Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie

Zusammenfassung

Übelkeit und Erbrechen gelten als diejenigen Nebenwirkungen einer Chemotherapie, die von Krebspatienten am meisten gefürchtet werden. Fortschritte in der Pharmakotherapie, vor allem die Entwicklung moderner Antiemetika seit Beginn der 1990er-Jahre, wie der 5-HT3-Rezeptor-Ant­agonisten (5-HT3-RA) und Neuro­kinin-1-Rezeptor-Antagonisten (NK1-RA), haben dazu geführt, dass diese Komplikationen mittlerweile durch eine kombinierte anti­emetische Prophylaxe mit den modernen Substanzen und der zusätzlichen Gabe von Kortikosteroiden auch bei Verabreichung hoch-emetogener Chemotherapie in 70–90% aller Fälle verhindert werden können. Um möglichst gute Ansprechraten zu realisieren, sollte die antiemetische Prophylaxe den aktuellen Leitlinien internationaler Fachgesellschaften wie MASCC und ASCO folgen, die regelmäßig aktualisiert werden und die aktuellen Empfehlungen zu Prophylaxe und Therapie enthalten [1, 2].


Schlüsselwörter: Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen, Emesis, Antiemese, antiemetische Prophylaxe, 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten, Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten, Kortikosteroide

 

Bei Chemotherapietherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen unterscheidet man nach dem Zeitpunkt des Auftretens drei Verlaufsformen:
• Akutes Erbrechen/Übelkeit tritt definitionsgemäß innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Chemotherapie ein. Zugrunde liegt vor allem die periphere Freisetzung von Serotonin aus den enterochromaffinen Zellen des Dünndarms und die Auslösung des Brechreizes über vagale Afferenzen.
• Von verzögertem Erbrechen/Übelkeit spricht man bei einem Auftreten der Symptomatik innerhalb von 24 bis 121 Stunden (fünf Tage) nach Beginn der Chemotherapie; hierbei ist vor allem die Substanz-P von Bedeutung.
• Als antizipatorisches Erbrechen/Übelkeit wird eine Form von „erlernter“ Symptomatik bezeichnet, die sich durch eine klassische Konditionierung nach den ersten negativen Erfahrungen mit Übelkeit und Erbrechen unter einer vorangegangenen Chemotherapie einstellt und bereits bei Geruch oder visuellem Reiz ausgelöst werden kann, ohne dass überhaupt eine Therapie erfolgt ist.

Risikofaktoren für Übelkeit/Erbrechen

Als bei Weitem wichtigster Risikofaktor für Zytostatika-induziertes Erbrechen (CINV) muss das emetogene Potenzial der jeweils applizierten Medikamente angesehen werden. Weitere Faktoren sind i. v.-Applikation, hohe Dosierung oder hohe Applikationsgeschwindigkeit der Chemotherapie [3]. Unter Berücksichtigung von akutem und verzögertem Erbrechen differenziert man bei Chemotherapeutika vier Risikoklassen, mit minimalem bis hohem emetogenem Risiko (ohne Prophylaxe über 90%; Tab. 1; [4]).
Intravenöse und orale Zytostatika ebenso wie antihormonelle und biologische Substanzen werden in diese vier Risikoklassen unterteilt (Tab. 2, 3; [2]), an denen sich die Empfehlung für das antiemetische Therapieregime orientiert. Bei Kombinationschemotherapien ist die Substanz mit dem höchsten emetogenen Potential ausschlaggebend. Kombiniert man zwei Substanzen mit demselben emetogenen Potenzial, so wird das Emesis-Risiko dadurch nicht potenziert – mit Ausnahme der kombinierten Gabe eines An­thrazyklins mit Cyclophosphamid („AC“), die in den letzten Leitlinien-Versionen als hoch emetogen klassifiziert wurde.
Zusätzlich zum emetogenen Potenzial der Chemotherapie haben individuelle, Patienten-spezifische Risikofaktoren Einfluss auf das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie. Hierzu zählen ein Alter von unter 35 Jahren, weibliches Geschlecht, ängstlicher Patient, niedriger Karnofsky-Index und eine anamnestisch bekannte Neigung zu Übelkeit/Erbrechen wie bekannte Reisekrankheit oder Schwangerschaftserbrechen [7, 8]. Während geringer regelmäßiger Alkoholgenuss das Risiko für Übelkeit und Erbrechen nach der Chemotherapie ebenfalls erhöht, wird es interessanterweise durch exzessiven Alkoholabusus reduziert [9].

Antiemetische Therapiestrategien


Grundlage der hier vorgestellten Strategien sind die derzeit gültigen Empfehlungen der American Society of Clinical Oncology von 2011 (ASCO, [1]) und die gemeinsamen Leitlinien der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC) und der European Society of Medical Oncology (ESMO; www.mascc.org; [2]). Eine
autorisierte deutsche Übersetzung der MASCC/ESMO-Guidelines (Stand 2013) und weiterführende Literatur finden sich auf der Homepage der ASORS (Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilita­tion und Sozialmedizin der Deutschen Krebsgesellschaft, www.asors.de).

Antiemetische Medikamente
Antiemetisch wirksame Substanzklassen, die in der Praxis empfohlen und angewendet werden, sind im Wesentlichen 5-HT3-RA, NK1-RA und Kortikosteroide. Dagegen ist die Bedeutung der früher häufig gegebenen substituierten Benzamide (z. B. Metoclopramid) stark gesunken; sie werden heute ausschließlich als Rescue-Medikamente eingesetzt und finden in primären Prophylaxe-Strategien keine Anwendung mehr [10–12]. Die European Medicines Agency (EMA) hat überdies 2014 die Zulassung von Metoclopramid auf geringe Tagesdosen eingeschränkt und die flüssige orale Darreichungsform vom Markt genommen. Tab. 4 zeigt die derzeit zugelassenen Antiemetika mit ihren jeweiligen Angriffspunkten.

5-HT3-Rezeptor-Antagonisten (5-HT3-RA)

Die Einführung der 5-HT3-RA zu Beginn der 1990er-Jahre hat die anti­emetische Therapie auf eine völlig neue Basis gestellt. Sie wirken in der Prophylaxe des akuten Erbrechens bei Chemotherapie als Antagonisten von Serotonin (Tab. 5).
Für die Prophylaxe des verzögerten Erbrechens haben sie eher geringere Bedeutung – mit Ausnahme von Palonosetron, das möglicherweise aufgrund seiner langen Halbwertszeit von 40 Stunden, seiner hohen Rezeptor-Bindungsaffinität und der durch die Substanz getriggerten Internalisierung des 5-HT3-Rezeptors [13] auch hier wirkt[14]. Dies hat in den aktualisierten MASCC/ESMO-Leitlinien und auch in den ASCO-Leitlinien von 2011 u. a. zu der Empfehlung geführt, Palonosetron als 5-HT3-RA in der akuten Phase bei moderat emetogener Chemotherapie zu bevorzugen. Das basiert auf der signifikanten Überlegenheit von Palonosetron gegenüber Ondansetron (akute komplette Kontrolle 81,0% vs. 68,6%; p = 0,0085; [15]) und Dolasetron (akute komplette Kontrolle 63,0% vs. 52,9%; p = 0,049; [16]). In der verzögerten Phase konnte überdies bei hoch emetogener und AC-basierter Chemotherapie mit Palonosetron im Vergleich zu Granisetron eine signifikant bessere Symptomkontrolle erzielt werden (verzögerte komplette Kontrolle: 56,8% vs. 44.5%; p < 0,0001; [14]).
Um Wirkung und Kosten-Nutzen-Relation zu optimieren, sollte man bei der Anwendung der 5-HT3-RA darauf achten, dass die geringste wirksame Dosis und die tägliche Einmalgabe ausreichen und dass unter Berücksichtigung der Bioverfügbarkeit die orale der intravenösen Gabe ebenbürtig ist [10, 11, 17].

Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten
Zweite wichtige Säule der Emesis-Prophylaxe sind die NK1-RA. Aktuell (Stand 2014) sind das orale Aprepitant bzw. das intravenöse Fosaprepitant zugelassen. Die Kombination von 5-HT3-RA mit Aprepitant und Kortikostero­iden wird als Tripeltherapie zur Prophylaxe der akuten Emesis bei hoch emetogener sowie bei AC-basierter Chemotherapie (Tab. 6) in den Leitlinien empfohlen.
Durch Zugabe von Aprepitant zu 5-HT3-RA und Kortikosteroid lässt sich das Ansprechen besonders in der verzögerten Phase bei hoch emetogener Chemotherapie um bis zu 20% steigern [18]. In der i. v.-Galenik als Fosaprepitant ist die einmalige Gabe von 150 mg der oralen Gabe von 125 mg Aprepitant an Tag 1, gefolgt von 80 mg an Tag 2 und 3, äquivalent. Das Nebenwirkungsprofil von Aprepitant ist ebenso wie das der 5-HT3-RA günstig. Am häufigsten tritt Appetitlosigkeit auf, gelegentlich Schluckauf (4–5%). Da Aprepitant ein moderater CYP3A4-Inhibitor ist, muss bei kombinierter Anwendung mit Dexamethason dessen Dosis erniedrigt werden (das betrifft nur die 20 mg Dosierung von Dexamethason, s. Tab. 7). Ein Verdacht auf Interaktionen zwischen Aprepitant und Chemotherapeutika (z. B. Docetaxel, Vincristin, Etoposid) hat sich bisher nicht bestätigt [19, 20].
Derzeit wird Aprepitant bei moderat emetogenen Chemotherapien außerhalb der Kombination von AC untersucht. In einer Studie mit 848 Patienten wurden 429 mit einer AC-freien, moderat emetogenen Chemotherapie behandelt, 419 mit einem AC-basierten Regime. Die Patienten erhielten Ondansetron und Dexamethason und dazu randomisiert Aprepitant oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Häufigkeit von Erbrechen während der ersten fünf Tage nach Chemotherapie. Während es in der Aprepitant-Gruppe bei 83,2% der Patienten vermieden werden konnte, war das in der Kontrollgruppe nur bei 71,3% der Fall [21]. Diese Ergebnisse stützen eine Erweiterung der Indikation für Aprepitant auf bestimmte moderat emetogene Chemotherapien (z. B. Carboplatin). In der Antiemese-Empfehlung 2.2014 des National Comprehensive Cancer Network (NCCN, www.nccn.org) wird Aprepitant bei moderat emetogenen Chemotherapien für „selektierte“ Patienten bereits empfohlen. Die ASCO-Leitlinie [1] empfiehlt nicht direkt die First-Line-Anwendung, sie weist aber darauf hin, den Einsatz von Aprepitant in speziellen Situationen zu überdenken („consider“).

Kortikosteroide
Zwar ist der Wirkmechanismus nicht im Detail bekannt, aber Kortikosteroide gelten bei fehlender Kontraindikation trotzdem als fester Bestandteil jeder leitliniengerechten Emesis-Prophylaxe (Tab. 7). Man wendet Kortikosteroide zur Prophylaxe sowohl der akuten als auch der verzögerten Form des Erbrechens an [22], am häufigsten Dexamethason [17, 22]. Das Nebenwirkungspotenzial ist bei der kurzen Behandlungszeit als eher gering einzuschätzen. Die empfohlenen Dosierungen sind den MASCC/ESMO-Leitlinien zu entnehmen (Tab. 7).

Weitere Antiemetika
In der Erstlinie wird Metoclopramid (Benzamid, MCP) zur Prophylaxe des akuten Erbrechens in den aktuellen Leitlinien heute nicht mehr empfohlen, es kann jedoch als Rescue-Medikation bei Therapieversagern der Standard-Antiemese sinnvoll sein. Niedrige Dosierungen wirken über eine D2-Rezeptor-Blockade, bei höheren Dosen kommt zusätzlich ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonismus zum Tragen, allerdings mit wesentlich geringerer antiemetischer Wirkung und mehr extrapyramidal-motorischen Störungen als bei den selektiven 5-HT3-RA. Die EMA hat 2014 empfohlen, Anwendungsdauer und Tageshöchstdosis auf 0,5 mg/kg Körpergewicht zu beschränken. Die Standarddosis für Erwachsene beträgt in Zukunft dreimal 10 mg pro Tag (derzeit viermal 10 mg).
Die Prophylaxe des akuten Erbrechens ist damit definitiv keine Indikation für MCP, das keinesfalls als „preiswerte“ Alternative zu einem 5-HT3-RA eingesetzt werden sollte. In der Prophylaxe des verzögerten Erbrechens bei moderat emetogenen Chemotherapien ist Metoclopramid nach wie vor vertretbar, wenngleich keine Leitlinien-Empfehlung.
Bei der Therapie mit klassischen Neuroleptika (z. B. Haloperidol, Promethazin) geht es weniger um den (geringen) antiemetischen Effekt als vielmehr um eine psychische Distanzierung. Sogenannte niederpotente Phenothiazin-Neuroleptika (Levopromazin, Promethazin, Triflupromazin) wirken stärker sedierend als hochpotente Butyrophenone (Haloperidol, Droperidol), haben dafür aber wesentlich weniger extrapyramidale Nebenwirkungen (Parkinsonoid).
Das atypische Neuroleptikum Olanzapin hat in letzter Zeit Bedeutung als antiemetische Rescue-Medikation gewonnen [23]. In Kombination mit einem 5-HT3-RA und einem Steroid wurden klinisch relevante Ansprechraten beobachtet [24]. Empfohlen werden 5–10 mg/d. Weil Olanzapin ein „atypisches“ Neuroleptikum ist, kommt es selten zu extrapyramidalen Nebenwirkungen, wohl aber zu Sedierung.
Benzodiazepine (z. B. Lorazepam, Diazepam) wirken nicht primär anti­emetisch, aber ihre anxiolytische und sedierende Wirkung macht sie v. a. beim antizipatorischen Erbrechen zu einer Alternative, etwa Lorazepam 1 mg als Schmelztablette, die unmittelbar über die Mundschleimhaut resorbiert wird.
Antihistaminika werden leider nach wie vor zur Antiemese eingesetzt, obwohl das nicht den Leitlinien entspricht und kein prophylaktischer Effekt bei Chemotherapie-bedingtem Erbrechen nachgewiesen ist. [25, 26].

Risiko-adaptiertes Vorgehen

Bereits bei der Vorbereitung der Chemotherapie sollte die antiemetische Strategie für die akute und verzögerte Phase festgelegt werden, denn eine Symptom-orientierte Behandlung, die erst während der Therapie begonnen wird, ist nur noch eingeschränkt wirksam, v. a. auch zur Prophylaxe des verzögerten Erbrechens. Zunächst wird das emetogene Potenzial der Chemotherapie festgelegt, bei Kombinationstherapien entsprechend dem Zytostatikum mit dem höchsten emetogenen Potenzial; die Zugabe weiterer Zytostatika bewirkt keinen additiven Effekt hinsichtlich der Emetogenität. Ambulant behandelte Patienten erhalten unbedingt einen schriftlichen Medikamentenplan, wobei die einmalige tägliche Gabe der Antiemetika ausreicht. Orale Galeniken sind bei äquipotenter Dosierung unter Berücksichtigung der Bioverfügbarkeit der i. v.-Gabe vergleichbar, was die Wirksamkeit angeht [26].

Empfehlungen zur Prophylaxe bei eintägigen Chemotherapie-Regimes

Bei Behandlung mit einer hoch-emetogenen Chemotherapie sollte jeder Patient eine antiemetische prophylaktische Kombinationstherapie aus drei Medikamenten erhalten: Am ersten Tag einen 5-HT3-RA, einen NK1-RA und ein Kortikosteroid, an den Folgetagen zur Prophylaxe des verzögerten Erbrechens einen NK1-RA und ein Steroid (Tab. 8). Die zusätzliche Gabe eines 5-HT3-RA bringt hier keine zusätzliche Wirkung [27].
Das Update der ASCO-Guideline von 2011 stuft Kombinationschemotherapien aus Anthrazyklin und Cyclophosphamid ebenfalls als „hoch emetogen“ ein und empfiehlt eine antiemetischen Triple-Therapie am ersten Tag und eine Kombination aus NK1-RA und Steroid an den folgenden Tagen [1].

Bei moderat emetogener Chemotherapie erhalten die Patienten standardmäßig am ersten Tag eine Zweierkombination aus 5-HT3-RA und Steroid. Nach dem Update der MASCC-Guideline von 2010 ist Palonosetron in dieser Indikation vorzuziehen, bei Nicht-Verfügbarkeit empfiehlt die
ASCO-Guideline von 2011 Granisetron oder Ondansetron [1]. Zur Prophylaxe des verzögerten Erbrechens wird ein Kortikosteroid als Monotherapie gegeben, bei Kontraindikationen gegen Steroide alternativ ein 5-HT3-RA.
Die ASCO-Leitlinie empfiehlt aktuell nicht direkt die First-line-Applika­tion von Aprepitant, sie kann aber aufgrund der bisherigen Studienergebnisse erwogen werden („consider“). Die Hinzunahme eines NK1-RA sollte v. a. bei stärker emetogenen Substanzen wie z. B. Carboplatin erwogen werden [28].

Bei gering emetogener Chemotherapie ist die Monotherapie mit einem Kortikosteroid wirksam, eine Prophylaxe mit einem 5-HT3-RA nicht prinzipiell nötig; allerdings kann er laut der aktualisierten MASCC-/ESMO-Leitlinie 2014 als Alternative empfohlen werden. Erfahrungsgemäß kommt es hier häufig zur Übertherapie; so benötigt z. B. ein Patient unter Paclitaxel nicht routinemäßig einen 5-HT3-RA. Ebenso ist keine routinemäßige antiemetische Prophylaxe für die verzögerte Phase erforderlich.

Bei minimal emetogener Chemotherapie ist eine antiemetische Prophylaxe nicht routinemäßig notwendig; sie wird daher weder für die akute noch für die verzögerte Phase empfohlen.

Vorgehen bei mehrtägigen Chemotherapie-Protokollen
Die Auswahl der antiemetischen Medikamente richtet sich nach der Substanz mit dem höchsten emetogenen Risiko; sie sollten an jedem Applikations-Tag sowie zwei Tage danach gegeben werden. So ist z. B. für Patienten, die eine fünftägige Kombinationstherapie aus Cisplatin, Etoposid und Bleomycin erhalten, die prophylaktische Behandlung mit
einer Triple-Kombination (5-HT3-RA plus NK1-RA plus Steroid) an den Tagen 1–5 sowie mit NK1-RA plus Steroid an den zwei Folgetagen indiziert.
Bei mehrtägiger Cisplatin-Therapie empfehlen die MASCC-/ESMO-Leit­linien, Palonosetron an den Tagen 1, 3 und 5 zu geben (www.mascc.org).

Vorgehen bei Hochdosis-Chemotherapie

Die Datenlage zur antiemetischen Prophylaxe und Therapie bei Hochdosis-Chemotherapien ist weiterhin unzureichend. Die Empfehlungen beschränken sich deshalb derzeit auf die Kombination aus 5-HT3-RA plus Kortikosteroid direkt während der Hochdosis-Chemotherapie (akute Phase) und auf die Gabe eines Kortikosteroids zur Prophylaxe an den Tagen 2–3 nach Ende der Chemotherapie (verzögerte Phase). Aprepitant kann erwogen werden, wird aber in den aktualisierten Leitlinien bisher nicht explizit empfohlen.

Therapie des antizipatorischen Erbrechens
Das antizipatorische Erbrechen stellt einen besonderen Problemfall dar, da es nicht unmittelbar mit der Gabe einer Chemotherapie in zeitlichem Zusammenhang steht. Das antizipatorische Erbrechen lässt sich, wenn es erst einmal dazu gekommen ist, mit den klassischen Instrumenten und Medikamenten zur Antiemese kaum beherrschen. Eine gut abgestimmte Prophylaxe, vor dem ersten Tag des ersten Zyklus der Chemotherapie oder Bestrahlung beginnend, steht daher im Vordergrund, um das Auftreten der Symptome zu vermeiden. Da es sich um einen primär kognitiven Prozess handelt, bieten sich therapeutisch psychologische Interventionen an, z. B. progressive Muskelrelaxation, systemische Desensibilisierung, Hypnose und kognitive Distraktion [29], deren praktischer Einsatz allerdings oft beschränkt ist [30]. Niedrig dosierte Benzodiazepine können als medikamentöse Möglichkeit ggf. Linderung verschaffen.

Therapie bei nicht ausreichender antiemetischer Wirksamkeit

Erbricht ein Patient nach Chemotherapie trotz antiemetischer Prophylaxe, ist zunächst zu überprüfen, ob die Prophylaxe leitliniengerecht erfolgt ist. Das weitere therapeutische Vorgehen hängt nicht vom emetogenen Potential der Chemotherapie ab. Die Wiederholung einer bereits gegebenen Antiemese oder deren Dosissteigerung verspricht meist keinen Erfolg, dies betrifft v. a. die 5-HT3-RA [31]. Auch ein Wechsel der Substanz innerhalb der Gruppe der 5-HT3-RA lindert die Beschwerden meist nicht; eine Ausnahme scheint Palonosetron zu sein [32]. Bestand die primäre antiemetische Therapie aus 5-HT3-RA und Kortikosteroid und war diese Prophylaxe nicht erfolgreich, sollte im nächsten Zyklus zusätzlich ein NK1-RA gegeben werden. Sistiert das Erbrechen auch damit nicht, kann die zusätzliche Gabe von Metoclopramid, Benzodiazepinen oder Neuroleptika, insbesondere Olanzapin, wirksam sein [17]. Olanzapin scheint als Rescue-Antiemetikum deutlich wirksamer als Metoclopramid zu sein [33].
Eingesetzt werden können
• Olanzapin: 1 x 5–10 mg,
• Benzodiazepine (Lorazepam 1–2 x 1 mg, Alprazolam 0,25–1,0 mg,
• Haloperidol: 1–2 mg p. o. alle 8–12 Stunden (z. B. 1–2 x 20 Tropfen) oder ¼–½ Ampulle [1 Ampulle = 5 mg] als Kurzinfusion),
• Promethazin: 1–3 x 20 Tropfen oder ½ Ampulle (1 Ampulle = 50 mg) als Kurzinfusion (Gruppe der Phenothiazine, blockiert neben H1-z.B. auch D2-Rezeptoren),
• Metoclopramid, wobei die Tageshöchstdosis auf 0,5 mg/kg Körpergewicht beschränkt werden soll. Die Standarddosis für Erwachsene beträgt in Zukunft 3 x 10 mg pro Tag. Hochdosis-Präparaten, die teilweise im Ausland auf dem Markt sind, soll die Zulassung entzogen werden.
• Dronabinol: 5–10 mg p. o. alle 3–6 Stunden (maximale empfohlene Tagesdosis 50 mg).
Bei Nichtansprechen auf eine medikamentöse Antiemese müssen immer andere Ursachen, z. B. emetogene Komedikationen (Morphin!), erhöhter Hirndruck z. B. durch Hirnmetastasen oder vermehrte Serotonin-Freisetzung z. B. aufgrund von gastrointestinalen Obstruktionen ausgeschlossen oder ggfs. behandelt werden [34].


Fazit für die Praxis


• Die Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen ist das oberste Gebot. Nur eine prophylaktische Gabe von Anti­emetika kann sowohl der akuten als auch der – oftmals unterschätzten – verzögerten Phase von Übelkeit und Erbrechen zuverlässig vorbeugen.
• Zur Festlegung eines antiemetischen Konzeptes bei emetogener Chemotherapie steht die Definition des emetogenen Potenzials der Chemotherapie (Tab. 2, 3 und 8) im Vordergrund. Maßgeblich ist hierbei das Chemotherapeutikum mit dem höchsten emetogenen Potenzial, bei Kombinationschemotherapien ist kein additiver emetogener Effekt zu beobachten. Auch das individuelle Risikoprofil des Patienten muss in Rechnung gestellt werden, und die Antiemese ist gegebenenfalls bedarfsgerecht daran anzupassen.
• Die Wahl der entsprechenden Antiemetika hat den aktuellen Leitlinien zu folgen.
• Nach Beendigung der Chemotherapie ist eine Prophylaxe des verzögerten Erbrechens einzuleiten.
• Bei Mehrtages-Chemotherapien mit unverändertem emetogenem Potenzial an allen Einzeltagen werden an jedem Chemotherapie-Tag dieselben Antiemetika wie an Tag 1 bzw. Palonosetron jeden zweiten Tag gegeben (z. B. d 1, 3, 5).
• Bei nicht ausreichender Standardprophylaxe sollten im nächsten Zyklus prophylaktisch zusätzliche Antiemetika gegeben werden.
• Bei anhaltender Übelkeit und Erbrechen trotz prophylaktischer Anti­emese müssen andere Ursachen differenzialdiagnostisch berücksichtigt und ausgeschlossen werden!

Summary

Nausea and vomiting: Prophylaxis and therapy
Nausea and vomiting are the toxicities of chemotherapy most feared by cancer patients. Advances in pharmacotherapy, expecially the development of modern anti-emesitic substances like 5-HT3-receptor antagonists (5-HT3-RA) and neurokinin-1-receptor antagonists (NK1-RA) in combination with corticosteroids have resulted in anti-emetic prophylaxis regimens that can avoid these complications in 70–90% of all cases, even after highly emetogenic chemotherapies. To achieve maximum response rates, anti-emetic prophylaxis should be given according to current guidelines which are being updated on a regular basis by organizations like MASCC and ASCO to give the most recent recommendations for prophylaxis and therapy.

Keywords: chemotherapy-induced nausea and vomiting, emesis, anti-emesis, anti-emetic prophylaxis, 5-HT3-receptor antagonists, neurokinin-1-receptor antagonists, corticosteroids