Innovatives Biobanking – Herausforderungen und Perspektiven

Funktionstüchtige Biobanken bilden die Basis für gezielte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der personalisierten Medizin. Der hochwertige Betrieb einer Biobank – und damit auch der Wert der daraus ermittelten Daten für klinische und präklinische Studien – hängt davon ab, dass die Qualität von Gewebe- oder Flüssigproben optimal ist, das biologische Material den entsprechenden klinischen Daten und Forschungsdaten sicher zugeordnet werden kann und die erhobenen Probendaten zuverlässig sind. Die Vorstellung, die mangelnde Qualität einer Biobankprobe lasse sich durch verbesserte Analysemethoden ausgleichen, gilt heute als obsolet. In diesem Beitrag werden innovative Perspektiven für zukünftige Biobankentwicklungen vorgestellt, etwa das Konzept eines Next Generation Biobanking, das in vielen universitären und industriellen Forschungsstandorten bereits umgesetzt ist.

Schlüsselwörter: Biobank, Gewebe, personalisierte Medizin, Kryokonservierung, Next Generation Biobanking

Der Begriff „Biobank“ beschreibt eine heterogene Gruppe von Sammlungen unterschiedlichster biologischer Materialien (reale Biobank) und/oder biomedizinischer Daten (virtuelle Biobank). Während in realen Biobanken biologische Materialien für klinisch-therapeutische, klinisch-diagnostische oder wissenschaftliche Zwecke gesammelt werden (Tab. 1), enthalten virtuelle Biobanken biologische bzw. krankheitsspezifische Daten und/oder biologisches Bildmaterial.

Tab. 1 Spektrum des biologischen Materials in einer realen Biobank

klinisch-therapeutisch klinisch-diagnostisch wissenschaftlich
Transplantatgewebe Gewebe, z. B. Tumorgewebe/ Normalgewebe (Frisch- oder FFPE-Gewebe) Gewebe, z. B. Tumorgewebe/ Normalgewebe (Frisch- oder FFPE-Gewebe)
Stammzellen/
Exosomen
Blut/Serum Blut/Serum, Urin
Ei- und Samenzellen   Liquor
    Erreger

 

Mit zunehmender Bedeutung der personalisierten Medizin in der Onkologie haben sich die Ansprüche an Biobanken deutlich erhöht. Da Therapieentscheidungen auf der Basis individueller, molekularer und oftmals sehr sensibler Tumorcharakteristika gefällt werden, muss der biologische Zustand des Gewebes von der Entnahme an möglichst physiologisch über die Zeit erhalten bleiben. Dafür ist eine zeitnahe, reproduzierbare und „hochreine“ Proben-Asservierung erforderlich, um Zielmoleküle wie Rezeptoren, Adhäsionsmoleküle, metabolische Enzyme, hormonähnliche Moleküle, aber auch RNA-Sequenzen bis hin zu kleinen funktionalen Molekülen wie z. B. mRNA-/miRNA bzw. siRNA-Sequenzen bestmöglich zu konservieren. Eine zukünftige Aufgabe einer Biobank besteht zudem darin, einen Ansatz zur prospektiven und sogar präventiven Diagnostik für Patient:innen mit individuellem Risiko zu ermöglichen, indem eine gesamtheitliche Betrachtung über die Zeit ermöglicht wird, im Kontext mit der retrospektiven Analytik von Bioproben und Daten. In diesem Sinne ist eine Biobank nicht nur eine Lagerverwaltung von Bioproben, sondern auch von biomedizinischen Verlaufsdaten.

Wichtig: Die Inbetriebnahme einer Biobank setzt stets voraus, dass ein positives Ethikkommissions-Votum vorliegt.

Strategien zur Verbesserung der Proben- und Datenqualität

Derzeit wird die Nutzung der Inhalte aus Biobanken oftmals durch die eingeschränkte biologische Qualität der Probe und die suboptimale Qualität der annotierten Daten limitiert – zwei Faktoren, die beide substantiell von der strukturellen Organisation einer Biobank abhängen. Im Folgenden wird dargestellt, wo die Probleme liegen und wie man ihnen begegnen kann.

Gewebegewinnung

Die Gewinnung von Gewebe umfasst die Organisationseinheiten des Entnahmezeitpunkts, das Entnahmeprozedere sowie die Aufnahme wichtiger klinischer Informationen. Allgemein bekannt und anerkannt ist die wichtige Bedeutung der sog. kalten Ischämiezeit, also der Zeitspanne von der Trennung der Gewebeprobe aus dem Organ bis zur Kryokonservierung. Die Bedeutung dieser Zeitspanne – gerade für den Erhalt von RNA – konnte in zahlreichen Untersuchungen belegt werden. Wichtige Enzyme und metabolische Prozesse werden allerdings bereits durch eine hypoxische Stoffwechsellage während der sog. warmen Ischämiezeit aktiviert – also der Zeitspanne, in der ein Organ oder Gewebeareal beim operativen Eingriff von der Blutversorgung abgeklemmt wird. Außerdem konnten systematische Untersuchungen zeigen, dass die präoperative Medikation und die Medikation während der Anästhesie von großer Bedeutung für die biologische Qualität entnommener Gewebeproben sind.

Schließlich kann das Entnahmeprozedere von entscheidender Bedeutung für die Qualität der Probe sein. Wenn Gewebeproben ohne Berücksichtigung der makropathologischen Befunde entnommen werden, besteht die Gefahr, dass nicht das gewünschte Zielgewebe erfasst wird oder, im Falle eines malignen Tumors, avitales, nekrotisches Tumorgewebe in die Biobank überführt wird. Bei fehlender morphologischer Qualitätskontrolle wird dann eine solche Probe nominell als Probennummer der entsprechenden Entität geführt und gezählt; wird diese dann in eine Studie eingebracht, kann es zu nicht kongruenten Ergebnissen der Proben der gleichen Gruppe/Entität oder sogar zu falschen Resultaten führen. In der Konsequenz muss es möglich sein, die Qualität einer Probe anhand verschiedener Parameter bereits bei der Suche nach einer passenden Probe mittels entsprechender Forschungsfragen im System abzufragen.

Individuelle Lagerung des Probenmaterials

Der entscheidende Parameter in diesem Bereich ist die Aufarbeitung des gesammelten Gewebes für die Lagerung in einer Biobank. So hängt die potentielle Nutzbarkeit einer Probe davon ab, ob sie als bereits konservierter Paraffinblock oder als gefrorenes „Frischmaterial“ vorliegt. In Paraffinmaterial, das diverse Fixierungs- und andere Aufarbeitungsschritte durchläuft, ist die RNA meist sehr schlecht erhalten, vor allem, wenn Formalin zur Fixierung verwendet wurde. Auch die Modifikation und Quervernetzung von Proteinen ist im Paraffinmaterial so stark, dass eine Analytik nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist.

Im Falle einer Kryoasservierung ist für die biologische Integrität der Proben entscheidend, ob sie bei –80 °C oder in der Gasphase von flüssigem Stickstoff bei ca. –136 °C gelagert werden und/oder ob im Vorfeld eine Zwischenlagerung bei –20 °C vorgenommen wurde. Elementar bedeutsam ist der eigentliche Einfriervorgang, der bei Geweben möglichst im Rahmen einer Schockgefrierung erfolgen sollte. So kann die Bildung von Eiskristallen verhindert werden, die die biologische Integrität der Zellen in der Gewebeprobe stören. Die Schockgefrierung erreicht man, indem das Gewebe im Probengefäß direkt in flüssigen Stickstoff gegeben wird. An vielen pathologischen Instituten kühlt man Isopropanol in Stickstoff vor und gibt die  Gewebeprobe direkt in den vorgekühlten Alkohol, was zu sofortigem Einfrieren führt. Auch bei Gefriermaterial ist für die Qualität der Proben von entscheidender Bedeutung, wie schnell die Gewebeproben in die Kryoasservierung überführt wurden.

Eiskristalle können sich aber nicht nur beim Einfrierprozess, sondern auch bei Temperaturschwankungen und Feuchtigkeitsbildung an den Probengefäßen bilden, gerade beim Ein-, Aus- und Umlagern von Probenmaterial. Um lange Suchprozesse und die damit verbundene Erwärmung weiterer Sammlungsfraktionen zu vermeiden, empfiehlt sich die Verwendung von bereits „vorgelabelten“ Gefäßen, bei denen die ID fest mit dem Gefäß verbunden ist. So können keine Etiketten verlorengehen und die Proben eindeutig den jeweiligen Patient:innen zugeordnet werden.

Ideal ist die Verwendung eines automatisierten Systems, das Einzelproben bei der Lagerung im temperierten Umfeld in und aus strukturierten Lagerformaten bewegen kann, ohne andere Proben bewegen zu müssen bzw. sie einer Änderung des Umgebungsmilieus auszusetzen. Ein modernes Biobank-Informations- und -Management-System (BIMS)umgeht auch die ungeordnete Lagerung der Proben, indem es die Positionenverwaltung der gelagerten Proben übernimmt. Solche automatisierten Systeme sind mittlerweile ebenfalls von –20 °C über –80 °C bis hin zu stickstoffbasierten Lösungen für die Lagerung in der Gasphase bei –136 °C verfügbar.

Verbindung der Proben mit weiteren Daten

Eine wesentliche Voraussetzung der Nutzung einer Biobankprobe in präklinischen oder klinischen Studien oder in der personalisierten Medizin ist die Verbindung der Probe mit weiteren relevanten medizinischen Daten, auch Forschungsdaten. Hierzu zählen neben der Diagnose das Alter und Geschlecht der Patient:innen sowie die prä- und intraoperative Medikation. Bei Tumorgewebe sind zudem das TNM-Stadium, das Grading des Tumors, das klinische Tumorstadium sowie Daten zu bereits durchgeführten Therapien zu dokumentieren.

Neben diesen krankheitsspezifischen Daten sind Informationen, die den Zustand der Probe näher charakterisieren, von großem Interesse, etwa die kalte Ischämiezeit, die Art der Lagerung sowie  – im Falle einer Gewebeprobe – ein histologisches Bild zur Dokumentation des eingelagerten Gewebes. Außerdem sollten Daten wie ggf. die Anzahl der Auftauzyklen sowie die Temperaturdokumentation und natürlich der Status der Einwilligung in die Forschung mit der Gewebeprobe dokumentiert sein. Die Einwilligung sollte möglichst allgemeinverständlich, standortunabhängig und bundesländerübergreifend gleichlautend sein und die Verwendung der Probe und ihrer annotierten Daten nicht auf eine bestimmte Studie beschränken. In Deutschland hat sich in diesem Kontext ein Konzept zur Realisierung eines sog. Broad Consent etabliert (https://www.medizininformatik-initiative.de/de/mustertext-zur-patienteneinwilligung).

Um Fehler bei der manuellen Dokumentation zu vermeiden, sollten die Daten sinnvollerweise direkt aus den vorhandenen Primärsystemen der klinischen Versorgung erhoben werden. Daher muss ein BIMS eine Großzahl von Schnittstellen anbieten können, um solche Daten qualitativ validiert in das System zu übernehmen. Zur Harmonisierung der Datenintegration und zur Vorbeugung von Datenverlusten und damit eines Qualitätsverlusts der Probe sollte eine Dokumentation mit möglichst wenig „Freitexten“ erfolgen. Stattdessen empfiehlt sich auch im Sinne der Interoperabilität einer Biodatenbank ein klarer Katalog mit kontrolliertem Vokabular oder die Nutzung eines ontologiebasierten Managementsystems wie z. B. SPREC, LOINC, SNOMEDCT zur reproduzierbaren Datenintegration und Standardisierung. Eine solche internationale Ontologie ist bundesweit (www.bbmri.de) und europaweit (www.bbmri-eric.eu) von großer Relevanz.

Next Generation Biobanking: Biobanken im Wandel

Aktuell befinden sich Biobanken und Institutionen mit professionellen Zellsammlungen im Wandel. Im dynamischen Prozess zeichnet sich ab, dass je nach Fragestellung unterschiedliche Anforderungen an die Qualität von Biobankproben bestehen.

So sind beispielsweise für einige Fragestellungen der Routinediagnostik in Paraffin eingebettete Proben ausreichend, etwa für die Hormonrezeptorbestimmung beim Mammakarzinom oder für verschiedene Mutationsanalysen maligner Tumoren.

Für aktuelle Forschungsbestrebungen der Biomarkerforschung erscheint es dagegen sinnvoll, in einer Gewebebank Material mit den höchsten Qualitätsmerkmalen zu sammeln und dieses für die präklinische und klinische Forschung vorzuhalten. Dabei müssen die folgenden hohen Kriterien erfüllt werden, die heute an eine Biobankprobe gestellt werden:

  • Das biologische Material einer Biobankprobe muss unter definierten, gut dokumentierten und reproduzierbaren Bedingungen gewonnen und gelagert werden.
  • Die Probe muss validiert und mit notwendigen klinischen oder biologischen Daten annotiert sein.
  • Die Probe muss innerhalb einer Sammlung sicher und eindeutig auffindbar sein und damit den sog. FAIR principles folgen (https://www.go-fair.org/).
  • Die Probe und die damit verbundenen Daten müssen eine „Findability, Accessibility, Interoperability, and Reuse of Digital Assets“ aufweisen, damit sie einen nachhaltigen Beitrag zur Community leisten.

Die gesteigerten Anforderungen an Probenqualität und Qualitätsmanagement, aber auch ein zunehmender Kostendruck steigern das Bedürfnis nach automatisierten Lösungen im Biobanking. Neben universitären Biobanken, die dies bereits realisieren, stellen sich inzwischen auch kleinere Institutionen mit Sammlungen von „nur“ Hunderten bis Zehntausenden Proben zunehmend den neuen Herausforderungen.

Vollautomatisierte Kryokonservierung

Innovative Neuentwicklungen verschiedener Gerätehersteller bieten eine vollautomatisierte Stickstofflagerung von Probenmaterialien unter einer Temperatur von –130 °C. Dieser Quantensprung der Automatisierung setzt neue Standards in der Kryoasservierung und verbessert die Probenqualität wesentlich. Die Geräte arbeiten auf Basis einer sog. Cherry-Picking-Technologie, bei der ein vollautomatisierter Roboterarm unter kontrollierter Luftfeuchtigkeit jede Position des automatisierten Kryotanks zuverlässig erreicht und die Kryotubes per 2D-Code individuell ein-, aus- und umlagert, ohne andere Proben zu bewegen oder sie Wärme auszusetzen. Das Fassungsvermögen eines solchen Geräts liegt je nach Größe der Probengefäße zwischen 8.500 und mehreren Hunderttausend Proben. Eine Kombination von mehreren unterschiedlich großen, automatisierten Tanks ermöglicht schon heute Sammlungen von mehreren Millionen Proben, wie sie z. B. in der NaKo-Gesundheitsstudie genutzt werden (https://nako.de/).

Die Gerätesteuerung und die Probenverwaltung erfolgen über eine Schnittstelle zur Biobank-Software, die die Suche nach dem aktuellen Inventar auf Knopfdruck übernimmt und verfügbar macht. Über Eingabe oder Schnittstellen kann die Software außerdem Zusatzinformationen zu jeder Probe importieren – unter Einhaltung des Datenschutzes. Darüber hinaus bieten diese vollautomatisierten Systeme maximalen Arbeitsschutz, da bei Einlagerungs- und Suchprozessen keine manuellen Tätigkeiten vollzogen werden müssen. Gemeinsam mit innovativen Datenmanagementsystemen zur Verknüpfung modular aufgebauter Biobanken können die hohen Qualitätsanforderungen erfüllt werden, die die Wissenschaft heute an moderne Biobankdaten stellt.

Summary

Functional biobanks form the basis for targeted research and development activities in personalized medicine. The high-quality operation of a biobank - and thus also the value of the data obtained from it for clinical and preclinical studies - depends on the quality of tissue or liquid samples being optimal, the biological material being able to be reliably assigned to the corresponding clinical data and research data and the collected sample data are reliable. The idea that the poor quality of a biobank sample can be compensated for by improved analysis methods is now considered obsolete. This article presents innovative perspectives for future biobank developments, such as the concept of Next Generation Biobanking, which has already been implemented in many university and industrial research locations.
Keywords: biobank, tissue, personalized medicine, cryopreservation, next generation biobanking 
 

Autoren
PD Dr. rer. nat. Christian Stephan
Kairos GmbH an IQVIA Business
Prof. Dr. rer. nat. Matthias U. Kassack
Pharmazeutische Biochemie
Institut für Pharmazeutische & Medizinische Chemie
Universität Düsseldorf
Dr. rer. nat. Arnold M. Raem
arrows biomedical Deutschland GmbH
Fachlabor für Molekularpathologie, Hämatopathologie & Tumorgenetik im Centrum für Nanotechnologie der Westfälischen Wilhelms-Universität