Der Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR)

Serie "Vom Biomarker zur Therapie": EGFR

Vor über 10 Jahren hatte man Inhibitoren der Tyrosinkinase (TKI) des Rezeptors für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) untersucht und gefunden, dass sie besonders wirksam sind, wenn der Rezeptor auf den Tumorzellen aktivierende Mutationen trägt. Seit der Zulassung des ersten EGFR-TKI Gefitinib ist es daher zwingend erforderlich, bei Patienten mit fortgeschrittenem, d. h. inoperablem NSCLC gleich zu Beginn den Mutationsstatus des EGFR-Gens – und mittlerweile auch einer ganzen Reihe anderer Gene – zu evaluieren, bevor man mit einer Therapie beginnt. Mutationen im EGFR treten bei einer Reihe mali-gner Tumoren auf; weil sie beim NSCLC besonders bedeutsam sind, wird der Fokus der folgenden Ausführungen darauf liegen.

Schlüsselwörter: EGFR, epidermaler Wachstumsfaktor, Biomarker, EGFR-Mutation, Tyrosinkinase, TKI, NSCLC, nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, ErbB1, HER1, EGFR-TKI, Osimertinib, Panitumumab, Afatinib, Gefitinib, Gefitinib, Necitumumab, Vizimpro, Dacomitinib, Erlotinib

Biologie des EGFR

Der EGFR (auch ErbB1 oder HER1) ist Mitglied einer Familie von vier membranständigen Rezeptoren, die vor allem auf den Zellen epithelialer Gewebe exprimiert werden (HER1–4). Das für den EGFR kodierende Gen liegt auf dem kurzen Arm von Chromosom 7, das Protein besteht aus einer extrazellulären Region, an die Liganden wie der epidermale Wachstumsfaktor (EGF) binden, einer Transmembran-Region und einer intrazellularen Tyrosinkinase-Domäne. Die Bindung eines Liganden induziert nacheinander eine Änderung in der Konformation des Rezeptors, dessen Dimerisierung und eine Autophosphorylierung der intrazellulären Tyrosinkinase, die ihrerseits die Signalübertragung in der Zelle anstößt. Daran sind die RAS/RAF/MEK- und die PI3K/AKT-Signalkaskade beteiligt, die Transkription und Proteinsynthese auslösen und damit Proliferation und Überleben der Zelle sichern.
Typisch für Tyrosinkinasen ist eine stark konservierte Tertiärstruktur vor allem im katalytischen Zentrum, in das ein ATP-Molekül sich sterisch genau einpasst und hydrolysiert werden kann. Die Bindung von ATP wird zudem über eine Regulierungs-Schleife (Autoinhibitory Loop) gesteuert. Mutationen können typischerweise die ATP-Bindungstasche oder den "autoinhibitory loop" betreffen . Sie ändern die Tertiärstruktur, was zu einer konstanten Signalweg-Aktivierung auch ohne Liganden führen kann. Diese wiederum fördert Überleben/Proliferation der betroffenen Zellen und kann Auslöser für Tumorwachstum/Metastasierung sein. Eine aktivierende EGFR-Mutation kann daher ein NSCLC verursachen und ist eine typische sogenannte Treibermutation.

Genetik und Mutationen

Das EGFR-Gen besteht aus 28 Exons. Aktivierende Mutationen beim NSCLC konzentrieren sich vor allem auf die Exons 18–21, die für einen Großteil der Rezeptor-Kinasedomäne kodieren (Abb. 1). 

Zellen mit solchen Mutationen gelten als onkogenabhängig, weil sie für ihr Überleben auf den mutierten Rezeptor angewiesen sind [1, 2]. Die nicht-interventionelle Real-World-Studie REASON lieferte bislang die aussagekräftigsten epidemiologischen Daten zur Häufigkeit von EGFR-Mutationen bei Patienten in Deutschland mit NSCLC im Stadium IIIB/IV [4, 5]. In der finalen Analyse von 4.100 auswertbaren Patienten lag dieMutationsrate über alle NSCLC-Proben bei rund 10 %, differierte  aber stark zwischen Untergruppen (Tab. 1).

In einer anderen Untersuchung von Daten aus 170 klinischen Labors weltweit fanden sich aktivierende EGFR-Mutationen am häufigsten bei Patienten mit Adenokarzinomen im südlichen Asien (46 %), am seltensten in Nord- und Südamerika (8 bzw. 9 %; [6]). Nach Daten eines großen Projekts der American Association for Cancer Research (AACR) ist das EGFR-Gen bei 22,2 % aller untersuchten Patienten mit NSCLC mutiert [7].  
Die häufigsten Mutationstypen im EGFR-Gen („klassische“ Mutationen) sind
• eine Gruppe von Deletionen in Exon 19 (p.Del19) bzw. von kombinierten Insertionen/Deletionen, die etwa 45 % aller Mutationen ausmachen und sensitiv gegenüber allen EGFR-TKI der ersten, zweiten und dritten Generation sind, und
• die Punktmutation p.L858R in Exon 21, die den Austausch eines Leucin-Restes gegen einen Arginin-Rest bewirkt, für ca. 40 bis 45 % aller Mutationen steht und auch auf alle EGFR-TKI anspricht [2, 8].
Die restlichen ca. 10 % der EGFR-Mutationen („seltene“ Mutationen) lassen sich in drei Gruppen einteilen [9, 10]:
• Gruppe 1: Punktmutationen und Duplikationen in den vier relevanten Exons 18–21 (ca. 6 % aller Mutationen).
• Gruppe 2: die p.T790M-Mutation alleine oder in Kombination mit anderen Mutationen. Bei dieser Punktmutation
wird ein Tyrosin- gegen einen Methionin-Rest ausgetauscht; dadurch erhöht sich die Affinität der Rezeptor-Tyrosinkinase für ATP. Erst- und Zweitgenerations-EGFR-TKI werden unwirksam, nicht jedoch die Drittgenerations-Substanz Osimertinib (ca. 2 % aller Mutationen; [2, 8, 11]).
• Gruppe 3 umfasst Insertionen in Exon 20, die gegen alle verfügbaren EGFR-TKI resistent sind (ca. 4 % aller Mutationen). Durch zunehmenden Einsatz von NGS-Techniken bei der molekularen Diagnostik werden immer mehr seltene EGFR-Mutationen identifiziert, deren Ansprechen auf zugelassene TKI heterogen und z. T. noch wenig bekannt ist [12]. Insgesamt ist die klinische Wirksamkeit von EGFR-TKI bei seltenen Mutationen nicht so gut untersucht wie bei klassischen.

Komutationen

Die Vorstellung von der singulären onkogenen Treibermutation greift häufig zu kurz, weil man nicht selten weitere Mutationen in anderen Genen findet und das Zusammenwirken der verschiedenen Veränderungen ins Kalkül ziehen muss. So können Komutationen im TP53-Gen, insbesondere im Exon 8, aber auch in weiteren Exonen, Ansprechen, PFS und Überleben unter einer Therapie mit EGFR-TKI deutlich verschlechtern [13, 14]. Als weitere Komutationen in Tumoren mit aktivierenden EGFR-Mutationen wurden etwa Veränderungen im WNT7/β-Catenin-
Signalweg und in Genen, die für den Zellzyklus von Bedeutung sind (CDK4/6), gefunden. Unter Therapie mit EGFR-TKI-kann die genetische Komplexität der Tumoren weiter zunehmen, z. B. durch Veränderungen in Genen wie CTNNB1 und PIK3CA, die die Metastasierungstendenz des Tumors verstärken oder das Ansprechen auf EGFR-TKI begrenzen [15].
Das Mutationsmuster von Tumoren kann nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich variieren: Vor allem in der Resistenzsituation können Metastasen sich vom Primärtumor unterscheiden. Daher sollten v. a. synchrone Primärtumoren von pulmonalen Metastasen differenziert werden, weil hier die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten unterschiedlicher Treibermutationen höher ist und das erhebliche therapeutische Konsequenzen haben kann [16].

EGFR-Mutationen außerhalb des NSCLC

Patienten mit kolorektalem Karzinom können mit EGFR-Antikörpern behandelt werden, ohne dass der EGFR mutiert sein muss – sofern sich im Tumor keine Mutationen in RAS-Genen (KRAS, NRAS) finden. Nach einigen Monaten entwickelt sich aber eine Resistenz gegen die Antikörper, die durch ein komplexes Muster von Mutationen in den Genen EGFR, KRAS, NRAS, BRAF und PIK3CA charakterisiert ist [17]. Genetische Alterationen im EGFR finden sich auch bei bis zu 50 % der Glioblastome, in 25–30 % der Fälle die Variante  EGFRvIII, bei der die extrazelluläre Domäne des Rezeptors (Exon 2–7) deletiert ist. Sie bewirkt eine konstitutive, Liganden-unabhängige Rezeptor-Aktivierung [18].

Nachweis von Mutationen

Bei der Diagnose eines NSCLC ist es nach Möglichkeit ausreichend, Biopsiematerial aus Primärtumor oder Metastasen zu gewinnen, um unmittelbar nach der histologischen Diagnosesicherung molekularpathologisch die erforderlichen prädiktiven Marker bestimmen zu können: Die aktuelle Onkopedia-Leitlinie [19] und die S3-Leitlinie vom Februar 2018 [20] empfehlen im Stadium IV in jedem Fall die Bestimmung von Mutationen in den Exons 18–21 des EGFR-Gens, von ALK- und ROS1-Translokationen sowie BRAF-V600-Mutationen, weil das unmittelbare Konsequenzen für die systemische Therapie hat. Tritt eine Resistenz gegen die zielgerichtete Therapie auf, ist eine erneute Testung (möglichst mit Re-Biopsie, alternativ aus Liquid Biopsy) unabdingbar, um die Resistenzmechanismen zu identifizieren, die wiederum die Rezidivtherapie bestimmen [19].
Für die Analyse eignet sich prinzipiell jede Art von histologischem oder zytologischem Material, neben frisch fixiertem Material auch Paraffinblöcke oder Schnitte von Paraffinmaterial. Auch aus Blut-proben lassen sich Mutationen in der Tumor-DNA nachweisen (Liquid Biopsy).

Analytische Verfahren

Da die sequentielle Testung von Mutationen Zeit und Probenmaterial kostet, empfehlen internationale Leitlinien zunehmend den Einsatz von Technologien zur massiven Parallelsequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS), mit denen sich Tumorproben schnell und materialsparend auf mehrere relevante Alterationen gleichzeitig untersuchen lassen. Im Allgemeinen werden hier ganze „Genpanels“ analysiert, die in unterschiedlicher Breite die bei Lungenkrebs relevanten Genveränderungen abdecken. Abb. 2 zeigt die verschiedenen molekulargenetischen Analyseverfahren im Vergleich. 

Diese Analysemethoden werden auch von der S3-Leitlinie für das Lungenkarzinom von 2018 empfohlen, mit einer „Turnaround“-Zeit von nicht mehr als zehn Arbeitstagen.

Postanalytik

Insbesondere mit NGS-Verfahren werden in der Regel zahlreiche Varianten detektiert, von denen viele artifiziell oder irrelevant sind. Vor einer Befundung steht daher eine Eliminierung dieser irrelevanten Varianten durch Filterung sowie die Interpretation der gefilterten und als valide identifizierten Varianten und ihre Einordnung hinsichtlich möglicherweise verfügbarer spezifischer Therapieoptionen. Dafür stehen entsprechende Datenbanken zur Verfügung (Überblick z. B. bei [24, 25]). V. a. die Recherche in verschiedenen Datenbanken mit somatischen Varianten ist aber arbeitsintensiv; und da die Prozesse bisher nur wenig standardisiert sind, und gerade bei seltenen Varianten auch gegensätzliche Informationen enthalten sein können, sollten immer mehrere Datenbanken ausgewertet werden [26, 27]. In der Open-
Source-Software cBioPortal z. B. [28] können gefilterte Variantentabellen automatisch mit öffentlichen Datenbanken (wie CIViC, OncoKB oder MyCancerGenome) abgeglichen und in eine übersichtliche klinische Interpretation überführt werden.

Anforderungen an eine molekularpathologische Untersuchung

• Die definitive Diagnose einer genetischen Veränderung, wie z. B. der Nachweis einer EGFR-Mutation, sollte innerhalb von höchstens zehn Arbeitstagen vorliegen.
• Es sollte eine sensitive Methodik eingesetzt werden, die auch bei einem Tumor-anteil von z. B. nur 10 % Ergebnisse bringt.
• Es sollten auch Gen-Fusionen nachgewiesen werden.
• Die Methodik sollte gewebesparend und so umfassend sein, dass sich alle therapierelevanten Targets nachweisen lassen.
• Das ausführende Labor sollte sich regelmäßig einer externen Qualitätssicherung stellen (z. B. in Ringversuchen).
Mit der zunehmenden Komplexität der Methoden und der Analytik ist es empfehlenswert, die molekularbiologische Diagnostik in Netzwerken durchzuführen und die Befunde in einer molekularbiologischen Konferenz unter Beteiligung eines Molekularpathologen zu besprechen.

Therapie mit EGFR-TKI

Den durch eine Mutation im EGFR-Gen aktivierten intrazellulären Signalweg kann man prinzipiell durch verschiedene Proteinkinase-Inhibitoren unterbrechen. Klinisch werden beim NSCLC mehrere EGFR-TKI eingesetzt; sie lassen sich in bislang drei Generationen einteilen:
Die erste Generation von EGFR-TKI, die für die Klinik entwickelt und zur Behandlung des fortgeschrittenen NSCLC zugelassen wurde, umfasst Gefitinib und Erlotinib. Sie erwiesen sich als aktiv bei Tumoren mit der Mutation p.L858R und Exon-19-Deletionen, die rund 90 % aller primär nachweisbaren EGFR-Mutationen beim NSCLC ausmachen [29]. Ihre Wirksamkeit ist allerdings oft zeitlich begrenzt (auf 10–12 Monate; [30, 31]), weil unter dieser zielgerichteten Therapie nahezu unweigerlich weitere Mutationen im EGFR-Gen auftreten, die die Zellen resistent gegen diese Inhibitoren machen.
Zweitgenerations-TKI wie Afatinib und Dacomitinib sind irreversible Inhibitoren, die kovalent an den Cys797-Rest nahe der ATP-Bindungsstelle im EGFR-Molekül binden. Sie hemmen EGFR mit Exon-19- Deletionen und L858R-Mutation sowie auch solche mit der T790M-Mutation [2, 32, 33], letztere allerdings nur in Dosierungen, die auch den Wildtyp-Rezeptor inhibieren und dadurch inakzeptable Toxizität auslösen (vor allem Hautausschlag und Diarrhö; [34–36]). Auch verschiedene Varianten wie die Mutationen G719X, Del18, E709K, Insertionen in Exon 19, S768I oder L861Q sprechen nicht gut auf Erstgenerations-TKI, aber besonders gut auf die Zweitgenerations-Substanz Afatinib an. Die Wirksamkeit der Zweitgenerations-TKI ist vermutlich numerisch  etwas länger als die der Erst-Generations-TKI, allerdings ist auch die Toxizität ausgeprägter.
Von den bislang entwickelten Drittgenerations-TKIs [37–39], ist bisher nur Osimertinib in einer Reihe von Ländern zugelassen. Dieser EGFR-TKI bindet ebenfalls kovalent an Cys797, hemmt aber den Wildtyp-Rezeptor kaum, und kann deshalb in Dosierungen eingesetzt werden, mit denen die T790M-Mutante komplett inhibiert wird bzw. gar nicht erst entsteht. Auch bei Insertionen in Exon 20, die lange als vollständig resistent angesehen wurden, weiß man mittlerweile, dass bei einigen seltenen Subtypen Osimertinib und bei den meisten der derzeit noch nicht zugelassene Drittgenerations-Inhibitor Nazartinib wirksam sind [8]. Osimertinib hat sich inzwischen auch in der Erstlinie den Erstgenerations-Inhibitoren Gefitinib und Erlotinib überlegen gezeigt und ist dafür zugelassen [40].
Diese knappe Übersicht macht deutlich, dass es bei der Weiterentwicklung von Konzepten zur zielgerichteten Therapie des NSCLC darauf ankommt, für möglichst jeden Patienten eine präzise Vorstellung vom Mutationsstatus des
EGFR zu haben, um exakt den passenden TKI auswählen zu können.

Autor
Prof. Dr. med. Frank Griesinger
Klinik für Hämatologie und Onkologie
Universitätsklinik Innere Medizin-Onkologie Cancer Center Oldenburg, Pius-Hospital Universität Oldenburg Georgstraße 21, 26121 Oldenburg