Klassifizierung von Plattenepithelkarzinomen mittels DNA-Methylierungsanalyse und maschinellem Lernen
Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen haben ein erhöhtes Risiko, sowohl Lungenmetastasen als auch Zweitkarzinome der Lunge zu entwickeln. Da sich diese Tumortypen histologisch oft sehr ähnlich sind, ist eine genaue Diagnosestellung meist nicht möglich. Die Therapie eines metastasierten Kopf-Hals-Karzinoms unterscheidet sich jedoch fundamental von der Behandlung eines Lungenkarzinoms im Frühstadium. Mithilfe der DNA-Methylierungsanalyse, kombiniert mit maschinellem Lernen, ist es nun möglich, dieses diagnostische Problem mit einer Genauigkeit von bis zu 99 % zu lösen. Die Methode wird derzeit am Institut für Pathologie der Charité in die experimentelle klinische Diagnostik eingeführt und kann einen wichtigen Beitrag zur korrekten Therapiestratifizierung der betroffenen Patientinnen und Patienten leisten.
Schlüsselwörter: Kopf-Hals-Karzinom, Lungenkarzinom, DNA-Methylierungsanalyse, Maschinelles Lernen, Neuronale Netze, Molekulare Diagnostik
Allein in Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 18.000 Menschen an einem Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich [1]. Die Prognose der betroffenen Patientinnen und Patienten hängt in erster Linie davon ab, ob im Krankheitsverlauf eine Fernmetastasierung auftritt. Darüber hinaus besteht in dieser Patientengruppe jedoch auch ein erhöhtes Risiko für Zweitkarzinome, insbesondere für Plattenepithelkarzinome der Lunge. Diese können zeitgleich oder im Verlauf auftreten und sind in erster Linie auf gemeinsame Risikofaktoren wie Tabakkonsum zurückzuführen [2]. Falls jedoch bei Patientinnen oder Patienten mit einem bekannten Plattenepithelkarzinom des Kopf-Halses ein weiteres Plattenepithelkarzinom in der Lunge auftritt, kann häufig keine eindeutige histologische Diagnose gestellt werden. So ist es in den meisten Fällen unmöglich, eine pulmonale Metastase des Kopf-Hals-Karzinoms von einem unabhängig entstandenen Zweitkarzinom, also einem primären Lungenkarzinom, zu unterscheiden.
Metastase und Zweittumor bisher kaum unterscheidbar
In einer retrospektiven Untersuchung von 408 Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen und synchronen oder metachronen Lungentumoren konnten so lediglich 64 Tumoren (15,7 %) anhand der histologischen und radiologischen Befunde im Rahmen der interdisziplinären Tumorkonferenz als Metastase oder Zweittumor eingeordnet werden [3]. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Plattenepithelkarzinome aus verschiedenen Ursprungsorganen in der histomorphologischen Untersuchung meist keine charakteristischen Unterschiede zeigen und sich auch mittels Immun-histochemie nicht voneinander abgrenzen lassen [4]. Zwar existieren bereits verschiedene auf RNA- oder Protein-profilen basierende Ansätze zur Klassifikation dieser Tumoren, jedoch sind diese mit einer Genauigkeit von deutlich unter 90 % in der Praxis nur eingeschränkt anwendbar [5, 6].
Für betroffene Patientinnen und Patienten ist eine genaue Diagnosestellung jedoch von immenser Bedeutung. Während sich ein lokal begrenztes, primäres Lungenkarzinom potentiell mittels Operation heilen lässt, liegt bei einem metastasierten Kopf-Hals-Karzinom ein fortgeschrittenes Tumorstadium vor. Dieses geht mit einer sehr schlechten Prognose einher und bedarf einer aggressiven Behandlung, etwa einer Chemotherapie und/oder Immuntherapie.
Die DNA-Methylierungsanalyse stellt eine neuartige Methode dar, um Tumoren zu klassifizieren. DNA-Methylierungen sind chemische, epigenetische Modifikationen der Erbinformation, bei denen die Aktivität der Gene durch Anheftung von Methylgruppen beeinflusst werden kann [7]. Aus früheren Studien ist bekannt, dass die DNA-Methylierungssignatur einer Krebszelle noch zahlreiche Informationen über das jeweilige Ursprungsgewebe enthält [8]. Über Methoden des maschinellen Lernens lassen sich diese hochdimensionalen Informationen zur Vorhersage des Ursprungsgewebes nutzen. Diese Technik zeigte kürzlich bereits großes Potential bei der Klassifikation von Tumoren des zentralen Nervensystems [9].
Methylierungsanalyse plus maschinelles Lernen
In einer aktuellen Arbeit konnten wir nun zeigen, dass die Analyse der DNA-Methylierungen kombiniert mit maschinellem Lernen auch genutzt werden kann, um pulmonale Metastasen eines Kopf-Hals-Karzinoms von einem Zweitkarzinom der Lunge mit sehr hoher Genauigkeit zu unterscheiden [3]. Abb. 1 zeigt eine Übersicht der Methode.

Hierfür wurden zunächst die genomweiten DNA-Methylierungsprofile einer großen Referenzkohorte von primären Kopf-Hals- und Lungentumoren analysiert. Anschließend wurden mit tiefen neuronalen Netzen, Support Vector Machines und Random Forests verschiedene Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens auf diesen Daten trainiert. So konnten Signaturen innerhalb dieser Karzinome erkannt werden, die spezifisch für das jeweilige Ursprungsgewebe sind.
Die besten Klassifikationsergebnisse konnten mit einem tiefen neuronalen Netz erzielt werden. In einer unabhängigen zweiten Kohorte konnten wir zeigen, dass dieser Algorithmus in der Lage ist, ein Kopf-Hals-Karzinom von einem Lungenkarzinom mit einer Genauigkeit von 96,4 % zu unterscheiden. Durch die Einführung eines Cut-offs konnten wir die Treffsicherheit sogar auf 99 % erhöhen und weiterhin gut 92 % der Fälle erfolgreich klassifizieren. In einer dritten, klinischen Kohorte konnten wir diese Ergebnisse bestätigen und zusätzlich zeigen, dass sich erwartungsgemäß ein signifikanter Unterschied im krebsspezifischen Überleben zwischen Patientinnen und Patienten mit einem metastasierten Kopf-Hals-Karzinom und einem primären Lungenkarzinom zeigt (p = 0,0016).
Integration in den Klinikalltag
Wir erproben derzeit am Institut für Pathologie der Charité die Einführung der Methode in die experimentelle klinische Diagnostik. Die Analyse ist an Formalin-fixiertem und in Paraffin eingebettetem (FFPE) Patientenmaterial möglich und benötigt in der Regel etwa eine Woche. Der große Vorteil der Methode ist, dass nur der Tumor in der Lunge untersucht werden muss, ein direkter Vergleich mit dem Kopf-Hals-Karzinom ist nicht notwendig. Zudem ist die Methylierungsanalyse mit einem Preis von etwa 300 EUR vergleichsweise günstig. Die Ergebnisse werden den behandelnden klinischen Kolleginnen und Kollegen in einem PDF-Befundbericht mitgeteilt, der neben Informationen über die Konfidenz der Klassifikation auch ein grobes genomweites Kopienzahlprofil enthält, das zusätzliche Informa-tionen über chromosomale Veränderungen des Tumors liefern kann (Abb. 2).

Zusammenfassend stellt der von uns entwickelte Algorithmus eine innovative Methode dar, die es erstmals auf Basis einer DNA-Methylierungsanalyse ermöglicht, ein metastasiertes Kopf-Hals-Karzinom von einem primären Plattenepithelkarzinom der Lunge zu unterscheiden. In zukünftigen Studien wollen wir die Bedeutung und die klinische Anwendbarkeit unserer Methode prospektiv validieren und den Klassifikator auf weitere Plattenepithelkarzinome aus verschiedenenOrganen ausweiten.
Wir erhoffen uns, dass diese Methode die Diagnostik von Plattenepithelkarzinomen zukünftig deutlich zuverlässiger machen wird und somit einen bedeutenden Beitrag zur bestmöglichen Therapiewahl leisten kann.