Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Darm ohne Charme

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.03.04

Die vielen neuen Therapiemöglichkeiten für chronisch entzündliche Darmerkrankungen erfordern eine gute Diagnostik und Verlaufskontrolle. Für beide Aspekte bietet die Labordiagnostik eine Vielzahl von hilfreichen Parametern an. Auch für zukünftige Ansätze, die auf genetische Veränderungen und die Mikrobiomzusammensetzung abzielen, entwickelt sich ein interessantes Spektrum an individualisierter Diagnostik. Nicht alle Ansätze werden zum Erfolg führen, aber schon jetzt zeigen wissenschaftliche Studien, dass die gezielte Inhibition von mutierter Genaktivität und ein „schlechtes“ Mikrobiom in Zukunft individualisierte Therapieansätze ermöglichen könnten.

Schlüsselwörter: CED, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, ASCA, ANCA, Calprotectin, Lactoferrin

Zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED; im Englischen IBD – inflammatory bowel disease) zählen als wichtigste Vertreter der Morbus Crohn (M. Crohn) und die Colitis ulcerosa (CU). Weniger häufig und nur histologisch nachweisbar ist eine dritte Form: die mikroskopische Colitis. Wie der Name schon sagt, ist das Hauptmerkmal der Erkrankungen eine chronische Entzündung des Gastrointestinaltrakts. Es handelt sich um komplexe, multifaktorielle Erkrankungen. In genomweiten Analysen konnten viele genetische Risikofaktoren identifiziert werden, die zu einer erhöhte Suszeptibilität führen. Auch Umweltfaktoren wie die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms und Nikotinabusus können das Risiko erhöhen, eine CED zu entwickeln. Im Zusammenspiel mit einem Trigger, z. B. einer Infektion, kann dann in der pathophysiologischen Abfolge die intestinale Homöostase gestört werden. Dies führt zur Dysbiose des Darms, einer lokalen Dysregulation des darmassoziierten Immunsystems (GALT) und schließlich zu einer geschwächten Immunabwehr und einer gestörten Barrierefunktion des intestinalen Epithels.
Wie bei komplexen Erkrankungen zu erwarten, sind der Beginn, die Lokalisation, der Verlauf und das Ansprechen auf die Therapie sehr unterschiedlich. Bei den über 200 Genen, die mit CED assoziiert werden konnten, finden sich zahlreiche Varianten von Genen und damit Proteinen aus den Bereichen der Erkennungsstrukturen von mikrobiologischen „Pattern“, der Autophagie und der intestinalen Barrierefunktion. Viele Genvarianten betreffen auch das angeborene und spezifische Immunsystem. Aus Mausmodellen weiß man, dass Zytokine und Chemokine eine wichtige Rolle in der Pathogenese spielen. Und zwar unabhängig davon, ob die Modelle auf Infektionen, Intoxikation oder Genmanipulation basieren [1].
Interessanterweise waren in einer aktuellen Studie über 35.000 Patienten mit CED genetische Risikoscores beim M. Crohn meist mit der Lokalisation der Erkrankung, aber kaum mit dem Verlauf und der Schwere assoziiert. So konnte man mithilfe genetischer Cluster die M.-Crohn-Patienten in drei Gruppen einteilen: eine mit ilealem Befall, eine mit Dickdarmbefall und eine mit gemischtem Befall; letztere wiesen auch ein intermediäres genetisches Muster auf [2]. Diese Einteilung konnte in einer aktuellen Arbeit auch anhand von Serumparametern wie Zytokinen, Chemokinen und Wachstumsfaktoren nachvollzogen werden [3]. Von den vielen Biomarkern mit signifikanten Unterschieden haben sich einige in der Routinediagnostik etabliert und unterstützen die behandelnden Ärzten bei der Diagnostik und der Verlaufskontrolle (Tab. 1).

Tab. 1: Biomarker für chronisch entzündliche Darmerkrankungen.

Marker Probenmaterial Hintergrundinformation
Bestätigung und Sicherung der Diagnose/Unterscheidung M. Crohn vs. Colitis ulcerosa
Atypische ANCA (aANCA)* (z. T. auch als perinukleäre „antineutrophil cytoplasmic antibodies“ (pANCA) bezeichnet) Serum, Plasma Spezifität für Colitis ulcerosa von 89 % bei der Konstellation aANCApositiv und ASCA-negativ; Sensitivität 55 %
ASCA (anti-saccharomyces cerevisiae antibody), ASCA-IgA Serum, Plasma Spezifität für den Morbus Crohn von 93 % mit der Konstellation ASCApositiv und aANCA-negativ; Sensitivität 55 %
Differenzialdiagnose von Durchfallerkrankungen
Direkter und indirekter Erregernachweis Serum, Plasma;
Stuhl
Antikörper gegen Bakterien, Viren, Parasiten;
PCR-Diagnostik im Stuhl auf Bakterien, Viren, Parasiten wie Clostridium difficile toxin, EHEC oder Noroviren; direkter Nachweis von enteropathogenen Erregern (Salmonellen, Yersinien, Campylobacter etc.) oder Parasiten im Stuhl
Anti-Tissue-Transglutaminase-Antikörper, IgA und Gesamt-IgA Serum, Plasma Differenzialdiagnostik zur Zöliakie
Entzündung und Krankheitsaktivität
CRP, BKS Serum, Plasma Entzündungsmarker
Blutbild EDTA-Blut Entzündungsmarker (Granulozytose)
Calprotectin, Lactoferrin Stuhl Fäkaler Entzündungsmarker
Okkultes Blut im Stuhl Stuhl Erosionen
Ernährungszustand/alimentärer Mangel
Gesamteiweiß, Albumin Serum, Plasma Proteinmangel, Proteinverlust
Vitamine A, D, E, B12, Folsäure Serum, Plasma Resorptionsstörung, Mangelernährung
Zink Serum, Plasma Resorptionsstörung, Mangelernährung
Blutbild EDTA-Blut Anämie (Eisenmangel, Vitamin-Mangel: B12, Folsäure)
Eisenstoffwechsel (Ferritin, Transferrin/Eisen (EBK); sTFR, CRP („Thomas-Blot“)) Serum, Plasma Eisenmangel
Medikamentennebenwirkungen
Organfunktion Serum, Plasma Transaminasen (Leber), Nierenwerte, Pankreas, Blutbild (Knochenmark) etc.
Drug Monitoring Serum, Plasma, EDTA-Blut Medikamentenspiegel
Anti-Drug-Antibodies Serum, Plasma Bei Biologicals (z. B. TNF-Blocker)
Pharmakogenetik EDTA-Blut TMTP-Aktivität/Mutation bei Azathioprin-Therapie
Genetische Diagnostik/weitere diagnostische Möglichkeiten in Studien; komplementäre Diagnostik
Weitere Autoantikörper (z. B. Ak gegen Flagellin CBir1) Serum, Plasma Wissenschaftliche Abklärung; noch nicht in der Routine
Genetische Diagnostik EDTA-Plasma Charakterisierung der „very early onset inflammatory bowel diseases“ (VEOIBD; monogenetische CED); weitere Risikogene innerhalb von Studien; noch kein Einsatz in der Routinediagnostik
Mikrobiologische Stuhlanalyse; Mikrobiom-Analyse Stuhl Risikoerreger; Nachweis innerhalb von Studien; noch kein Einsatz in der Routinediagnostik
Mikrobielle, CED-spezifische Signaturen sowie volatile organische Komponenten Ausatemluft, Stuhl, Harn Nachweis innerhalb von Studien; noch kein Einsatz in der Routinediagnostik
Nachweis von Pilzen Stuhl Keine wissenschaftliche Evidenz
Anämiemarker wie Zinkprotoporphyrin, der Retikulozytenfärbeindex oder der Anteil hypochromer Erythrozyten EDTA-Blut Bisher kein Eingang in die Routinediagnostik

 

Labordiagnostik

Die Labordiagnostik spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Abklärung und Betreuung von Patienten mit CED. Dabei können mehrere Indikationen für die Anforderung von Laborparametern unterschieden werden (Tab. 1).
Allem voran steht die Bestätigung und Sicherung der Diagnose durch spezifische Biomarker und die Abgrenzung der wichtigsten Formen, d. h. des M. Crohn von der CU (Abb. 1).

Abb. 1: Organbefall von Morbus Crohn im Vergleich zu Colitis ulcerosa (Grafik nach commons.wikimedia.org).

Bei ca. 10 % ist die Einteilung in M. Crohn und CU klinisch und endoskopisch nicht eindeutig. Hier bieten spezifische Autoantikörper Hilfe: Dazu gehört die Bestimmung der ASCA (Anti-Saccharomyces-cerevisiae-Antikörper), die v. a. beim M. Crohn nachweisbar sind und die Bestimmung der atypischen ANCA (antineutrophile cytoplasmatische Antikörper), die v. a. bei der CU zu finden sind. Obwohl Sensitivität und Spezifität nicht schlecht sind, werden die Marker oft stiefmütterlich behandelt. Eine Metaanalyse, in der 60 Studien berücksichtigt werden konnten, fand eine Spezifität für den Morbus Crohn von 93 % mit der Konstellation ASCA positiv und pANCA negativ. Die Sensitivität betrug dabei allerdings nur 55 %. Bei der CU lag die Spezifität bei der Konstellation pANCA positiv und ASCA negativ bei 89 % mit einer Sensitivität von ebenfalls nur 55 %. Zumindest in diesen unklaren Fällen kann die Antikörperbestimmung durchaus hilfreich sein [4]. Weitere Antikörper mit einer Assoziation für den M. Crohn haben sich in der klinischen Routine nicht bewährt. Dazu gehören die PAB („pancreatic antibody“) oder die Anti-Glycan-Antikörper.
Weiterhin ist in der Differenzialdiagnose von Durchfallerkrankungen die Abgrenzung von entzündlichen infektiösen Darmerkrankungen und nichtentzündlichen Darmerkrankungen wichtig. Hierbei spielen neben dem direkten und indirekten Erregernachweis auch Entzündungsparameter eine Rolle.
Entzündungsparameter werden auch für die Abklärung der Entzündungsaktivität der CED eingesetzt. Man kann damit aber i. d. R. nicht zwischen aktiver Phase von CED und infektiösen Erkrankungen unterscheiden. Unauffällige Werte bei akuter Symptomatik sprechen aber gegen eine CED und finden sich z. B. beim Reizdarmsyndrom. Neben den klassischen Markern im Blut wie Leukozytose, C-reaktives Protein (CRP) und Blutsenkungsgeschwindigkeit (BKS) haben der Nachweis von Calprotectin und Lactoferrin im Stuhl eine herausragende Stellung eingenommen – nicht nur zur akuten Abklärung, sondern auch in der Verlaufsdiagnostik und dem Monitoring des Ansprechens auf eine Therapie.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Labordiagnostik ist die Abklärung von Mangelerscheinungen im Rahmen der CED. Bei verzögerter Diagnose oder längerem Verlauf kann es zu multiplen Mangelerscheinungen kommen. Hier ist die Anämie die häufigste Folge einer Mangelsituation. Insbesondere bei ausgedehntem Dünndarmbefall oder nach Resektionen im Bereich des Ileums kann es zu Folsäure- und/oder Vitamin-B12-Mangel kommen, sodass in dieser Situation diese Marker regelmäßig kontrolliert werden müssen. Gegebenenfalls sollten auch Parameter zur weiteren Abklärung eines Vitamin-B12-Mangels, z. B. die Bestimmung von Holotranscobalamin und Methylmalonsäure, sowie Homocystein erfolgen. Normale Homocystein- und Methylmalonwerte schließen einen Mangel an Vitamin B12 weitgehend aus.
Die häufigste Ursache der Anämie bei CED ist jedoch der Eisenmangel. Die Prävalenz liegt bei Erwachsenen mit CED bei über 50 % und bei Kindern sogar bei über 80 %. Ferritin als Marker des Speichereisens und damit des Eisenhaushaltes ist i. d. R. der beste Marker. Bei CED ist er aber unter Umständen nur bedingt hilfreich, da Ferritin als Akute-Phase-Protein bei aktiver Erkrankung erhöht sein kann. Insbesondere bei erhöhtem CRP sollte man daher im Zweifel zusätzlich die Transferrinsättigung und den löslichen Transferrinrezeptor bestimmen. Weitere Anämiemarker wie Zinkprotoporphyrin, der Retikulozytenfärbeindex oder der Anteil hypochromer Erythrozyten haben bisher keinen Eingang in die Routinediagnostik bei CED gefunden.
Daneben sollte bei klinischem Verdacht auch ein Mangel an Spurenelementen wie Zink oder Magnesium und Vitaminen ausgeschlossen werden [5].
Weitere Indikationen für die Anforderung von Labordiagnostik ergeben sich aus der Abklärung von Medikamentennebenwirkungen. Je nach Medikation muss an Organbeteiligungen der Niere, Leber, Pankreas oder des Knochenmarks gedacht werden. Bei der Therapie mit Biologicals wie TNF-Blocker, Integrinblocker und Zytokinblocker kann auch die Bestimmung von Anti-Drug-Antikörpern nützlich sein, insbesondere wenn das Ansprechen nachlässt oder unerwartete Nebenwirkungen auftreten.

Therapie

Während Gentherapie und wissenschaftlich belegte Mikrobiomtherapie noch auf sich warten lassen, sind bei den CED zu den weiterhin bewährten Therapien in den letzten Jahren viele neue Therapieansätze dazugekommen und noch in der Pipeline.
Bewährt haben sich bei der CU 5-ASAPräparate, topische und systemische Steroide und Immunsuppressiva. Reichen diese nicht aus, können Biologika wie die Anti-TNF-Antikörper Infliximab, Adalimumab und Golimumab und der Anti-Integrin-Antikörper Vedolizumab eingesetzt werden. Auch der aus der Tumortherapie bekannte Kinasehemmer Tofacitinib ist bei der CU als orales Medikament zugelassen.
Bei M. Crohn haben sich neben topischen und systemischen Steroiden und Immunsuppressiva wie Azathioprin und Methotrexat die Biologika Infliximab, Adalimumab, Vedolizumab sowie der Anti-IL-12/IL-23-Antikörper Ustekinumab etabliert.

Ausblick

Obwohl die genetischen Analysen hunderte von Risikomarkern entdeckt haben, reicht der Zusatznutzen einer Gendiagnostik noch nicht aus, um in der Routineversorgung Anwendung zu finden. Sollten – wie in der Onkologie – spezifische Therapien entwickelt werden, die ganz bestimmte Mutationen angreifen, dann kann sich das in Zukunft sicher ändern. Weitere wichtige und pathophysiologisch sehr relevante Faktoren wie das Mikrobiom sind wissenschaftlich hochinteressant. Der Erfolg in der Routinediagnostik hat sich aber noch nicht eingestellt. Aber auch hier kann es in der Zukunft durchaus sein, dass die spezifische Substitution bestimmter Darmbakterien therapeutisch erfolgreich eingesetzt werden kann und dann auch vorab und im Verlauf der Nachweis bestimmter Bakterien oder des gesamten Mikrobioms im Labor sinnvoll ist.

Autor
Prof. Dr. Rudolf Gruber
Mitglied der Redaktion