Anaplastische Lymphomkinase (ALK)/c-ros oncogene 1 (ROS1)
Lungentumoren sind immer noch die führende krebsbedingte Todesursache, mit 5-Jahres-Überlebensraten ab Diagnose von weniger als 20 % [1]. Der häufigste Typ, das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC), ist für 80–85 % aller Erkrankungen verantwortlich [2, 3] und wird weiter unterteilt in Adenokarzinome (ca. 50 %), Plattenepithelkarzinome (30 %) und großzellige Karzinome [4]. Zu einer dramatischen Veränderung der Behandlungsparadigmen beim NSCLC hat im letzten Jahrzehnt ein immer besseres Verständnis der Biologie und vor allem der Molekularbiologie des Wachstums von Krebszellen geführt, v. a. die Entdeckung einer Anzahl von onkogenen Treibermutationen.
Neben den aktivierenden Mutationen im Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) spielen hier vor allem Translokationen eine Rolle, an denen das Gen für die anaplastische Lymphomkinase (ALK) und in einem geringeren Ausmaß auch das für das c-ros oncogene 1 (ROS1) beteiligt sind. Innerhalb von weniger als zehn Jahren wurden insbesondere für die ALK-Kinase bereits drei Generationen von Inhibitoren entwickelt, von denen mittlerweile fünf für die klinische Anwendung zugelassen sind. Einige dieser ALK-Inhibitoren sowie einige weitere Substanzen wirken auch bei Tumoren mit ROS1-Translokation und haben zum Teil eine Zulassung dafür.
Josef Gulden
ALK (auch als CD246 bekannt) und ROS1 sind Proto-Onkogene und kodieren für Membran-assoziierte Rezeptoren aus der Familie der Insulin-Rezeptoren mit Tyrosinkinase. ALK spielt u. a. eine wichtige Rolle bei der Vermehrung und Differenzierung von Nervenzellen, ROS1 ist in zahlreichen Zellen und Geweben an Wachstum und Differenzierung beteiligt. Eine Überaktivität der beiden Tyrosinkinasen fördert Wachstum und Teilung der betreffenden Zellen und ist vor allem dann zu sehen, wenn die Tyrosinkinasen der beiden Gene aberrant mit anderen Genen fusionieren.
Bei nicht-selektierten Patienten mit NSCLC finden sich Rearrangements des ALK-Gens in 5–7 % aller Patienten [5, 6]. Insgesamt wird die Inzidenz weltweit auf rund 40.000 Fälle pro Jahr geschätzt, und diese Patienten sind im Vergleich zu typischen NSCLC-Patienten meist jünger, zählen zu den Nie- oder Leicht-Rauchern und weisen überwiegend Adenokarzinome auf [7].
Rearrangements des ROS1-Gens wurden zuerst beim Glioblastom gefunden, treten aber auch bei Cholangiokarzinomen, Ovarialkarzinomen und beim
NSCLC (hier in 1–2 % der Fälle sowohl in fortgeschrittenen als auch in frühen Stadien) auf. Klinisch-pathologische Charakteristika dieser Patienten ähneln denen bei den Erkrankungen mit ALK-Fusionen: medianes Alter ca. 50 Jahre, weibliches Geschlecht, Nie- oder Leicht-Raucher, asiatische Ethnie und Adenokarzinome [8].
Genetik
ALK-Rearrangements
Veränderungen des ALK-Gens wurden zuerst in den 1990er-Jahren als Translokationen zwischen dem kurzen Arm von Chromosom 2 und dem langen Arm von Chromosom 5 (t(2;5)) bei Patienten mit anaplastischen großzelligen Lymphomen und 2007 schließlich erstmals bei Patienten mit NSCLC beschrieben [9, 10]. Hier entpuppte sich diese Alteration in den NSCLC-Zellen als kleine Inversion innerhalb des kurzen Arms von Chromosom 2 (2p), durch die das 5´-Ende des Gens für Echinoderm Microtubule-Associated Protein-Like 4 (EML4) mit dem 3´-Ende des ALK-Gens verbunden wurde, woraus das onkogene Fusionsgen EML4-ALK resultierte (Abb. 1).

Das Fusionsprotein EML4-ALK ist konstitutiv aktiviert, was die Proliferation der Tumorzellen verstärkt und ihr Überleben begünstigt [7, 11]. Diagnostiziert wird das Fusionsgen typischerweise mithilfe von Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH), Immunhistochemie (IHC) oder Next Generation Sequencing (NGS) aus Tumorgewebe [12, 13].
ROS1-Rearrangements
Beim NSCLC fanden sich bislang mehrere Varianten von Fusionen des ROS1-Gens, am häufigsten die CD74-ROS1-Fusion (Abb. 1; [15]). Insgesamt sind zwölf Partner-Gene bzw. -Proteine bekannt, aber vom ROS1-Protein geht immer die gesamte Tyrosinkinase-Domäne in das Fusionsprodukt ein. Ob die verschiedenen Fusionsproteine sich in ihren onkogenen Eigenschaften unterscheiden, ist noch unklar, aber in allen Fällen sind die Tyrosinkinasen konstitutiv aktiv und führen durch Aktivierung von „downstream“ gelegenen Signalwegen zu Wachstum und Proliferation der Zellen. Zum Nachweis dient als Screening-Instrument die Immunhistochemie (Sensitivität 100 %, Spezifität etwa 83 %) und als Bestätigungstest in einem zweiten Schritt FISH [16]. Wegen der relativen Seltenheit von ROS1-Translokationen wurden beim Populations-Screening zunächst nur Patienten untersucht, bei denen die häufiger mutierten Gene wie EGFR oder ALK als Wildtyp vorliegen. Diese Methode wurde aber inzwischen zugunsten einer Strategie der umfassenden Testung gleich zu Beginn verlassen. Einer retrospektiven Analyse zufolge scheinen ROS1-Translokationen mit einer medianen Überlebenszeit von rund drei Jahren prognostisch günstiger zu sein als EGFR-Mutationen oder ALK-Translokationen mit ca. zwei Jahren, aber das muss noch prospektiv validiert werden [17].
Die Kinase-Domänen von ALK und ROS1 weisen ein hohes Maß an Homologie auf: Auf Proteinebene sind die Aminosäuren zu 77 % identisch. Da in vitro sowohl ALK als auch ROS1 sensitiv gegenüber Crizotinib ist, wurde in einer erweiterten Phase-I-Kohorte der PROFILE-1001-Studie zunächst ein Patient mit ROS1-Translokation mit Crizotinib behandelt. Eine nahezu komplette Remission bei diesem Patienten führte zum Einschluss von insgesamt 50 solcher Patienten, von denen 72 % ein Ansprechen zeigten, das in einigen Fällen komplett war und auch deutlich länger andauerte als bei ALK-positiven Patienten [18, 19].
Die Suche nach Therapie-relevanten genetischen Alterationen – damit auch von ALK- und ROS-Translokationen – soll laut S3- und Onkopedia-Leitlinie bei allen Patienten im Stadium IV vor Beginn einer medikamentösen Erstlinientherapie erfolgen, weil solche Mutationen wesentlich die Therapie beeinflussen [20, 21].
ALK-/ROS1-Inhibitoren
Vor der Entdeckung der beschriebenen Translokationen und ihrer Konsequenzen für die Pathophysiologie des Tumors erhielten alle Patienten mit fortgeschrittenem/metastasiertem NSCLC in der Erstlinie eine konventionelle Chemotherapie. Die Kenntnis der pathogenetischen Veränderung führte sehr rasch zur Entwicklung spezifischer Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) – zunächst vor allem für die ALK-Kinase: Bereits 2010 wurden die ersten klinischen Phase-I-Daten zu dem Erstgenerations-TKI Crizotinib publiziert, der neben ALK auch ROS1 und MET, den Rezeptor für den Hepatozyten-Wachstumsfaktor hemmt. Crizotinib wurde als erster spezifischer TKI für diese Indikation (ALK-positives NSCLC) zugelassen, in Abständen gefolgt von den Zweit- und Drittgenerations-Substanzen Ceritinib, Alectinib, Brigatinib und zuletzt Lorlatinib. Crizotinib ist außerdem ebenso wie der NTRK-Inhibitor Entrectinib für das ROS1-positive NSCLC zugelassen.
Trotz anfänglich meist ausgezeichneter Wirksamkeit entwickelt sich bei zielgerichteten Therapien früher oder später beinahe immer eine Resistenz, entweder durch zusätzliche Mutationen im ALK-Gen oder durch weitere sogenannte Bypass-Mechanismen (Tab. 1).

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die intrakranielle Verfügbarkeit des jeweiligen TKI und damit seine Wirksamkeit bei Hirnmetastasen, die beim NSCLC eine wichtige Rolle spielen. Diese Punkte werden im Folgenden für alle zugelassenen TKI separat diskutiert.
Crizotinib
Nach den vielversprechenden ersten Phase-I-Daten – die bereits zu einer bedingten Zulassung in den USA geführt hatten – wurde der erste ALK-Inhibitor in der Phase-III-Studie PROFILE 1007 bei Patienten mit ALK-positivem NSCLC, die nach platinbasierter Chemotherapie progredient waren, randomisiert gegen eine Zweitlinientherapie aus Pemetrexed oder Docetaxel getestet. Diese bestätigte die Wirksamkeit, indem der primäre Endpunkt des progressionsfreien Überlebens (PFS) von median 3,0 auf 7,7 Monate mehr als verdoppelt wurde (Hazard Ratio 0,49; p < 0,001; [23]). In einer weiteren Phase-III-Studie, PROFILE 1014, zeigte sich Crizotinib schließlich auch in der Erstlinie einer Standard-Chemotherapie (Pemetrexed plus Platin) überlegen, mit einem medianen PFS von 10,9 versus 7,0 Monaten (HR 0,45; p < 0,001) und einer Gesamtansprechrate von 74 % versus 45 % (p < 0,001) sowie Verbesserungen auch bei den Lungenkrebs-spezifischen Symptomen und bei der Lebensqualität [24]. Das führte zur Zulassung als Standard-Erstlinientherapie beim ALK-positiven NSCLC, auch wenn ein Vorteil beim Gesamtüberleben nicht statistisch signifikant ausfiel (HR 0,76; p = 0,0978) – vermutlich aufgrund der Cross-over-Option, der zufolge Patienten im Kontrollarm bei Progression Crizotinib erhalten konnten.
Ungefähr jede dritte Resistenz gegen Crizotinib geht auf sekundäre Mutationen in der Tyrosinkinase-Domäne des ALK-Gens bzw. -Proteins zurück, mit einem Anteil von 7 % am häufigsten die Punktmutation L1196M, gefolgt von G1269A [25]. Eine weitere Punktmutation, G1202R, bewirkt in etwa 2 % aller Fälle eine hochgradige Resistenz nicht nur gegenüber Crizotinib, sondern auch gegenüber Inhibitoren der nächsten Generationen. Ein weiterer, seltenerer ALK-abhängiger Mechanismus einer Crizotinib-Resistenz ist eine Amplifikation des ALK-Fusionsgens [25, 26]. Als nicht ALK-abhängige Mechanismen schließlich sind Reaktivierungen von Bypass-Signaltransduktionswegen von Bedeutung, durch die die Abhängigkeit der Tumorzelle von der ALK-Aktivität umgangen wird; hier spielen vor allem der EGFR-Weg, eine Überexpression von NRG1 sowie die Aktivierung des IGF-1-Rezeptors oder von c-KIT eine Rolle [27].
Bei etwa 70 % der Rezidive unter Crizotinib beim ALK-positiven NSCLC ist das Gehirn zumindest mitbetroffen [28, 29]. Mittlerweile weiß man, dass die intrakranielle Wirksamkeit des Erstgenerations-ALK-TKI suboptimal ist [30]. Grund dafür ist die schlechte Passage der Substanz über die Blut-Hirn-Schranke, da Crizotinib ein Substrat des P-Glykoproteins ist, das als wichtigste Bremse den Einstrom von Chemikalien in das Hirn-Parenchym verhindert. Die Folge sind bei der üblichen Dosierung von zweimal 250 mg/d weitaus niedrigere und für eine tumortoxische Wirkung insuffiziente Liquor-Konzentrationen des Medikaments im Vergleich zum Plasma [31].
Crizotinib ist auch ein Inhibitor von ROS1 und bei ROS1-positivem NSCLC für die Erstlinientherapie zugelassen.
Ceritinib
Der Zweitgenerations-ALK-TKI Ceritinib ist in vitro ungefähr 20-mal so wirksam wie Crizotinib und hemmt darüber hinaus auch die ROS1-Kinase sowie die Tyrosinkinase des IGF-1-Rezeptors [32–34]. Er wirkt auch gegen einige sekundäre ALK-Mutationen, die Resistenzen gegenüber Crizotinib verursachen (v. a. L1196M, G1269A, I1171T und S1206Y), nicht jedoch gegen G1202R und F1174C (s. Tab. 1; [35]).
Nach guten Phase-I/II-Daten wurde Ceritinib in zwei Phase-III-Studien – ASCEND-5 und ASCEND-4 – bei vorbehandelten bzw. neu diagnostizierten Patienten randomisiert gegen Chemotherapien geprüft. Bei den therapienaiven Patienten konnte die PFS-Dauer von median 8,1 auf 16,6 Monate verdoppelt werden (HR 0,55; p < 0,00001; [36]). Aufgrund dieser Daten ist Ceritinib in Monotherapie sowohl für therapienaive als auch für mit Crizotinib vorbehandelte Patienten mit ALK-positivem NSCLC zugelassen. Die Ergebnisse einer weiteren Phase-I-Studie, ASCEND-8, führten zur Reduktion der empfohlenen Dosierung von anfänglich 750 mg/d im nüchternen Zustand auf 450 mg/d mit einer Mahlzeit, weil die Pharmakokinetik hier vergleichbar, die gastrointestinale Verträglichkeit aber deutlich günstiger war [37, 38].
Bereits in den Phase-I/II-Studien hatte sich eine Wirksamkeit bei Hirnmetastasen abgezeichnet, die in der ASCEND-7-Studie bei 138 Patienten in vier verschiedenen Strata in Abhängigkeit von der Vortherapie überprüft wurde: ALK-Inhibitor plus Radiotherapie, nur ALK-Inhibitor, nur Bestrahlung oder gar keine derartige Vorbehandlung. In dieser Reihenfolge lagen die Ansprechraten bei 39,3 %, 27,6 %, 28,6 % bzw. 51,5 % [39], belegen also eine intrakranielle Wirksamkeit von Ceritinib bei Patienten mit und vor allen Dingen ohne entsprechende Vorbehandlung.
Auch unter Ceritinib treten sekundäre Resistenzen auf, am häufigsten durch die G1202R-Mutation, die nach Crizotinib bei rund 2 %, nach Ceritinib, Alectinib und Brigatinib aber bei 21–43 % der Patienten auftritt; aber auch Mutationen an der Position F1174 werden unter Ceritinib beobachtet [25]. Der häufigste ALK-unabhängige Resistenzmechanismus ist eine Reaktivierung durch die K57N-Punktmutation von MAP2K1.
Alectinib
Ein weiterer hochpotenter ALK-TKI ist Alectinib, das außerdem auch die RET- [40, 41], nicht jedoch die MET- und kaum die ROS1-Kinase hemmt [42]. Nach vielversprechenden Phase-I/II-Daten bestätigten zwei Phase-III-Studien, eine in Japan und eine global durchgeführt, die Wirksamkeit in der Erstlinie: In der ALEX-Studie wurden 303 Patienten (darunter auch solche mit asymptomatischen Hirnmetastasen) randomisiert, entweder Alectinib (zweimal 600 mg/d) oder Crizotinib (zweimal 250 mg/d) zu erhalten, wobei der Zweitgenerations-TKI die PFS-Zeit von median 10,9 auf 34,8 Monate mehr als verdreifachte (HR 0,50; p < 0,001; [43, 44]). Diese Ergebnisse führten zur Zulassung in der Erstlinie. Beim ASCO-Kongress 2020 konnte bei einer Datenreife von 37 % ein statistisch si-gnifikanter Gesamtüberlebensvorteil für Alectinib (HR 0,67) belegt werden [45].
Im Gegensatz zu Crizotinib und Ceritinib ist Alectinib kein Substrat des Glykoproteins P und sollte deshalb die Blut-Hirn-Schranke besser penetrieren. Schon in den Phase-II-Studien war das intrakranielle Ansprechen beachtlich gewesen, und in der ALEX-Studie zeigten 59 % der Patienten mit Hirnmetastasen im Alectinib-Arm im Gegensatz zu nur 36 % im Crizotinib-Arm ein ZNS-Ansprechen von länger als zwölf Monaten [43]. Das mediane PFS war für die Patienten mit Hirnmetastasen unter Alectinib mit 25,4 Monaten mehr als dreimal so lang wie unter Crizotinib mit 7,4 Monaten (HR 0,37; 95-%-Konfidenzintervall 0,23–0,58; [45]).
Neben der Gatekeeper-ALK-Mutation L1196M wirkt Alectinib auch gegen einige weitere sekundäre Mutationen wie zum Beispiel G1269A [25, 40]. Dennoch tritt auch unter Alectinib früher oder später eine Progression ein, am häufigsten aufgrund der Mutationen G1202R (wie auch nach Ceritinib) und I1171T/N/S (auch nach Ceritinib und Crizotinib) und seltener einiger anderer Mutationen wie V1180L und L1196M [25]. Solche Mutationen, deren Kenntnis für die Weiterbehandlung der Patienten essentiell ist, sind aus einer Plasmaprobe (Liquid Biopsy) ebenso gut nachweisbar wie aus Gewebe; das ist von Bedeutung, weil wiederholte Biopsien bei diesen Patienten häufig nicht möglich oder nicht mehr zumutbar sind.
Brigatinib
Der dritte Zweitgenerations-Inhibitor Brigatinib zeichnet sich durch eine breite Wirksamkeit gegen zahlreiche Resistenz-vermittelnde ALK-Mutationen aus und hemmt auch ROS1 [47, 48]. In vitro war Brigatinib auch zwölfmal wirksamer als Crizotinib und scheint zudem gegen alle 17 bekannten sekundären Resistenzmutationen von ALK zu wirken [49].
Möglicherweise ist diese Wirksamkeit gegenüber resistenten Tumorklonen auch für die ausgezeichneten Ergebnisse der randomisierten Phase-II-Studie ALTA verantwortlich, in der gegen Crizotinib resistente Patienten mit ALK-positivem NSCLC eine Ansprechrate von 54 % und ein medianes PFS von 12,9 Monaten (bei unabhängiger Begutachtung sogar 15,6 Monate) erzielten [48]; letzteres liegt höher als in anderen Studien mit Ceritinib bzw. Alectinib, aber ob tatsächlich eine Überlegenheit vorliegt, muss natürlich in randomisierten Studien überprüft werden. In einer retrospektiven Analyse zeigte Brigatinib eine begrenzte Aktivität bei Patienten mit Resistenz gegenüber Alectinib [50]; eine einarmige Phase-II-Studie mit Patienten, die unter Alectinib oder Ceritinib progredient waren, läuft derzeit (ClinicalTrials.gov No. NCT03535740; [51]).
Obwohl Brigatinib ein Substrat von Glykoprotein P ist, ist es intrakraniell wirksam: In der ALTA-Studie hatten zwei Drittel der gegen Crizotinib resistenten Patienten zu Beginn Hirnmetastasen aufgewiesen. Ihr intrakranielles PFS unter Brigatinib lag bei median 18,4 Monaten. Auf Basis dieser Studie wurde Brigatinib für Crizotinib-resistente Patienten zugelassen; die Zulassung für die Erstlinie basiert hingegen auf der Phase-III-Studie ALTA1L, in der der Medianwert des PFS noch nicht erreicht ist; für die Kontrollsubstanz Crizotinib betrug er dagegen 9,8 Monate (HR 0,49; 95 %-KI 0,33–0,74; [52]). Die HR für Patienten mit Hirnmetastasen betrug 0,25 und demonstriert die hohe ZNS-Wirksamkeit von Brigatinib. Erstmalig konnte für die Patienten mit ZNS-Metastasen unter Brigatinib vs. Crizotinib auch ein signifikanter Vorteil beim Gesamtüberleben erzielt werden (HR 0,46).
Lorlatinib
Der erste ALK-Hemmstoff der dritten Generation, Lorlatinib, wurde speziell entworfen, um zum einen gegen Resistenzmutationen wirksam zu sein, die die Effektivität anderer Inhibitoren beeinträchtigen – einschließlich der G1202R-Mutation – [25, 53], und zum anderen die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Außerdem inhibiert es auch ROS1 [54].
In der Phase I, in der viele stark vorbehandelte Patienten und solche mit Hirnmetastasen eingeschlossen waren, zeigten 46 % der Patienten ein Ansprechen, das median 12,4 Monate dauerte [53, 55]. Auch viele der Patienten, die bereits Zweitgenerations-Inhibitoren erhalten hatten, sprachen an, und außerdem war das Verhältnis von Liquor- zu Plasma-Konzentration von Lorlatinib mit 0,75 außerordentlich hoch [55]. Die mittlerweile erfolgte Zulassung betrifft daher Patienten, deren Erkrankung nach Alectinib oder Ceritinib als erste Therapie mit ALK-Inhibitoren oder nach Crizotinib und mindestens einem anderen ALK-Inhibitor fortgeschritten ist.
In einer globalen Phase-II-Studie wurden außerdem 276 Patienten mit und ohne Hirnmetastasen entsprechend der Art ihrer Vorbehandlung und ihres ALK/ROS1-Status in sechs verschiedene Kohorten stratifiziert [53]: Primärer Endpunkt war die Ansprechrate, die in der Kohorte von therapienaiven Patienten bei 90 % lag (27 von 30 Patienten); zwei von drei Patienten mit messbaren Hirnmetastasen sprachen auch intrakraniell an (67 %). Bei der mit Crizotinib alleine vorbehandelten Kohorte betrug die Ansprechrate 69 %, bei den mit anderen oder mehreren ALK-Inhibitoren behandelten Patienten zwischen 33 % und 39 %. Es gibt daher eine klare Indikation für Patienten mit ALK-positivem NSCLC, die gegenüber anderen Inhibitoren resistent oder refraktär sind, und es gibt auch ein vielversprechendes Signal für eine Erstlinien-Wirksamkeit, die in der globalen Phase-III-Studie CROWN überprüft wurde. Erste Ergebnisse dazu wurden kürzlich beim virtuellen ESMO-Kongress 2020 vorgestellt [56]:
296 Patienten mit NSCLC im Stadium IIIB oder IV und einer ALK-Translokation waren auf Lorlatinib (100 mg/d) oder Crizotinib (zweimal 250 mg/d) randomisiert worden. Primärer Endpunkt war das PFS, und hier war der Medianwert nach eineinhalb Jahren im Lorlatinib-Arm noch nicht erreicht, für Crizotinib lag er bei 9,3 Monaten. Das Risiko für Progression oder Tod war um beinahe drei Viertel reduziert (HR 0,28; p < 0,001), das Risiko für einen Progress im Gehirn um 93 % (HR 0,07). Auch beim Ansprechen war Lorlatinib mit 76 % (3 % Komplettremissionen) gegenüber 58 % im Crizotinib-Arm (keine Komplettremission) überlegen. Die mediane Dauer der Remissionen war unter Lorlatinib noch nicht erreicht, unter Crizotinib betrug sie elf Monate.
17 Patienten im Lorlatinib- und 13 im Crizotinib-Arm hatten zu Studienbeginn Hirnmetastasen aufgewiesen; mit Lorlatinib erreichten bezüglich dieser Meta-stasen zwölf Patienten (71 %) eine komplette und zwei eine partielle Remission (12 %), im Crizotinib-Arm waren es einer (8 %) bzw. zwei (15 %). Die intrazerebralen Remissionen dauern im Lorlatinib-Arm bisher maximal 31,4, im Crizotinib-Arm bis zu 11,1 Monate an. Mit diesen Ergebnissen dürfte eine Erweiterung der Zulassung auf die Erstlinie nur noch eine Frage der Zeit sein.
Cabozantinib
Der Multikinase-Inhibitor Cabozantinib – bisher für Nierenzell- und Schilddrüsenkarzinom zugelassen – hat in In-vitro-Experimenten Wirkung gegen ROS1-translozierte Zelllinien ebenso wie gegen eine Reihe von Resistenzmutanten gezeigt. Ein erster klinischer Test an einer gegen Crizotinib resistenten Patientin verlief sehr vielversprechend mit einer beinahe kompletten Remission [57], eine Phase-II-Studie bei solchen Patienten rekrutiert derzeit (ClinicalTrials.gov No. NCT01639508).
Entrectinib
Der TRK-Inhibitor Entrectinib, ursprünglich zur Behandlung von Tumoren mit Translokationen des neurotrophen Tyrosin-Rezeptor-Kinase-(NTRK-)Gens entwickelt, erwies sich auch als wirksam gegen ALK- und ROS1-positive Tumoren und erhielt deshalb eine Erstlinien-Zulassung zur Behandlung von Patienten mit ROS1-positivem, fortgeschrittenem NSCLC [58].
Sequenztherapie
Auf der Basis der verfügbaren Evidenz aus randomisierten Studien hat sich mittlerweile Alectinib aufgrund seiner Wirksamkeit (auch im ZNS) ebenso wie des Sicherheitsprofils als der meistgebrauchte Erstlinien-ALK-Inhibitor beim ALK-positiven NSCLC etabliert. Allerdings sind die Daten von Brigatinib vergleichbar, wenn auch mit etwa zwölf Monaten kürzerer Nachbeobachtungszeit noch nicht so reif, sodass der Anteil von Brigatinib an der Erstlinientherapie vermutlich noch ansteigen wird. Daneben spielen die Erfahrung des behandelnden Onkologen sowie Überlegungen zu Toxizität und Verträglichkeit eine wichtige Rolle. Die Entwicklung von Resistenzen, die bei allen Substanzen früher oder später unvermeidlich ist, macht die wiederholte molekulargenetische Analyse obligat. In einer multizentrischen Studie erwies sich kürzlich die Liquid Biopsy als für diesen Zweck genauso effektiv wie die Gewebebiopsie, die derzeit allerdings noch den Standard darstellt [59]. Sollte sie sich als nicht zielführend erweisen oder ist eine Gewebebiopsie kontraindiziert, so stellt die Bestimmung aus Plasma jetzt schon die Methode der Wahl dar.
Einen aktuellen Therapiealgorithmus für das ALK-positive NSCLC, der mit den Empfehlungen des National Comprehensive Cancer Network (NCCN; [60]) und der European Society of Medical Oncology (ESMO; [61]) übereinstimmt, zeigt Abb. 2.

Nach Progression unter einer Erstlinientherapie empfiehlt er die molekulare Resistenzanalyse, um die Folgetherapie an der konkreten Mutationssituation auszurichten. Versagt auch die Zweitlinientherapie, so kommt Lorlatinib ins Spiel, sofern es nicht schon vorher eingesetzt wurde. Zeigen Patienten unter Lorlatinib eine Progression, wird als nächste Therapielinie eine Chemotherapie mit oder ohne Immuntherapie oder der Einschluss in eine passende klinische Studie empfohlen. Klinische Studien sind definitiv erforderlich, um die Therapiesequenzen beim ALK-positiven NSCLC besser zu definieren.
Immer zu empfehlen ist die erneute molekulare Testung: Es wurden wiederholt Fälle beschrieben, in denen Zellklone auftreten, die wieder sensitiv gegen bereits früher angewendete ALK-Inhibitoren sind (z. B. [62]). Außerdem können sich bei Nachweis von nicht ALK-gebundenen Resistenzmechanismen entsprechende Therapieoptionen anbieten: So kann eine Überexpression von NRG1, dem Liganden der Rezeptoren HER3 und HER4, Anlass für eine kombinierte Gabe von ALK- und HER2-Inhibitoren oder eine MEK-Reaktivierung für eine Kombination aus ALK- und MEK-Inhibitor sein [26].
Die Zukunft beim ALK-positiven NSCLC
Dass die Entdeckung von Treibermutationen beim NSCLC und die Entwicklung spezifischer zielgerichteter Therapien die Behandlung dieser Patienten nicht nur in Studien, sondern auch in der täglichen Praxis verbessert hat, wurde aktuell durch eine Analyse aus dem US-amerikanischen SEER-Register (Surveillance, Epidemiology, and End Results) belegt [63]: Darin zeigte sich unter anderem, dass die Rate an Neuerkrankungen an diesem Tumor zwischen 2008 und 2016 um jährlich 3,1 % zurückgegangen ist, dass aber die Mortalität zwischen 2013 und 2016, also nach Einführung der ersten Tyrosinkinase-Inhibitoren doppelt so schnell, nämlich um 6,3 % pro Jahr gesunken ist. Das lässt sich für alle Ethnien und für beide Geschlechter nachweisen, während etwa für das kleinzellige Lungenkarzinom, für das in dem genannten Zeitraum keine neuen Therapien eingeführt wurden, die Mortalität lediglich parallel zur Inzidenz abnahm.
Die Forschung bezüglich ALK- und ROS1-Inhibitoren ist weiter in vollem Gange. Neben der Erstlinien-Anwendung von Lorlatinib, die jüngst mit den Ergebnissen der CROWN-Studie vorangetrieben wurde (s. o.), zeigen weitere Substanzen wie zum Beispiel Ensartinib Aktivität und gute Verträglichkeit [64, 65]. Ein wichtiger Zweig der Forschung wird in nächster Zeit die bessere Charakterisierung von On- und Off-target-Resistenzmechanismen sein. Ein besseres Verständnis der letzteren wird die Anwendung von Kombinationstherapien fördern, mit denen sich die Entwicklung von Resistenzen zurückdrängen lässt. Kaum erforscht ist noch die Kombination von ALK-Inhibitoren mit modernen Immuntherapien; einige wenige klinische Studien mussten hier wegen schleppender Rekrutierung oder übermäßiger Toxizität beendet werden. Laufende Studien, zu denen bisher noch keine Ergebnisse existieren, gibt es schließlich zur adjuvanten und neoadjuvanten Therapie mit ALK-Inhibitoren.