Zu Beginn der COVID-19-Pandemie ging man noch davon aus, dass SARS-CoV-2 – seinem Namen entsprechend – vor allem eine akute Lungenerkrankung (Severe Acute Respiratory Syndrome) auslöst. Inzwischen weiß man jedoch, dass das Virus im Rahmen einer ausgedehnten Gefäßentzündung (Endotheliitis) auch andere Organsysteme schädigen kann, und dass es bei 10 bis 15 % der Infektionen auch nach eher leichten Verläufen zu monatelanger Einschränkung der allgemeinen Leistungsfähigkeit kommt.
Definition
Die Olympischen Winterspiele in Peking lieferten eindrucksvolle Beispiele dafür, dass gerade auch vormals kerngesunde junge Menschen ihre ursprüngliche Form nicht so schnell wiedererlangen – so etwa der deutsche Top-Kombinierer Eric Frenzel, den in der Team-Staffel überraschend die Kräfte verließen, sodass er am Ende seines Laufs zusammenbrach.
Laut einer 2021 erschienenen Leitlinie [1] spricht man von Long COVID, wenn sich dieser Zustand selbst nach einem Monat nicht bessert, und von Post COVID bei einer Dauer von mehr als drei Monaten – insbesondere dann, wenn neue Symptome hinzukommen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schuf Ende 2020 im Kapitel XXII (Schlüsselnummern mit dem Buchstaben U „für besondere Zwecke“) die vorläufige ICD-Ziffer U09.9! mit der Bezeichnung Post-COVID-19-Zustand, nicht näher bezeichnet. Diese Nummer darf konsequenterweise nicht kodiert werden, solange eine akute SARS-CoV-2-Infektion besteht.
Eine neue globale Bedrohung
Die gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Konsequenzen dieser unscheinbaren ICD-Ziffer sind so gravierend, dass man bereits 2020 eine neue globale Bedrohung fürchtete [2]: Auch wenn die Pandemie eines Tages in eine beherrschbare endemische Phase übergeht, muss mit Millionen von Menschen gerechnet werden, die unter dauerhaften gesundheitlichen Folgen von COVID-19 leiden werden. In 70 % der Fälle berichten die Betroffenen über mentale und physische Erschöpfung ohne erkennbare Auslöser (sog. Chronic Fatigue Syndrome, ICD G93.3, abgekürzt CFS), gefolgt von Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen sowie kardialen Problemen.
Auffällig ist auch eine Häufung neurologischer und psychiatrischer Befunde wie etwa der oft zitierte Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, aber auch eingeschränktes Denkvermögen und depressive Verstimmung [2, 3]. Bei einer Anhörung des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag berichtete Prof. Carmen Scheibenbogen, Charité – Universitätsmedizin Berlin, dass sich bereits im Sommer 2020 überraschend viele jüngere Patient:innen mit exakt dieser Symptomatik in der Sprechstunde am Charité Fatigue Centrum vorstellten, wobei fast 50 % von ihnen stark leistungseingeschränkt und über 20 % arbeitsunfähig waren. Die Wissenschaftlerin bezeichnete das chronische Fatigue-Syndrom als eine vernachlässigte Krankheit, für die es zu wenige spezialisierte Zentren und keine spezifische Behandlung gebe.
Die Schwere der Symptome, die die Betroffenen von Arbeit und sozialem Leben ausschließen, sowie die hohen zu erwartenden Patientenzahlen stellen nach Auffassung der Expertengruppe um Prof. Scheibenbogen „eine Bedrohung für die langfristige Gesundheit dieser Menschen, für das Gesundheitswesen und für sozioökonomische und politische Systeme dar“. Deshalb sei ein nationaler Aktionsplan dringend erforderlich, um die Ursachen der Krankheit zu erforschen, die Diagnostik zu verbessern und spezifische Therapien zu entwickeln.
Ätiologie und klinische Diagnose
Das Phänomen des chronischen Fatigue-Syndroms ist weder neu noch auf SARS-CoV-2 beschränkt. Seit über 100 Jahren wird immer wieder über sporadische Fälle und zum Teil sogar epidemisch auftretende Ausbrüche von CFS im Gefolge von Infektionskrankheiten berichtet, wobei frühzeitig die Kinderlähmung als Ursache in Verdacht geriet. Daher stammen auch ältere Namen wie „atypische Poliomyelitis“ oder „benigne myalgische Enzephalomyelitis“ [4].
1988 sprach sich eine amerikanische Expertengruppe des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) für die treffendere Bezeichnung Chronic Fatigue Syndrome aus. Die Kriterien wurden mehrfach überarbeitet und sind bis heute Gegenstand der Diskussion [5]. Eine Übersicht über weithin akzeptierte Diagnosekriterien findet sich in Tab. 1.