Wenngleich das Maserneliminationsziel für Europa seit 2007 besteht, zeigt die gegenwärtige epidemiologische Situation weiterhin eine unzureichende Masernimpfquote und eine zu hohe Fallzahl an Maserninfektionen in der Bevölkerung. Aufgrund der fortbestehenden Transmission von importierten Masernviren wurde Deutschland von der Regionalen Verifizierungskommission der WHO-Euro (RVC) als weiterhin endemisch für Masern bewertet.
Schlüsselwörter: Impfquote, Masernelimination, Masernimpfung
Einleitung
Am 15. April 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die aktuellen Daten zu Masern veröffentlicht. Die Zahl der Masernfälle ist 2019 weltweit deutlich gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vervierfachte sich die Zahl der gemeldeten Infektionen: Der WHO wurden bis Mitte April 2019 mehr als 112.000 Infektionen in 170 Ländern gemeldet, während es ein Jahr zuvor gut 28.000 Fälle in 163 Ländern in diesem Zeitraum waren [1].
Bis 2016 war die Zahl der Masernerkrankungen rückläufig, doch mittlerweile steigen die Infektionszahlen wieder. Im Jahr 2017 starben den WHO-Angaben zufolge 110.000 Menschen an Masern. In den Industrienationen geht die Ausbreitung der Masern vornehmlich auf Impfskepsis und auf das Vergessen von Impfterminen bzw. das Nicht-Wissen von Impfempfehlungen zurück. In den sog. „Dritte-Welt-Ländern“ haben viele Menschen hingegen keinen Zugang zur Impfung.
Das Wiederauftreten von Masern ist mehr als frustrierend, handelt es sich doch um eine durch Impfung gut vermeidbare Infektion, für die ein effektiver gut verträglicher Impfstoff existiert [1, 2].
Krankheitslast und Infektiosität
Masern sind eine hoch ansteckende Krankheit und haben mit einem R0-Wert von 12–18 die höchste Basisreproduktionsrate (R0) aller impfpräventablen Infektionen [3]. Das Masernvirus ist bis zu zwei Stunden in der Luft oder auf kontaminierten Oberflächen infektiös. Maserninfizierte sind bereits vier Tage vor und bis zu vier Tage nach Auftreten des Exanthems ansteckungsfähig. Die Infektiosität ist in den drei Tagen vor Auftreten des Exanthems am größten [4]. Da in dieser Zeit die klinische Symptomatik unspezifisch ist, kann es aufgrund der hohen Kontagiosität leicht zu Infektionsübertragungen kommen. Das Masernvirus hat einen Kontagionsindex von ca. 98 %, der Manifestationsindex liegt bei annähernd 100 %. Masern führen bei Exposition von Nicht-Immunen also fast immer zur Erkrankung. Zudem können bis zu 30 % der Maserninfektionen mit Komplikationen einhergehen, wie z. B. einer Otitis media, Pneumonie oder Enzephalitis.
Besonders gefährdet sind immunsupprimierte Patienten. Bei diesen Patienten tritt das Masernexanthem oftmals nicht oder nur atypisch in Erscheinung, die Patienten sind jedoch durch schwere Organkomplikationen u. U. lebensbedrohlich gefährdet [5].
Die höchsten Fallzahlen pro Altersgruppe pro Jahr finden sich in den letzten Jahren regelmäßig bei den unter 2-jährigen Kindern. Die Masern sind jedoch schon lange keine ausschließliche Kinderkrankheit mehr. Aufgrund fehlender Immunität – in erster Linie durch bisher nicht erfolgte Impfungen – erkranken zunehmend auch Erwachsene zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr. Gemäß den Meldedaten des Robert Koch-Instituts (RKI) waren in den letzten Jahren 30 bis 40 % der an das RKI übermittelten Masernfälle über 20 Jahre alt.
Aktuelle Daten belegen eine Zustimmung zur Masern/Mumps/Röteln-Impfung bei rund 95 % der Eltern. Allerdings waren nur rund 77 % der nach 1970 Geborenen von der Wichtigkeit eines Impfschutzes gegen Masern überzeugt. Erschwerend kommt hinzu, dass in Deutschland in diesem Kollektiv oftmals gravierende Impflücken bestehen, da Impfungen in der Kindheit verpasst wurden. Ebenso ist die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für die zweite Masernimpfung dieser Altersgruppe bei dem Zielkollektiv nur unzureichend bekannt. Gemäß eines bevölkerungsbezogenen Surveys der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kannten nur 25 % der befragten Erwachsenen mit Geburtsjahr nach 1970 die Masern-Impfempfehlung für ihre Altersgruppe [6]. Sowohl zum eigenen Schutz, als auch zur Etablierung eines Herdenschutzes gilt es jedoch, diese Impflücken so schnell wie möglich zu schließen [7].
Anfang Mai 2019 hat das RKI die Impfquoten der Schuleingangsuntersuchung aus dem Jahr 2017 im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht. Zwar haben 97,1 % der Schulanfänger die erste Masernimpfung erhalten, für die zweite Masernimpfung gibt es jedoch große regionale Unterschiede. Die schlechtesten Quoten für die zweite Masernimpfung von Schulanfängern finden sich in Baden-Württemberg (89,1 %) und im Saarland (90,5 %). Nur in zwei Bundesländern liegt die Quote über der Zielmarke von 95 %: In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils 95,5 %. Auf Bundesebene wird die für die Masernelimination erforderliche Impfquote von 95 % für die zweite Masernimpfung nicht erreicht; bei der Schuleingangsuntersuchung sind nur knapp 93 % zweimal gegen Masern geimpft [8]. Auch muss berücksichtigt werden, dass der Anteil der in den Schuleingangsuntersuchungen untersuchten Kinder mit vorgelegten Impfdokumenten im Jahr 2017 auf unter 92 % gesunken ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass für diejenigen, die den Impfausweis bei der Schuleingangsuntersuchung nicht vorgelegt haben, der Impfstatus tendenziell schlechter ist, die Impfquoten somit noch niedriger sein könnten als die bisher vom RKI publizierten Impfquoten.
Leider existiert in Deutschland kein Impfregister, aus dem Impfquoten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hervorgehen. Dies wäre jedoch hilfreich, um Zielgruppen näher zu identifizieren.
Ein nationales, digitales Impfregister mit Erinnerungsfunktion und ein digitaler Impfausweis wären sicherlich Erfolg versprechende Möglichkeiten, Impfquoten all derer zu steigern, die die Impfung schlicht vergessen haben.
Epidemiologische Situation der Masern in Deutschland
Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sieht seit 2001 eine Meldepflicht von Masernverdachtsfällen, bestätigten Masernerkrankungen sowie Todesfällen vor. Infolge steigender Impfquoten ging in Deutschland zunächst die Zahl der jährlich an das RKI übermittelten Masernfälle von 6.039 Fälle im Jahr 2001 (Inzidenz: 74 Fälle/1 Mio. Einwohner) auf einen historischen Tiefstwert von 123 Fällen im Jahr 2004 (Inzidenz: 1,5 Fälle/1 Mio. Einwohner) zurück; allerdings wurde eine solch niedrige Fallzahl seitdem nicht wieder erreicht (siehe Tab. 1).