprotein, dessen Expression und damit Aktivität vom Methylierungsstatus seines Gen-Promotors abhängen. Eine Methylierung des MGMT-Promotors, die durch eine methylierungsspezifische Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder durch DNA-Sequenzierung überprüft werden kann, ist beim Glioblastom prognostisch und prädiktiv für die Wirksamkeit einer alkylierenden Chemotherapie, und wird dort auch bereits in der Therapieplanung eingesetzt. Bei Astrozytomen vom WHO-Grad 2 und 3 konnte vor allem der prädiktive Wert der MGMT-Promotor-Methylierung noch nicht so deutlich herausgearbeitet werden; für IDH-mutierte Grad-2-Astrozytome – die zu etwa 90 % methyliert sind – werden prognostischer und prädiktiver Wert durchaus kritisch diskutiert [21, 22]. Für IDH-mutierte Grad-3-Astrozytome hatte die MGMT-Promotor-Methylierung in der NOA-04-Studie einen prognostischen, aber keinen prädiktiven Nutzen.
Für Astrozytome mit IDH-Wildtyp vom Grad 3 fanden sich in dieser Studie auch Hinweise auf eine prädiktive Rolle dieses Markers im Sinne einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens bei Anwendung einer alkylierenden Chemotherapie [23]. Die zweite Interimsanalyse der CATNON-Studie stellt diese Befunde für Astrozytome vom WHO-Grad 3 infrage, weil bei IDH-Wildtyp hier kein signifikanter Überlebensvorteil durch die Zugabe von Temozolomid zur Strahlentherapie resultierte [24]. Ganz ähnlich sind die Ergebnisse zu Gliomen vom WHO-Grad 2 in der RTOG-8902-Studie, wo auch bei IDH-Wildtyp kein Vorteil durch die Zugabe von PCV (Procarbazin, CCNU (Lomustin), Vincristin) nachweisbar war [20]. Diese Diskrepanz zu den Befunden bei Glioblastom-Patienten lässt sich bislang noch nicht erklären; als endgültig können die Ergebnisse schon deshalb nicht angesehen werden, weil jeweils nur sehr kleine Subgruppen betrachtet wurden.
1p/19q-Ko-Deletion
Ein weiterer wichtiger Marker bei Gliomen ist der kombinierte Verlust des kurzen Arms von Chromosom 1 (1p) und des langen Arms von Chromosom 19 (19q), der sich mithilfe einer PCR in Tumor und Serum oder mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) am Gewebeschnitt nachweisen lässt. Bei Nachweis einer solchen Ko-Deletion lässt sich die Diagnose Oligodendrogliom (vom WHO-Grad 2–3) stellen.
ATRX-Verlust
Geht das Alpha thalassemia/mental retardation syndrome X (ATRX)-Protein im Zellkern verloren, ist das mit einer Stabilisierung und Verlängerung der Telomere der Chromosomen assoziiert. Der ATRX-Verlust lässt sich immunhistochemisch oder mittels DNA-Sequenzierung nachweisen, wobei eine Mutation des ATRX-Proteins für astrozytäre Gliome kennzeichnend ist. Findet man eine IDH-Mutation und einen Verlust des ATRX-Proteins, so ist das gleichbedeutend mit der Diagnose eines IDH-mutierten Astrozytoms vom Grad 2 oder 3. Bei Vorliegen einer IDH-Mutation und eines intakten ATRX-Proteins ist hingegen ein Test auf Vorliegen einer 1p/19q-Ko-Deletion und damit eines Oligodendroglioms angezeigt [4].
Gliom-Therapie
Die Ausführungen zur Therapie folgen weitgehend den erst vor Kurzem erschienenen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO; [25]) und der S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN; [8]; Tab. 1).
Tab. 1 Optionen für die Primär- und Rezidivtherapie diffuser Gliome. Nach [8].
Tumor | Primärtherapie | Rezidivtherapie |
---|---|---|
Astrozytom, IDH-mutiert, WHO-Grad 2 | Resektion oder Biopsie und Verlaufsbeobachtung oder Resektion oder Biopsie und Chemoradiotherapie mit PCV (oder Temozolomid) oder Studie | Resektion und Studie oder Systemtherapie und/oder Strahlentherapie |
Oligodendrogliom, IDH-mutiert und 1p/19q-kodeletiert, WHO-Grad 2 | Resektion oder Biopsie und Verlaufsbeobachtung oder Resektion oder Biopsie und Chemoradiotherapie mit PCV (oder Temozolomid) oder Studie | Resektion und Studie oder Systemtherapie und/oder Strahlentherapie |
Astrozytom, IDH-mutiert, WHO-Grad 3 | Resektion oder Biopsie und Strahlentherapie und Temozolomid-Erhaltungstherapie bis 12 Zyklen [16] |
|
Die Notwendigkeit einer begleitenden Temozolomid-Therapie wird durch die aktuellen Daten (noch) nicht belegt [16] | Resektion und Systemtherapie und/oder Strahlentherapie |
|
Oligodendrogliom IDH-mutiert und 1p/19q-kodeletiert, WHO-Grad 3 | Resektion oder Biopsie und Chemotherapie mit PCV vor oder nach Strahlentherapie | Resektion und Systemtherapie und/oder Strahlentherapie |
Astrozytom, IDH-mutiert, WHO-Grad 4 | Resektion oder Biopsie und Strahlentherapie (oder kombinierte Chemoradiotherapie mit Temozolomid) und Temozolomid-Erhaltungstherapie bis 12 Zyklen | Resektion und Systemtherapie und/oder Strahlentherapie |
Glioblastom, IDH-Wildtyp, WHO-Grad 4 oder diffuses hemisphärisches Gliom, H3.3 G34-mutiert, WHO-Grad 4 | Resektion oder Biopsie und Chemoradiotherapie mit Temozolomid und 6 Zyklen Temozolomid-Erhaltungstherapie (und ggf. TTF), bei älteren, vulnerableren Patienten ggf. hypofraktionierte Chemoradiotherapie und 12 Zyklen Temozolomid-Erhaltungstherapie oder ggf. Radio- oder Chemotherapie nach MGMT-Status | Resektion und Systemtherapie und/oder Strahlentherapie |
Diffuses Mittelliniengliom, H3 K27M-mutiert, WHO-Grad 4 | Resektion oder Biopsie und Radiotherapie (ggf. Chemotherapie) und Studie | Systemtherapie |
Diffuses Gliom, BRAF-, FGFR1/2- oder MYB/MYBL1-alteriert | Resektion oder Biopsie und (Beobachtung), Radiotherapie (ggf. Chemotherapie) und Studie | Resektion und ggf. molekular orientierte Systemtherapie |
Abb. 1 und 2 zeigen die in der Onkopedia-Leitlinie empfohlenen Algorithmen für die postoperative Therapie von IDH-mutierten und IDH-Wildtyp-Gliomen [25].
Astrozytom IDH-mutiert, WHO-Grad 2–4
Ein IDH-mutiertes Astrozytom wird zunächst so radikal wie möglich operiert, im Idealfall mittels makroskopischer Komplettresektion, sofern das ohne wesentliche neurologische Funktionseinschränkungen bzw. ohne Provokation neuer permanenter neurologischer Defizite geschehen kann [8]; das Ausmaß der Tumorresektion korreliert nämlich direkt mit der Prognose [26].
Für die folgende Radiochemotherapie (RCT) sind der WHO-Grad und – vor allem bei Tumoren des WHO-Grads 2 – definierte Risikofaktoren maßgeblich: Beim IDH-mutierten Astrozytom vom WHO-Grad 3 und 4 ist eine postoperative Bestrahlung mit sequentieller Chemotherapie die Behandlung der Wahl. Für das Astrozytom vom WHO-Grad 2 gilt das Gleiche, wenn ungünstige Prognosefaktoren, wie ein Alter von mindestens 40 Jahren, eine makroskopisch nur teilweise Tumorentfernung und neurologische Defizite, vorliegen [27, 28].
Bestrahlt wird meist mit Photonen, wobei Intensität und Dauer vom WHO-Grad abhängen und zwischen 50 und 60 Gy liegen sollten [4]. Daneben bieten spezialisierte Zentren auch eine Protonenbestrahlung an, für die eine Überlegenheit hinsichtlich kognitiver Funktion und Therapieansprechen bei Astrozytomen allerdings bisher nicht stringent nachgewiesen ist. In der randomisierten NOA-25-Studie der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (GliProPh-Studie) wird an der Universität Essen derzeit eine intensitätsmodulierte Photonen- mit einer Protonentherapie verglichen; primärer Endpunkt ist dabei die Neurokognition.
Als primäre Chemotherapie werden vor allem Alkylantien eingesetzt (s. Tab. 2) – entweder Temozolomid (TMZ) oder eine Kombination aus Lomustin (CCNU) und Procarbazin.
Tab. 2 Chemotherapie-Regimes in der Therapie von Gliomen. Nach [8].
Protokoll | Dosierung |
---|---|
Temozolomid | 150–200 mg/m2 d1–5 oral alle 4 Wochen |
CCNU | Verschiedene Schemata, z. B. 110 mg/m2 oral d1 alle 6 Wochen |
PCV | Procarbazin 60 mg/m2 oral d8–21 CCNU 110 mg/m2 oral d1 Vincristin 1,4 mg/m2 i. v. (maximal 2 mg) d8+29 alle (6–)8 Wochen |
Während in den großen Studien die PCV-Kombination (Procarbazin, CCNU und Vincristin) gegeben wurde, lässt man Vincristin in der Praxis häufig weg, weil es die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann und außerdem das Risiko für eine Polyneuropathie hoch ist. TMZ, CCNU und Procarbazin wirken vor allem durch Alkylierung der DNA, wodurch die Zellteilung gestört wird und die Zellen in die Apoptose getrieben werden. Alle drei Substanzen passieren die Blut-Hirn-Schranke [29].
IDH-mutierte Astrozytome vom WHO-Grad 3 werden bestrahlt und anschließend mit zwölf Zyklen TMZ nach dem 5/28-Schema (TMZ an fünf Tagen eines vierwöchigen Zyklus) behandelt [30, 31]. Für Patienten mit IDH-mutiertem Astrozytom vom WHO-Grad 2 und mit den genannten Risikofaktoren ist nach der Studienlage streng genommen das PC(V)-Schema indiziert [27], sie erhalten aber in vielen Zentren entsprechend den Empfehlungen für anaplastische Astrozytome TMZ. Die Ergänzung der Strahlentherapie durch die Chemotherapie verlängert auf jeden Fall das Gesamtüberleben (OS) deutlich; das wurde bei Tumoren vom WHO-Grad 3 für TMZ und für Tumoren vom Grad 2 für PCV nachgewiesen [28]. Tumoren vom WHO-Grad 2 ohne Risikofaktoren werden lediglich beobachtet, wobei regelmäßige MRT-Kontrollen obligat sind.
Der Nutzen einer zeitgleich mit der Strahlentherapie gegebenen Chemotherapie mit TMZ konnte bei anaplastischen Astrozytomen in der randomisierten Phase-III-Studie CATNON nicht nachgewiesen werden [30], während sich für die adjuvante Chemotherapie in der zweiten Interimsanalyse ein Überlebensvorteil ergab [24]. Die gleichzeitige Therapie mit TMZ wird daher bei diesen Tumoren meist nicht angewendet, obwohl sie auch nach Veröffentlichung der neuen CATNON-Daten bei diesen Tumoren (auch bei den „high-risk“-Astrozytomen vom WHO-Grad 2) noch diskutiert wird – auch mit der zusätzlichen (adjuvanten) Gabe von sechs (maximal zwölf) Zyklen TMZ analog zum etablierten EORTC-Protokoll beim Glioblastom. In der CATNON-Studie wurden adjuvant zwölf Zyklen TMZ gegeben [30, 31], die Gabe von nur sechs Zyklen wird mit der gleichzeitigen Gabe parallel zur Strahlentherapie begründet und damit, dass ein Nutzen von zwölf versus sechs Zyklen TMZ beim Glioblastom nicht gesichert ist [32, 33]. Angesichts der eher negativen Datenlage ist die Übertragbarkeit vom Glioblastom auf die anaplastischen Astrozytome jedenfalls ebenso fragwürdig wie die Anwendung der gleichzeitigen Chemotherapie überhaupt.
Bei Astrozytomen vom WHO-Grad 4 gibt es derzeit keine allgemein anerkannten Therapiestandards; diskutiert wird, ob sie entweder wie Grad-3-Tumoren oder wie das Glioblastom behandelt werden sollten.
Neue und theoretisch vielversprechende Ansätze, um das Überleben der Patienten zu verlängern, werden aktuell in zahlreichen klinischen Studien getestet, darunter sowohl Immuntherapien als auch zielgerichtete, auf molekularen Targets basierende Therapien. So untersucht beispielsweise die deutsche Phase-I-Studie NOA-16 bei IDH-mutierten Gliomen Grad 3–4 Sicherheit und Immunogenität einer gegen IDH1(R132H) gerichteten spezifischen Peptid-Vakzine [34].
Astrozytom IDH-Wildtyp, WHO-Grad 2–3
Astrozytome mit IDH-Wildtyp ohne histologische und molekulare Merkmale eines Glioblastoms (s. o.) werden heute als Astrozytome mit IDH-Wildtyp vom WHO-Grad 2 oder 3 geführt. Ob man diese Tumoren dennoch wie ein Glioblastom behandeln sollte, ist unklar. Empfehlenswert sind hier sicherlich weitere molekularbiologische Untersuchungen wie eine Methylierungs-Analyse zur besseren Charakterisierung. Bei negativen Ergebnissen kann man analog zum anaplastischen Astrozytom oder zum Glioblastom eine Radiochemotherapie in Erwägung ziehen. Allerdings konnte für IDH-Wildtyp-Astrozytome weder in der CATNON- noch in der RTOG-9802-Studie ein Nutzen für die zusätzliche Chemotherapie belegt werden – wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich hier nur um Subgruppenanalysen handelte, die in weiteren Studien bestätigt werden müssten [20, 24].
Eine Behandlung analog zum Glioblastom mit Radiochemotherapie und adjuvanter Chemotherapie ist für diese Tumoren daher zunächst sicherlich vertretbar, sodass ein IDH-Wildtyp-Astrozytom vom Grad 2–3 makroskopisch komplett reseziert und die weitere Therapie von Alter, Karnofsky-Index (KPS) und MGMT-Promotor-Methylierungsstatus abhängig gemacht werden sollte.
Summary
Classification and treatment of malignant astrocytomas has undergone profound changes in 2021 by the publication of a revision of the WHO classification as well as new trial data. The revised classification is based on the cIMPACT-NOW classification (Consortium to Inform Molecular and Practical Approaches to CNS Tumor Taxonomy, version 6) and has markedly modified the systematics of gliomas: For example, diagnosis of the IDH-mutated astrocytoma of WHO grade 4 will comprise tumor which had before in part been regarded as IDH-mutated glioblastomas. Diagnosing a glioblastomas will henceforth require the absence of IDH mutations; on the contrary, diffuse astrocytomas, IDH wildtype, will be designated glioblastomas if they fulfill certain criteria. Therapeutic concepts valid in the past can certainly in part be transferred to the new entities, but how far these analogies go can not yet be estimated finally.
Keywords: malignant glioma, astrocytoma, WHO classification, IDH mutation