Quantencomputing: Disruptive Technologie bald in der Labormedizin?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.01.09

Quantencomputing ist in aller Munde und wird als disruptive Technologie mit Anwendungsmöglichkeiten in den verschiedensten Bereichen beschrieben. Seine Nutzung verspricht z. B. den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Situationen mit wenig Trainingsdaten. Doch wie ist die Technologie tatsächlich zu bewerten, was wären mögliche Einsatzgebiete in der Labormedizin und welche Schritte müssen bis zum Einsatz in der Praxis gegangen werden?

Schlüsselwörter: Quantencomputer, Quantenmechanik, KI, Datenanalyse, Automatisierung

Die Idee eines Quantencomputers ist bereits einige Jahrzehnte alt: Schon 1982 hatte der Physiker Richard Feynman dargelegt, dass wahrscheinlich ein spezieller Typ von Computern benötigt wird, um quantenmechanische Effekte in der Natur zu simulieren [1]. Es sollte dann aber bis 2015 dauern, bevor ein erster Quantencomputer tatsächlich über eine Cloud-Anbindung Anwendern zur Verfügung stand, um seinen Einsatz zu testen.

Doch wie unterscheiden sich Quantencomputer und klassische Computer, und warum wird erwartet, dass ein Quantencomputer leistungsfähiger ist? Klassische Computer rechnen mit Bits, die Werte von 0 und 1 einnehmen können. Alle Zahlendarstellungen und Berechnungen in einem klassischen Computer gehen schlussendlich auf Bits und damit verbundene logische Operationen mit den Ergebnissen TRUE oder FALSE zurück. Quantencomputer rechnen dagegen mit sogenannten Quantum Bits (Qubits). Qubits sind eine Überlagerung der quantenmechanischen Zustände 0 und 1, d. h. sie stellen sowohl den Wert 0 wie auch den Wert 1 gleichzeitig dar. Allerdings ist diese Überlagerung nur innerhalb eines Quantencomputers der Fall – sobald ein Rechenergebnis aus einem Quantencomputer ausgelesen wird, kollabiert dieser quantenmechanische Zustand, und es wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit entweder eine 0 oder eine 1 ausgegeben.

 

Ein Quantencomputer gibt daher keine eindeutigen Rechenergebnisse zurück. Es sind vielmehr mehrere Wiederholungen der Berechnungen und Messungen notwendig. Durch diese Überlagerung von Zuständen lassen sich ganz natürlich Berechnungen parallelisieren. Zudem spielen noch zwei weitere quantenmechanische Effekte eine entscheidende Rolle: Durch den Effekt der Verschränkung können Informationen in einer Berechnung miteinander verknüpft werden, und durch den Effekt der Interferenz können quantenmechanische Zustände verstärkt oder abgeschwächt werden.

Alle drei quantenmechanischen Effekte sorgen dafür, dass gewisse Berechnungsarten durch Quantencomputer deutlich effizienter ausgeführt werden können – manche Berechnungen können dadurch beschleunigt werden, dass sie mit weniger Rechenschritten auskommen. Modelle, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren, profitieren von einer höheren Berechnungskapazität in ihren Modellen, was es ihnen z. B. erlaubt, mit weniger Trainingsdaten zu generalisieren. Der Einsatz von Quantencomputing könnte somit ermöglichen, auch besonders komplexe Datensätze zu prozessieren.

Der Einsatz von Quantencomputing erfolgt prinzipiell im Zusammenspiel mit herkömmlichen Computern, wie in Abb. 1 gezeigt.

Somit berechnet ein Quantencomputer nur die Teile eines Algorithmus, die hier effizienter ausgeführt werden können. Ein klassischer Computer ist weiterhin für den Rest der Berechnung und zur Steuerung des Quantencomputers notwendig.

Auf die Idee von R. P. Feynman zurückkommend kann ein Quantencomputer für die Berechnung von Moleküleigenschaften eingesetzt werden – und somit z. B. Entwicklungsprozesse in der Medikamentenentwicklung erheblich beschleunigen. Auch zur Lösung von mathematischen Optimierungsproblemen lässt sich ein Quantencomputer nutzen. Diese treten beispielsweise in Logistikaufgaben auf. Quantencomputing kommt prinzipiell auch unterstützend in KI-Algorithmen zum Einsatz, wobei der Nutzen hier vor allem in einem effizienteren Training liegt. Was das bedeutet, wird im Folgenden an zwei Beispielen erläutert, die relevant für verschiedene Bereiche der Labormedizin sind.

 

Quanten-gestützte KI in der Bildgebung

KI wird mittlerweile an unterschiedlichen Stellen in der medizinischen Bildgebung eingesetzt – beispielsweise vom Gerätehersteller zur Unterstützung in der Bildauswertung. Häufig reichen jedoch die verfügbaren Daten in der Größenordnung von wenigen hundert Bildern nicht aus, um eine KI auch so zu trainieren, dass sie ein zuverlässiges Ergebnis liefert – dies ist insbesondere bei seltenen Erkrankungen der Fall. Weitere Bilder können häufig nicht dazu genommen werden, weil sie nicht aufgezeichnet wurden, oder weil Daten aus unterschiedlichen Quellen nicht einfach zusammengeführt werden dürfen. Quanten-gestützte Algorithmen versprechen nun, auch bei wenigen Trainingsdaten eine gute Generalisierung zu erreichen, wie Arbeiten von Caro et al. [2] explizit theoretisch nachgewiesen haben.

Zur Klassifizierung von Bildern werden häufig Varianten von sogenannten Convolutional Neural Networks verwendet. Diese zeichnen sich durch ihren schichtweise gestalteten Aufbau von verschiedenen Filtern zur Extraktion von Eigenschaften und Mustern in den Bildern (Convolutional Layer), zusammen mit Schichten zur Merkmalsverstärkung (Pooling Layer) und Klassifikations­schichten aus. Ein entsprechender Quanten-gestützter Algorithmus, ein Quantum Convolutional Neural Network, funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip, wobei prinzipiell jede der klassischen Schichten durch eine Quanten-gestützte Schicht ersetzt werden kann.

Beispielsweise zeigt Abb. 2 eine Architektur, in der eine klassische Convolutional Layer durch eine Quantum Convolutional Layer ersetzt wurde.

Der dargestellte Algorithmus wurde für die Klassifikation von 2D-Ultraschall-Bildern entwickelt, wobei die Aufgabe darin bestand, eine potenziell bösartige Läsion zu identifizieren. Der entwickelte Algorithmus zeigt tatsächlich eine bessere Genauigkeit als ein vergleichbarer Algorithmus, der nur klassische Computertechnologie verwendet [3]. Der Grund hierfür dürfte in der höheren Kapazität des quanten-gestützten KI-Modells im Vergleich zu dem klassischen KI-Modell liegen [4]. Diese höchst vielversprechenden Ergebnisse können jedoch aktuell nur mit der Simulation eines Quantencomputers erreicht werden. Der echte Einsatz eines Quantencomputers erweist sich aufgrund noch zu langer Iterations-Zeiten zwischen Quantencomputern und klassischen Computern als zu langsam.

Verstärkendes Lernen für medizinische Entscheidungen

Quantencomputing kann auch unterstützend in KI-Algorithmen eingreifen, die bei einer medizinischen Entscheidungsfindung helfen. Ein Beispiel ist hier die Entscheidungsunterstützung bei Behandlungen von Sepsis-Fällen basierend auf sogenanntem verstärkenden Lernen („Reinforcement Learning“). Hier kann ein KI-Algorithmus Behandlungsschritte vorschlagen, welche die langfristige Entwicklung einer Sepsis-Erkrankung positiv beeinflussen könnten. Verstärkendes Lernen lernt im Gegensatz zu anderen Richtungen der KI direkt von Interak­tionen mit einer Umgebung, d. h. der Algorithmus verbessert sich kontinuierlich durch erhaltenes Feedback.

Das bedeutet jedoch auch, dass vielfache Interaktionen mit einer Umgebung notwendig sind. Genau hier kann nun Quanten-gestütztes verstärkendes Lernen eingreifen, da entsprechende Algorithmen mit weniger Interaktionen mit einer Umgebung auskommen. Der Vorteil durch einen Einsatz von Quantencomputern ist somit ähnlich wie in der Bildklassifikation: Der Trainingsprozess der Algorithmen kann durch die Verwendung weniger Trainingsiterationen beschleunigt werden.

 

Einsatzgebiete in der Labormedizin

Über die zwei genannten Beispiele hinausgehend kann Quantencomputing immer dann Aufgaben der Datenanalyse im Labor unterstützen, wenn die Algorithmen auf neuronalen Netzen basieren. Zudem kann Quantencomputing perspektivisch für Automatisierungsaufgaben eingesetzt werden – beispielsweise in der Robotersteuerung [5] oder in der Logistik. Allerdings – trotz aller kürzlich erzielten Erfolge bei der Entwicklung von Quantencomputern – handelt es sich nach wie vor um eine Zukunftstechnologie, die noch nicht direkt im Labor einsetzbar ist. Neben der erwähnten Schwierigkeit, eine ausreichend schnelle Interaktion zwischen klassischen Computern und Quantencomputern zu realisieren, sind Rechenergebnisse durch die aktuell noch zu verrauschten Quantencomputer bislang zu ungenau und letztere bis dato zu leistungsschwach. Zudem ist der Einsatz der Technologie durch nur wenige verfügbare Geräte noch sehr teuer. Allerdings zeigen die verschiedenen Fortschritte im Quantencomputing, dass der Einsatz von Quantencomputern in der praktischen Anwendung immer näherrückt.