Interview mit Prof. Dr. med. Dipl. Theol. Matthias Volkenandt, München

„Bei der Kommunikation mit Patienten kommt die Emotion immer vor der Kognition“

Die Kommunikation mit Patienten und vor allem das Sprechen über Ängste, Hoffnungen und Enttäuschungen ist eine der wichtigsten und häufigsten Handlungen onkologisch tätiger Ärzte. Und ausgerechnet darin sind Mediziner meist nur wenig ausgebildet. Oft herrscht die Ansicht vor, im Gespräch mit Patienten sei allein fachliches Wissen gefordert, speziell wenn es um die Übermittlung einer Krebsdiagnose geht. Doch fachliche Informationen erreichen den Patienten kaum, wenn nicht zugleich seinen Emotionen Raum gegeben wird und diese gehört und erfragt werden, so Prof. Dr. med. Dipl. Theol. Matthias Volkenandt, München, im Gespräch mit Trillium Krebsmedizin.

Herr Prof. Volkenandt, was ist so kritisch an der Überbringung schlechter Nachrichten, etwa einer Krebsdiagnose?

Volkenandt: Im Laufe eines Berufslebens übermittelt ein Onkologe bis zu 20.000mal einem Patienten in einem Aufklärungsgespräch die Botschaft, dass er an Krebs erkrankt ist. Die Worte, die ein Arzt in dieser schwierigen Situation gegenüber dem Betroffenen wählt, vergessen die Patienten und ihre Angehörigen nie.
In dieser Extremsituation brennt sich jedes Wort in das Gedächtnis ein, ebenso die Stimme und der Tonfall, die Mimik und Körpersprache des Arztes. Das gesprochene Wort, das man in dieser Situation verwendet, kann nie mehr zurückgeholt werden. Wenn Sie einen Patienten selbst nach vielen Jahren fragen, ob er sich an die Übermittlung der Krebsdiagnose erinnert, kann er die Situation im Detail schildern, als wäre es gestern gewesen.

Was läuft in der Kommunikationsvorbereitung für die berufliche Praxis schief?

Volkenandt: Auf die Frage „Wie sage ich es meinem Patienten?" hat die Schulmedizin nicht immer eine wirkliche Antwort. Natürlich möchte ein Patient offene und ehrliche Worte über seinen Gesundheitszustand hören. Es ist jedoch ein menschliches Gebot, einem Patienten zunächst emotional zu begegnen, wenn ihm eine schwerwiegende Botschaft mitgeteilt wird. Sprache reduziert sich nicht auf reine Information, sondern zeichnet sich vor allem durch den emotionalen Gehalt für den betroffenen Menschen aus. Es ist gleich, wie sachlich und fachlich versiert die Information über einen Befund abläuft, dominierend ist stets zunächst die Emotionsverarbeitung. Es ist auch die emotionale Ebene, die Patienten langfristig in ihren Erinnerungen behalten, und die ihnen in der konkreten Situation der Übermittlung der Diagnose das Gefühl vermittelt, sich in den richtigen oder falschen Händen zu befinden.

Sind Ärzte auf diese kommunikativen Herausforderungen vorbereitet?

Volkenandt: Die Kommunikation mit Patienten gehört zum Wichtigsten in der Begleitung von Patienten, insbesondere wenn es sich um Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen handelt. Nichts tun wir in der ärztlichen und pflegerischen Praxis häufiger, als mit unseren Patienten zu sprechen, und in kaum etwas haben wir weniger Ausbildung. Denken wir besonders an die Situationen, in denen wir trotz aller medizinischer Kunst keine Lösung für ein lebensbedrohliches
Problem haben und diese Nachricht überbringen müssen.

Wenn wir ehrlich sind, wird ausgerechnet die Gesprächsführung in der ärztlichen Ausbildung nur unzureichend gelehrt. Es hat sich einiges geändert und verbessert in den vergangenen Jahren; dennoch ist es noch zu wenig. Auch sind nicht überall geeignete Dozenten für dieses Thema verfügbar.
Sicher ist jedoch, dass man Communication Skills und eine zielgerichtete und zugleich empathische Gesprächsführung lehren und lernen kann.
Gerade ältere Ärzte, die vor Jahren oder Jahrzehnten studierten, hatten in ihrem Studium noch keine systematischen Kurse oder Vorlesungen zum Thema der Kommunikation mit Patienten. Viele haben in den Jahren der Berufstätigkeit durch Erfahrung kommunikative Fertigkeiten erworben. Dennoch erleben sie oftmals Situationen, in denen sie sich eingestehen: „Da wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Wie gerne hätte ich Worte gehabt, die geholfen hätten.“ Dies kann man lernen.

Haben Sie den Eindruck, dass man sich Kommunikationsdefizite auch „schönreden“ kann?

Volkenandt: In der Tat gibt es eine Reihe von Glaubenssätzen und Irrtümern: Kommunikation kann jeder, das beherrscht ein Arzt einfach intuitiv. Oder: Die Kommunikationskompetenz nimmt automatisch durch den Erfahrungszuwachs im Laufe der ärztlichen Tätigkeit zu. Alles dies ist nicht richtig.

Ein weiterer Irrtum ist: Wir haben nicht genügend Zeit für Gespräche. Dies stimmt ebenfalls nicht. Gute Gespräche dauern nicht länger als schlechte. Gute Gespräche sind zudem zeiteffizient und äußerst effektiv. Die nachhaltigen Auswirkungen eines schlechten Gesprächs können zudem fatale Folgen auf die weitere Stimmungs- und Motivationslage des Patienten in der Zukunft haben. Einen Patienten erst einmal wieder aus der Resignation zu holen, kann sehr aufwendig sein.

Woran zeigt sich eine gelungene Arzt-Patienten-Kommunikation?

Volkenandt: Gelungene Kommunikation ist entscheidend für die Annahme und Bewältigung der Erkrankung, ebenso für Coping und Compliance. Ob ein Patient die verordnete Tablette tatsächlich einnimmt, entscheidet nicht die Fülle der fachlichen Argumente, sondern die Qualität der Kommunikation. Nicht unsere Argumente überzeugen, sondern wir mit unseren Argumenten! Eine emotionale Reaktion eines Patienten kann nicht mit einer allein fachlichen Antwort gelöst werden.

Genau dies passiert aber oft, übrigens auch im privaten Umfeld eines Betroffenen. Der Patient wird nicht selten von Angehörigen ebenso mit rationaler Argumentation zur Abkehr von seiner emotionalen Sicht gedrängt.
Falls jemand äußert: Ich habe Angst….kommt nicht selten schnell der Rat: Du brauchst keine Angst zu haben. Das sind klassische Dialoge, die dem Menschen nicht helfen. Es geht vielmehr darum, die Umstände dieser Angst beim Betroffenen zu verstehen.

Die fachliche Wirksamkeit einer ärztlichen Botschaft entscheidet sich auch über die emotionale Verarbeitung des Patienten. Es ist nicht nur entscheidend, welche Botschaft richtig ist, sondern auch, was diese Botschaft beim Empfänger in seinem Inneren bewirkt. Qualität in der Kommunikation entscheidet sich über das Erleben des Patienten. Hier entsteht das Gütesiegel, ob sich ein Patient gut oder schlecht behandelt fühlt.

Steht gelungene Kommunikation in Zusammenhang mit Therapieerfolg?

Volkenandt: Wenn wir ehrlich sind, können die meisten Patienten die fachliche Kompetenz des Arztes gar nicht wirklich einschätzen, sondern setzen diese voraus. Die kommunikativen Aspekte dagegen geraten über die persönliche Wahrnehmung und die ausgelösten Emotionen schnell in ein klares Bewertungsschema. Und diese Bewertung ist weitgehend unabhängig vom eigentlichen Behandlungserfolg.
So kann es geschehen, dass ein Patient auch nach einer erfolgreichen Therapie sagt: Das hat alles gewirkt, aber es war furchtbar, wie die mit mir geredet haben. Oder umgekehrt, bei guter Kommunikation und weniger erfolgreicher Therapie: Die Ärzte konnten zwar meine Krankheit nicht aufhalten, aber es war so gut und für mich so hilfreich, wie sie mich begleitet und mit mir gesprochen haben.
Auch ist gute Kommunikation im Konfliktfall extrem hilfreich, etwa bei Vorwürfen von Patienten und auch bei juristischen Auseinandersetzungen. Es werden ja nicht Ergebnisse verklagt, sondern Ärzte.
Wie mir ein hervorragender und überaus empathischer Chirurg sagte: Es ist doch seltsam, dass ich immer von den Patienten die liebevollsten Weihnachtsgrüße bekomme, bei denen post-operativ die größten Probleme auftraten und denen ich mich dann noch intensiver zugewandt habe.

Hat eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation auch Vorteile für Ärzte?

Volkenandt: Ja, das ist sicher der Fall. Auch die Lebensqualität von Ärzten und Pflegenden wird durch gelungene Kommunikation mit Patienten und Angehörigen – insbesondere in sehr schwierigen Gesprächssituationen – ganz entscheidend positiv beeinflusst. Gespräche haben einen enormen Einfluss darauf, ob unguter und belastender Stress entsteht. Nach einem schwierigen Gespräch sagt man sich ja oft: „Ich habe MICH so geärgert über den Patienten (oder auch Kollegen)“. Gelungene Kommunikation kann hier vorbeugen und ist im Grunde eine besonders gute Burn-out-Prophylaxe.
Ärzte und Pflegende, die kommunikativ geschult sind, berichten von einer großen Erleichterung, weil emotional belastende Gesprächssituationen mit den geübten Kommunikationstechniken für beide Seiten deutlich zufriedenstellender verlaufen.

 

Ich sehe übrigens auch eine vorschnelle und unmittelbare Delegation einer schwierigen Patientenkommunikation an Spezialisten, beispielsweise im Bereich der Psychoonkologie, kritisch. Sicher können Spezialisten in diesem Bereich überaus Wichtiges leisten und beitragen. Dennoch bleibt es ebenso wichtig, dass auch jeder Arzt und alle Pflegenden in täglichen Situationen gut und empathisch kommunizieren können.
In einer Klinik zeigte mir einmal ein Kollege den Überweisungsschein eines Patienten an den psychoonkologischen Dienst. Als Indikation stand auf dem Bogen: „Patient weint“. Dieses Beispiel zeigt: Die unmittelbare Delegation darf nicht die alleinige Lösung sein.

Ärzte und Pflegende können Techniken der Kommunikation in schwierigen Situation lernen und in Kursen einüben. Dies sollte gefordert werden und z. B. in zertifizierten onkologischen Zentren verpflichtend sein. Auf der anderen Seite sollte es aber auch praktikabel und zeitlich realisierbar sein. Mein Vorschlag wäre daher, mit einer minimalen verpflichtenden Anforderung zu beginnen, also nicht mit einem dreitägigen Kommunikationsseminar jedes Jahr, sondern z. B. mit einem dreistündigen Kurs alle drei Jahre.

Welches sind die Grundregeln der Kommunikation mit onkologischen Patienten?

Volkenandt: Grundprinzip guter Kommunikation ist, dass bei einer Äußerung des Patienten, bei der Emotionen beteiligt sind – Ängste, Sorgen oder Beschwerden – diese zunächst nicht beurteilt, nicht gelöst und nicht argumentativ beantwortet werden, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie berechtigt oder unberechtigt sind.
Dies geschieht durch die Technik des  aktiven Zuhörens: „Was meinen Sie damit? Bitte erzählen Sie mir mehr davon!" und der empathischen Antwort, also dem Zurückspiegeln und Wiederholen: z. B.: „Ja, es macht Ihnen Angst, wenn Sie jetzt zum ersten Mal diese Therapie bekommen." Dann wieder eine Frage: „Wovor haben Sie am meisten Angst?"
Dies klingt extrem einfach – und ist es im Grunde auch. Zugleich ist es jedoch überaus schwer und gelingt somit überaus selten. It is simple, but not easy. Und wenn wir es doch einmal erleben, auch in eigenen emotional belastenden Situationen, sind wir oft sehr überrascht und spüren sofort, wie gut es tut.
Auch im normalen Alltag gelingt empathische Kommunikation übrigens selten. Ein Beispiel: „Ich habe Angst vor Ihrem Hund." Die unmittelbare Antwort wird lauten: „Meiner beißt nicht, der will nur spielen!!!" – Ich glaube, noch niemals hat jemand gesagt: „Oh, hat er Sie belästigt? Was ist passiert? – Ich fürchte, das war für Sie sehr unangenehm."

Ähnliches kennen wir auch von positiven Emotionen: Ein Kollege erzählt beispielsweise: „Ich war im Urlaub in Spanien." Die Antwort ist in der Regel nicht: „Oh, wie war es? Was haben Sie erlebt?" Sondern die unmittelbare Antwort ist meist: „Da war ich auch schon mal – und da habe ich das erlebt und das erlebt und das erlebt." Das Thema lautet immer nur: Ich über mich.
Das mag im Alltag noch irgendwie akzeptabel sein, sozusagen der übliche Wahnsinn. In der Kommunikation mit einem Patienten, der Angst hat, tut es jedoch sehr weh – und ist im Übrigen auch sehr unprofessionell.


Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Volkenandt: Wenn zum Beispiel ein Patient sagt: „Ich habe solche Angst vor der Chemotherapie“, sollte die Antwort nicht lauten: „Da braucht man keine Angst zu haben, da gibt es etwas gegen die Übelkeit!" Sondern es folgt zunächst die Wiederholung: „Die Chemotherapie macht Ihnen große Angst."
Der Patient sagt jetzt nicht: „Das habe ich doch gerade gesagt, warum wiederholen Sie dies?" Sondern er denkt: Gott sei Dank, er hat es verstanden.
Dann folgt eine Frage: „Wovor haben Sie am meisten Angst?" Und der Patient antwortet oft: „Am meisten macht mir Angst, dass mir die Haare ausfallen."
Jetzt kommt das Schwierigste: In dieser Situation kommt nicht die Beurteilung, die Beschwichtigung, die Lösung: „Da gibt es eine Perücke, und die zahlt die Kasse!/Der Friseur kommt ins Haus, hier ist der Flyer!/Die Haare kommen wieder, schöner als vorher!", sondern nur das Wiederholen: „Ach, die größte Sorge ist für Sie, dass die Haare ausfallen!" Dann sagt der Patient: „JA."

Jetzt folgt wieder eine Frage: „Warum macht Ihnen der Haarausfall solche Sorgen?" Dann sagen viele Patienten: „Es macht mir solche Sorgen, weil dann ja meine kleinen Kinder wissen, wie krank ich bin."
Auch jetzt folgt nicht die „Lösung“:  „Dann rede ich einmal mit den Kindern/Es gibt da auch einen Kinderpsychologen," sondern wiederum nur die Wiederholung:
„Ach, das Schlimmste für Sie ist der Gedanke, wie die Kinder damit zurechtkommen." Und der Patient antwortet: „JA."
Dann wieder eine Frage: „Wie viele Kinder haben Sie? Wie alt sind sie?" und erneut das Zurückspiegeln.
Und erst dann, nach einigen Minuten des Fragens und Zurückspiegelns (ich nenne dies den empathischen Tanz: der Tanz zwischen Fragen und Zurückspiegeln), kann ein Ratschlag folgen – aber immer in der Form einer Frage:
„Würde es Ihnen helfen, wenn wir einmal über eine Perücke nachdenken? Manchen hilft das – könnte Ihnen das auch helfen?
Sollen wir einmal gemeinsam mit den Kindern reden – manchen hilft das – könnte Ihnen das auch helfen?"
Diese Trias aus Fragen, Zurückspiegeln und Ratschlag als Frage – sie tut extrem gut und ist extrem hilfreich. Und es ist so schade, dass sie uns so selten und so wenig gelingt – doch man kann es lernen.
Es gibt übrigens eine Situation, in der uns Kommunikation immer gelingt, nämlich wenn wir mit kleinen Kindern sprechen. Der Dreijährige hat sich am Finger geklemmt und schreit. Ich sehe sofort: Es ist nicht schlimm. Eigentlich bräuchte er sich gar nicht so aufzuregen. Ich sage aber nicht: „Ist nicht so schlimm, reg dich nicht auf!" Sondern ich sage sofort: „Wo genau? Zeig mal her!" Ich gehe übrigens auch sofort auf die Ebene des Kindes und hocke oder setze mich hin. Dann folgt das Zurückspiegeln, die empathische Antwort: „Oje, das tut DIR aber weh – das ist ganz schlimm für dich!"

ich überhaupt nicht zustimme, es sogar für Unsinn halte: Hier geht es nicht um Sympathie, sondern um Empathie. Erst dann, nach diesem Fragen und Zurückspiegeln, kommt der Ratschlag – in Form einer Frage: „Soll ich mal versuchen, zu pusten? Meinst du, ein kalter Umschlag könnte helfen?"

Haben Ärzte und Pflegende im klinischen Alltag denn überhaupt Zeit für ein empathisches Gespräch?  

Volkenandt: Es ist richtig: Reden dauert länger als gar nicht reden. Und es ist auch richtig, dass unsere Zeit eigentlich zu kurz ist. Aber das ist immer im Leben so, auch unser Gespräch ist eigentlich zu kurz, das ganze Leben ist zu kurz. Aber man kann mit sehr wenig Zeit sehr viel bewirken. Es geht vor allem um die Dichte, die Tiefe der Kommunikation und ob wir dem Patienten wirklich in seinen Emotionen begegnen. Für fachliche Erklärungen nehmen wir uns oft viel Zeit. Sie erreichen den Patienten jedoch nicht, wenn seine Emotionen nicht zunächst gehört, erfragt und zurückgespiegelt wurden. Auch führt gelungene Kommunikation zu größerer Zufriedenheit des Patienten und auch bei Ärzten und Pflegenden zu größerer beruflicher Zufriedenheit.

Herr Prof. Volkenandt, vielen Dank für das interessante und wichtige Gespräch.

Das Interview führte Dr. Claudia Schöllmann.