Eine pathophysiologisch begründete Therapieoption

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

Die seltene paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) kann heute mit einem monoklonalen Antikörper, der den Komplementfaktor C5 blockiert, erfolgreich behandelt werden. Um diese Nadel im Heuhaufen zu finden, werden die diagnostischen Verfahren ständig verfeinert.

Die Erkrankung ist seit über 100 Jahren bekannt, aber eine pathophysiologisch orientierte Therapie gibt es erst seit Kurzem. Der Name PNH leitet sich von einem der Leitsymptome ab, nämlich anfallsartigen (paroxysmalen) Dunkelfärbungen des Morgenurins. 1882 beschrieb der deutsche Internist Paul Strübing in Greifswald das Krankheitsbild erstmals als „intravasale Hämolyse mit Hämoglobinurie“, die er sowohl von der Hämaturie (Ausscheidung von Erythrozyten) als auch der paroxysmalen Kälte­hämoglobinurie klar abgrenzen konnte.
Erst 100 Jahre später entdeckte der britische Biochemiker Martin Low die molekulare Ursache, nämlich ein fehlendes Anker-Molekül namens Phosphatidyl­inositol Glycan class A (PIG-A), das an der Expression diverser Moleküle in der Zellmembran von Blutzellen beteiligt ist. Die Mutation im PIG-A-Gen, die der PNH zugrunde liegt, wurde erstmals 1993 von einer Arbeitsgruppe der Universität Osaka beschrieben[2]. Es handelt sich dabei um eine spontan auftretende Mutation, die normalerweise zum Absterben der betroffenen Zellen führt. Selten – und zwar vor allem im Rahmen einer Knochenmark­insuffizienz – überleben die defekten Erythrozyten und auch die Leukozyten. Dies führt dann zu einem Mosaik kranker und gesunder Zellen und damit zum Auftreten klinischer Symptome. Abgesehen von der namensgebenden Hämoglobinurie, die nur bei einem Viertel der Patienten beobachtet wird, sind die Symptome aber recht unspezifisch (siehe Tabelle unten). Ursächlich für das heterogene  Krankheitsbild ist ein ungehemmter Angriff des angeborenen Immunsystems, genauer gesagt des Komplementfaktors C5, auf die eigenen Erythrozyten.

Pathophysiologie

Normalerweise koppelt der GPI-Anker wichtige Moleküle zur Abwehr des Komplementangriffs auf der Erythrozytenmembran (CD55 = decay accelerating factor, CD59 = membrane inhibitor of reactive lysis). Diese fehlen bei der PNH (siehe Abb. rechts oben), sodass es zu einer komplementvermittelten Hämolyse mit anfallsweiser Hämoglobinurie kommt.
Gemeinsam mit einer vermehrten NO-Bildung führt die Komplement­aktivierung auch zu venösen und (selten) arteriellen Thrombosen, die sich oft an untypischen Stellen finden und je nach Lokalisation einen letalen Ausgang nehmen können. Die Pathophysiologie der Thrombosen, die die PNH von anderen hämolytischen Erkrankungen unterscheidet, ist im Detail bisher noch nicht geklärt. So beobachten wir Patienten, die trotz erheblicher Klongröße seit mehr als 30 Jahren keine hämolytische Krise und keine Thrombose erlebt haben.
Bei Patienten mit aplastischer Anämie ist die Chance größer, dass sich die mutierten Zellen gegenüber der normalen Hämatopoese durchsetzen. Diese haben daher ein besonders hohes PNH-Risiko. Deshalb müssen solche Patienten alle drei Monate auf die Erkrankung kontrolliert werden. Wie Langzeitstudien über Jahre zeigten, gibt es neben Patienten mit Zunahme des Klons seltener auch solche mit Konstanz oder sogar Rückbildungen und Spontanremissionen.

Kausale Therapie

Bis vor wenigen Jahren bestand die einzige Therapieoption in der mit hoher Mortalität belasteten Knochenmarktransplantation. Seit Kurzem kann der Komplementangriff – und damit ein Großteil der schweren Symptome – durch einen spezifischen Hemmstoff erfolgreich medikamentös behandelt werden. Der monoklonale Antikörper Eculizumab (Handelsname Soliris) bindet Komplementfaktor C5 und blockiert damit dessen katalytische Aktivität. Dieser Antikörper muss lebenslang gegeben werden, was erhebliche jährliche Therapiekosten von etwa 400.000 € verursacht. Wird diese Behandlung allerdings konsequent durchgeführt, so erreichen die Patienten ein normales Alter. Damit ist Eculizumab ein weiteres Beispiel dafür, dass die Klärung der Pathogenese zur Entwicklung einer kausalen Therapie führt und somit einen enormen Fortschritt für die betroffenen Patienten darstellt.

Labordiagnostik

Eine Mutation des GPI-Ankers kann an verschiedenen Stellen des PIG-A-Gens auftreten, d. h. es gibt keinen mutational hot spot. Deshalb steht bislang noch keine routinetaugliche genetische Diagnostik zur Verfügung. Ob das Next Generation Sequencing (NGS) in Zukunft Abhilfe schafft, ist derzeit noch offen, denn dafür müssen neben analytischen auch vergütungstechnische Fragen geklärt werden.
Deshalb hat sich der immunologische Nachweis der GPI-verankerten Proteine auf der Zelloberfläche bei der Diagnose der PNH als Standardverfahren durchgesetzt und in den Richtlinien der Fachgesellschaften etabliert. Vorzugsweise wird das Fehlen der Markermoleküle (s. u.) mittels Durchflusszytometrie auf Erythrozyten und Leukozyten nachgewiesen.

Prädiktive Werte
Die Zahl der Patienten in Deutschland wird auf etwa 800 geschätzt. Die extrem geringe Prävalenz von 0,001% führt dazu, dass selbst ein sehr guter Labortest einen schlechten positiv prädiktiven Wert erreicht. Das bedeutet: Wenn der Test positiv ausfällt, heißt das noch lange nicht, dass der Patient eine PNH hat.
Man kann diese Prätest-Wahrscheinlichkeit jedoch durch gezielte Vorselek­tion deutlich verbessern. Das wiederum bedeutet nichts anderes als eine gezielte Anamne­se, eine körperliche Untersuchung und Basislabordiagnostik im Vorfeld durchzuführen und bei den echten Verdachtsfällen einen extrem spezifischen Krankheitsnachweis anzuschließen.
Konkret umgesetzt wird dies in den deutsch-österreichischen Konsensusempfehlungen, die die Untersuchung von je zwei unterschiedlichen GPI-verankerten Proteinen auf zwei unterschiedlichen Zellreihen verlangt (zum Beispiel CD58 und CD59 auf Erythrozyten sowie CD24 und CD157 auf Granulozyten). Seit Kurzem steht eine mutierte, ungiftige Variante des GPI-Anker-Liganden Aerolysin aus Aeromonas hydrophila zur Verfügung. Das Reagenz wird biotechnologisch als fluoreszentes Proaerolysin (FLAER) hergestellt und eignet sich für die Durchflusszytometrie. Ein besonderer Vorteil ist, dass es auch auf unreiferen Leukozyten bindet, sodass diese weniger leicht als PNH-Klon fehlinterpretiert werden.
Bei den zur PNH-Diagnostik eingesandten Proben liegt sehr viel häufiger eine differenzialdiagnostisch infrage kommende Erkrankung vor. Hier ist der Blick ins Mikroskop wie so oft eine lohnende Informationsquelle, da die Zellen im Gegensatz zur PNH zumeist charakteristische morphologische Veränderungen aufweisen (http://icsh.org/guidelines/).

Fazit
Zusammenfassend erfordert die PNH-Diagnostik analytische Spezialkenntnisse und umfassendes Wissen über die Differenzialdiagnosen, um bei dieser seltenen Erkrankung falsch positive Befunde zu vermeiden. Die Anforderungen an Screening- und Bestätigungstests sind hoch. Erfreulich ist die Möglichkeit einer zielgerichteten Therapie, sobald die Diagnose gesichert ist.  

 


Dr. med. Carl Thomas Nebe
Hämatologie-Labor Mannheim






Dieser Artikel ist dem Gedenken an
Prof. Dr. Dr. Hermann Wisser gewidmet, der uns bei unseren differenzialdiagnostischen Überlegungen stets an den Einfluss der Präanalytik und die Bedeutung statistischer Randbedingungen bei der Interpretation von Laboratoriumsuntersuchungen erinnert hat.