Eine Technik wird erwachsen

Integration der Durchflusszytometrie in den Laborablauf

Mit dem Vordringen der Durchflusszytometrie in die Routine steigen auch die Ansprüche an die Systeme. Dabei setzen Diagnostik und Forschung unterschiedliche Schwerpunkte.

Die fluoreszenzbasierte Durchflusszytometrie ist schon fast ein halbes Jahrhundert alt – und doch befindet sie sich in ständiger Weiterentwicklung. Immerhin hat sie nach jahrzehntelangem Nischendasein einen festen Platz in vielen Routinelaboratorien erobert, vor allem bei der Differenzierung von Leukämien und Lymphomen. Auch in der Immunologie, Mikrobiologie, Virologie, Hygiene und Wasseranalyse sowie in der Stammzellforschung und -therapie ist sie heute unverzichtbar.

Zögerliche Entwicklung
Vergleicht man die Entwicklung der Durchflusszytometrie mit derjenigen in anderen hochtechnisierten Bereichen der Hämatologie und Klinischen Chemie, so scheinen die Systeme trotz der langen Vorlaufzeit nur zögerlich erwachsen zu werden. Das mag an der aufwendigeren Technik liegen, hat aber auch damit zu tun, dass die Serienlängen selbst in überregionalen Schwerpunktlaboren meist unter hundert, in Krankenhäusern der Maxi­malversorgung sogar nur um die zwanzig Proben pro Tag liegen. Bei solch geringen Durchsätzen fällt es offenbar weniger auf, dass sich viele Geräte nur schlecht in den automatisierten Proben- und Informationsfluss des Gesamtlabors einbetten lassen.
Doch das muss sich ändern, wenn die Durchflusszytometrie ihre zentrale Rolle in der zellulären Diagnostik weiter ausbauen will. Das Kernproblem für eine nennenswerte Ausweitung ist der hohe Anteil an menschlicher Hand- und Kopfarbeit bei der Probenvorbereitung und Reagen­zienauswahl sowie der von der Expertise des Benutzers abhängigen Auswertung.

Workflow-Konzepte gesucht
Es gibt gute Ansätze, zum Beispiel direkt ins Gerät einsetzbare, antikörperhaltige Röhrchen, die nur noch mit Blut befüllt werden müssen oder Zytometer, die man für einfache Routineanalysen nur noch beladen und starten muss. Für die Auswertung bieten IT-Unternehmen flexible  Software an, die zytologische Expertise hersteller-, institutions- und sogar länder­übergreifend zu standardisieren versuchen.
Was man aber bislang vermisst, ist ein durchgängiges Workflow-Konzept mit automatisierter Präanalytik und bidirektionaler Anbindung an die Labor-EDV, das von der Probenidentifikation über die Messung bis zur elektronischen Übermittlung alle Arbeitsschritte nahtlos verwaltet. Eindimensionale Barcodes sind zunehmend verfügbar, 2D und RFID so gut wie nicht, und die Anbindung an Analysenstraßen scheint fürs erste noch Utopie zu sein.

Finanzierung
Letztlich geht es wie so oft ums Geld: Medizinische Labore hängen am Tropf der Krankenkassen, und auch die universitäre Forschung ist mit Investitionsmitteln nicht gerade gesegnet. So tragen viele Anwender aus Geldmangel selbst zu kleinteiligen Workflow-Konzepten bei, indem sie bei einem Anbieter ein möglichst kosten­günstiges Zytometer, bei einem anderen die billigsten Antikörper und bei einem dritten die Auswertesoftware kaufen.
Für Schwarzseherei besteht jedoch kein Anlass. Wer behauptet, der Höhepunkt der Durchflusszytometrie sei ohnehin überschritten, weil die Hochdurchsatz-Sequenzierung die meisten klinischen und wissenschaftlichen Fragestellungen besser lösen könne, der übersieht das Gebot einer medizinisch und ökonomisch sinnvollen Stufendiagnostik. Hier hat die Durchflusszytometrie ihren festen Platz direkt nach der Mikroskopie, während die Molekulardiagnostik das letzte Glied der Kette ist. Eher schon macht es Sinn, den Einsatz bedienerfreundlicher Zytometer im Workflow noch weiter nach vorn zu verlegen, beispielsweise in die Aufnahme hämatologischer Sta­tionen und Spezialambulanzen.

Forschungsanwendungen

In der Grundlagenforschung können einfache Zytometer ausreichen, wenn zum Beispiel nur grüne von nicht grünen Zellen unterschieden werden müssen oder die Expression einiger weniger Oberflächenmarker bestimmt werden soll. Für aufwendige Projekte – besonders in der Immunologie und der Stammzellforschung – sind jedoch Multilasergeräte, die standardmäßig auch im grünen oder gelben Bereich emittieren, unerlässlich, um mit immer mehr Markern immer mehr zelluläre Subpopulationen zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Diagnostik muss man ferner die Analysenprotokolle sehr flexibel gestalten und die Proben höchst individuell kennzeichnen können.
Neben diesen eher inkrementellen Verbesserungen der Technologie stellt das Vordringen der Forschung in die Nanowelt der extrazellulären Vesikel (Mikrovesikel, Exosomen) grundsätzlich neue Anforderungen an die Größenauflösung. Sie endet derzeit meist bei 300 nm, doch künftig sollten 100 nm das Ziel sein – oder besser noch darunter, damit die Zellforschung immer tiefer in die molekularen Mechanismen der intra- und interzellulären Kommunikation vordringen kann.

 


Dr. med. Thomas Nebe, Mannheim

Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Bernd Giebel, Essen