Kein Screeningprogramm der Laboratoriumsmedizin hat in der Gesundheitsversorgung größere Bedeutung erlangt als die Cholesterinbestimmung für die Primär- und Sekundärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der American Heart Association (AHA) betonen dabei besonders die Senkung des LDL-Cholesterins als wichtigsten Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall [1].
Referenzgrenzen und Aktionswerte
Vor diesem Hintergrund überrascht es, wie wenig Beachtung in der aktuellen Literatur den Referenzgrenzen für Gesamtcholesterin und LDL-Cholesterin geschenkt wird. Die Älteren unter uns erinnern sich womöglich noch an eine Faustregel aus den 1970er-Jahren, wonach ein Gesamtcholesterin von „200 mg/dl plus Lebensalter“ normal sei. In der Folgezeit wurde dieser Grenzwert allerdings aufgrund von großen Bevölkerungsstudien schrittweise auf 200 mg/dl (5,2 mmol/l) gesenkt [2].
Hierbei handelt es sich definitionsgemäß nicht um eine Referenzgrenze, sondern um einen „Aktionswert“ [3]. Er ist ein klares Signal, diagnostisch und/oder therapeutisch aktiv zu werden. Im vorliegenden Fall wird empfohlen, bei Cholesterinwerten über 200 mg/dl eine differenzierte Lipiddiagnostik durchzuführen.
Wie im Kasten auf der nächsten Seite dargestellt, geht es vor allem um die Einhaltung bestimmter Grenzwerte für LDL-Cholesterin, die ebenfalls Aktionsgrenzen und keine Referenzgrenzen darstellen. Die Aktion besteht in diesem Fall darin, leitliniengerechte lipidsenkende Maßnahmen zu ergreifen.
Die Betonung von Aktionsgrenzen bei der Lipiddiagnostik hat dazu geführt, dass Laboratorien in ihren Befunden so gut wie nie Referenzintervalle angeben, sodass diese heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Dies ist aus medizinischen, informationstechnischen und statistischen Gründen ein Verlust, da man dadurch möglicherweise eine diagnostisch bedeutsame Cholesterinverminderung bei Leber- und Schilddrüsenerkrankungen übersieht. Zudem kann man keine standardisierten zlog-Werte für die universelle Speicherung von Lipidwerten in der elektronischen Patientenakte oder für die Datenauswertung mit maschinellen Lernverfahren berechnen.
Neue Empfehlung der DGKL
In diese Informationslücke stießen kürzlich Haeckel et al. [3] mit einer Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik (DGKL). Die Autoren befürworten den Einsatz indirekter statistischer Verfahren zur Bestimmung von Referenzintervallen für Cholesterin und seine wichtigsten Subfraktionen (Beispiele in Tab. 1).