Auf dem Weg zur Perfektionierung des Menschen

100 Jahre Biotechnologie

Wann genau war eigentlich das Geburtsjahr der Biotechnologie? Viele von uns würden die Ursprünge wohl irgendwo in den 1990er-Jahren vermuten, doch eine aktuelle Pressemitteilung unseres Partnerverbands Bio Deutschland e. V. weist darauf hin, dass der Begriff dieses Jahr sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Unter dem Titel „Biotechnologie der Fleisch-, Fett- und Milcherzeugung im landwirtschaftlichen Großbetriebe“ veröffentlichte der ungarische Ernährungsminister Karl Ereky 1919 in Berlin ein deutschsprachiges Buch, das dem Fach seinen Namen gab.
Eigentlich sind biotechnologische Verfahren schon seit Jahrtausenden bekannt, beispielsweise beim Brotbacken und Bierbrauen. In den letzten 100 Jahren waren die Fortschritte allerdings besonders beeindruckend, von der biotechnologischen Insulinherstellung bis zur Klonierung ganzer Lebewesen.
2019 bietet aber nicht nur Grund zum Feiern, sondern stimmt auch nachdenklich. Es ist das Jahr, in dem zum ersten Mal zwei biotechnologisch veränderte Menschen geboren wurden. Der chinesische Biophysiker He Jiankui hatte den Embryonen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung die Gene CCR5 und PCSK9 „herausoperiert“, um sie, wenn man so will, genetisch zu perfektionieren: Der Eingriff könnte die Zwillinge Lulu und Nana resis­tent gegen eine HIV-Infektion machen und ihren LDL-Cholesterinspiegel senken.
He Jiankui ist nicht der erste chinesische Forscher, der das Werkzeug CRISPR/CAS9 zur Genchirurgie an menschlichen Embryo­nen einsetzte (schon 2015 berichtete der Stammzellforscher Junjiu Huang über derartige Humanexperimente), aber er war der Erste, der die manipulierten Embryonen in die Gebärmutter einer Frau einsetzte und austragen ließ. Der Aufschrei der Wissenschaft und Gesellschaft war groß, aber das war auch bei der ersten künstlichen Befruchtung und der ersten Klonierung von Lebewesen so. Für beide Errungenschaften gab es später einen Nobelpreis.
Erschreckend ist wohl vor allem, dass es so einfach zu sein scheint. Der bis dahin weitgehend unbekannte Biophysiker hatte im Vorfeld gut 300 menschliche Embryonen manipuliert, um unerwünschte Off-target-Editierungen und Mosaik-Bildungen in den Griff zu bekommen; aber seine Arbeiten wurden so wenig ernst genommen, dass er die strengen wissenschaftlichen und medizinischen Kontrollen passieren konnte.
Nun ist die 100-jährige Geschichte der Biotechnologie also um eine höchst umstrittene Pioniertat reicher. Ob die Menschheit mit dem Ergebnis umzugehen weiß, muss sich in den nächsten Jahrzehnten zeigen.  

Prof. Dr. Georg Hoffmann
Herausgeber