CME-Beitrag: Tumorassoziierte venöse Thromboembolien: Diagnose und Therapie

Bei Tumorpatienten sind tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien trotz durchgeführter primärpräventiver Maßnahmen häufige, die Lebensqualität und Prognose beeinträchtigende Komplikationen. Aufgrund der oft oligo- bis asymptomatischen Entstehung ist ihre Diagnostik erschwert. Die Therapie unterscheidet sich wesentlich vom Vorgehen bei Nicht-Tumorpatienten. Die Leitlinien empfehlen eine prolongierte, regelhaft über 3 Monate hinausgehende Antikoagulation unter Berücksichtigung des Malignomverlaufes. Alternativ zur parenteralen Gabe niedermolekularer Heparine stehen nun evidenzbasiert auch orale Faktor-Xa-Inhibitoren für die Initialtherapie und Sekundärprophylaxe zur Verfügung. Bei der patientenspezifischen Entscheidung über Art, Dauer und Intensität der Antikoagulation bedarf die therapiebedingte Zunahme eines bei Malignompatienten vorbestehend erhöhten Blutungsrisikos besonderer Berücksichtigung.

Schlüsselwörter: Tumor, venöse Thromboembolie, Antikoagulation, niedermolekulare Heparine, Faktor-Xa-Inhibitoren, Rivaroxaban, Edoxaban, Apixaban, Fondaparinux, Dalteparin, Tinzaparin

Einleitung

In Deutschland nimmt die Inzidenz von Krebserkrankungen sowie von venösen Thromboembolien (VTE), also tiefen Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE), stetig zu – was vorwiegend dem demografischen Wandel geschuldet ist. Aus diesem Grund ist damit zu rechnen, dass auch die Häufigkeit tumorassoziierter VTE („cancer-associated thromboembolism“: CAT) in den kommendenJahren weiter zunehmen wird.

Epidemiologie

Das Risiko für Tumorpatienten, eine symptomatische VTE zu entwickeln, ist im Vergleich zur Normalbevölkerung um den Faktor 4 bis 7 erhöht, wobei das individuelle Risiko von verschiedenen Faktoren abhängt [1, 2]. Bei rund 20 % aller Patienten mit symptomatischer VTE liegt zeitgleich eine Krebserkrankung vor. Insbesondere beim Auftreten nicht-risikoassoziierter VTE sollte immer auch an ein bis dahin nicht diagnostiziertes, okkultes Malignom gedacht und alters-, geschlechts- und risiko-adaptierte Krebsvorsorgeuntersuchungen empfohlen werden [3]. Umgekehrt tritt bei etwa 20 % aller Krebspatienten im Krankheitsverlauf eine CAT auf, die sich negativ auf Morbidität, Lebensqualität und Prognose der Patienten auswirkt. VTE sind nach dem Tumorprogress die zweithäufigste Todesursache bei Tumorpatienten [4]. Im Vergleich zu Nicht-Tumorpatienten haben CAT-Patienten auch bei adäquater Antikoagulationstherapie ein erhöhtes, mitunter zum Ableben führendes VTE-Risiko und auch ein erhöhtes Blutungsrisiko [5, 6]. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Lebenserwartung von Tumorpatienten ist eine weitere relative und auch absolute Zunahme von CAT zu erwarten.
Pathogenese
Bei der CAT-Entstehung interagieren allgemeine Risikofaktoren, die auch bei Nicht-Tumorpatienten vorkommen können, mit tumor- und therapieabhängigen Risikofaktoren. Diese lassen sich dem Patienten selbst, der Tumorerkrankung und der spezifischen oder supportiven Therapie zuordnen (Abb. 1). 

So können beispielsweise Gefäßkompressionen mit Blutflussverzögerungen durch externes oder infiltrierendes Tumorgewebe auftreten. Prothrombogene Hämostasestörungen resultieren aus der Freisetzung von Mediatoren aus Tumorzellen, wie das den Faktor X aktivierende „cancer procoagulans“ oder auch Gewebsthromboplastine („tissue factor“: TF), welche direkt die plasmatische Gerinnung aktivieren. Tumorvermittelt oder verursacht durch stimulierte Endothelzellen, Leukozyten oder Thrombozyten kann ein prokoagulatorischer Zustand ausgelöst werden, in dessen Kontext Mikropartikel freigesetzt werden, die beispielsweise den TF und geeignete Phospholipidstrukturen für den Ablauf der plasmatischen Gerinnung verfügbar machen. Auch die immunologische Auseinandersetzung des Organismus mit Tumor und Metastasen leistet einen Beitrag zur CAT-Entstehung, da die Immunreaktion zu einer massiven Inflammation führt, die ihrerseits eine beschleunigte Blutsenkung, Leuko- und Thrombozytose sowie erhöhte Plasmaspiegel von Gerinnungsfaktoren (F VIII, Fibrinogen) und Fibrinolyse-Inhibitoren begünstigt. Bei hämatologischen Krebserkrankungen spielen zudem direkte viskositätsverändernde Faktoren im Rahmen einer Leuko-, Erythro- oder Thrombozytose sowie bei Paraproteinämien eine bedeutende Rolle. Die regelhafte Verwendung intravasaler Verweilkathether (ZVK, Port-a-cath) erhöht zusätzlich das VTE- und Infektionsrisiko, das wiederum prothrombogen wirkt.
Innerhalb der verschiedenen Tumor-entitäten ist die thrombophile Diathese abhängig vom histologischen Subtyp (beim Bronchialkarzinom sind etwa Adenokarzinome eher betroffen als Platten-epithelkarzinome), aber auch vom Tumorgrading (gezeigt für Pankreaskarzinome G3, die eher betroffen sind als G1-Tumoren). Darüber hinaus wurde in den zurückliegenden Jahren deutlich, dass bestimmte Therapien, insbesondere solche mit einer antiangiogenen Komponente wie Bevacizumab oder Lenalidomid, aber auch klassische Zytostatika wie Cis-platin prothrombogene Auswirkungen haben. Auch supportive Therapiemaßnahmen wie der Einsatz von Wachstumsfaktoren (Erythropoetin- oder Thrombopoetin-Analoga, Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktoren) erhöhen das VTE-Risiko ebenso wie die parenterale Ernährung, Bluttransfusionen und die Gabe von Steroiden.
Ein erhöhtes VTE-Risiko kann ferner dadurch bedingt sein, dass bei chirurgischen Eingriffen, Bestrahlungen und/oder einer Chemotherapie vermehrt gerinnungsaktive Substanzen aus dem Tumor freigesetzt werden. Ein reduzierter Allgemeinzustand und/oder eine Reduktion der Patientenmobilität aufgrund tumorspezifischer Therapien und/oder deren Komplikationen wirken ebenso prothrombogen. Grundsätzlich sollten das erhöhte VTE-Risiko und der Hinweis auf VTE-Symptome auch Bestandteil der Patientenaufklärung nach Malignom-diagnose sein.
Die multifaktorielle Genese widerspiegelnd bestehen deutliche Unterschiede der CAT-Inzidenz bei den verschiedenen Tumorentitäten [9]. Obwohl das entitätsspezifische VTE-Risiko bei Frauen mit Mammakarzinom und Männern mit Prostatakarzinom gegenüber Patienten mit Pankreas- oder Magenkarzinom   deutlich geringer ist, sind bei diesen beiden Malignomen allein aufgrund ihrer Häufigkeit CAT zahlenmäßig am häufigsten zu beobachten. Ein Phänomen, das die Möglichkeiten einer effektiven Primärprophylaxe (siehe unten) limitiert.

Symptomatik und Diagnostik

Um symptomatische VTE generell im klinischen Alltag zu diagnostizieren, hat es sich bewährt, anamnestische Angaben sowie klinische Befunde zu erheben, wie sie z. B. im Rahmen des Wells-Scores zusammengefasst sind. So kann die klinische Wahrscheinlichkeit einer VTE bestimmt und auf dieser Basis die weitere Diagnostik stratifiziert werden [3].
Tumorpatienten beklagen oft unspezifische Beschwerden, die unter Umständen der Grunderkrankung oder der durchgeführten Therapie zugeordnet werden, denen aber auch eine VTE zugrunde liegen könnte. Die seit einigen Jahren verfügbaren Daten zur Häufigkeit „inzidenteller“ LE und abdomineller TVT im Rahmen von Staging-Computertomografien (CT) [10] sowie bei Screening-sonografien der Beinvenen [11] lassen allerdings befürchten, dass solche „hyposymptomatischen“ CAT, die antikoagulatorisch behandelt werden sollen, oft nicht oder erst später bei unübersehbarer Klinik diagnostiziert werden. Die bekannte Assoziation von VTE mit Tumor-erkrankungen sollte daher auch Anlass sein, VTE großzügig in die differential-diagnostischen Erwägungen bei der Beschwerdeabklärung von Tumorpatienten einzubeziehen.
Bei der Ermittlung der Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer TVT/LE führt das bloße Vorliegen einer Tumorerkrankung (ein Punkt im zweistufigen Wells-Score) bei zusätzlichem Befund oder weiterer Symptomatik bereits zur „hohen Wahrscheinlichkeit“ von TVT/LE und damit zur Empfehlung einer apparativen Diagnostik [3]. Zudem ist
im Gegensatz zu Nicht-Tumorpatienten die Bestimmung des D-Dimer-Wertes – mit starker negativer Prädiktivität bei im Referenzbereich liegendem Testergeb-
nis – in aller Regel nicht diagnostisch hilfreich, da bei manifester Tumorerkrankung meist von erhöhten D-Dimer-Werten auszugehen ist. Gemäß dem Leitlinienalgorithmus der AWMF [3] ist daher bei Tumorpatienten mit Verdacht auf VTE unmittelbar eine objektivierende Diagnostik mittels Kompressions- oder Duplex-Sonografie bzw. im Fall eines LE-Verdachts mittels moderner kontrastmittelgestützter CT (Multislice-CT) durchzuführen.

Risikoeinordnung und primäre medikamentöse VTE-Prophylaxe

Hospitalisierte Tumorpatienten bedürfen gemäß gültiger Leitlinien [12] in der Regel einer medikamentösen VTE-Prophylaxe (mP), die den gesamten Krankenhausaufenthalt umfassen sollte. Im individuellen Fall kann – regelhaft empfohlen nach größeren Malignom-chirurgischen Operationen – eine poststationäre Fortführung der Thromboseprophy-laxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) oder Fondaparinux (FPX) in Abhängigkeit von weiteren Risikofaktoren und insbesondere vom Ausmaß der Mobilitätseinschränkung sinnvoll sein.
Die mP ist grundsätzlich auch bei ambulanten Tumorpatienten geeignet, das VTE-Risiko zu vermindern. Allerdings sind in älteren Studien mit unselektierten Kollektiven ambulanter Tumorpatienten die VTE-Inzidenzen im Placeboarm so niedrig, dass trotz signifikanter Reduktion der VTE-Rate im Verumarm keine Empfehlung zur generellen mP resultierte [12]. Für ambulante Tumorpatienten „mit hohem Risiko“ haben Leitlinien seit vielen Jahren eine mP mit subkutan zu applizierendem NMH empfohlen, ohne dass ein Konsens über Risikofaktoren und ihre Wertung bestand. Nur für chemotherapeutisch behandelte Patienten mit fortgeschrittenem Pankreaskarzinom oder Multiplem Myelom wurde von manchen Leitliniengruppen eine mP empfohlen [13].
Der einfach anzuwendende Khorana-Score [14] (KS, Tab. 1) ist bisher das einzige, mehrfach erfolgreich evaluierte Instrument zur Risikokategorisierung bei ambulanten Tumorpatienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen, auch wenn wichtige etablierte Faktoren wie Mobilitätseinschränkung oder VTE in der Vorgeschichte darin nicht berücksichtigt werden.

Zwei aktuellere prospektiv randomisierte Studien, die AVERT- [15] und die CASSINI-Studie [12], untersuchten die Wirksamkeit der mP mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) bei ambulanten Tumorpatienten, die einen Khorana-Score ≥ 2 aufwiesen. Dabei wurden die Xa-Inhibitoren Apixaban (2 x 2,5 mg tgl.; AVERT-Studie [15]) bzw. Rivaroxaban
(1 x 10 mg tgl.; CASSINI-Studie gegen Placebo getestet [12]). Beide Studien
Tab. 2) unterscheiden sich in ihrem Studiendesign.

In der CASSINI-Studie wurde durch Ultraschalluntersuchung der Beinvenen bei etwa 5 % der primär studiengeeigneten Patienten eine inzidentelle TVT nachgewiesen, sodass diese Patienten nicht
in die Studie eingeschlossen werden konnten. Die VTE-Ereignisraten in der CASSINI-Studie sind – vermutlich aufgrund des Ausschlusses dieser „Höchstrisikopatienten“ – niedriger als in der AVERT-Studie. Die Sicherheitsendpunkte beider Studien (ISTH-Definitionen der schweren Blutung) zeigen bei mP eine geringe Zunahme (Tab. 2), doch waren letale Blutungskomplikationen oder solche mit Notfallbehandlungs-Notwendigkeit in den experimentellen Armen beider Studien nicht vermehrt. Die mP mit diesen Faktor-Xa-Inhibitoren wird aufgrund der Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten dieser Studien in aktualisierten Leitlinien bei Patienten mit Khorana-Score ≥ 2 empfohlen [16,17]. Allerdings sind DOAK bisher in Deutschland und international nur zur Behandlung von VTE (s. u.) und zur mP in der Hochrisikoorthopädie zugelassen.

Therapie tumorassoziierter venöser Thromboembolien

Initialtherapie und frühe Sekundärprophylaxe (< 3 Monate)

Die Behandlung von CAT-Patienten mit der klassischen Kombination aus ini-tialer parenteraler Antikoagulation – meist NMH oder FPX – gefolgt von überlappender oraler Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten(VKA) führte zu einer Verdoppelung von Blutungskomplikationen und einer annähernden Verdreifachung von VTE-Rezidiven im Vergleich zu Nicht-Tumorpatienten [18]. Ursächlich dafür war sicher auch, dass die Führung von Tumorpatienten mit VKA im therapeutischen Bereich nur unzureichend gelingt.
Mehrere Studien haben dann bei CAT prospektiv randomisiert eine über 3 bis
6 Monate fortgeführte Antikoagulation mit NMH im Vergleich zu VKA untersucht [19], wobei sich in der CLOT-Studie eine Halbierung der Rezidivrate mit dem NMH Dalteparin zeigte, ohne dass das Risiko für schwere Blutungskomplikationen zunahm. [20] Die rund 10 Jahre später durchgeführte CHATCH-Studie mit dem NMH Tinzaparin wird als Bestätigung dieses Ergebnisses aufgefasst, auch wenn das primäre Studienziel statistisch knapp verfehlt wurde. Es zeigten sich in dieser-Studie auch signifikante Verminderungen von Rezidiv-TVT und von klinisch relevanten, nicht schweren Blutungen. Metaanalysen dieser und mehrerer kleinerer Studien [21] (Abb. 2) führten zur langjährig geltenden Leit-
linienempfehlung einer initialen und für 3 bis 6 Monate prolongierten Antikoagulation mit NMH bei CAT [3].

Die VKA wurden nicht nur auf dem Gebiet des nicht-valvulären Vorhofflimmerns, sondern auch auf dem Gebiet der VTE bei Nicht-Tumorpatienten durch die DOAK als vorrangige Leitlinienempfehlung abgelöst. Im Versorgungsalltag haben bereits vor Verfügbarkeit von randomisierten Studienergebnissen viele Kolleginnen und Kollegen DOAK auch bei Tumorpatienten eingesetzt [22].
Inzwischen liegen Ergebnisse pro-spektiv randomisierter Studien mit
DOAK im Vergleich zu NMH auch bei CAT vor. Die initial mit NMH für mindestens 5 Tage eingeleitete und dann auf den oralen Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban (HOKUSAI-VTE-CANCER-Studie [23]) umgestellte Antikoagulation belegte die Nichtunterlegenheit des kombinierten Endpunktes aus Rezidiv-VTE und schwerer Blutung im Vergleich zur Leitlinientherapie mit NMH (Dalteparin im „CLOT“-Regime).
Es zeigte sich in der Studie ein Trend hin zu weniger VTE-Rezidiven bei numerisch vergleichbarer, aber signifikanter Zunahme von schweren Blutungskomplikationen unter Edoxaban, wobei allerdings schwere intrazerebrale oder tödliche Blutungskomplikationen unter Dalteparin sogar häufiger dokumentiert wurden als unter Edoxaban. Die meisten schweren Blutungskomplikationen unter Edoxaban traten im oberen Gastrointestinaltrakt auf, und dies bevorzugt bei Patienten mit gastrointestinalen Tumor-erkrankungen.
Sehr ähnliche Ergebnisse wurden in einer kleineren randomisierten Pilotstudie mit Rivaroxaban (SELECT-d [24]) im Vergleich zu Dalteparin gezeigt, bei der nach Randomisierung primär oral mit
2 x 15 mg Rivaroxaban für 3 Wochen, im Weiteren dann mit 20 mg täglich behandelt wurde. Auch hier nahmen schwere – nicht aber vital bedrohliche – und klinisch relevante nicht-schwere Blutungskomplikationen unter Rivaroxaban zu, bei einer Reduktion von VTE-Rezidiven.
 Eine weitere kleine randomisierte Pilotstudie, die den Faktor-Xa-Inhibitor Apixaban primär oral mit 2 x 10 mg für eine Woche, im Weiteren mit 2 x 5 mg täglich mit dem NMH Dalteparin verglich (ADAM-VTE [25]), weist ebenfalls in Richtung verminderter VTE-Rezidive, hier allerdings ohne Zunahme schwerer Blutungskomplikationen. Die  große Therapiestudie CARAVAGGIO mit Apixaban wird im Jahr 2020 weitere Daten zur Rolle der Faktor-Xa-Inhibitoren bei CAT liefern. In den Studien mit CAT-Patienten zeigte sich zudem übereinstimmend auch eine bessere Persistenz der oralen gegenüber der subkutanen Applikation der Antikoagulanzien.
Zusammenfassend kann somit die Initialtherapie von VTE bei Tumorpatienten mit niedermolekularem Heparin, niedermolekularem Heparin gefolgt von Edoxaban oder primär beginnend mit Rivaroxaban oder Apixaban erfolgen. Dabei wird aufgrund der vorliegenden Subgruppenanalysen ein Vorgehen, das mögliche Blutungskomplikationen berücksichtigt, insbesondere bei Patienten mit gastrointestinalen oder urologischen Tumorentitäten empfohlen – vor allem bei luminalem Tumor- oder Metastasennachweis [13,16,17,26].
Bei der Wahl der Antikoagulation ist neben der Tumorentität und dem vermuteten Blutungsrisiko auch die klinische Situation der Tumorpatienten zu berücksichtigen, etwa im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit oraler Substanzen oder dem Vorliegen von Übelkeit/Erbrechen [27]. Ferner sollte die mögliche Interaktion der unterschiedlichen DOAK mit der bestehenden oder geplanten Medikation differenziert betrachtet werden, speziell im Hinblick auf das Ausmaß ihrer
P-Glykoproteintransporter bzw. Cytochrom-P-Interaktionspotentiale [28].
Aufgrund der sehr ähnlichen pharmakologischen Kenngrößen von NMH und DOAK ist ein einfacher Wechsel ohne Überlappungsphase zwischen
diesen Formen der Antikoagulation
möglich.

Dauer und Intensität der Anti-koagulation zur sekundären Prävention (> 3 Monate)

Die Vergleichsstudien zur Antikoagulation bei CAT haben meist Zeiträume von 3 bis 6 Monaten untersucht. Nur
bei der HOKUSAI-VTE-CANCER-Studie wurde das Behandlungsregime für
12 Monate vergleichend dokumentiert, wobei 26 % der Patienten weniger als
3 Monate, weitere 17 % weniger als 6 Monate und 56 % über 6 Monate hinaus antikoaguliert wurden [23]. Abhängig von Tumorentität und -stadium sowie dem Ansprechen auf die Antitumortherapie ist bei aktiver Erkrankung von einem fortbestehenden VTE-Risiko bei Tumorpatienten auszugehen, wodurch die Indikation zu einer prolongierten Antikoagulation gestellt ist [3, 13, 6, 17].
In Analogie zum Vorgehen bei idiopathischer VTE ist eine eingehendere individuelle Nutzen-Risiko-Evaluation unter Einbeziehung der Patientenpräferenz zu empfehlen [3]. Die bei Nicht-Tumorpatienten bekannten Faktoren, die ein erhöhtes Rezidivrisiko bedingen, haben auch bei Tumorpatienten eine – wenn auch geringere – Bedeutung, wenn es um die Entscheidung für oder gegen eine prolongierte Antikoagulation geht. Besonders berücksichtigt werden sollten dabei das möglicherweise durch die Tumorerkrankung bzw. die tumorspezifische Therapie veränderte Blutungsrisiko sowie die Art, die Aktivität und die Therapie der Tumorerkrankung.
So wird man beispielsweise bei postmenopausalen Patientinnen mit ausschließlich ossär metastasiertem Mammakarzinom und stabiler Tumorerkrankung unter einem Aromatase-Inhibitor eher zu einer Beendigung oder (siehe unten) Dosisreduktion der Antikoagulation raten als bei Patienten mit weitgehend therapierefraktärem oder erneut progredientem metastasiertem Adenokarzinom des Magens, der Lunge oder der Bauchspeicheldrüse. Die diesbezüglichen Leitlinienempfehlungen sind jenseits der Aussage einer zu empfehlenden individuellen Nutzen-Risiko-Evaluation allerdings vage.
Die gegenwärtige Datenlage zu Tumorpatienten mit VTE umfasst, eher mangelhaft dokumentiert, nur den Zeitraum zwischen 3 und 12 Monaten nach VTE-Diagnose. Sie legt nahe, dass die Therapieadhärenz mit zunehmendem Abstand vom Primärereignis auch bei Tumorpatienten abnimmt [23]. Neben der Antikoagulationsdauer ist auch die Antikoagulationsintensität derzeit nicht evidenzbasiert geklärt. In der CLOT-Studie, deren Antikoagulationsregime auch den Standardarm der aktuellen randomisierten Untersuchungen der DOAK-Therapie darstellt, wird die therapeutische Dosis 4 Wochen nach VTE-Diagnose von 200 Anti-Xa-Einheiten Dalteparin auf 175 pro Kilogramm Körpergewicht (KG) einmal täglich reduziert. In der CATCH-Studie wurde Tinzaparin über die gesamte sechsmonatige Therapiedauer mit gleichbleibender Dosis von 175 Anti-Xa-Einheiten/kg KG einmal täglich appliziert. Nicht randomisierte Untersuchungen belegen – mit abnehmender Therapietreue – die prinzipielle Durchführbarkeit der längerfristigen NMH-Therapie. Es ist zu hoffen, dass mit oralen Faktor-Xa-Inhibitoren hier eine zuverlässigere Langzeit-Antikoagulation ermöglicht werden kann. Versorgungsstudien machen deutlich, dass im klinischen Alltag bei CAT-Patienten häufig in den ersten Wochen bis Monaten der Therapie eine Dosisreduktion der Antikoagulation durchgeführt wurde [22], ohne dass es für dieses Vorgehen eine belastbare Evidenz gab.
Zwei große Untersuchungen mit Apixaban [29] bzw. Rivaroxaban [30] untersuchten nach mindestens sechs-monatiger Antikoagulation die Reduktion der DOAK-Dosis auf 50 %, und konnten zeigen, dass dies nicht zu einer Erhöhung des Rezidivrisikos führte. In diese Studien waren allerdings nur Nicht-
tumorpatienten, überwiegend solche mit idiopathischen Venenthrombosen oder mit fortbestehenden Risikofaktoren, eingeschlossen. Ob ein derartiges Vorgehen auch bei Tumorpatienten sinnvoll ist, kann momentan nicht schlüssig beantwortet werden. Die reduzierte Antikoagulation mit Faktor-Xa-Inhibitoren ist aber eine Option auch für CAT-Patienten, die ein differenzierendes Vorgehen ermöglicht, welches das individuelle VTE-Risiko sowie die Blutungsproblematik der Patienten berücksichtigt.

Fazit und Ausblick

Das Risiko von Tumorpatienten, VTE zu erleiden, ist gegenüber Nicht-Tumorpatienten um ein Vielfaches erhöht und hat einen klinisch relevanten Anteil an Morbidität und Mortalität. Um eine frühzeitige VTE-Diagnose zu erreichen, möglichst bevor klinisch gravierende Ereignisse eintreten, ist eine adäquate Patientenaufklärung geboten. In einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung der verfügbaren Datenlage ist bei hohem Risiko (Khorana-
Score ≥ 2) die Indikation zur primären VTE-Prophylaxe auch bei ambulanten Patienten zu stellen.
Die therapeutischen Möglichkeiten der CAT-Behandlung haben sich durch die Verfügbarkeit der Faktor-Xa-Inhibitoren deutlich erweitert. Neben der lange als Therapiestandard geltenden Behandlung mit subkutan zu applizierenden NMH kann nun auch eine orale Antikoagulation mit Faktor-Xa-Inhibitoren auf gesicherter Datenlage durchgeführt werden – entweder von Beginn an oder im weiteren Verlauf nach einer Initialtherapie mit NMH. Die Verfügbarkeit zweier medikamentöser Therapieoptionen erlaubt es, die vielfältigen Charakteristika und Risiken, in denen sich Tumor- von Nicht-Tumorpatienten unterscheiden, individuell zu berücksichtigen.

Summary

Deep venous thromboses and pulmonary embolisms are frequent complication in cancer patients with a negative impact on quality of life and prognosis – despite measures of primary prevention. Because of the often oligo- to asymptomatic development, diagnosis is difficult. The therapy differs significantly from the procedure for non-tumor patients. For cancer patients, the guidelines recommend prolonged anticoagulation, usually going beyond 3 months, taking into
account the course of the malignancy. As an alternative to the parenteral application of low molecular weight heparins, oral factor Xa inhibitors are now also available as an evidence-based option for initial therapy and secondary prophylaxis.
When making a patient-specific decision about the type, duration and intensity of the anticoagulation, the therapy-related increase of a pre-existing in-
creased risk of bleeding in malignant patients requires special consideration.
Keywords: Cancer, venous thromboembolism, anticoagulation, low molec-ular weight heparins, factor Xa inhibitors

Autoren
Prof. Dr. Hanno Riess
Med. Klinik m. S. Onkologie und Hämatologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1 13353 Berlin