Laboranalytik

Wenn andere Verfahren bei unklaren Krankheitsbildern aus dem infektiologischen und inflamma­torischen Formenkreis keine schlüssige Antwort liefern, können Laboranalysen des KS weiterhelfen. Allerdings wird die Bedeutung dieses Systems oft unterschätzt, sodass die gezielte Diagnostik unterbleibt. Wichtige Indikationen für eine differenzierte Komplementanalytik sind:
• Meningokokken-Meningitis
• Andere rezidivierende bakterielle Infektionen
• Autoimmunerkrankungen
• Inflammatorische Erkrankungen der Niere und der Augen
• Angioödem

Meist beginnt man mit einem Suchtest und schließt bei Verdacht auf einen Mangel spezifische Assays an. Suchreaktionen basieren auf der über 100 Jahre alten Beobachtung, dass das Komplementsystem die Lyse von mit Antikörpern beladenen Erythrozyten beschleunigt. Bei diesen Tests ermittelt man meist diejenige Serumverdünnung, bei der eine 50%ige Hämolyse auftritt – daher die Test­bezeichnungen CH50 (total hemolytic complement) und AH50 (alternate pathway). Anstelle von Hämolysetests oder analogen Verfahren mit Liposomen werden heute auch funktionelle ELISAs mit Nachweis des MAC-Komplexes eingesetzt, die photometrisch oder luminometrisch messbare Signal­moleküle freisetzen.
Spezifische Tests für Einzelkomponenten des KS sind oft Varianten der Suchtests unter Zugabe von Mangelseren, deren in­fektive Wirkung konzentrationsabhängig durch die Probe kompensiert wird. Im Vergleich zu anderen Bereichen der Analytik spielen im Komplementlabor noch immer selbst hergestellte Tests eine wichtige Rolle; ihre Durchführung und Interpretation erfordert natürlich eine gewisse Erfahrung.
Für viele KS-Komponenten und Aktivierungsprodukte sowie zirkulierende Immunkomplexe mit Komplementbeteiligung werden heute jedoch kommerzielle Immunoassays (Turbidimetrie, Nephelometrie, ELISA) eingesetzt, die besser standardisiert und gut automatisierbar sind. Für den C1-Inibitor steht ferner ein chromogener Assay zur Verfügung, C3d kann bei Verdacht auf Abstoßung nach Nierentransplantation immunhistochemisch untersucht werden, und schließlich bereichern auch Flowzytometrie und molekularbiologische Tests das Methodenspektrum (siehe Tab. 1).

Ausblick
Obwohl das Komplementsystem als „komplementäres Immunsystem“ bereits 1890 von Paul Ehrlich beschrieben wurde, sind seine vielfältigen physiologischen und pathophysiologischen Funktionen noch längst nicht vollständig aufgeklärt. Neuere Forschungsergebnisse lassen zum Beispiel auch eine Beteiligung an neurodegenerativen Prozessen vermuten. So fand man in den für die Alzheimerdemenz typischen Pro­teinablagerungen aktiviertes Komplement  C1q und C3, das Nervenzellfortsätze opsoniert, sodass Fresszellen die Neuriten rascher zerstören.
Trotz aller Fortschritte zählt das KS immer zu den wenig bekannten und deshalb häufig unterdiagnostizierten Gebieten der Labormedizin. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die analytischen Verfahren relativ aufwendig und wenig standardisiert sind, vor allem aber wohl daran, weil ein Verdacht auf Mitbeteiligung des KS viel zu selten untersucht wird. Wünschenswert wäre eine noch größere Zahl einfacher und schneller Tests mit CE-markierten Reagenzien, um dem Komplementsystem den Stellenwert einzuräumen, der diesem „stillen Helden“ aufgrund seiner klinischen Bedeutung eigentlich zukommt.