Thymome und Thymuskarzinome: Therapielandschaft von thymischen epithelialen Tumoren in Deutschland

DOI: https://doi.org/10.47184/tk.2025.02.3

Thymome (THs) und Thymuskarzinome (TCs) sind seltene thymische epitheliale Tumoren (TETs), die aus dem ­Epithel der Thymusdrüse entstehen. Die bisher verfügbaren Therapieempfehlungen sind wenig standardisiert und nur ­unzureichend evidenzbasiert. Deshalb wird sowohl international als auch hierzulande eine interdisziplinäre ­Vernetzung zu ­thymischen Tumoren angestrebt.

Schlüsselwörter: thymische epitheliale Tumoren (TETs), Thymome (THs), Thymuskarzinome (TCs), Netzwerkbildung

Die durchschnittliche jährliche Inzidenz für TETs liegt laut Berichten aus den Niederlanden bei 3,4 pro eine Mil­lion Einwohner; geschlechtsspezifische Unterschiede werden nicht berichtet. Daten aus Deutschland sind nicht verfügbar [1], jedoch werden die Inzidenz und Prävalenz thymischer Tumoren hier ähnlich hoch wie in den Niederlanden eingeschätzt. Bei aktuell etwa 80 zertifizierten Lungenkrebszentren und etwa 84 Millionen Einwohnern in Deutschland kann also im Jahr je Zentrum circa mit drei bis fünf neuen Patienten mit einem thymischen Tumor gerechnet werden.

Klassifizierung der Thymome und Thymuskarzinome

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet eine Klassifizierung für THs, die fünf Hauptkategorien umfasst: A, AB, B1, B2 und B3. Dieses System basiert auf der Morphologie der neoplastischen Epithelzellen und dem Anteil an unreifen Lymphozyten.

TCs werden in Plattenepithelkarzinome, Adenokarzinome, adenosquamöse Karzinome und Karzinome ohne anderweitige Differenzierung (NOS) eingeteilt [2, 3].

Therapie der TETs

Eine radikale Operation stellt die einzige kurative Behandlung für TETs dar. Fortgeschrittene TETs erfordern jedoch häufig einen multimodalen Ansatz, der eine Radiochemotherapie einschließt.

Während die meisten TETs lokalisiert sind und mit geringem Rückfallrisiko operativ entfernt werden können, haben inoperable oder metastasierte TETs, die nur mit einer systemischen Therapie behandelt werden können, eine schlechte Prognose. Derzeit werden neben Kombinations- oder Monochemotherapien auch Immuncheckpoint-Inhibitoren, Angiogenesehemmer und Multikinase-Inhibitoren eingesetzt.

Die aktuellen Therapieempfehlungen beruhen allerdings auf wenigen einarmigen Studien und auf Real-World-Daten, denn bislang liegen keine Daten aus Phase-III-Studien vor [4–8].  

In TETs zeigen umfassende Genomanalysen eine sehr niedrige Tumormutationslast (TMB) im Vergleich mit anderen Krebsarten – in der Mehrzahl der Fälle können in TETs keine onkogenen Treibermutationen nachgewiesen werden. Aus diesem Grund basieren derzeit – außer für Imatinib bei seltenen TC-Fällen mit KIT-Mutationen – keine anderen TET-Therapien auf definierten molekularen Targets [9–11].

Forschungsverbunde zu TETs

In Frankreich besteht seit dem Jahr 2012 ein landesweites Netzwerk für TETs (Réseau tumeurs THYMIques et Cancer; ­RYTHMIC). Innerhalb des Netzwerks werden Fälle mit TET bei Erstdiagnose und im Verlauf der Erkrankung in einem nationalen multidisziplinären Tumorboard diskutiert. Zudem werden die Daten pro­spektiv in einer Datenbank erfasst. Die Analyse der Daten ermöglicht es, Erkenntnisse über begleitende Charakteristika, Therapiestrategien und Outcome-Parameter wie Ansprechen und Überleben in einem Real-Life-­Setting zu bekommen [12].

Im Jahr 2010 wurde die International Thymic Malignancy Interest Group (­ITMIG) gegründet, eine internationale Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung bösartiger Erkrankungen des Thymus. Die ITMIG bietet als akademische und gemeinnützige Organisation Struktur und Organisation zur Förderung der klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Thymusmalignome.

In der ITMIG sind in einer globalen retrospektiven Datenbank bislang über 9.000 Fälle erfasst, um eine datengestützte Forschung zu verwirklichen. Von der ­ITMIG wurde in Zusammenarbeit mit der IASLC (International Association for the Study of Lung Cancer) darüber hinaus eine Stadienklassifizierung für thymische Tumoren entwickelt [13]. Die ITMIG leitete den Prozess der Überarbeitung der WHO-Klassifikation für TETs.

Therapiesituation in Deutschland

Für Deutschland können aktuell keine strukturierten Daten zu TETs abgefragt werden, und bislang existiert auch keine eigene interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur Erforschung und Behandlung von thymischen Tumoren.

Die Arbeitsgruppe Thorakale Onkologie der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) hat Anfang des Jahres 2025 eine Interessenabfrage („­TET-­interest“) an ihre Mitglieder ausgesandt, welche ebenfalls von weiteren Fachgesellschaften geteilt wurde.

Insgesamt sind 35 Rückmeldungen eingegangen; diese stammen zu 65 % aus Universitätskliniken, zu 29 % aus nicht­universitären Krankenhäusern und zu 6 % aus Arztpraxen. Die Antworten lassen sich der Onkologie (51 %), der Strahlentherapie (23 %) beziehungsweise der Pneumologie (14 %) sowie der Thorax­chirurgie (6 %) und der Pathologie (3 %) zuordnen. Über 80 % der Antwortenden haben zum Umfragezeitpunkt in einem zertifizierten Lungenkrebszentrum gearbeitet. Im Mittel wurden in den jeweiligen Zentren – aufsummiert in den vergangenen fünf Jahren – 27 Patienten behandelt, im Median 20 (Range 4 bis 150). Die Zahl der pro Jahr betreuten, operierten und/oder bestrahlten Personen mit TETs ist in Abb. 1 genannt.

Als Erstlinientherapie bei Thymomen wurde angegeben (inkl. Doppelnennungen):

  • Therapieschema CAP (Cyclophosphamid/Doxorubicin/Cis­platin): 74 %, CAP in Kombination mit Prednison weitere 9 %,
  • Therapieschema ADOC (Doxorubicin/Cisplatin/Vincristin plus Cyclophosphamid): 6 %,
  • Cisplatin/Etoposid: 40 %,
  • Carboplatin/Paclitaxel: < 5 %.

 

Bei Thymuskarzinomen waren die ­präferierten Erstlinientherapien:

  • Carboplatin/Paclitaxel: 71 %; dies bei 14 % in Kombination mit Ramucirumab,
  • CAP ± Prednison: 34 %,
  • Cisplatin/Etoposid: 31 %,
  • Cisplatin/Etoposid plus Ifosfamid: 9 %,
  • Carboplatin/Paclitaxel plus Pembrolizumab: 3 %.

In der Nächstlinientherapie werden hauptsächlich Paclitaxel oder Gemcitabin mit/ohne Capecitabin beziehungsweise Everolimus, Octreotid oder Pemetrexed in der Therapie von Thymomen gewählt. Bei Thymuskarzinomen wiederum wurden Pembrolizumab und Paclitaxel präferiert, gefolgt von Gemcitabin mit/ohne Capecitabin, Sunitinib, Lenvatinib (auch kombiniert mit Pembrolizumab) sowie Everolimus (Abb. 2).

Unter den Befragten war das Interesse an einem prospektiven Register besonders hoch. Zudem wurden eine mögliche Studienmitwirkung und die Teilnahme an einem nationalen Tumorboard mehrheitlich positiv bewertet (Abb. 3).

Interdisziplinäre ­Vernetzung zu TETs

Am Rande des 17. Interdisziplinären Symposiums Thoraxonkologie der Pneumologisch-Onkologischen Arbeitsgemeinschaft (POA), der Arbeitsgemeinschaft Onkologische Thoraxchirurgie (AOT), der Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie (ARO) und der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) in der DKG sowie der Sektion Pneumologische Onkologie der DGP trafen sich am 15.02.2025 in Heidelberg Vertreter aus Thoraxchirurgie, Strahlentherapie und Onkologie, um das gemeinsame Ziel der interdisziplinären Vernetzung in Diagnostik, Therapie und Erforschung thymischer Tumoren in Deutschland in den Fokus zu nehmen (Abb. 4).

Ziel ist es, die Datenlücke in Deutschland im Bereich der Thymus­tumoren retrospektiv und auch pro­spektiv zu schließen. Es ist geplant, die künftige Datenerfassung zu TETs grundsätzlich mit der ITMIG-Struktur zu harmonisieren.

Die Erfassung der Präferenz in der Auswahl der Systemtherapie und auch des Auftretens unerwünschter Wirkungen von Medikamenten (z. B. Checkpoint-Inhibitor-Therapie bei Thymomen) soll einen Überblick über die Behandlungsrealität in Deutschland geben. Die Interpretation der Daten im internationalen Kontext könnte neue Erkenntnisse in Diagnostik und Therapie ergeben.

In Anlehnung an das Vorbild in Frankreich oder der ITMIG wird nun auch in Deutschland in einer gemeinsamen Struktur ein nationales Register für TETs aufgebaut und ein virtuelles Tumorboard zunächst für komplexe Fälle angeboten werden. Das Tumorboard wird mit Experten aus Pathologie, Thoraxchirurgie, Strahlentherapie, Onkologie und ­gegebenenfalls weiteren Fachrichtungen besetzt sein.

Die geplanten Strukturen sollen es ermöglichen, grundsätzlich auch aus Deutschland Daten zu TETs zu erhalten, ein interdisziplinäres Netzwerk aufzubauen, die Behandlungsrealität durch interdisziplinären nationalen Austausch zu verbessern und eigene Studienprojekte umzusetzen.

Im Verein mit internationalen ebenfalls vernetzten Partnern könnte es in Zukunft gelingen, auch für TETs Daten in einem Phase-III-Konzept zu generieren.

Die in Deutschland aktuell geplanten Maßnahmen zur TET werden über die einzelnen Fachgesellschaften kommuniziert werden. Alle Kolleginnen und Kollegen, die TETs behandeln, sind herzlich eingeladen, ihre Expertise einzubringen, um die Versorgung und Erforschung dieser seltenen Tumorerkrankung nachhaltig zu verbessern.

Autoren
Dr. med. Tobias R. Overbeck
LungenTumorZentrum Universität Göttingen UniversitätsKrebszentrum Göttingen (G-CCC)
Medizinische und Ambulante Onkologie, Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie
Universitätsmedizin Göttingen
Dr. med. Felix Carl Saalfeld
Abt. für Hämatologie, Onkologie und Zelltherapie
Medizinische Klinik und Poliklinik I, Thoracic Oncology Group, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden
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