Beim Mammakarzinom rückt die individualisierte Medizin immer stärker in den Fokus
Auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) wurden sowohl beim frühen als auch beim fortgeschrittenen Mammakarzinom die aktuellen klinischen Standards untermauert. Darüber hinaus zeigte sich ein klarer Paradigmenwechsel: Die Notwendigkeit einer personalisierten Medizin rückt immer stärker in den Blickpunkt. Trillium Krebsmedizin sprach mit Prof. Andreas Schneeweiss, Heidelberg, über die aktuelle Datenlage und die Perspektiven einer individualisierten, personalisierten Behandlung.
Schlüsselwörter: Mammakarzinom, individualisierte Medizin, triple-negativem Mammakarzinom, TNBC, HR+/HER2–, CDK4/6-Inhibitor, Pembrolizumab, Olaparib, Abemaciclib, Trastuzumab Deruxtecan, Datopotamab Deruxtecan, Tucatinib, Elacestrant, Immuntherapie, Aromatasehemmer
Herr Prof. Schneeweiss, was waren für Sie beim SABCS die wichtigsten klinischen Daten zur Behandlung des frühen Mammakarzinoms?

Prof. Dr. med. Andreas Schneeweiss ist Sektionsleiter Gynäkologische Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, am Universitätsklinikum und am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg.
Schneeweiss: Mit Blick auf den derzeitigen klinischen Alltag standen die weiteren Auswertungen großer klinischer Studien im Fokus. Dazu gehören beispielsweise die aktuellen Sensitivitäts- und Subgruppenanalysen der neoadjuvanten Phase-III-Studie KEYNOTE(KN)522 bei Patientinnen mit frühem triple-negativem Mammakarzinom (TNBC) und erhöhtem Rezidivrisiko. Pembrolizumab war zusätzlich zur neoadjuvanten Chemotherapie eingesetzt und postoperativ als adjuvante Monotherapie fortgeführt worden. Die präspezifizierten Analysen bestätigen, dass der neoadjuvante und adjuvante Einsatz von Pembrolizumab das ereignisfreie Überleben (EFS) besagter Patientinnen verbessert. Der Effekt zeigte sich unabhängig vom axillären Lymphknoten-befall sowohl im Stadium II als auch im Stadium III. Damit unterstreichen die Daten die Effektivität von Pembrolizumab für Patientinnen mit frühem TNBC ab einer Tumorgröße von über 2 cm oder mit Lymphknotenbefall.
Für Patientinnen ohne patholo-gische Komplettremission (pCR) sind der post-neoadjuvante Einsatz von Capecitabin und bei Nachweis einer BRCA1/2-Keimbahnmutation (gBRCA1/2) der Einsatz von Olaparib wirksame Alternativen zur post-neoadjuvanten Gabe von Pembrolizumab. Was empfehlen Sie?
Schneeweiss: Die meisten Experten empfehlen in Anlehnung an die KN522-Studie, Pembrolizumab post-neoadjuvant fortzuführen. In Heidelberg bevorzugen wir bei Nachweis einer gBRCA1/2-Mutation Pembrolizumab mit Olaparib zu kombinieren, da präklinische Daten auf einen überadditiven Effekt zwischen Checkpoint-Inhibition und Olaparib hinweisen. Es ist aber auch denkbar, bei gBRCA1/2-Mutation Pembrolizumab abzusetzen und auf Olaparib zu wechseln. Wichtig ist, dass beide Substanzen derzeit in Deutschland nicht für diese Indikation zugelassen sind, weshalb ein Kostenübernahmeantrag notwendig ist.
Auch bei Non-pCR-Patientinnen mit BRCA1/2-Wildtyp sind aus meiner Sicht der Wechsel auf Capecitabin bzw. die Kombination beider Substanzen Optionen. In Heidelberg wollen wir den Effekt von Capecitabin nicht missen, da sich die Patientinnen in einer potentiell kurativen Situation befinden. Im Fall des Rezidivs verschlechtert sich ihre Prognose dramatisch; deshalb favorisieren wir post-neoadjuvant die Kombination Pembrolizumab/Capecitabin. Aus der metastasierten Situation gibt es Toxizitätsdaten, die diese Kombination rechtfertigen.
Prämenopausale Patientinnen mit HR+/HER2– frühem Mammakarzinom, 1–3 befallenen axillären Lymphknoten und einem Recurrence Score ≤ 25 profitieren laut einer Post-hoc-Analyse der Studie RxPonder auch dann von einer Chemotherapie, wenn nur mikrometastatisch befallene axilläre Lymphknoten (pN1mi) vorliegen. Ist der Nachweis von Mikrometastasen in der Axilla nun Basis für die Therapieentscheidung?
Schneeweiss: Das ist ein erstaunliches Ergebnis, denn der klinische Verlauf bei Patientinnen mit nur Mikrometastasen in der Axilla ist vergleichbar mit dem von Patientinnen ohne Lymphknotenbefall. Ich würde die Chemotherapie-Indikation bei dieser Subgruppe von weiteren Kriterien abhängig machen, etwa ob ein G3-Tumor oder ein hoher Proliferationsindex, zum Beispiel Ki67 ≥ 40 %, vorliegen. In diesen Fällen würde ich einer prämenopausalen Patientin mit nur Mikrometastasen, die den Kriterien der RxPonder-Studie entspricht, eine Chemotherapie anbieten. Lehnt sie eine Chemotherapie ab, würde ich die zusätzliche ovarielle Funktionssuppression (OFS) diskutieren, denn wir können einen primär endokrinen Effekt der Chemotherapie nicht ausschließen. Zudem unterstreicht die RxPonder-Studie, dass Patientinnen, deren Ovarialfunktion durch die Chemotherapie anhaltend – über mindestens 24 Monate – unterdrückt war, eine günstigere Prognose haben.
Bisher gibt es nur für adjuvant verabreichtes Abemaciclib einen Vorteil beim HR+/HER2– primären Mammakarzinom mit erhöhtem Risiko. Sehen Sie auf der Basis aktueller SABCS-Daten noch eine Chance für Palbociclib und Ribociclib im adjuvanten Setting?
Schneeweiss: Es ist davon auszugehen, dass Palbociclib und Ribociclib keinen Stellenwert beim primären HR+/HER2– Mammakarzinom haben werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass dies am Therapieschema liegt. Abemaciclib wird kontinuierlich gegeben, während bei Palbo- und auch Ribociclib nach drei Wochen Therapie eine einwöchige Therapiepause folgt. In der Primärsituation ist das möglicherweise ein Nachteil, da es darum geht, mikrometastatische Tumorzellnester zu zerstören. Mikrometastasen befinden sich oftmals in einer „Schläferphase“; deshalb könnte eine Therapiepause kontraproduktiv sein. Wir warten noch die NATALEE-Studie ab, in der Ribociclib adjuvant über drei Jahre gegeben wird. Dann wird sich zeigen, ob sich die Situation durch eine längere adjuvante Therapiedauer noch einmal verändert.
Aktuelle SABCS-Daten stärken den Stellenwert der adjuvanten ovariellen Funktionssuppression (OFS) bei prämenopausalen Frauen mit HR+/HER2– frühem Mammakarzinom und erhöhtem Risiko bzw. Chemotherapie-Indikation. Unklar bleibt, ob die OFS mit Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer kombiniert werden sollte. Was empfehlen Sie?
Schneeweiss: Die zusätzliche OFS sollte nur bei Patientinnen mit erhöhtem Rückfallrisiko eingesetzt werden, die zusätzlich eine Chemotherapie erhalten haben und unter der Chemotherapie entweder prämenopausal geblieben sind oder innerhalb von zwei Jahren wieder prämenopausal waren. Die Frage des Kombinationspartners muss individuell entschieden werden. Der Aromatasehemmer war in den ersten vier Jahren mit Blick auf das Rezidiv-freie Überleben effektiver als Tamoxifen, allerdings nur bei Patientinnen mit bis zu drei befallenen Lymphknoten. Ich favorisiere daher bei diesen Patientinnen den Aromatasehemmer und/oder wenn die Patientin einen solchen wünscht. Das erhöhte Frakturrisiko lässt sich medikamentös mit Bisphosphonaten bzw. Denosumab reduzieren. Bei inakzeptablen Nebenwirkungen kann auf Ta-moxifen/OFS gewechselt werden.
Laut der gepoolten MONALEESSA-Stu-diendaten zum HR+/HER2– Mammakarzinom haben Frauen mit einem „basal-like" Tumor keinen substantiellen Vorteil von der endokrin-basierten Kombinationstherapie mit einem CDK4/6-Inhibitor. Was bedeutet das für den klinischen Alltag?
Schneeweiss: Auf den klinischen Alltag haben diese retrospektiven Daten derzeit keine Auswirkungen; aber die Analyse zeigt, dass die Bestimmung des intrinsischen Subtyps anhand der Hormonrezeptor(HR)- und HER2-Expression oder anhand von Proliferationsmarkern nicht ausreicht. Es ist notwendig, prädiktive molekulare Marker zu identifizieren, die sich bei der Therapiewahl nutzen lassen.
Trastuzumab Deruxtecan (T-DXd) ist beim HER2+ metastasierten Mammakarzinom auch bei stabilen Hirnmetastasen wirksam. Ist T-DXd nun der neue Zweitlinien-Standard, und wie grenzt sich T-DXd gegenüber Tucatinib ab?
Schneeweiss: Etwa 20 % der Patientinnen hatten bei Studieneinschluss stabile Hirnmetastasen und profitierten genauso deutlich von T-DXd wie das Gesamtkollektiv. Die intrakranielle Ansprechrate lag im T-DXd-Arm doppelt so hoch wie unter T-DM1. Aus meiner Sicht ist T-DXd der neue Zweitlinien-Standard beim fortgeschrittenen und metastasierten HER2-positiven Mammakarzinom. T-DXd wurde allerdings nicht wie Tucatinib bei progredienten Hirnmetastasen validiert. Wahrscheinlich wirkt T-DXd ebenfalls bei progredienten Hirnmetastasen, aber für Tucatinib besteht hier eine höhere Evidenz. Bei Patientinnen mit Hirnmetastasen, die progredient und lokal nicht mehr behandelbar sind, würde ich daher Tucatinib in Kombination mit Capecitabin/Trastuzumab favorisieren, aber T-DXd wäre in dieser Situation auch eine Option.
Mit Elacestrant wird ein oraler SERD beim CDK4/6-Inhibitor-vorbehandelten HR+/HER2–Mammakarzinom geprüft. Was kann diese Substanz?
Schneeweiss: Elacestrant scheint der bessere SERD (selektiver Östrogenrezeptor-Degradierer) zu sein und wird nach Zulassung das Fulvestrant ablösen. Anders als Fulvestrant kann Elacestrant optimal dosiert werden und hat den weiteren Vorteil der oralen Einnahme. Die Studie EMERALD verdeutlicht aber, dass wir bei diesen zum Teil intensiv – inklusive eines CDK4/6-Inhibitors – vorbehandelten Patientinnen nicht mit einer endokrinen Monotherapie weiterkommen. Auch im Elacestrant-Arm waren etwa 40 % der Patientinnen primär progredient. Wir benötigen Kombinationstherapien.
Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) Datopotamab Deruxtecan wird beim metastasierten TNBC geprüft. In der Phase-I-Studie TROPION-Pan Tumor01 sprach ein Drittel der stark vorbehandelten Patientinnen an. Wie vielversprechend ist diese Substanz?
Schneeweiss: Das sind erste vielversprechende Ergebnisse. Im Median hatten die Patientinnen drei Vortherapien für die fortgeschrittene Erkrankung – unter anderem auch mit Checkpoint- und PARP-Inhibitoren; etwa 30 % der Patientinnen hatten bereits ein ADC erhalten. Neben der vergleichsweise hohen Ansprechrate zeigen diese Daten, dass wir ADCs genauso gut sequentiell einsetzen können wie Zytostatika. Damit eröffnet die Technologie der ADCs neue therapeutische Möglichkeiten bei gleichzeitig besserer Verträglichkeit für unsere Patientinnen.
Die molekulare Charakterisierung des Mammakarzinoms war ein großes Thema beim SABCS. Welche Perspektiven eröffnen die Daten?
Schneeweiss: Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend, aber noch nicht reif für den klinischen Alltag. Die SAFIR02-Breast-Studie zeigt als erste randomisierte Studie beim metastasierten Mammakarzinom, dass eine zielgerichtete Therapie bei Nachweis bestimmter molekularer Alterationen mittels Next Generation Sequencing (NGS) das progressionsfreie Überleben der Patientinnen verlängert, wenn die zielgerichtete Therapie die ESCAT-Kriterien I oder II erfüllt.
Bei der PADA1-Studie ging es beim HR+/HER2– Mammakarzinom darum, im Blut zirkulierende Tumor-DNA nachzuweisen, eine sogenannte ctDNA-Analyse, und auf das Auftreten einer ESR1-Mutation zu reagieren, die eine Resistenz ankündigt, bevor diese klinisch relevant wird. Durch frühzeitigen Therapiewechsel auf Fulvestrant, das diese Resistenz überwinden kann, wurde das progressionsfreie Überleben signifikant verlängert. Allerdings stehen die Daten zum Gesamtüberleben noch aus. Die Ergebnisse zeigen jeweils, wie wichtig es ist, die Heterogenität des Mammakarzinoms auf molekularer Ebene sichtbar zu machen. Um die Behandlung für unsere Patientinnen zu individualisieren und ihre Prognose zu verbessern, müssen wir die präzisionsonkologischen Therapieansätze weiterentwickeln.
Beim frühen Mammakarzinom sind die Studienergebnisse weniger erfolgreich. Wie ist das erklärbar?
Schneeweiss: Spannende Ansätze verfolgten die Studien cTRAK-TN- und BRE12-158 – jeweils im neoadjuvanten Setting bei Frauen mit frühem TNBC, die keine pCR erzielt hatten. Ziel war es, molekulare Alterationen mittels NGS zu erkennen, die post-neoadjuvante Therapie darauf abzustimmen und mit einem Standard-Vorgehen zu vergleichen. In der cTRAK-TN-Studie waren die eingesetzten Testmethoden für die ctDNA-Analyse wahrscheinlich nicht sensitiv genug; deshalb wurden bei über 70 % der Patientinnen mit positivem ctDNA-Nachweis im Blut bereits Metastasen in der Bildgebung nachgewiesen. Deshalb konnte die Mehrzahl nicht mehr randomisiert werden, um zu sehen, ob eine frühzeitige Intervention die Prognose verbessert. In Deutschland wird zu dieser Frage die Studie SURVIVE starten.
In der BRE12-158-Studie wurden die Patientinnen ohne pCR randomisiert und post-neoadjuvant mit Capecitabin versus eine zielgerichtete Therapie entsprechend den molekularen Alterationen behandelt, die im Resttumorgewebe detektiert wurden. Die zielgerichtete Therapie verbesserte die Prognose gegenüber Capecitabin nicht. Möglicherweise muss die Therapiestrategie überdacht und die zielgerichtete Therapie als „Add-on" eingesetzt werden. Diesen Ansatz verfolgen wir in Heidelberg mit der COGNITION-Guide-Studie, die im ersten Quartal 2022 startet.
Herr Prof. Schneeweiss, vielen Dank.
Das Interview führte Birgit-Kristin Pohlmann.