Tumor-Profiling: Welche Rolle spielt die Liquid Biopsy?
Personalisierte Tumortherapie – ein großes Ziel, das in aller Munde ist. Dass es vom Biomarker zur Therapieempfehlung ein weiter Weg ist, der mit vielen Zwischen-schritten über einen kontinuierlichen Erkenntnisgewinn verläuft, verdeutlichten die Experten-Vorträge des von der Trillium-Akademie veranstalteten Onkologischen Symposiums im November 2019 in München. Ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Präzisionsmedizin ist die Liquid Biopsy, die Analyse zirkulierender Tumor-DNA und Tumorzellen in Blut und Körperflüssigkeiten, die minimal invasiv und mehrfach erfolgen kann. Ein Schlagwort, hinter dem sich vieles verbirgt: zum einen große Hoffnungen auf das Potential der Flüssigbiopsie bei der Bestimmung der Prognose von Tumorpatienten, bei der molekulargenetischen Charakterisierung ihrer Tumorerkrankung und bei der Überwachung des Krankheitsverlaufs, zum anderen aber auch Herausforderungen hinsichtlich Diagnostik, Analytik, Befundinterpretation und Validierung. Der klinische Einsatz der Liquid Biopsy steht erst am Anfang, Verfahren und Grundsätze müssen implementiert, Abläufe optimiert werden. Hinter allem steht letztendlich das Ziel der Therapieoptimierung für Krebspatienten. Mehr Patienten sollen von der für ihre Tumorerkrankung genau richtigen Therapie zum richtigen Zeitpunkt profitieren können.
Schlüsselwörter: Liquid Biopsy, Tumor-Profiling, Biomarker, Personalisierte Tumortherapie, Präzisionsmedizin, Flüssigbiopsie
Die histo- und molekularpathologische Gewebeuntersuchung stellt bisher die Basis für die Therapie solider Tumoren dar – liefert sie doch relevante Informationen zu Tumorgröße, Stadium und Grading. „Nach wie vor ist die molekulare Gewebediagnostik der Goldstandard vor der Therapie, sie ist für Prognose und Prädiktion wichtig“, konstatierte Prof. Stefan Holdenrieder, München. Die Gewinnung der Gewebeprobe kann allerdings schwierig oder unmöglich und für den Patienten belastend sein. So kann heute die Liquid Biopsy die molekularpathologische Gewebeuntersuchung ergänzen – sowohl vor der Wahl der Erstlinientherapie als auch in der Resistenzsituation.
Seit 1948 ist bekannt, dass sich im Blut freie Nukleinsäuren finden lassen [1]. Dass ein Teil der zellfreien DNA (cell-free DNA, cfDNA) von malignen Tumoren stammt, wurde 1989 zum ersten Mal beschrieben [2]. In der Folge wurde diese zirkulierende Tumor-DNA (circulating tumor DNA, ctDNA) auch in anderen Körperflüssigkeiten wie Urin, Sputum, Liquor sowie im Stuhl nachgewiesen. So versteht man heute unter „Liquid Biopsy“ Tests, mit denen eine Körperflüssigkeit entweder auf ganze Tumorzellen (circulating tumor cells, CTCs) oder auf vom Tumor stammende DNA oder RNA untersucht wird [3]. „Bei einer normalen Biopsie erlangt man viel mehr Informationen über den Tumor selbst und das umgebende Gewebe, bei der Liquid
Biopsy erfolgt „nur“ die Charakterisierung anhand der genetischen Information“, so Holdenrieder. Bei alleiniger Liquid Biopsy fehlen also die durch die Gewebeprobe gewonnenen Informationen zu Tumorgröße und -rändern, Morphologie, einem etwaigen Lymphknotenbefall, Grading, Histologie und Tumorumgebung. Allerdings birgt die Liquid Biopsy die Möglichkeit des Liquid Profiling, so Holdenrieder; sie erlaubt eine molekulare Charakterisierung und Aussagen zur Prognose, wofür die BRCA1/2-Keimbahnmutation beim Mammakarzinom ein prominentes Beispiel darstellt.
Mit der genetischen Diagnostik ist es außerdem möglich, die klonale Entwicklung eines Tumors über einen ganzen Zeitraum zu verfolgen. Die Herausforderung dabei bleibe, wie schon bei der morphologischen Charakterisierung des Tumors, die Tumorheterogenität, räumlich wie auch zeitlich, so Holdenrieder.
ALK, BRAF, EGFR, HER2, MET, MEK, NTRK, PIK3CA, ROS1 – immer mehr onkologische Treibermutationen werden identifiziert, die zu Veränderungen der intrazellulären Signalwege führen. Sie können als potentielle Angriffspunkte für zielgerichtete Medikamente fungieren und werden als Biomarker
herangezogen. Im Rahmen der sequentiellen zielgerichteten Therapien bei vielen Tumorarten ebenso wichtig sind Resistenzmutationen. Alle diese Biomarker liefern Hinweise zu Krankheitsverlauf und Prognose, beeinflussen die Therapiewahl und teilweise auch Therapiesequenzen. Damit nehmen naturgemäß auch die Anforderungen an die Pathologie zu. „Wir leben inmitten eines Paradigmenwechsels in der Onkologie“, konstatierte Prof. Christopher Poremba, München, der die Bedeutung der Molekularpathologie für Staging und Therapie in der Onkologie zusammenfasste. Parallel zur stetig steigenden Anzahl zielgerichteter Medikamente würden auch die Anforderungsbögen in der Molekularpathologie ständig umfangreicher. Der Nachweis von Treiber- oder Resistenzmutationen erfolge in der Regel noch an Tumorgewebeproben, aber es gebe auch Indikationen für den Mutationsnachweis aus Blutproben, so Poremba.
Diagnostische Herausforderungen
Mehr Liquid Biopsy könnte also bedeuten: mehr zielgerichtete Therapien für mehr onkologische Patienten. Bevor man allerdings in der breiten Masse einen klinischen Nutzen aus der ständig wachsenden Zahl molekularer Tumormarker ziehen kann, führt ihr Nachweis aus Flüssigbiopsien zunächst zu einer Reihe von diagnostischen Herausforderungen, mit denen sich Dr. Verena Haselmann, Mannheim, beschäftigte.
Zur cfDNA gehören sowohl Exosomen, die hochmolekulare genomische DNA (gDNA) enthalten, als auch freie, d. h. nackte DNA-Fragmente und Nukleosomen. Sie werden überwiegend durch Apoptose, aber auch Nekrose und aktive Sekretion freigesetzt. Die zirkulierende Tumor-DNA stammt überwiegend aus apoptotisch oder nekrotisch zugrunde gegangenen Tumorzellen, die Menge der ctDNA schwankt nach Tumorentität, Größe, Lokalisation und Krankheitssituation. Aber auch normale Körperzellen setzen Nukleinsäuren frei, wie z. B. die Leukozyten bei körperlicher Aktivität, sodass der ctDNA-Anteil an der gesamten cfDNA in der Regel sehr gering ist. Zum Teil liege er bei weniger als 0,02 %, so Haselmann; umso größer sei die Bedeutung der Präanalytik, will man Informationen aus Liquid Biopsies nutzen. Nur durch genaue Einhaltung der Vorgaben zur Probenbehandlung, der Blutabnahme und des Transports der Proben lasse sich eine weitere Beeinträchtigung der Probenqualität vermeiden, beispielsweise durch Kontaminationen durch die Leukozytenlyse.
Auf der anderen Seite werden vor diesem Hintergrund auch die hohen Anforderungen an die analytische Sensitivität der verwendeten Nachweisverfahren verständlich. Obwohl das kolorektale Karzinom zu den Tumoren gehört, bei dem sich – wie auch beim Mamma- und Ovarialkarzinom oder beim malignen Melanom – relativ häufig ctDNA nachweisen lässt [4], lag in einer Untersuchung bei 50 % der Patienten mit einem meta-stasierten kolorektalen Karzinom (mCRC) bei ihrer Erstlinientherapie eine ctDNA-Fraktion von < 1 % vor, berichtete Haselmann.
Hochsensitive Nachweismethoden
Die ctDNA unter der gesamten cfDNA lässt sich durch die Analyse Tumor-assoziierter genetischer oder epigenetischer Veränderungen, also tumorspezifischer Sequenzvarianten, nachweisen. Da die ctDNA oft nur in extrem niedrigen Konzentrationen oder stark fragmentiert vorliegt, reicht „die quantitative Real-time PCR oder normales Next Generation Sequencing (NGS) mit einer Sensitivität von etwa 1 % nicht aus“, so Haselmann. Geeignete Methoden seien digitale Methoden wie die digital droplet PCR (ddPCR) und das BEAMing, mit denen sich einzelne Sequenzvariationen untersuchen lassen, außerdem die NGS-basierte Analytik in Kombination mit Unique Molecular Identifiern (UMI, in Abb. 2 auch als UID bezeichnet).

Das BEAMing-Verfahren wurde nach seinen Hauptkomponenten Beads, Emulsification, Amplification und Magnetics benannt. Nach der Isolation der cfDNA aus dem Plasma folgt eine Präamplifikation. Die DNA-Moleküle werden an magnetische Kügelchen (beads) gebunden, in Wasser-in-Öl-Emulsion gebracht und mittels Durchflusszytometrie ausgewertet (Abb. 1).

Das BEAMing ist kein absolut quantitatives Verfahren, erklärte Haselmann, im Gegensatz zur ddPCR, mit der eine absolute Quantifizierung der Ziel-DNA (bzw. der Tröpfchen mit mutierter DNA) möglich ist. In Ringversuchen werde deutlich, dass die ddPCR eine etwas geringere Sensitivität habe als das BEAMing, dessen untere Nachweisgrenze bei 0,01 % liegt.
NGS-basierte Ansätze bieten den Vorteil einer Panel-Sequenzierung, Nachteile sind der nötige höhere Input und die höheren Kosten. Wie Haselmann erläuterte, kombiniert man NGS mit Unique Molecular Identifier-Sequenzen – molekularen Barcodes, die an das ursprüngliche Fragment vor der ersten Amplifikation legiert werden. Danach folgt die Amplifikation; beim Read-out kann man alle Amplifikate nach ihrem Ursprungsfragment ordnen und erstellt UMI-Familien. Haselmann: „Wenn mehr als 95 % der Reads, die auf ein Ursprungsfragment zurückzuführen sind, Sequenzvariation haben, dann liegt eine echte Sequenz-variation vor; ansonsten ist von einem Polymerase-Fehler auszugehen.“ Die UMIs erhöhen so durch die Fehlerreduktion Sensitivität und Spezifität des NGS. Studien haben gezeigt, dass falsch positive Resultate so deutlich gesenkt werden konnten [5].
Klinischer Nutzen
Haselmann betonte, mit Blick auf den klinischen Nutzen der Liquid Biopsies lohne es sich, die Diagnostik zu etablieren. Als erstes wurden Liquid Biopsies als Companion Diagnostics genutzt, also als Voraussetzung für die Gabe bestimmter zielgerichteter Therapeutika. Dabei sei überprüft worden, ob die Blutdiagnostik dafür genauso gut geeignet ist wie die gewebebasierte Diagnostik, so Haselmann, und man habe in verschiedenen Arbeiten eine hohe Übereinstimmung festgestellt.
Auch zur Abschätzung der Prognose und zur Bestimmung der minimalen Resterkrankung (MRD) kann eine Liquid Biopsy zur Bestimmung der ctDNA hilfreich sein [6]. Durch die Bestimmung der ctDNA könne bei Patienten mit mCRC im Vergleich zur Bildgebung eine Verkürzung der Lead-time von 3 bis 10 Monaten erreicht werden [7]. Kliniker erhalten so Informationen in Echtzeit über den aktuellen Mutationsstatus, und die Entwicklung eines Rezidivs wird früher erkannt.
Im klinischen Alltag werde die Liquid Biopsy vor allem für das Challenge-Rechallenge-Konzept genutzt, berichtete Haselmann, welches darauf beruht, dass zielgerichtete Therapien zur Selektion resistenter Subklone führen. Das Problem dabei sei, dass man eine bestimmte Resistenzmutation schon mit einer Frequenz von 0,2 % nachweisen kann, was aber nicht bedeute, dass der Patient ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf die Therapie anspricht. Haselmann: „Der Patient kann trotzdem noch einige Monate klinisch profitieren. Wir haben im Moment also eine Diskrepanz zwischen Nachweisgrenze, wo wir das diagnostische Intervall verkürzen müssen, und dem Zeitpunkt, wo der resistente Klon so groß wird, dass die Therapie gewechselt werden muss. Es fehlt also noch ein klinischer Entscheidungs-Cut-off.“ Eine Möglichkeit bestehe darin, Passenger- und Driver-Mutationen im Verlauf zu quantifizieren, um so den Anteil des resistenten Subklons an der Tumorlast abschätzen zu können.
Auch in frühen Tumorstadien gibt es relevante Einsatzmöglichkeiten für die Bestimmung der ctDNA, wie die Risikobestimmung und Therapiestratifizierung von Patienten, beispielsweise zur Be-stimmung des Nutzens einer adjuvanten Chemotherapie bei CRC-Patienten im Stadium II.
Liquid Biopsy in der Realität
Aus der Perspektive des Klinikers betonte Prof. Stefan Böck, München, dass die Gewebegewinnung in der Realität oft nicht einfach sei, kurze Umlaufzeiten und die problemlose Wiederholbarkeit der Liquid Biopsies deutliche Vorteile im klinischen Alltag darstellten. Auch pro-gnostische Informationen zur Risikoabschätzung seien ein wichtiges Ziel.
Letztlich könnten Tumorpatienten aber nur von der Bestimmung molekularer Tumormarker durch Liquid Biopsies profitieren, wenn diese Bestandteil der Standardkrankenversorgung werde, so Haselmann abschließend. Wichtig seien Qualitätskontrollen, um alle Fachdiszi-plinen vom Nutzen der Analysen zu überzeugen, Fehlerraten zu reduzieren und aussagekräftige Vorgaben für Labore machen zu können. Zur Abrechenbarkeit von Liquid-Biopsy-Untersuchungen verwies Haselmann auf die EBM-Ziffer 19460, über die die T790M-EGFR-Mutationsanalyse aus Plasma abgerechnet werden kann. Die Erstattung der Kosten kann auch innerhalb der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) als hinzuzuziehendes Labor erfolgen.
Momentan ist die Liquid Biopsy beim mCRC und beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) in der Routine-anwendung. Bei beiden Entitäten hat die Liquid Biopsy Einzug in die S3-Leitlinien gehalten. Beim mCRC kann die Analyse des RAS-Mutationsstatus aus dem Plasma zur Erstdiagnose durchgeführt werden, wenn die Bestimmung der relevanten RAS-Mutationen für die zielgerichtete Therapie aus dem Gewebe nicht möglich ist und zum Monitoring im weiteren Verlauf vor Beginn einer zielgerichteten Therapie. Beim NSCLC wird die Liquid Biopsy zur Detektion der T790M-EGFR-Resistenzmutation empfohlen.
Optimierte Präanalytik
Ein essentieller Faktor für qualitative und quantitative Analysen mittels Liquid Biopsy ist ein optimales präanalytisches Vorgehen und die Standardisierung der Präanalytik. Bei der Blutabnahme sollten zu hoher Unterdruck sowie Reiben und Drücken an der Entnahmestelle unbedingt vermieden werden, um die Leukozytenlyse zu verhindern. Wichtig ist auch die Wahl des Blutröhrchens: Hier sollten Spezialröhrchen für die Aufnahme und den Transport von Blut zur Analyse von cfDNA gewählt werden, bei denen die Freisetzung von gDNA aus Leukozyten verhindert und die cfDNA stabilisiert wird. Empfohlen werden außerdem
21-G-Kanülen. Die Röhrchen dürfen nicht geschüttelt, nur geschwenkt werden; der Transport der Röhrchen sollte nur in stabilen und sicheren Transportbehältern und außerdem schnell erfolgen. Allerdings gibt es auch physiologische Einflussfaktoren, die durch die Optimierung der Präanalytik nicht abgefangen werden, erklärte Holdenrieder. So können Infektionen, entzündliche Erkrankungen und oxidativer Stress sowie körperliche Aktivität/Sport zur Ausschüttung von cfDNA aus normalen Körperzellen führen.
Fazit und Entwicklungen
Soll Tumor-Profiling Teil des klinischen Alltags werden, ist die Liquid
Biopsy dazu unabdingbar, bietet sie doch die Möglichkeit der Analyse zu jedem Zeitpunkt, und die Chance, mit einer einfachen Blutabnahme auch mehrfach im Verlauf einer Tumorerkrankung oder einer Therapiemaßnahme die inter- und intratumorale Heterogenität zu erfassen. Geeignete Methoden sind NGS-basierte UMI (bzw. UID)-(Barcode)-Verfahren sowie die ddPCR und BEAMing [8]
(Abb. 2). Letztere können nur einzelne Gene oder Genkombinationen untersuchen, haben mit 1 : 10.000 aber eine sehr hohe Sensitivität, was bedeutet, dass ein Tumorfragment in mehr als 10.000 DNA-Fragmenten ermittelt werden kann. Umfassende Sequenzanalysen sind nur mit NGS-basierten Verfahren möglich; sie werden deshalb am häufigsten eingesetzt. Wichtig ist die Optimierung der Verfahren durch proximale Probengewinnung (z. B. bei einem ZNS-Tumor aus dem Liquor, bei einem Blasenkarzinom aus dem Urin), ferner durch DNA-Größen-Selektion sowie DNA-Längen-basierte Anreicherung, die auf der kürzeren ctDNA-Fragmentlänge im Vergleich zu normaler gDNA basiert. Außerdem sollten nur NGS-Verfahren mit molekularen Barcodes verwendet werden. Bisher ist nur eine relativ geringe Anzahl von Biomarkern Standard, aber die Anzahl bekannter Gene und Alterationen steigt ständig. Die Erfassung, Verarbeitung und die
Integration extrem großer Datenmengen sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Molekularpathologen, Laborärzten, Klinikern und Bioinformatikern sind somit eine essentielle Voraussetzung für die erfolgreiche klinische Anwendung der Liquid Biopsy.