Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf

Digitale Pathologie

Die allgegenwärtige Digitalisierung hat auch die Pathologie erfasst. Digitale Technologien durchdringen das Fachgebiet seit Jahren immer stärker, teilweise unbemerkt und mehr oder weniger unabhängig vom Wünschen und Wollen des einzelnen Pathologen. Was dem Einen als leuchtende Zukunft erscheinen mag, nimmt für den Anderen eher den Charakter einer Bedrohung an. Auf drei Fragen soll in diesem Artikel näher eingegangen werden.

Schlüsselwörter: Vernetzung, Interoperabilität, Standardisierung, Digitale Diagnostik, Künstliche Intelligenz

Was geschieht hier eigentlich?

Die Pathologie als Fachgebiet und Wissenschaftsdisziplin sah sich von Anfang an stetig herausgefordert durch neue technologische Entwicklungen, die meist außerhalb des Faches entstanden und geeignet waren, den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu befördern, und die praktisch-diagnostische Tätigkeit auszuweiten, zu verbessern und zu ratio­nalisieren. Gegenwärtig stehen wir am Beginn der 4. Industriellen Revolution, die durch den Übergang vom massenhaften Einsatz der Elektronik, Informatik und Telekommunikation in allen Bereichen der gesellschaftlichen Reproduktion bis hin zur intelligenten Vernetzung von Steuerungs- und Entscheidungsprozessen – der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI) – gekennzeichnet sein wird. Alle modernen Methoden der Pathologie sind entweder direkt davon abgeleitet, wie z. B. die Virtuelle Mikroskopie, oder werden durch derartige Technologien erst ermöglicht, z. B. durch Verfahren der Molekularpathologie. Die Digitalisierung der Pathologie ist daher weder Selbstzweck noch Fremdbestimmung, sondern unvermeidlicher Bestandteil der Entwicklung des Fachgebietes.

Was sind die Treiber der Prozesse?

Getrieben wird die Digitalisierung der Pathologie zum einen durch die Entwicklung digitaler Technologien selbst, zum anderen aber auch durch medizin- und pathologieimmanente Faktoren, wie der Notwendigkeit zunehmender Vernetzung von Akteuren und technischen Geräten, der damit einhergehenden Standardisierung, dem ständigen Druck zur Rationalisierung von Abläufen und Prozessen, oder dem Streben nach einer erhöhten Patientensicherheit. Da sich insbesondere die Klinische Pathologie diesen treibenden Faktoren sehr komplex gegenübergestellt sieht, erscheint es logisch, dass die dazu verfügbaren Mittel und Technologien, eben auch die digitalen, konsequent genutzt werden, und das möglichst in integrierten Ansätzen.

Welche Trends fallen ins Auge?

Aus Sicht der o. g. Prozesstreiber lassen sich die aktuellen Entwicklungen in vier große Themengebiete einteilen: Vernetzung, Standardisierung, Digitale Diagnostik und standardisierte strukturierte Befundberichte. 

Vernetzung

Derzeit wird die Diskussion von der Einbindung unserer Einrichtungen in die Telematik-Infrastruktur und von der elektronischen Tumor­meldung dominiert. Bei beiden sind die Vernetzungsaspekte bereits gesetzlich geregelt, die damit verbundenen Interoperabilitätsprobleme jedoch erst in Ansätzen gelöst. Erstmals wird jedoch hier die Pathologie in ihrer Gesamtheit herausgefordert, sich mit Digitalisierungsfragen aktiv auseinanderzusetzen.

Eher wenig beachtet, jedoch viel wichtiger für den wirtschaftlichen Erfolg sind die Fortschritte, die bei der Steuerung und Optimierung des Workflows in unseren Labors erreicht wurden und werden (Abb. 1). Probentracking und Integration von Laborautomaten sind ohne digitale Lösungen nicht denkbar. Durch moderne (digitale) Möglichkeiten des Auftrags- und Befundmanagements werden unsere Pathologiesysteme zukünftig wohl partiell in klinische Informationssysteme und elektronische Patientenakten integriert. Somit müssen sie bei der Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielen.

Angesichts des anstehenden Generationswechsels bei zahlreichen Anbietern lohnt es sich, auch nach Lösungen Ausschau zu halten, die auf modernsten, beispielsweise webbasierten Technologien aufbauen.

Standards

Die Herstellung von Interoperabilität sollte immer gelingen, aber der dafür erforderliche Aufwand gewinnt immer stärker an Bedeutung. Es leuchtet ein, dass dieser Aufwand sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft umso geringer wird, je tiefer und ausgedehnter das gemeinsam geteilte Wissen ist. Standard ist die Formalisierung derartig geteilten Wissens. Für Vernetzungsfragen sind Kommunikationsstandards, wie die HL7(Health Level 7)-Familie und DICOM (Digital Imaging and Communications in Medicine), sowie Standardterminologien wie LOINC (Logical Observation Identifiers Names and Codes) und SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine – Clinical Terms) von besonderer Relevanz. In engem Zusammenhang mit Letzteren stehen internationale Klassifikationssysteme wie die ICD (International Classification of Diseases) und TNM-Klassifikation von malignen Tumoren (Tumor, Lymphknoten, Metastasen), die einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad haben, jedoch nicht mit ihnen zu verwechseln sind. Sie reichen aber in der Regel bei Weitem nicht aus, um die komplexen Sachverhalte in unserem Fachgebiet detailliert abzubilden.

LDT (Labordatentransfer) ist ein ausschließlich in Deutschland entwickelter Standard für die Labordatenkommunikation, der auch von Pathologen zur Befundübermittlung genutzt wird. Der zunehmend bekannte Basisdatensatz der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister e. V. (ADT/GEKID) zur elektronischen Tumormeldung fungiert quasi als deutscher Standard, ohne jedoch die formalen Kriterien eines solchen zu erfüllen.

Der in der Pathologie bis dato weithin unbekannte DICOM-Standard erlangt vor allem im Zusammenhang mit der Digitalen Diagnostik weitreichende Bedeutung. In der Praxis scheint jedoch die Interoperabilität trotz immer stärkerer Orientierung auf Standards nicht voranzukommen. Der Grund dafür ist in der nach wie vor mangelnden Beachtung von Integrationsprofilen – z. B. Integrating the Healthcare Enterprise (IHE), Digital Pathology Workflow Image Acquisition Profile (IHE-DPW-IA) [1], Anatomic Pathology Structured Report Profile (IHE-APSR) [2] – und Implementierungsleitfäden (z. B. HL7 Genetic Testing Report) [3] zu sehen, die aus einem breit angelegten Standard erst die konkreten Spezifikationen für genau definierte Anwendungsfälle herausfiltern.

Der Bundesverband Deutscher Pathologen e. V. hat deshalb zwei Leitfäden zur Digitalen Pathologie (Virtuelle Mikroskopie in der Primärdiagnostik, Digitaler Workflow) aufgelegt [4]. Diese Leitfäden wurden zur Unterstützung von Pathologen und Systemkomponentenherstellern entwickelt, um beiden Partnern valide Informationen für Investitionsentscheidungen zur Gewährleis­tung von Interoperabilität und Investitionssicherheit an die Hand zu geben.

Digitale Diagnostik und Künstliche Intelligenz

Der Einsatz der digitalen oder virtuellen Mikroskopie (Whole Slide Images, WSI) in der Routinediagnostik der Pathologie wird zum Ausgangspunkt der Digitalen Diagnostik. Es ist wichtig zu verstehen, dass die WSI-Technologie ein Katalysator für die Digitalisierung, aber nicht ihr Endpunkt sein wird. Digitale Diagnostik ist mehr als die Installation von Präparatescannern und virtuellen Mikroskopen. Sie umfasst eine signifikante Evolution des gesamten Pathologie-Workflows und bietet dem Pathologen statt gefärbter Gewebeschnitte digitale Bilder derselben in einem hochintegrierten digitalen Umfeld. Dieses Umfeld umfasst alle mit dem Untersuchungsauftrag übermittelten Informationen zum Fall, sowie alle Informationen, die während der Probenbearbeitung entstehen, einschließlich Makrobildern, Messergebnissen an Proben und Bildern sowie extern erhobenen Daten zum Untersuchungsmaterial. Diese Integration schafft den „digitalen Mehrwert“, d. h. eine Rationalisierung des gesamten Dia­gnostikprozesses, eine höhere Zuverlässigkeit der Diagnosen und damit einen Beitrag zur verbesserten Patientensicherheit.

Neben Hochdurchsatzsystemen, die für eine nahezu komplett digitale Routinediagnostik ausgelegt sind, wurden in jüngster Vergangenheit  auch wesentlich einfachere (und preiswertere!) Systeme vorgestellt, die anstelle von digitalen Mikroskopkameras treten können, indem sie per Hand WSI in wenigen Sekunden produzieren und bereitstellen.  Eingebunden in den Workflow erlauben derartige Lösungen eine unkomplizierte Zweitmeinungspathologie und attraktive Angebote an multidisziplinäre Konferenzen. Die zurzeit inflationär diskutierte und mit großen Hoffnungen verbundene Künstliche Intelligenz  verlangt in der Pathologie das flächendeckende Vorhandensein digitaler Objekte. Alle Erwartungen an die KI hinsichtlich der Befreiung des hochspezialisierten Pathologen von zeitraubenden und intellektuell wenig anspruchsvollen diagnostischen Aufgaben sind an das Vorhandensein validierter KI-Algorithmen gebunden. Diese kann jedoch nicht ohne große Mengen an digitalen Bildern entwickelt werden, die zuvor durch Pathologen annotiert wurden: ein typisches Henne-Ei-Problem. Der erwartete Mehrwert wird also erst entstehen, wenn die Digitale Pathologie auf breiter Front Einzug in das Fach gehalten hat. Entsprechende Lösungen, meist für die Quantifizierung von immunhistochemischen Färbungen (Abb. 2), finden sich bisher vor allem in den Digitale-Pathologie-Paketen renommierter Scanner-Hersteller. Zunehmend sind sie jedoch auch als „Apps“ in universellen herstellerunabhängigen Softwaresystemen verfügbar, die sich meist unkompliziert in die weit verbreiteten Pathologiesysteme einbinden lassen.

 

Strukturierte Befundberichte

Pathologiebefundberichte sind seit langer Zeit strukturiert, d. h. ihr Aufbau und ihre inhaltliche Gestaltung gehorchen allgemein akzeptierten Regeln, die jedoch bisher nicht besonders streng formalisiert waren. Seit geraumer Zeit nimmt das Interesse an wesentlich feiner strukturierten Befunden zu, die die Befunderstellung rationalisieren und die Informationsweitergabe wesentlich vereinfachen sollen. Diese Befundstrukturierung ist der Befundschreibung mit Textbausteinen vergleichbar. Besonders attraktiv werden derartige strukturierte Befunde, wenn sie auf ein kontrolliertes Vokabular aufbauen und in einem Standardaustauschformat, wie z. B. in Form eines CDA-Dokuments abgefasst werden. Die „Clinical Document Architecture“ (CDA) ist seit 2005 der erste internationale Standard dafür. In Deutschland nimmt diese Entwicklung gegenwärtig mit der strukturierten elektronischen Tumormeldung Fahrt auf, die zwar noch nicht auf einem CDA-Befundbericht basiert, aber wichtige Elemente eines solchen vorbereitet, indem alle Anbieter von Pathologiesystemen nunmehr auch strukturierte Befundelemente in ihren Systemen anbieten müssen. Der nächste Schritt bestünde in der Implementierung des IHE-Profils APSR (Anatomic Pathology Structured Report) und des noch in Entwicklung begriffenen Leitfadens für Molekulargenetische Testberichte in die in Deutschland verbreiteten Pathologiesysteme. Sehr wertvoll ist in diesem Zusammenhang die kostenlose Lizenz zur Nutzung von ca. 8.000 medizinischen Terms in SNOMED CT in Deutschland [5] für das „International Patient Summary“, in das auch Inhalte von Pathologiebefundberichten einfließen können [6].   

Autoren
Prof. Dr. Gunther Haroske
Bundesverband Deutscher Pathologen
Gian Kayser
Bundesverband Deutscher Pathologen e.V., Institut für klinische Pathologie Universitätsklinikum Freiburg