Interview mit PD Dr. Michael Knipper, Gießen

„Ethnisch-kulturelle Vielfalt muss in unseren Kliniken und Praxen mehr Raum haben“

Es gibt Themen, die waren noch vor wenigen Monaten in aller Munde, werden aber durch die allgegenwärtigen Diskussionen rund um Corona in den Hintergrund gedrängt. Dazu gehört das Thema der Migration, das neben dem gesellschaftlichen auch einen bedeutenden medizinischen Kontext hat und – gerade in der Onkologie – unseren Blick auf die soziokulturellen Aspekte von Krankheit geschärft hat. Die Frage, wie die bestmögliche Versorgung aller onkologischen Patienten unabhängig von ihrer Biografie gelingen kann, stellt sich tagtäglich in Klinik und Praxis und wird auch in Nach-Corona-Zeiten relevant sein. Trillium Krebsmedizin sprach mit PD Dr. Michael Knipper vom Institut für Geschichte der Medizin der Universität Gießen über gelungene kultursensible Kommunikation und eine im besten Sinne personalisierte Medizin, die allen zugutekommt – "Deutschen" ebenso wie Menschen „fremder Kulturen“.

Schlüsselwörter: Migration, Onkologie, soziokulturelle Aspekte, personalisierte Medizin

Herr Dr. Knipper, bevor wir über die kultursensible Versorgung onkologischer Patienten sprechen, sollten wir zunächst klären, was mit Begriffen wie Migrant oder Migrationshintergrund eigentlich gemeint ist.  


Knipper: Das Verwenden von  Begrifflichkeiten zur Migration bzw. zu „den Migranten“ ist tatsächlich eines der Hauptprobleme, mit denen wir kämpfen. Manche  Menschen treffen hier Annahmen und glauben, dass sie mit bestimmten Kategorien pauschal Aussagen über andere treffen können. Aber ein Mensch ist viel mehr als seine – vermeintliche – Herkunft! Die Zuschreibung eines  Migrationshintergrundes wird aus gutem Grund von vielen inzwischen als stigmatisierend empfunden, zumal damit meistens das Trennende betont und den Betroffenen suggeriert wird, dass sie von einer "Norm" abweichen.
 Viele Menschen vergessen dabei im Übrigen, dass sie durch geschichtliche Entwick-
lungen oft selbst Migrationserfahrungen in ihrer Familie haben, die man ihnen nur nicht ansieht und die in Sprache oder Namensgebung nicht erkennbar sind. Das betrifft übrigens auch mich selbst.
Aber weil mein Migrationshintergrund nicht nach außen sichtbar ist, bleibe ich von vorschnellen Kategorisierungen und Zuschreibungen in Bezug auf mein Verhalten oder meine Mentalität verschont.
Das Bild von Migration in unserer Gesellschaft wird momentan durch die Fluchtmigration der letzten Jahre geprägt. Doch das war nicht immer so. In den 15 Jahren, die ich dieses Thema nun verfolge, standen häufig andere Fragestellungen im Vordergrund: Von den (verspäteten) Integrationsbemühungen für ehemalige „Gastarbeiter“ aus den 1960er- bis 70er-Jahren und ihre Kinder bzw. Enkelkinder, über Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion bis hin zu hoch- oder auch niedrig qualifizierten Arbeitsmigrant(inn)en, die je nach Aufenthaltsstatus bessere oder prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen vorfinden. Es wird gerne übersehen, aber Migration ist kein Sonderfall, sondern der Normalzustand unserer Gesellschaft. Sie ist sehr dynamisch und historisch älter als das, was heute Deutschland ist.
Allerdings: Im Kontext der jüngsten Mi-grationsdynamiken haben wir es seit etwa zwei Dekaden mit einer wachsenden Zahl von Herkunftsländern und somit stärkerer Vielfalt an Kulturen und Sprachen zu tun.

Was bedeutet das für die Medizin?

Knipper: Ein Migrationshintergrund kann medizinisch von Bedeutung sein, muss es aber nicht. So können etwa soziokulturelle, epidemiologische und ökonomische Zusammenhänge aus dem Herkunftsland oder der Zeit des Migrationsprozesses wichtig sein – ebenso wie Vorerfahrungen mit Medizin, Krankenhäusern, Ärzten oder auch Erwartungen an das deutsche Gesundheitssystem. Wenn also Anhaltspunkte für einen Migrationshintergrund bestehen, dann ist es auch sinnvoll, auf eine geeignete Weise danach zu fragen. Dann ist die Frage nach der Herkunft auch nicht stigmatisierend. Grundsätzlich sollte es in der Medizin darum gehen, durch Empathie und Zuhören einen differenzierten Eindruck zu erhalten und dem individuellen Menschen mehr Bedeutung zu geben; und dabei ist das Wissen über eine Migrationsbiografie natürlich wichtig.

Wie sieht denn eine persönlich zugewandte Versorgung onkologischer Patienten vor dem Hintergrund ethnisch-kultureller Vielfalt aus?

Knipper: Mir geht es bei dem Thema allgemein darum, dass wir uns auf personalisierte Medizin fokussieren, diese aber nicht rein molekularbiologisch verstehen. 

Auch wenn die naturwissenschaftlichen Aspekte faszinierend sind und großes Potential haben, muss man doch festhalten, dass der Mensch aus mehr besteht als aus seinem Genom.
Ich finde es schade, dass wir den Begriff der personalisierten Medizin häufig auf die molekularbiologischen Aspekte reduzieren; der soziokulturellen und bio-
grafischen Dimension schenken wir leider nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Gerade bei Fragen zu Kultur, Sprache und subjektiver Wahrnehmung  von Krankheit
gehen wir leider oft ziemlich undifferenziert vor.

Welche Gefahr sehen Sie, wenn man versucht, allgemeine Vorstellungen über „Migranten“ oder „fremde Kulturen“ auf den medizinischen Bereich zu übertragen?

Knipper: Das ist immer problematisch und führt zwangsläufig zu Missverständnissen, weil vordefinierte Denkmuster und Klischees eine individuelle Sichtweisen verhindern. Wenn man nur an die  fremde Kultur des Patienten denkt – oder das, was man darüber zu wissen glaubt – verliert man leicht den Menschen aus dem Blick.
Wenn wir ehrlich sind, dann gehört in einer schnell getakteten klinischen Arzt-Patienten-Kommunikation die persönliche Beziehung nicht zu den Hauptprioritäten. Für das Zuhören, das Nochmals-Hinterfragen und das Zu-Wort-kommen-lassen, fehlt häufig schlicht die Zeit. Das frustriert ja auch viele Ärztinnen und Ärzte. In der Onkologie mag das möglicherweise etwas entspannter sein als in anderen Fachgebieten. Durch die intensiven und langfristigen Therapieformen gibt es dort sicherlich noch mehr Raum für zwischenmenschliches Verstehen. 

Welche interkulturellen Kommunikationsprobleme können auftreten?

Knipper: Selbstverständlich gibt es Sprachprobleme, die dazu beitragen, dass wir mehr Zeit für die Verständigung brauchen. Professionelle Dolmetscher können hier hilfreich sein. Das eigentliche Pro-blem im interkulturellen Bereich liegt aber eher darin, WIE ich einem betroffenen Patienten etwas sage. Es geht um die Art der Kommunikation. Hier entstehen die Missverständnisse und Konflikte. Das gilt ganz besonders dann, wenn es um die Übermittlung „schlechter Botschaften“ geht.
Gerade in Deutschland dominiert im medizinischen Alltag eine eher kurze, knappe und faktenbasierte Kommunikation. Auch schwerwiegende Diagnosen sowie infauste Prognosen werden häufig deutlich und frontal zur Sprache gebracht.

Ich habe es erlebt, dass dies von Patient(inn)en mit ausländischen Wurzeln als „typisch deutsche“ Form der Arzt-Patienten-Kommunikation bezeichnet wurde. Kalt, sachlich, herzlos. Aber ist das tatsächlich so? Ist das „deutsch“?
Ich bin der Überzeugung, dass derartige Formen der Arzt-Patienten-Kommunikation auch bei deutschen Patienten zu Frustration führen. Hätte man das nicht anders sagen können? Betroffene fühlen sich abgefertigt und als Mensch in ihrem Leid und mit ihren Sorgen nicht ernstgenommen.
In anderen kulturellen Kontexten ist es eher üblich, schlechte Botschaften sanft, schonend und ggf. indirekt über oder mit Beteiligung von Angehörigen oder religiösen Vertrauten, z. B. Seelsorgern, zu übermitteln. Wobei ich auch hier keinen kategorialen Unterschied zwischen „Deutschen“ und Angehörigen „anderer Kulturkreise“ sehe. Auch bei Deutschen hat die Familie Bedeutung, kann Religion wichtig sein und können Ängste bestehen, dass der/die Patient(in) die Diagnose nicht verkraftet.
Dabei geht es auch überhaupt nicht, wie man es gelegentlich über Menschen aus dem türkischen, russischen oder arabischen Kulturraum lesen kann, um ein Verschleiern von Wahrheiten, ein Unter-den-Tisch-kehren von Botschaften oder das Bevormunden von Angehörigen. Es geht vor allem um die Art und Weise, wie man die Botschaft übermittelt und wie man diese für alle sehr schwierige Situa-tion sozial und den Bedürfnissen/Ängsten der Menschen angemessen gestaltet.  Welche Rolle dabei Tradition, Religion, die Familienstruktur und Vorerfahrungen mit vergleichbaren Situationen spielen, kann anhand der (vermeintlichen) Herkunft nicht vorhergesagt werden. Das erschließt sich nur im empathischen, aufmerksamen, respektvollen Kontakt mit den betroffenen Menschen.

Wie kann man Patienten anderer "Kulturkreise" Therapiestrategien bestmöglich nahebringen?

Knipper: Ich habe als Arzt hoffentlich zunächst einmal nach bestem Wissen und Gewissen einen Standpunkt und einen Therapieplan. Den muss ich dem Patienten bzw. der Patientin und den für diese Person relevanten Bezugspersonen kommunizieren – in einer dem Gegenüber angemessenen Form. Dass Patient(inn)en Einwände haben, Fragen, andere Vorstellungen – das gehört zum Alltag.
Auch hier darf uns der bloße „Verdacht auf Kultur“ keinesfalls dazu verleiten, dass wir einem Patienten X oder einer Patientin Y nicht genau zuhören und gegenüber seinen/ihren individuellen Sorgen und Nöten unaufmerksam sind.  
Äußert der Betroffene beispielsweise eine Krankheitsauffassung, nach der ihn religiöse Gründe dazu veranlassen, eine Behandlung abzulehnen, dann sollte das für uns die Motivation für genaueres Nachfragen und Zuhören sein – denn die Behandlungsindikation hat ja gute Gründe. Dann gilt es, in die Kommunikation zu investieren.

Möglicherweise ist es auch hilfreich, einen Seelsorger zum Gespräch dazuzunehmen. Religion ist für viele Menschen in solchen Situationen eine Kraftquelle, die es in der Arzt-Patienten-Beziehung zu nutzen gilt.
Gerade der Islam bietet Ärzt(inn)en hier vieles an, etwa das religiöse Prinzip, das besagt, dass der Mensch verpflichtet ist, den eigenen Körper, der genau genommen dem Schöpfer gehört, so gut wie möglich gesund zu erhalten. Es ist also religiös begründbar, bei ärztlichen Maßnahmen mitzuwirken – wenn es dem Patienten plausibel kommuniziert wird.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Knipper: Gerne. Ein konkretes Beispiel ist der bei uns übliche  Begriff der „Therapiebegrenzung“ in der Palliativmedizin. Den würde ich als absolutes No-Go bezeichnen, denn er suggeriert, dass eine Therapie verfügbar ist, aber „begrenzt“ wird.
Die ärztlichen Überlegungen zum Sinn und Zweck einer spezifischen therapeutischen Maßnahme sind für Patienten und Angehörige oft nicht einfach zu verstehen. Was bei ihnen aber ankommt, ist, dass etwas „begrenzt“ werden soll. Dieses ist im Kontext eines religiösen Gebots, wonach die Pflicht besteht, alles Mögliche zu unternehmen, um die Gesundheit wiederzuerlangen, ein großes Problem. Das würde nämlich als Eingreifen gegen das Gebot des Schöpfers verstanden. Und dem kann nicht zugestimmt werden.
Auch bei Menschen, die als Angehörige von Minderheiten oder Opfer von Rassismus in ihrem Alltag Diskriminierung erfahren haben, kann die Vorstellung, eine theoretisch mögliche Therapie würde ihnen oder ihren Angehörigen vorenthalten, sehr negative Assoziationen wecken,  auch wenn das der ärztlichen Intention und der medizinischen Sachlage absolut nicht entspricht.
Hier ist die geeignete Kommunikation von zentraler Bedeutung. Sie muss der Religion und der Lebenswirklichkeit der Menschen Rechnung tragen. Sprachlich ist das leicht zu lösen, indem man etwa von einer Therapieänderung oder einer Änderung des Therapieziels spricht.  
Nebenbei bemerkt: Die hier dargestellten Probleme betreffen nicht nur die interkulturelle Medizin. In vielen Dingen sind wir Menschen uns viel ähnlicher, als manche denken. Alle Menschen wollen in bestimmten Situationen nicht allein sein, suchen nach Stütze und wollen wertgeschätzt werden. Da geht es um spirituellen Beistand, um Trauer, auch um Angst.

Wie können medizinische Teams kulturell sensibler werden?

Knipper: Entscheidend ist, dass es in Kliniken und Praxen einen offenen, profes-sionellen Umgang mit dieser Thematik gibt, in den alle Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter eingebunden sind. Es geht darum, dass sich das gesamte Team über sinnvolle Vorgehensweisen verständigt, und Fragen, Probleme, Konflikte, aber auch Lösungswege und positive Erfahrungen offen kommuniziert werden.
Hier ist insbesondere die Leitungsebene gefragt, auf ärztlicher und Geschäftsführungsebene. Es sollte ein  Klima geschaffen werden – man könnte auch sagen eine Klinik-„Kultur“ – die geprägt ist von Wertschätzung für Kommunikation und personalisierte Medizin auch jenseits der Molekularbiologie.
Fort- und Weiterbildungen sind ebenfalls wichtig, gerade für die Führungsebene, der eine Vorbildfunktion zukommt.
Genauso bedeutsam ist der Zugang zu qualifizierten Sprach- und Kulturmittlern. Es sollte ein einheitliches Verständnis darüber bestehen, wie man bei Sprach- und Kommunikationsproblemen, aber auch in „kulturell“ erscheinenden Konfliktsituationen handeln soll.
Ein Beispiel: Kommt es etwa zu einer Situation, dass eine großen Zahl von Angehörigen den Stationsablauf behindert, kann und muss das – auf geeignete Weise – angesprochen werden. Ist vorher Vertrauen aufgebaut worden, lassen sich solche Konflikte in der Regel gut lösen.
Mangelhafte Kommunikation führt dagegen oft zur Eskalation von eigentlich lösbaren Problemen.
Ein anderes Beispiel: Wenn etwa Ärztinnen von Patienten oder Angehörigen aufgrund überkommener Geschlechterrollen Ablehnung oder Geringschätzung erfahren, müssen sie sich auf Rückendeckung durch Kolleg(inn)en, auch der Leitungsebene, verlassen können. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für muslimische, jüdische oder ausländische Mitarbeiter(inn)en aller Berufsgruppen, die in Deutschland immer wieder Diskriminierungserfahrungen machen müssen.

Kostet kultursensible Betreuung notwendigerweise mehr Zeit und Geld?

Knipper: Alle Tätigkeiten und Handlungen, die mit dem Menschen zu tun haben, brauchen Empathie und Zeit. Ich sehe darin aber nicht nur Kosten und Aufwand, sondern auch eine Investition. Aufbau und Gestaltung einer tragfähigen, vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung sind eine Investition in einen langfristigen Therapieerfolg – Stichwort Therapieadhärenz. Durch Vermeiden von Missverständnissen, Frustrationen und Konflikten wird die medizinische Versorgung auch effizienter.
Die ökonomische Dimension ist wichtig, doch der kurzfristige Blick auf Kosten und Erträge ist einer humanen, an medizinischen Zielen und Werten orientierten Gesundheitsversorgung nicht zuträglich. Gerade wenn wir langfristig denken und das Wohl der Patient(inn)en im Blick haben.
Nehmen wir die Sprach- und Kulturmittler: Wenn uns Kommunikation im Bereich der medizinischen Versorgung tatsächlich wichtig ist, dann ist die Einbindung qualifizierter Dolmetscher bei Sprachbarrieren unabdingbar. Der damit verbundene finanzielle Aufwand  ist dabei letztlich ein effizientes Mittel, um medizinische Qualität zu fördern und wertvolle Zeit zu sparen, die sonst durch Missverständnisse verloren geht. Außerdem gibt es sehr gute Angebote für Telefon- und Videodolmetscher, die genutzt werden könnten – wenn man dem Thema entsprechende Aufmerksamkeit widmen würde. Es ärgert mich manchmal, wie schnell wir bereit sind, in noch mehr Technik und Labordiagnostik zu investieren, aber bei Aufwendungen in die Arzt-Patienten-Beziehung und Kommunikation doch sehr zurückhaltend sind.

Was wünschen Sie sich im Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung?

Knipper: Interkulturelle Weiterbildung halte ich für extrem wichtig. Ich würde mir wünschen, dass wir das molekularbiologische Verständnis von „personalisierter Medizin“ ernsthaft um die sozialen, kulturellen und biografischen Aspekte der „Person“ ergänzen könnten.
Auch an der Kultur in den Abteilungen muss sich etwas ändern. Wir haben uns an einen klinischen Alltag gewöhnt, in dem die Behandlung von Krankheiten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien möglichst effizient organisiert und abgewickelt wird.
Aber schon seit über einem Jahrhundert diskutieren wir  darüber, dass der kranke Mensch mehr ist als seine „Krankheit“, die heute durch DRGs sogar mit einem ökonomischen Wert versehen ist. Das, was wir hier zu interkulturellen Fragen diskutieren, ist nur ein besonders augenfälliger Aspekt dieser Thematik.
Darüber hinaus haben wir in den Kliniken ein großes Potential an interkulturellen Teams, mit dem wir arbeiten können. Die Sprachkenntnisse, Migrationshintergründe und vielfältigen Erfahrungen der Mitarbeiter(inn)en sind, ökonomisch gesprochen, eine großartige Ressource. Aber es fehlen oft Aufmerksamkeit, Wertschätzung und der notwendige Gestaltungsspielraum, um diese Kompetenzen einbringen zu können. Junge Ärztinnen und Ärzte, die hoch motiviert in den Beruf starten und etwas in diese Richtung ändern wollen, fühlen sich oft ausgebremst oder werden belächelt. Das ist kein Kontext, in dem der Umgang mit kultureller Vielfalt und Diversität sinnvoll gestaltet werden kann.
Trotzdem glaube ich, dass auf Leitungsebene Gestaltungsspielräume vorhanden sind. Ich will nichts beschönigen, aber es gibt Beispiele, wo ethisch-moralische Vorstellungen der Ärzteschaft gegenüber der Geschäftsleitung von Kliniken oder medizinischen Einrichtungen erfolgreich vertreten wurden. Und nicht alle Geschäftsleitungen sind solchen Gedanken und den zugrundeliegenden moralischen Werten und Zielen gegenüber gleichgültig. Es ist auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus möglich, mit Ideen und Engagement mehr Raum für das Thema der ethnisch-kulturellen Vielfalt in unserem Gesundheitssystem zu schaffen. Es ist kein Spartenthema, sondern betrifft uns alle.

Herr Dr. Knipper, vielen Dank für das interessante und wichtige Gespräch.

Das Interview führte Dr. Claudia Schöllmann.