Aus der Literatur: Klinik

Risikofaktoren für schwere Verläufe von COVID-19 bei Krebspatienten

Tumorpatienten und Corona

Eine COVID-19-Erkrankung nimmt bei Tumorpatienten häufiger einen schweren Verlauf als in der Allgemeinbevölkerung. Das legen aktuelle Studiendaten nahe. Zunehmend werden die Faktoren verstanden, die mit einem erhöhten Risiko für schwere Verläufe assoziiert sind.
Beim virtuellen ASCO 2020 wurde ein Update einer Untersuchung des internationalen Konsortiums TERAVOLT (Thoracic Cancers International COVID-19 Collaboration) zu Patienten mit thorakalen Tumoren vorgestellt, die neben ihrer Krebserkrankung auch an COVID-19 erkrankt waren [1]. Patienten mit thorakalen Tumoren gelten nach Angaben des Konsortiums aufgrund ihres höheren Alters, der meist bestehenden Komorbiditäten und der schon vorhandenen Lungenschäden als Hochrisiko-Patienten.
Eine erste Analyse von 200 Patienten mit einem medianen Follow-up von 15 Tagen hatte das Konsortium bereits im April 2020 präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt waren hauptsächlich Patienten aus Europa (98 %) in die Analyse eingeschlossen. In das beim ASCO vorgestellte Update nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 33 Tagen, das Dr. Leora Horn, Nashville, TN, USA, stellvertretend für das Konsortium vorstellte, gingen auch die Daten von Patienten aus den USA, Südamerika, Asien, Afrika und Australien ein. Der Großteil der Patienten hatte ein nicht kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC), meist im Stadium IV. Zum Zeitpunkt der Analyse waren 141 Patienten verstorben, 169 genesen und 118 Patienten noch unter Therapie. Bei den verstorbenen Patienten war in 79,4 % der Fälle COVID-19 und in 10,6 % die Krebserkrankung Todesursache. 8,5 % der Patienten verstarben als Folge von beidem. Als Risikofaktoren, die mit der Mortalität in Verbindung gebracht wurden, identifizierten die Wissenschaftler ein Alter von ≥ 65 Jahren, Komorbiditäten, ein ECOG-Performance-Status ≥ 1, eine Therapie mit Steroiden (> 10 mg), eine vorherige Antikoagulation sowie eine Chemotherapie. Dagegen hatten Immuntherapien oder Behandlungen mit Tyrosinkinase-Inhibitoren keinen relevanten Einfluss auf die Mortalität.
In eine ähnliche Richtung weisen die Daten zweier Kohortenstudien aus China, wenngleich die Bedeutung von zielgerichteten und Immuntherapien teilweise anders beurteilt wurde [2, 3]. In die retro-spektive, multizentrische Studie von Prof. Kunyu Yang und Kollegen von der Huazhong University in Wuhan wurden 205 SARS-CoV-2-infizierte Krebspatienten in einem medianen Alter von 63 Jahren einbezogen, die an Tumoren vor allem der Brust, des Darmes oder der Lunge litten [2]. In 11 % der Fälle lagen hämatologische Malignome vor. Das mediane Follow-up betrug 68 Tage.
Insgesamt entwickelte sich in jedem vierten Fall eine schwere Pneumonie, 15 % der Patienten wurden intensivmedizinisch behandelt. Jeder fünfte Teilnehmer starb noch während des Klinikaufenthalts. Damit lag die Rate der SARS-CoV-2-Fälle mit tödlichem Verlauf bei den Krebspatienten deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung Wuhans (8 %), wobei allerdings altersabhängige Aspekte zu beachten sind. Als Risikofaktoren für  schwere COVID-19-Verläufe erwiesen sich in dieser Untersuchung eine Chemotherapie im Zeitraum von 4 Wochen vor der Infektion – in diesem Fall war das Risiko, während des Klinikaufenthalts zu versterben, um den Faktor 3,3 bzw. 3,5 erhöht – sowie männliches Geschlecht. Patienten mit hämatologischen Malignomen hatten zudem eine schlechtere Pro-gnose als Patienten mit soliden Tumoren.

Die zweite, multizentrische Kohortenstudie verglich stationär behandelte Patienten mit und ohne Krebserkrankung in einem medianen Alter von 64 Jahren [3]. Bei den 232 Krebspatienten war das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe gegenüber 519 nach Alter, Geschlecht und Komorbiditäten vergleichbaren Patienten ohne Krebs um den Faktor 3,6 erhöht.
Als Risikofaktoren für schwere COVID-19-Verläufe wurden neben höherem Alter, erhöhten Il-6-, Procalcitonin- und D-Dimer-Werten ein fortgeschrittenes Tumorstadium, erhöhtes TNF-α, erhöhtes NT-proBNP, eine verminderte CD4+-T-Zellzahl und ein reduzierter Albumin-Globulin-Quotient identifiziert.
Auch die Art der Krebstherapie war prognostisch relevant: In einer Multivariaten-Analyse, die Tumorart und -stadium, Komorbiditäten, Alter und Geschlecht berücksichtigte, war das Risiko schwerer COVID-19-Verläufe nach Chemo- oder Radiotherapie leicht erhöht (Odds Ratio 1,28), nach zielgerichter Therapie allerdings um den Faktor 3,3.
Auf Basis aller bisher vorliegender Daten kristallisiert sich heraus, dass eine Chemotherapie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen negativen prognostischen Faktor für schwere COVID-19-Verläufe bei Krebspatienten darstellt. Die Rolle zielgerichteter Therapien oder Immuntherapien muss weiter evaluiert werden.

Claudia Schöllman