U-Boot im Blut

Mikro- und Nanotechnik

1965, mitten im Kalten Krieg, erlitt der tschechische Wissenschaftler Dr. Beneš, der in den Westen überlaufen wollte, bei einem Anschlag eine schwere zerebrale Throm­bose. Zwei Ärzte kämpften um sein Leben, doch einer der beiden Helfer war in Wirklichkeit ein östlicher Agent… Das Drehbuch eines ganz gewöhnlichen Agententhrillers? Nicht ganz, denn das Rettungsteam navigierte in einem nur mikro­metergroßen U-Boot durch die Blutbahn von Dr. Beneš. Dieses Science-Fiction-Szenario des US-Films Fantastic Voyage aus dem Jahr 1966 war durchaus auch eine Quelle der Inspiration für ernsthafte Pioniere der Nanomedizin. Die Idee, Krankheiten mit mikroskopisch kleinen Robotern – sogenannten Nanobots – im Körperinneren zu diagnostizieren und zu therapieren, wurde erstmals 1959 von Albert Hibbs, einem Mathematiker der NASA, formuliert – und lässt die Entwickler bis heute nicht los. So perfekt wie auf dem großen Bild sehen ihre Produkte bislang noch nicht aus, aber das Foto unten zeigt beispielsweise den 2015 publizierten Nanoswimmer aus der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, der aus 0,2 µm dicken Metalldrähten und Polymerfasern besteht und sich mithilfe eines oszillierenden magnetischen Felds wie ein Geißeltierchen durch Flüssigkeiten bewegen lässt. Die Entwicklung solcher Nanobots dient derzeit in erster Linie der Bekämpfung maligner Tumoren. Dabei reicht die Skala der technischen Lösungen von passiv mit dem Blutstrom transportierten Nanopartikeln, die mit Zytostatika und Antikörpern gegen Krebszellen beladen sind bis hin zu gentechnisch veränderten Bakterien, die von sich aus aktiv werden können. So entwickelten südkoreanische Wissenschaftler 2014 den Bacteriobot, eine modifizierte Salmonellenspezies, die Rezeptoren gegen Tumorzellen exprimiert. Für intrakorporale Tumormarkeranalysen experimentiert Prof. Christian Karnutsch an der Hochschule Karlsruhe mit einem weniger als einen Millimeter großen, injizierbaren „Chiplabor“ namens Nautilos, das sich autonom bewegen und mit optofluidischen Sensoren reagenzfreie Messungen durchführen soll. Normalerweise sind diagnostische Anwendungen allerdings weniger spektakulär, da es in der Regel nicht darum geht, bestimmte Organe oder Zellen im Körper anzusteuern, sondern Biomarker im vorbeiströmenden Blut kontinuierlich zu messen. Beim AACC-Kongress 2015 in Atlanta, USA, gab es eine Session mit dem Titel Are we moving into the body with diagnostics? Dort wurde eine breite Palette mikro- und nanotechnologischer Sensoren vorgestellt, beginnend bei der Puls- und Sauerstoffmessung mit Smart Watches über das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) in der subkutanen interstitiellen Flüssigkeit bis hin zum potenziell intrakorporalen Einsatz von Nano­kristallen aus Halbleitermaterialien. Diese sogenannten Quantum Dots sind eine Art Minicomputer, die man für analytische Zwecke mit Antikörpern, Aptameren, Streptavidin etc. beschichten kann.In der amerikanischen Laborszene wird derzeit viel über Disruptive Innovation diskutiert (Clin Chem 2015;61:935–7), also über Techniken, die die Labormedizin der Zukunft möglicherweise von Grund auf verändern werden. Das „U-Boot im Blut“ wird wohl auf absehbare Zeit spekulativ bleiben, aber dass die Minia­turisierung bereits heute enorme Auswirkungen auf die Laboratoriumsmedizin hat, erleben wir täglich – vom Point-of-Care-Gerät bis zum Biochip.

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