Serie "Vom Biomarker zur Therapie": FLT3

Die akute myeloische Leukämie (AML) wurde ursprünglich allein aufgrund der zellmorphologischen Charakteristika in ein gutes halbes Dutzend verschiedener Formen unterteilt. Die zunehmende Anwendung zytogenetischer Methoden hat zu einer weiteren Diversifizierung geführt, und Daten zur Molekulargenetik haben in den letzten zwei Jahrzehnten ein immer komplexeres Bild gezeichnet: Die AML ist demnach eine hochgradig heterogene Erkrankung mit einer Vielzahl von Subtypen, die vor allem durch zytogenetische oder andere molekulargenetische Veränderungen charakterisiert sind. Sehr häufig finden sich bei ein- und demselben Patienten mehrere Aberrationen gleichzeitig.Die meisten dieser Veränderungen haben bislang allenfalls prognostische Bedeutung, d. h. sie eignen sich vor allem zur Risikoeinschätzung. Einige besitzen jedoch prädiktiven Wert, weil es bereits zielgerichtete Medikamente gibt, die bei Vorliegen der betreffenden Mutation therapeutisch wirksam sind. Dazu zählen Mutationen im FLT3-Gen, die sich bei knapp einem Drittel der AML-Erkrankungen nachweisen lassen.Der Zelloberflächen-Rezeptor, für den das FLT3-Gen kodiert, beinhaltet eine Tyrosinkinase, die für die normale Funktionsweise der myeloischen Zelle wie auch für die Leukämogenese essentiell ist. Gegen diese Kinase wurde in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl von Inhibitoren entwickelt, von denen zwei bereits zur Therapie der AML zugelassen sind – je einer für die Erstlinientherapie bzw. für die Rezidiv-Situation. Bei Diagnose und Rezidiv einer AML ist daher die molekulargenetische Testung auf das Vorliegen von FLT3-Mutationen obligat, weil die Patienten bei einem positiven Resultat von der Anwendung dieser Medikamente profitieren können. An weiteren FLT3-Inhibitoren sowie an Kombinationen solcher Substanzen mit Chemotherapie bzw. mit anderen zielgerichteten Therapeutika wird intensiv gearbeitet.

Schlüsselwörter: FLT3, akute myeloische Leukämie, AML, FLT3-Inhibition, Gilteritinib, Midostaurin, Crenolanib, Sorafenib, Quizartinib

Eine der häufigsten genetischen Veränderungen bei der AML von Erwachsenen und Kindern sind neben Mutationen des NMP1-Gens solche im Gen für den FLT3-Rezeptor (Abb. 1; [1–5]), die schon seit mehr als 20 Jahren bekannt sind [6]: FLT3 steht für FMS-like tyrosine kinase 3 und bezeichnet einen Oberflächenrezeptor mit intrazellulärer Tyrosinkinase, der zusammen mit c-KIT, den PDGF-Rezeptoren α und β und dem CSF-1-Rezeptor zur Klasse III der Rezeptor-Tyrosinkinasen gehört.

Er kon­trolliert Überleben, Proliferation und Differenzierung hämatopoetischer Zellen; Mutationen verursachen eine Deregulation des fein ausbalancierten Gleichgewichts zwischen Differenzierung und Proliferation [7].
Solche Mutationen, die zur konstitutiven Aktivierung des Rezeptors führen, findet man bei rund 30 % der Patienten  mit AML. Am häufigsten sind In-frame-Insertionen (internal tandem duplications, ITD) innerhalb der auto-inhibitorischen membrannahen Portion des Rezeptormoleküls, die auch im Kontext zahlreicher anderer genetischer Aberrationen, z. B. von NPM1-Mutationen auftreten; seltener sind Punktmutationen in der Tyrosinkinase-Domäne (TKD; Abb. 2; [3, 4, 8]).

Die FLT3-ITD-Mutationen aktivieren die weiter downstream liegenden Signalübertragungswege und fördern dadurch die leukämische Entartung myeloischer Zellen [9, 10]. Bei hoher Allel-Last, d. h. bei einem Verhältnis von mutiertem zu Wildtyp-FLT3-Allel von über 0,50, ist das Rezidivrisiko erhöht und das Gesamtüberleben verkürzt [11–13]. Eine Expertengruppe des European LeukemiaNet hat daher in einer Aktualisierung der WHO-Klassifikation [14] Patienten mit niedriger Allel-Last (Ratio ≤ 0,50) und gleichzeitig vorliegender NPM1-Mutation in die Niedrigrisiko-Gruppe eingestuft [15].

FLT3-Inhibitoren: erste Generation

In den letzten 15 bis 20 Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, niedermolekulare Inhibitoren zu entwickeln, um diesen Signalweg zu hemmen (Tab. 1).

Die erste Generation solcher Inhibitoren, zu der Substanzen wie Midostaurin, Sorafenib und Lestaurtinib gehören, war relativ wenig selektiv, ihre Wirksamkeit beschränkt, und die Bindungscharakteristika an das Rezeptormolekül ungünstig.
In Monotherapie waren diese Sub-stanzen nicht wirksam, sodass man zunächst auf eine Kombination mit der klassischen AML-Chemotherapie setzte. Das war für Lestaurtinib auch nicht sehr erfolgreich [16], während der Multikinase-Inhibitor Sorafenib in der SORAML-Studie das ereignisfreie Überleben unabhängig vom Mutationsstatus des FLT3-Gens von median 9 auf 21 Monate mehr als verdoppeln und eine signifikante Verlängerung des rezidivfreien Überlebens erreichen konnte [17]. In der soeben publizierten randomisierten Phase-II-Studie SORMAIN konnte Sorafenib als Mono-Erhaltungstherapie bei Patienten mit FLT3-ITD-positiver AML, die nach allogener Stammzelltransplantation in kompletter Remission waren, das Rezidivrisiko nach zwei Jahren gegenüber Placebo um drei Viertel reduzieren [18]. Den stärksten Nutzen scheinen Patienten mit MRD-Negativität vor sowie diejenigen mit positivem MRD-Status nach Transplantation zu haben.
Zu einer Zulassung von Sorafenib ist es bisher dennoch nicht gekommen, im Gegensatz zu dem ebenfalls wenig selektiven Inhibitor Midostaurin, der in der großen Phase-III-Studie RATIFY in Kombination mit einer „7 + 3“-Induktions- und einer Konsolidierungstherapie sowie bei Patienten in kompletter Remission anschließend für ein weiteres Jahr als Erhaltungstherapie gegeben wurde [19].
Beim Ansprechen, v. a. bei den Komplettremissionen unterschieden sich Verum- und Kontrollarm nicht, aber beim ereignisfreien wie beim Gesamtüberleben reduzierte Midostaurin das Risiko jeweils um 22 % (Hazard Ratio 0,78; p = 0,002 bzw. p = 0,009). Es wird vermutet, dass die Ergebnisse ähnlich wie bei Sorafenib auch teilweise auf „Off-target“-Wirkungen des Inhibitors abseits des FLT3-Rezeptors beruhen. Basierend auf den RATIFY-Resultaten stellt Mido­staurin in der skizzierten Kombination mit einer klassischen Chemotherapie derzeit den Standard für Erwachsene mit neu dia­gnostizierter FLT3-mutierter AML dar.

Zweitgenerations-Inhibitoren in der Rezidiv-Situation

Nachdem die Erstgenerations-FLT3-Inhibitoren in Monotherapie nicht ausreichend wirksam zu sein schienen, wurden spezifischere Zweitgenerations-Substanzen entwickelt und in der rezidivierten oder refraktären Situation getestet (Tab. 1):
• Quizartinib zeigt von den bisher getesteten Inhibitoren die stärkste Selektivität für den Wildtyp wie für die ITD-Mutante von FLT3 und dadurch eine höhere Wirksamkeit als die Erstgenerations-Substanzen. In einer einarmigen Studie der Phase II führte eine Monotherapie mit Quizartinib bei etwa der Hälfte der Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML zu Komplettremissionen mit oder ohne vollständige hämatologische Rekonstitution, die allerdings median nur 9 bis 14 Wochen andauerten [20]. Resistenzen bei ITD-positiven Patienten waren durch sekundäre Mutationen in der Kinase-Domäne bedingt, entweder an der Gatekeeper-Aminosäure F691 oder an der Position D835 des Aktivierungs-Loops [21]. Aufgrund von klinisch signifikanten Verlängerungen des QT-Intervalls wurde die Dosierung in einer weiteren Phase-II-Studie reduziert, was aber auch mit niedrigeren Komplettremissionsraten und kürzerer Remissionsdauer einherging, offenbar bedingt durch die raschere Entwicklung von Resistenzen [22].
In der als Zulassungsstudie angelegten Phase-III-Studie QuANTUM-R konnte Quizartinib in einer mittleren Dosierung von 60 mg/d gegenüber einer Salvage-Chemotherapie das Gesamtüberleben signifikant verlängern (median 6,2 vs. 4,7 Monate; HR 0,76; p = 0,0177; [23]). Die Transplantationsrate wurde durch Quizartinib von 12 % auf 32 % beinahe verdreifacht (p < 0,0001). Obwohl die Food and Drug Administration der Substanz eine „Breakthrough Therapy Designation“ und ein prioritäres Prüfungsverfahren zugesprochen hatte, ist sie bisher weder in den USA noch in der EU zugelassen; die EMA monierte den geringen Überlebensvorteil, der die Risiken nicht aufwiege.
• Als Typ-II-Inhibitor von FLT3 ist Quizartinib bei einer Resistenzmutation an Position D835 im Aktivierungs-Loop der Tyrosinkinase nicht wirksam. Mit Gilteritinib liegt ein Typ-I-Inhibitor vor, der an die aktive Konformation der Kinase bindet und durch diese Mutation nicht beeinflusst wird bzw. auch bei Patienten mit FLT3-TKD-Mutation wirksam ist. [24]. In einer Phase-I/II-Studie erzielte er bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer, FLT3-mutierter AML 37 % Komplettremissionen mit oder ohne hämatologische Erholung; die Rate war allerdings bei Patienten mit Mutationen an Position D835 deutlich niedriger (17 %) als bei Vorliegen einer ITD-Mutation ohne (55 %) oder mit D835-Mutation (62 %; [25]).
Auch Gilteritinib wurde in einer Phase-III-Studie namens ADMIRAL in einer 2:1-Randomisierung in der rezidivierten/refraktären Situation gegen eine Standard-Salvagetherapie getestet [26]: Das Gesamtüberleben war mit median 9,3 gegenüber 5,6 Monaten deutlich und signifikant verlängert (HR 0,637; p = 0,0007), die 1-Jahres-Überlebensrate mit 37,1 % versus 16,7 % mehr als verdoppelt, ebenso die Rate an Komplettremissionen mit oder ohne hämatologische Erholung (34,0 % vs. 15,3 %; p = 0,0001). Das Ansprechen war unabhängig von der Art der Mutation. Aufgrund dieser Daten wurde Gilteritinib im November 2018 in den USA und im Oktober 2019 in der EU zugelassen, wo die Substanz nun den neuen Standard für die rezidivierte oder refraktäre, FLT3-mutierte AML darstellt.
• Für die gleiche Indikation wird derzeit ein weiterer Typ-I-Inhibitor, Crenolanib, entwickelt, der Komplettremissionsraten zwischen 30 % und 40 % bei Patienten mit und ohne Vorbehandlung mit einem FLT3-Inhibitor erzielt. Die Pharmakokinetik der Substanz erfordert eine dreimal tägliche Einnahme.

Sowohl gegen Gilteritinib als auch gegen Crenolanib können sich Resistenzen entwickeln, die relativ selten auf die Gatekeeper-Mutation F691L zurückgehen [27, 28], und deren Ursache auch zahlreiche andere bei der AML zu findende genetische Veränderungen sein können [27]. Darunter befinden sich auch aktivierende Mutationen in Genen des RAS/MAPK-Signalwegs [27, 28], sodass künftige therapeutische Strategien gegen diese Resistenzen insbesondere bei Typ-I-Inhibitoren von FLT3 sich auch auf die Hemmung dieses Signalwegs konzentrieren sollten.

Kombinationen wirksamer

Insgesamt legt das häufige Auftreten von Resistenzen nahe, dass FLT3-Inhibitoren künftig stärker in Kombinationen angewendet werden sollten. So zeigte Crenolanib in einer Phase-II-Studie, in der Erstlinie zusammen mit einer Induktions- und einer Konsolidierungs-Chemotherapie sowie im Anschluss als Erhaltungs-Monotherapie gegeben, eine ermutigende Überlebensrate von 81 % nach median 20,8 Monaten Nachbeobachtungsdauer [29]. In einer Phase-I-Studie wurde Gilteritinib ebenfalls in der Erstliniensituation in einem ähnlichen Protokoll in steigenden Dosierungen zusammen mit einer Chemotherapie gegeben [30]: Für eine Dosis von 120 mg/d betrug die Rate an Komplettremissionen mit oder ohne vollständige hämatologische Wiederherstellung 100 %, während Quizartinib es in einer ähnlichen Studie in einem Kollektiv von unselektierten Patienten auf 74 % brachte [31]. Auf Basis dieser Resultate laufen derzeit eine Reihe randomisierter Erstlinien-Studien: In QuANTUM-First [ClinicalTrials.gov No. NCT02668653] wird Quizartinib gegen Placebo, jeweils kombiniert mit Chemotherapie, getestet, während Crenolanib [ClinicalTrials.gov No. NCT03258931] bzw. Gilteritinib [HOVON-Studie 156 AML] in einem ähnlichen Setting mit Midostaurin verglichen werden. Daneben werden andere Kombinationen, etwa zusammen mit hypomethylierenden Medikamenten wie Azacitidin, verfolgt, v. a. bei Patienten, die sich für eine intensive Chemotherapie nicht eignen.

Postremissions-Therapie

Patienten, die in eine tiefe Remission ihrer AML kommen, unterziehen sich zu einem Großteil einer allogenen Stammzelltransplantation. Zwei kleine Studien lassen einen möglichen Nutzen einer Post-Remissions-Therapie mit Sorafenib (s. o.) und Midostaurin bei der Verhinderung von Rezidiven vermuten. Definitive Resultate werden von der internationalen Phase-III-Studie 1506 des Blood and Marrow Transplant Clinical Trials Network erwartet, in der Gilteritinib nach Transplantation mit Placebo verglichen wird; dabei wird auch mittels Next Generation Sequencing (NGS) die messbare Resterkrankung (MRD) bestimmt [32]. Der MRD-Status erweist sich bei zahlreichen hämatologischen Malignomen als immer bedeutsamer für die Therapiekontrolle – so auch bei der AML [33]. Speziell für Patienten mit FLT3-mutierter AML wurde in einer Registerstudie der AML-Studiengruppe (AMLSG) eine Methode entwickelt, die sich ebenfalls der NGS-Methodik sowie ausgefeilter bioinformatischer Algorithmen bedient [34]: Sie detektiert ITD-Mutationen mit 100-prozentiger Spezifität und mit einer Sensitivität von 6,7 x 10-5.

Autor
Prof. Dr. med. Christoph Röllig
Medizinische Klinik I
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden