Interview mit Prof. Dr. med. Nadia Harbeck, München

„Das ADAPT-Konzept kann vielen Frauen mit frühem HR+/HER2– Brustkrebs und intermediärem Risiko die Chemotherapie ersparen“

Auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) 2020 wurde u. a. die Frage diskutiert, ob bzw. welche Patientinnen mit einem frühen Hormonrezeptor-positiven/HER2-negativen (HR+/HER2–) Mammakarzinom und intermediärem Risikoprofil eine adjuvante Chemotherapie benötigen. Die deutsche WSG-ADAPT-Studie, die Frau Prof. Harbeck beim SABCS vorstellte, lieferte Antworten. Trillium Krebsmedizin sprach mit der Münchner Brustkrebs-expertin über diese und andere wegweisende Daten vom SABCS.

Schlüsselwörter: Brustkrebs, Mammakarzinom, SABCS, Trastuzumab Deruxtecan

Frau Prof. Harbeck, was bedeuten die Ergebnisse der ADAPT-Studie für den klinischen Alltag?

Harbeck: Die Ergebnisse ermöglichen es uns, zukünftig individueller zu entscheiden, welchen Patientinnen mit frühem HR+/HER2– Mammakarzinom und intermediärem Risikoprofil wir zukünftig eine adjuvante Chemotherapie ersparen können. Unsere Patientinnen hatten 0–3 befallene axilläre Lymphknoten und einen Recurrence-Score (RS) von 12–25, der für ein intermediäres Risiko steht. Der postoperative Ki-67- Abfall auf ≤ 10 % nach kurzer präoperativer endokriner Therapie erwies sich unabhängig vom Alter der Patientinnen als prädiktiv für eine hohe endokrine Sensitivität des Tumors. Diese Patientinnen hatten unter der alleinigen adjuvantenendokrinen Therapie keine schlechtere Prognose als jene mit einem RS < 12, sodass postoperativ bei diesen Patientinnen auf eine zusätzliche adjuvante Chemotherapie verzichtet werden kann (siehe auch: www.enrep.info). Lediglich bei Patientinnen mit RS 12–25 und bereits drei befallenen axillären Lymphknoten raten wir noch zur adjuvanten Chemotherapie. Hier zeigt eine allerdings explorative Subauswertung, dass diese Patientinnen trotz eines postoperativen Ki-67 ≤ 10 % eine ungünstigere Prognose haben. Als Wissenschaftlerin bin ich allerdings davon überzeugt, dass es aus dem beschriebenen Kollektiv der ADAPT-Studie auch Patientinnen mit mehr als zwei befallenen axillären Lymphknoten gibt, die keine zusätzliche adjuvante Chemotherapie benötigen. Darauf deuten unter anderem die Ergebnisse der Plan-B-Studie hin. Die vorgestellte explorative Analyse wurde gemacht, weil die multivariate Analyse den Lymphknotenbefall als multivariaten Faktor ausgewiesen hatte. Sie basiert aber auf einer kleinen Fallzahl.

Die US-amerikanische RxPonder-Studie ergab für prämenopausale Patientinnen mit frühem HR+/HER2– Mammakarzinom und intermediärem Risiko einen Vorteil durch die adjuvante Chemotherapie. Wie passt das zu den ADAPT-Daten?

Harbeck: In der RxPonder-Studie wurde – anders als in ADAPT – keine Vorauswahl hinsichtlich der endokrinen Sensitivität des Tumors getroffen. Das unterstreicht die klinische Bedeutung des ADAPT-Konzeptes mit der präoperativen endokrinen Sensitivitätstestung. In RxPonder befanden sich also auch Patientinnen mit einem nicht ausreichend endokrin sensitiven Karzinom, die vermutlich keinen adäquaten Vorteil von der endokrinen Therapie hatten und daher von der zusätzlichen adjuvanten Chemotherapie profitiert haben.  Das zeigt, dass wir Patientinnen mit intermediärem Risiko mit dem ADAPT-Konzept gut selektieren und einem Großteil dieser Frauen die Chemotherapie ersparen können.

Wie gut lässt sich das Vorgehen aus ADAPT in den klinischen Alltag integrieren?

Harbeck: Die Zeit bis zum Operationstermin lässt sich problemlos für die kurze präoperative endokrine Therapie nutzen. Danach werden die Patientinnen operiert.
Postoperativ haben wir dann alle not-wendigen Informationen für eine mög-lichst individuelle adjuvante Therapieentscheidung. Die Studienpatientinnen haben dieses Vorgehen gut angenommen und konnten nachvollziehen, wie wichtig es ist, Informationen zur endokrinen Sensitivität des individuellen Tumors zu generieren, die sich postoperativ nutzen lassen.

Wie valide ist die Ki-67-Messung?

Harbeck: Die Ki-67-Messung als solche ist technisch gut standardisiert. Immer wieder diskutiert werden die intermediären Cut-off-Werte. Bei der Bewertung der Cut-off-Werte für die Extrembereiche, die für eine gute bzw. sehr schlechte Prognose stehen, besteht dagegen Einigkeit. In ADAPT wurde nach einem niedrigen Ki-67-Wert von ≤ 10 % im Operationspräparat geschaut. Dieser Wert steht international für ein niedriges Proliferationsrisiko und der Pathologe kann ihn sicher erkennen.

Diskutiert wird der Einsatz von CDK4/6-Inhibitoren beim frühen HR+/HER2– Mammakarzinom In der monarchE-Studie erreichte der CDK4/6-Inhibitor Abemaciclib kombiniert mit einer adjuvanten endokrinen Therapie bei Hochrisiko-Patientinnen signifikante Wirksamkeitsvorteile. Welches Potential steckt in der zusätzlichen adjuvanten Gabe von Abemaciclib?

Harbeck: Die Ergebnisse sind sehr erfreulich. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass es sich um eine Protokoll-definierte Auswertung mit noch kurzem Follow-up von knapp 20 Monaten handelt. Die Ergebnisse stehen im Widerspruch zu adjuvanten Studien mit dem CDK4/6-Inhibitor Palbociclib, mit dem  der primäre Studienendpunkt jeweils nicht erreicht wurde. Die Frage ist also, ob sich die Daten  der monarchE-Studie mit längerem Follow-up bestätigen. Ist das der Fall, kann die adjuvante Kombinationstherapie mit Abemaciclib eine neue Option für Hochrisiko-Patientinnen sein. Derzeit ist die Kombination nicht zugelassen. Die Notwendigkeit für einen Antrag auf Off-label-Einsatz sehe ich derzeit nicht bzw. nur im Einzelfall, da noch kein Überlebensvorteil gezeigt wurde.

In der PENELOPE-B-Studie erhielten Frauen mit primärem HR+/HER2–Mammakarzinom ohne pathologische Komplettremission (pCR) nach neoadjuvanter Therapie postneoadjuvant zusätzlich zur endokrinen Therapie Palbociclib oder Placebo. Der primäre Studienendpunkt wurde nicht erreicht. Gibt es eine Erklärung?

Harbeck: Wir haben derzeit keine Erklärung dafür. Interessanterweise liefen die Kurven zum iDFS, dem primären Stu-dienendpunkt, zunächst auseinander und erreichten ein Delta von absolut gut 4 % nach zwei Jahren – ähnlich wie jetzt in der monarchE-Studie. Im weiteren Verlauf liefen die Kurven jedoch wieder zu-
sammen. Möglicherweise war die Therapiedauer mit einem Jahr zu kurz. In der monarchE-Studie wurden die Patientinnen beispielsweise zwei Jahre behandelt.  Wichtig ist auch, dass das Patientinnenkollektiv in der PENELOPE-B-Studie nicht identisch war mit dem Kollektiv aus der monarchE-Studie.

 

Die 10-Jahres-Daten der PRIME2-Studie zeigen bei Frauen ab 65 Jahren mit frühem HR+ Mammakarzinom, dass kein Nachteil beim Gesamtüberleben besteht, wenn auf eine adjuvante Ganzbrust-Bestrahlung verzichtet wird. Was bedeutet das?

Harbeck: Die Ergebnisse unterstreichen, dass sich auch in der Strahlentherapie die Individualisierung durchsetzt. Wir empfehlen unseren Patientinnen daher immer, sich auch beim Strahlentherapeuten vorzustellen. Grundsätzlich sind wir uns mit unseren Strahlentherapeuten einig, die Indikation zur Strahlentherapie eng zu stellen, wenn kein Überlebensvorteil belegt ist. Bezogen auf die PRIME2-Studie ist wichtig, dass es sich um ältere Patientinnen mit einem weniger aggressiven Mammakarzinom handelte, also kein Hochrisikokollektiv. Die Patientinnen hatten zudem eine adjuvante endokrine Therapie erhalten. Keinesfalls sollte auf die adjuvante Bestrahlung verzichtet werden, wenn die Patientin eine adjuvante endokrine Therapie nicht durchführen möchte. Darüber muss die Patientin aufgeklärt sein.

Die IBIS-II-DCIS-Studie zur primären invasiven Brustkrebs-Prävention mit Anastrozol vs. Tamoxifen bei postmenopausalen Patientinnen mit reseziertem HR+ duktalem Carcinoma in situ (DCIS) zeigt nach 12 Jahren keine signifikanten Unterschiede bei der Rezidivrate. Für welche Frauen mit DCIS ist eine adjuvante Brustkrebs-Prävention überhaupt sinnvoll und ggf. mit welcher Substanz?

Harbeck: Die Studienergebnisse beziehen sich auf Patientinnen mit hormon-empfindlichem DCIS, die brusterhaltend operiert wurden. Nach Mastektomie besteht keine Indikation für eine adjuvante endokrine Therapie. Doch auch bei den brusterhaltend operierten Patientinnen sind wir sehr re-striktiv, da es bislang keine Daten gibt, die einen Überlebensvorteil durch die adjuvante endokrine Therapie zeigen. Gleichzeitig induzieren beide Substanzen Nebenwirkungen, die nicht zu vernachlässigen sind. Da ein DCIS lokalthera-peutisch gut kurativ zu behandeln ist, empfehlen wir nach brusterhaltender Operation primär eine adjuvante Bestrahlung. Lehnt die Patientin die Bestrahlung ab, ist die adjuvante endokrine Therapie bei einem hormonempfindlichen DCIS eine Option, da nicht auf beide Modalitäten verzichtet werden sollte. Welche Substanz ggf. eingesetzt wird, entscheidet sich an möglichen Kontraindikationen.

Beim metastasierten PD-L1-positiven triple-negativen Mammakarzinom (TNBC) ist mit Atezolizumab/nab-Pac-litaxel schon eine Erstlinientherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor verfügbar. Die aktuelle Auswertung der KN-355-Studie bestätigt für den Erstlinieneinsatz von Pembrolizumab/Chemotherapie Wirksamkeitsvorteile in Kombination mit nab-Paclitaxel/Paclitaxel sowie Gemcitabin/Carboplatin. Wie bewerten Sie die Daten?

Harbeck: Die Erstlinienkombination mit Pembrolizumab ist derzeit in Europa beim metastasierten TNBC nicht zugelassen. Die Daten sind vielversprechend, auch wenn bislang nur ein Vorteil beim progressionsfreien Überleben und noch kein Überlebensvorteil gezeigt wurde. Pem-brolizumab erweitert nach derzeitigem Stand die Auswahl der Chemotherapie-Partner. Zudem wäre Pembrolizumab für Patientinnen mit einem negativen Immunzell-Score, aber positivem CPS (Combined-positive-Score) ≥ 10 eine alternative Erstlinienoption. Der Einsatz von Atezolizumab setzt ja eine PD-L1-Positivität auf Immunzellen voraus, während die PD-L1-Positivität bei Pembrolizumab anhand des CPS auf den Tumor- und Immunzellen ermittelt wird.

Aktuelle Daten der Phase-II-Studie ASCENT bestätigen beim vor-behandelten metastasierten TNBC den Überlebensvorteil des ersten Antikörper-Wirkstoff-Konjugats (ADC) Sacituzumab Govitecan vs. Chemotherapie unabhängig von Trop2-Expression und Keimbahn-BRCA1/2-Mutationsstatus. Was ist von dieser Substanz zu erwarten?  

Harbeck: Es ist beeindruckend, dass Patientinnen mit einem metastasiertenTNBC, die bereits mehrere Therapielinien hatten, unter Sacituzumab Govitecan noch einmal einen Überlebensvorteil gegenüber einer Chemotherapie erreichen konnten. Wir hoffen daher auf eine baldige Zulassung in Europa. Die jetzt vorgestellten Biomarkeranalysen bestätigen den Überlebensvorteil für ein breites Kollektiv, unabhängig von BRCA1/2-Mutationsstatus und Trop2-Expression. Allerdings weist das TNBC mehrheitlich eine moderate bis starke Trop2-Expression auf. Patientinnen mit höherer Trop2-Expression profitierten tendenziell noch etwas deutlicher von Sacituzumab Govitecan.

Beim HER2+ metastasierten Mammakarzinom ist das Anti-HER2-ADC Trastuzumab Deruxtecan eine neue therapeutische Perspektive – was das aktuelle Update der DESTINY-Breast01-Studie unterstreicht. Wo wird sich die Substanz positionieren?

Harbeck: Die mediane Nachbeobachtungszeit ist mit jetzt gut 20 Monaten fast doppelt so lang wie bei der letzten Auswertung. Erneut bestätigt sich die hohe und anhaltende Wirksamkeit bei bereits mehrfach vorbehandelten Patientinnen. Trastuzumab Deruxtecan ist eine viel-versprechende Perspektive für Patien-tinnen mit metastasiertem HER2-positivem Mammakarzinom – derzeit nach doppelter Antikörper-Blockade und nach Trastuzumab Emtansin. Wir sind auf einem guten Weg, metastasierten Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom die Chance auf ein Langzeitüberleben anbieten zu können. In der Studie DESTINY-Breast01 lag die klinische Krankheitskontrollrate nach 20 Monaten bei exzellenten 97 %.

Verschiedene Untersuchungen zeigen erneut den Stellenwert der Ernährung für Primärprävention und Brustkrebs-Nachsorge. Wie lassen sich die Daten umsetzen?

Harbeck: Wir dürfen nicht müde werden, die Bedeutung von Ernährung, aber auch von Sport und Bewegung mit unseren Patientinnen zu besprechen und sie dahingehend aufzuklären. Wir freuen uns, wenn dies unterstützend auch in den Frauenarzt- und Hausarztpraxen fokussiert und angesprochen wird. Gleichwohl muss klar sein, dass eine Ernährungs- und Lebensstiländerung nicht die onkologische Behandlung ersetzen kann, sondern ergänzend zu den notwendigen onkologischen Therapien zu sehen ist.

Das Interview führte Birgit-Kristin Pohlmann.