Senologie-Kongress 2021: Praxisrelevante Fragestellungen zum Mammakarzinom in der Diskussion
Die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) überzeugte mit guten Vorträgen zu klinisch relevanten Themen. Unter anderem ging es um die post-neoadjuvante Behandlung beim frühen HER2-negativen Mammakarzinom, das therapeutische Vorgehen beim Hormonrezeptor-positiven/HER2-negativen fortgeschrittenen Mammakarzinom nach endokrin-basierter Therapie mit einem CDK4/6-Inhibitor sowie um die Behandlung von Hirnmetastasen beim HER2-positiven Mammakarzinom. Ein intensiv diskutiertes Thema war zudem der Stellenwert der Ernährung als präventive Maßnahme.
Schlüsselwörter: Mammakarzinom, HER2, gBRCA-Testung, CDK4/6-Inhibition, Hirnmetastasen, Olaparib, Sacituzumab-Govitecan, DK4/6-Inhibitor, Alpelisib, Talazoparib, Trastuzumab Deruxtecan
Die Prognose von Patientinnen mit frühem Mammakarzinom variiert unter anderem in Abhängigkeit von dem zugrunde liegenden Subtyp. Wird jedoch unter neoadjuvanter Systemtherapie eine pathologische Komplettremission (pCR) erreicht, besteht auch bei aggressiver Tumorbiologie, zum Beispiel dem triple-negativen Mammakarzinom (TNBC), eine hohe Heilungschance von etwa 90 %. Erreichen TNBC-Patientinnen keine pCR, sinkt die Heilungsrate unter 60 % (Abb. 1) [1].

Abb. 1 Stratifizierung der post-neoadjuvanten Therapie beim TNBC anhand des pathologischen Ansprechens. Mod. nach [1].
Um das Rückfallrisiko zu reduzieren und die Prognose zu verbessern, müsse postoperativ die post-neoadjuvante Therapie eskaliert werden, erläuterte Dr. Katharina Smetanay, Heidelberg.
TNBC: bei non-pCR post-neoadjuvant eskalieren
Um die Prognose der Non-pCR-Patientinnen mit TNBC zu verbessern,empfahl Smetanay die post-neoadjuvante Behandlung mit Capecitabin, die in der CREATEx-Studie [2] nach fünf Jahren einen absoluten Vorteil beim Gesamtüberleben (OS) von über 8 % (5-Jahres-OS 78,8 % vs. 70,3 %) erreichte.
Frühzeitige gBRCA-Testung wichtig
Eine wichtige neue (post-neo)adjuvante Option für Hochrisiko-Patientinnen mit HER2-negativem Mammakarzinom, zu denen die Non-pCR-Patientinnen zählen, sei bei Nachweis einer BRCA-Keimbahnmutation (gBRCA-Mutation) der PARP-Inhibitor Olaparib, der derzeit allerdings für diese Indikation noch nicht zugelassen ist, so Smetanay. Die aktuellen Daten der randomisierten Phase-III-Studie OlympiA [3] seien jedoch so überzeugend, dass bei gBRCA-Mutationsnachweis ein Antrag auf Kostenübernahme gerechtfertigt sei. Die Datenlage müsse mit der Patientin besprochen werden. In der OlympiA-Studie hatten etwa 80 % der Patientinnen ein frühes TNBC. Smetanay empfahl, die Patientinnen bereits während der neoadjuvanten Therapie auf eine gBRCA-Mutation zu testen.
Studienteilnahme nutzen
Eine Alternative sieht Smetanay in der Studienteilnahme. Sie verwies auf die randomisierte Phase-III-Studie SASCIA der German Breast Group (GBG) (EudraCT-Nummer: 2019-004100) [4] und das in Heidelberg laufende COGNITION- bzw. COGNITION-GUIDE-Programm [5]. In der SASCIA-Studie werden Non-pCR-Patientinnen mit HER2-negativem Mammakarzinom mit dem Antikörper-Wirkstoffkonjugat Sacituzumab Govitecan bzw. im Kontrollarm mit einer Chemotherapie nach Wahl des Arztes (Capecitabin oder Platin) behandelt.
In der COGNITION-Studie erhalten Patientinnen mit frühem Mammakarzinom und hohem Rückfallrisiko eine risikoadaptierte post-neoadjuvante Therapie, basierend auf einer molekulargenetischen Untersuchung am Stanzbiopsat vor neo-adjuvanter Therapie. Erreicht die Patientin keine pCR, kann sie laut Smetanay ab dem 3. Quartal 2021 in das COGNITION-GUIDE-Programm eingeschlossen werden. Hier erhalte sie entsprechend der nachgewiesenen Mutation eine zielgerichtete Therapie [5].
HR+/HER2– fortgeschrittenes Mammakarzinom
Optionen nach CDK4/6-Inhibition
Die endokrin basierte Therapie mit einem CDK4/6-Inhibitor hat sich in Deutschland als Erstlinien-Standard für Patientinnen mit fortgeschrittenem Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem (HR+/HER2–) Mammakarzinom etabliert. Eine offene Frage ist, wie die optimale Therapiesequenz danach aussehen sollte. Eine endokrin basierte Therapie sollte beim fortgeschrittenen HR+/HER2– Mammakarzinom so lange wie möglich durchgeführt werden, betonte Prof. Nadia Harbeck, München. Nach Versagen der endokrin basierten Erstlinien-Therapie mit einem CDK4/6-Inhibitor sieht Harbeck in Everolimus und Alpelisib weitere wichtige Substanzen für eine endokrin basierte Kombinationstherapie. Keine ausreichende Evidenz liege dagegen für den Einsatz eines zweiten CDK4/6-Inhibitors plus endokrine Therapie im Sinne einer „Treatment Beyond Progression“ (TBP) vor.
Everolimus/Exemestan ist effektiv
Die Weiterbehandlung mit dem mTOR-Inhibitor Everolimus in Kombination mit Exemestan ist laut Harbeck eine wirksame Zweitlinientherapie nach Einsatz eines CDK4/6-Inhibitors. Die Wirksamkeitsvorteile aus der Zulassungsstudie BOLERO-2 [6] werden durch die vorherige Behandlung mit einem CDK4/6-Inhibitor nicht beeinträchtigt [7]. Die Kombination sei mit einem proaktiven Management sicher anzuwenden – zu achten sei auf „Rash“ und „Pneumonitis“.
Alpelisib/Fulvestrant bei PIK3CA-Mutation
Etwa 40 % der HR+/HER2– Mammakarzinome weisen laut Harbeck eine PIK3CA-Mutation auf. Für diese Patientinnen sei die Behandlung mit Alpelisib kombiniert mit Fulvestrant eine wirksame Folgetherapie nach CDK4/6-Inhibition, wie die Daten der US-amerikanischen BYLieve-Studie [8] zeigten. Wichtig sei auch hier ein proaktives Nebenwirkungsmanagement: Speziell die Hypoglykämie stehe im Fokus, weshalb es sinnvoll sei, proaktiv einen Diabetologen hinzuzuziehen.
Die Zulassung von Alpelisib/Fulvestrant beziehe sich auf die Patientinnen, deren Erkrankung nach endokriner Monotherapie progredient ist. Da die meisten Patientinnen mit fortgeschrittener bzw. metastasierter Erkrankung adjuvant eine endokrine Monotherapie hatten, sei der Einsatz nach CDK4/6-Inhibition gerechtfertigt. Dass der Hersteller Alpelisib in Deutschland vom Markt genommen habe, sei eine strategische Entscheidung. Die Zulassung besteht weiter und die Substanz ist international verfügbar.
PARP-Inhibition für gBRCA-mutierte Patientinnen
Spätestens wenn die Endokrin-basierten Optionen ausgeschöpft sind, sollte eine gBRCA-Testung erfolgen, um zu überprüfen, ob als Alternative zur Chemotherapie ein PARP-Inhibitor – Olaparib oder Talazoparib – indiziert ist, betonte Harbeck. Grundsätzlich sei bzw. bleibe auch die endokrine Monotherapie eine therapeutische Option. Bei ESR1-Mutation sei aber zu bedenken, dass ein Aromatasehemmer nicht mehr so gut wirke.
Hirnmetastasen eine zunehmende Herausforderung
Bis zu 50 % der Patientinnen mit HER2-positivem (HER2+) metastasiertem Mammakarzinom sterben an progredienten Hirnmetastasen, erläuterte Prof. Christian F. Singer, Wien. Geschuldet sei dies unter anderem dem Fortschritt bei der systemischen Behandlung des fortgeschrittenen HER2+ Mammakarzinoms und den damit einhergehenden längeren Überlebenszeiten, wodurch das Risiko für Hirnmetastasen steige.
Lokale Maßnahmen im Fokus
Bei einer solitären Hirnmetastase < 3 cm sind laut Singer die chirurgische Resektion bzw. die stereotaktische Radiochirurgie (SRS) die Therapie der Wahl. Das lokale Rezidivrisiko lasse sich durch eine postoperative Ganzhirnbestrahlung (WBRT) oder stereotaktische Bestrahlung senken, bringe aber keinen Überlebensvorteil. Die stereotaktische Bestrahlung sei wegen des deutlich niedrigeren Risikos für kognitive Defizite zu bevorzugen.
Bei mehreren Hirnmetastasen (< 4 cm) empfiehlt Singer primär die Radiotherapie – vorzugsweise SRS, ggf. in Kombination mit einer WBRT. Die Kombination beider Verfahren verbessere zwar die lokale Kontrolle, ohne dass jedoch ein Überlebensvorteil beschrieben sei. Die WBRT sei daher primär bei multiplen Hirnmetastasen, insbesondere bei leptomenigealen Metastasen und hohem intrakraniellem Gesamtvolumen, indiziert.
Bei lepto-menigealer Aussaat seien zudem die intrathekale Chemo- bzw. Anti-HER2-gerichtete Therapie Optionen, aber kein Standardvorgehen. Kleinere Fallserien würden auf ein gutes intrakranielles Ansprechen speziell unter intrathekaler Trastuzumab-Gabe hinweisen.
Bei progredienten Hirnmetastasen extrakraniell stabil
Bei Patientinnen mit progredienten Hirnmetastasen und stabiler extrakranieller Erkrankung sollte die systemische Therapie nicht geändert werden, betonte Singer. Sind intrakranielle Metastasen die einzige Metastasenlokalisation, bringe eine ergänzende Systemtherapie zusätzlich zur lokalen Intervention keinen prognostischen Vorteil. Wurde allerdings eine vorherige Anti-HER2-Therapie beendet, sollte diese wieder aufgenommen werden. Ist die intrakranielle Progression die dominierende Metastasenlokalisation und kommen lokale Maßnahmen nicht infrage, empfiehlt Singer, die systemische Therapie zu wechseln – vorzugsweise im Rahmen einer klinischen Studie. Die intrathekale Systemtherapie sei bei stabiler extrakranieller Metastasierung, normalem Fluss der Cerebrospinalflüssigkeit (CSF) und Hinweis auf maligne Zellen in der CSF eine Option.
Hirnmetastasen bei systemischem Progress
Eine primäre Indikation für eine Systemtherapie sieht Singer bei Patientinnen mit systemischem Progress und multiplen asymptomatischen oder oligosymptomatischen Hirnmetastasen. Nach Vorbehandlung mit Pertuzumab/Trastuzumab sowie Trastuzumab Emtansin sei die Systemtherapie mit Tucatinib plus Trastuzumab/Capecitabin eine zu bevorzugende neue Therapieoption. Eine weitere hoffnungsvolle Systemtherapie sieht er in Trastuzumab Deruxtecan. Das Antikörper-Wirkstoffkonjugat wird derzeit in der TUXEDO-1- Studie (EudraCT-Nummer: 2020-000981-41) bei Patientinnen mit metastasiertem HER2+ Mammakarzinom und neu dia-gnostizierten und/oder progredienten Hirnmetastasen validiert.
Mit Ernährung das Krebsrisiko senken
Die Ernährungstherapie müsse in die onkologischen Versorgungs- und Therapiekonzepte in Klinik und Praxis integriert werden, forderte Dr. Daniela Paepke, München. Es sei belegt, dass Patientinnen mit Mammakarzinom und hohem „Body Mass Index“ (BMI) eine deutlich ungünstigere Prognose als normalgewichtige Patientinnen haben. Eine Ernährungstherapie müsse genauso empfohlen werden wie die Durchführung einer medikamentösen Therapie und im Arztbrief sowie im Tumorboard-Beschluss dokumentiert werden.
Mit Ernährung das Sterberisiko um 50 % senken
Zahlreiche Studien belegten, dass ein normaler BMI und eine den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) entsprechende Ernährung von prognostischer Bedeutung sind, betonte Paepke. Chemo- und endokrine Therapie seien bei deutlich übergewichtigen Patientinnen weniger effektiv. In der deutschen ADEBAR-Studie [9] lag das Rezidivrisiko der Brustkrebs-Patientinnen mit einem BMI ≥ 30 signifikant höher als bei Patientinnen mit niedrigerem BMI (p = 0,0138; Abb. 2).

Abb. 2 Ab einem BMI ≥ 30 steigt das Rückfallrisiko deutlich an und verschlechtert die Prognose. Daten aus der deutschen ADEBAR-Studie. Mod. nach [9].
In einer dänischen Beobachtungsstudie (1977–2006) [10] bei fast 54.000 Patientinnen mit frühem Mammakarzinom lag das Metastasierungsrisiko der Patientinnen mit einem BMI ≥ 30 nach zehn Jahren um 46 % und die Mortalitätsrate nach 30 Jahren um 38 % höher als bei niedrigerem BMI.
In einer US-amerikanischen prospektiven Studie [11] reduzierte eine Leitlinien-gerechte Ernährung in Kombination mit etwa 30 Minuten Bewegung pro Tag die 10-Jahres-Mortalität um etwa 50 %. Eine 50%ige Mortalitätsreduktion sei mit keiner Chemotherapie zu erreichen, so Paepke.
Angebot an die Patienten
Der entscheidende, die Prognose beeinflussende Faktor sei die Energiedichte von Lebensmitteln, erläuterte Paepke. Diese errechne sich aus dem Kaloriengehalt pro 100 g geteilt durch 100. Die Energiedichte sollte einen Wert von 1,5 nicht überschreiten.
Eine interessante Option ist laut Paepke das Intervallfasten. Bei einem 24h-Tag gelte für Frauen, dass sie 10 Stunden essen dürfen, an die sich 14 Stunden mit Nahrungskarenz, zum Beispiel über Nacht, anschließen. Bei Männern liege das Verhältnis bei 8 : 16. In der Essenszeit werden zwei bis drei gesunde Mahlzeiten zu sich genommen. Zwischen den Mahlzeiten darf nichts gegessen werden. Laut Studiendaten [12] hatten Patient(inn)en, die > 13 Stunden nichts aßen, ein um 36 % niedrigeres Rezidivrisiko und ein um 21 % niedrigeres Sterberisiko.
Auch Alkoholkonsum und Nikotin erhöhe das Krebsrisiko. Keinesfalls sollte täglich Alkohol getrunken und auf Nikotin sollte ganz verzichtet werden.
Paepke wies darauf hin, dass es aufgrund einer Fehlernährung auch zu einem Mangel an Mikronährstoffen, zum Beispiel Vitamin D, Selen und/oder Vitamin B12, kommen kann. Diese Werte sollten routinemäßig bestimmt werden.
Birgit-Kristin Pohlmann