Von c-Src zum Tumorprofil: vier Dekaden molekulare Diagnostik in der Onkologie
Neuen Therapieoptionen und Präventionsstrategien, sensitiver und spezifischer Diagnostik – Innovationen, die unsere klinische Praxis nachhaltig verändern, geht jahrelange, teilweise jahrzehntelange Forschungsarbeit voraus. Naturwissenschaftliche und insbesondere molekularbiologische und biochemische Grundlagenforschung schafft dafür das Fundament. Die Translation der dort gewonnenen Erkenntnisse in die klinische Praxis stellt die wissenschaftliche Gemeinschaft seit jeher vor große Herausforderungen. Der Pathologie kommt dabei eine Schnittstellenfunktion zu: Sie nutzt diese Erkenntnisse und Methoden zur Erforschung menschlicher Krankheiten und verbindet so Medizin und Grundlagenforschung.
Schlüsselwörter: Onkogene, Tumorgenese, Molekularpathologie, Schnittstellenfunktion der Pathologie
Historie der molekularen Pathologie
Seit der Beschreibung der DNA als Träger der menschlichen Erbinformation 1952 hat die Untersuchung der molekulargenetischen Einflussfaktoren bei der Entstehung unterschiedlichster Krankheiten eine entscheidende Rolle bei deren Erforschung eingenommen. Die rasante Entwicklung molekularbiologischer Techniken, insbesondere durch die Möglichkeit, Nukleinsäure-Sequenzen in ungeahnter Geschwindigkeit, Präzision und Sensitivität nachweisen, untersuchen und nahezu unbegrenzt vervielfältigen und sequenzieren zu können, schufen die Vorrausetzungen dafür. Die molekulare Pathologie hat mit ihren Konzepten so in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen, Ätiologie und molekulare Pathogenese zahlreicher Erkrankungen zu verstehen. Darunter ist eine der großen medizinischen Herausforderungen unserer Zeit: Krebs.
Als durch genetische Veränderungen verursachte Erkrankung – ob erworben oder ererbt – lassen sich Ursache und Entwicklung von Krebs durch die Konzepte der molekularen Pathologie präzise beschreiben. Der zelluläre Ursprung von Tumoren sowie ihre Fähigkeit zur Proliferation und Metastasierung ist bereits seit weit mehr als 100 Jahren bekannt. Bereits 1838 zeigte der Mediziner Johannes Müller, dass Tumoren aus Zellen bestehen; Rudolph Virchow bewies, dass diese Zellen aus anderen Tumorzellen hervorgehen können, und Carl Thiersch konnte deren Fähigkeit zur Metastasierung nachweisen. Lange Zeit nahm man aber an, äußere Ursachen allein führten zur Tumorgenese. Entdeckungen wie die des Rous-Sarkoma-Virus durch Peyton Rous stützten diese Hypothese zur Krebsentstehung [1]. 70 Jahre später, 1981, gelangen Parker, Varmus und Bishop die Isolierung und Charakterisierung des ersten menschlichen Onkogens c-Src [2]. Parker und Kollegen schlussfolgerten, dass viral induzierte Tumoren nur einen Bruchteil der Krebserkrankungen ausmachen und stattdessen aberrant exprimierte Gene des eigenen Genoms zur Tumorgenese beitragen. Diese Erkenntnis bildet bis heute die Basis moderner Konzepte zur molekulargenetischen Pathogenese von onkologischen Erkrankungen.
Nach Parkers, Varmus` und Bishops Beschreibung von c-Src folgte binnen weniger Jahre die Entdeckung und Sequenzierung zahlreicher weiterer Onkogene [3].
Der Weg zum Next Generation Sequencing: schneller, genauer, günstiger
Die Basis dafür lieferten enorme methodische Fortschritte in der Biochemie und Molekularbiologie, insbesondere in der Sequenzier-Technologie. Die 1977 von Frederick Sanger entwickelte Kettenabbruch-Methode ermöglichte erstmals die Sequenzierung relativ langer Nukleinsäuresequenzen [4]. Sangers enzymatische Methode war weniger kompliziert, schneller und verlässlicher als alle anderen damaligen, vor allem chemischen Methoden, etwa nach Maxam-Gilbert. Sie markiert bis heute einen Meilenstein der genomischen Forschung. In den folgenden Jahren wurde Sangers Methode zunehmend verbessert und automatisiert: optimierte DNA-Polymerasen, fluoreszenzmarkierte Nukleotide statt radioaktiver Markierung, automatische High-Throughput-Kapillarsequenzierung statt manueller Trenngele – Techniken und Verbesserungen, die Forschungsprojekte wie das bahnbrechende und auch für die molekulare Pathologie entscheidende Human Genome Project erst ermöglichten [5]. Rund zehn Jahre später publizierte Pål Nyrén erstmalig zum Konzept der Pyrosequenzierung. Der Ansatz unterschied sich erheblich von Sangers Methode, denn er nutzt zur Detektion statt Fluoreszenz Lichtemission und immobilisiert die zu untersuchenden Sequenzen auf einer festen Phase. Nyréns Konzept läutete eine neue Generation in der Nukleinsäure-Sequenzierung ein und ist damit eine der ersten Methoden, die unter dem Begriff „Next Generation Sequencing“ verortet werden konnten. Im Zuge der Verbesserung und Kommerzialisierung dieser Technologie entwickelten sich neue und methodisch unterschiedliche Ansätze zur Amplifikation von Nukleinsäuren und zur anschließenden Sequenzierung.
Die immer besseren, schnelleren und vor allem kostengünstigeren Möglichkeiten zur Genanalyse beschleunigten auch die Erforschung der molekulargenetischen Grundlagen von Krebs. War mit c-Src 1981 lediglich ein einziges Onkogen beschrieben, sind heute rund 700 Onkogene bekannt, die an der Krebsentstehung Anteil haben können [6].
Treibermutationen: Schlüssel zur Erlangung der „Hallmarks of Cancer“
Umgehung der Apoptose, Unabhängigkeit gegenüber wachstumshemmenden Faktoren, unbegrenzte Proliferationsfähigkeit, selbsterhaltende Wachstumssignale, Angiogenese, die Fähigkeit zur Metastasierung und Invasion anderer Gewebe – diese sechs von Weinberg und Hanahan im Jahr 2000 in Cell beschriebenen Eigenschaften gelten nach wie vor als entscheidende Schritte in der Entstehung von Krebs (Abb. 1; [7]). Zu erklären sind sie unter anderem durch die Akkumulation verschiedener Treibermutationen in Onkogenen bzw. Tumorsuppressorgenen. Sie führen etwa dazu, dass streng regulierte Signalwege, die für Proliferation und Zellüberleben sorgen, etwa der MAP-Kinase- oder PI3K-Weg, konstitutiv aktiv sind oder Kontrollmechanismen (beispielsweise p53, Rb), die bei entarteten Zellen die Seneszenz oder Apoptose einleiten, verloren gehen.
2002 publizierten Smith und Kollegen dazu ein detailliertes Mehrstufenmodell, um die Progression vom Adenom zum Karzinom bei der Entstehung von Darmkrebs zu erklären [8]. Sequentiell auftretende Treibermutationen in APC, KRAS und p53 seien demnach bei dessen Pathogenese entscheidend.
Durch intensive Forschungsarbeit sind heute bereits bei einigen Krebsarten für Subpopulationen von Patienten charakteristische Mutationen und Mutationsmuster beschrieben: HER2/neu bei Brustkrebs, BRAF beim Melanom oder EGFR, ALK und ROS1 beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). Bei anderen Tumoren hingegen sind die molekulargenetischen Veränderungen, die die Erkrankung vorantreiben, z. T. noch unzureichend erforscht. Eine umfassende genetische Charakterisierung dieser Tumoren könnte dort ebenfalls zum Verständnis der genetischen Ursachen beitragen und zudem therapeutisch relevant sein.
Auch beim zuvor genannten Beispiel NSCLC ist in der Regel nicht eine einzige Mutation für die Tumorgenese verantwortlich; dennoch lassen sich zentrale Treiber identifizieren, die das genetische Profil des Tumors prägen und eine detailliertere Charakterisierung erlauben, als es mittels Histologie und Primärlokalisation allein möglich wäre.
Beispiel NSCLC: Genetische Veränderungen als entscheidende Determinanten der Therapie
Nach der aktuellen Leitlinie erfolgt beim NSCLC eine histologische Klassifikation nach vier Subgruppen: Plattenepithelkarzinome, Adenokarzinome, großzellige Karzinome und neuroendokrine Tumoren [9]. Jede Subgruppe lässt sich weiterhin in bestimmte Varianten unterteilen. Aus dieser differenzierten histologischen Betrachtung lassen sich insbesondere bei fortgeschrittenen Erkrankungen aber nur limitierte Informationen für die weitere Behandlung ableiten. Die bestmögliche Therapie und ein mögliches Ansprechen können ohne weitere Informationen so nur eingeschränkt bestimmt bzw. prognostiziert werden.
Die moderne molekulare Pathologie ist in diesen Fällen heute bereits in der Lage, ein detailliertes genetisches Profil des Tumors zu erstellen, denn zahlreiche, bei NSCLC entscheidende Onkogene sind bekannt, ihre Rolle in der Pathogenese ist umfassend charakterisiert und sie sind durch molekulardiagnostische Methoden sensitiv und spezifisch nachweisbar. Dazu zählen neben Treibermutationen in
EGFR, ROS1 und ALK auch DDR2, FGFR1, PIK3CA, MET, RET, HER2, BRAF, KRAS und weitere, zum Teil seltene Veränderungen, etwa NTRK-Genfusionen [10]. In der Mehrzahl der
NSCLC-Fälle lässt sich wenigstens eine Treibermutation feststellen, gegen die eine zielgerichtete Therapie verfügbar ist [11]. Die molekulare Pathologie kann es dem behandelnden Onkologen damit ermöglichen, eine informierte Therapieentscheidung zu treffen, die ohne eine molekulargenetische Analyse nicht möglich gewesen wäre. Molekulare Analysen eines Onkogens oder Hot-Spot-Tests, die nur ausgewählte Mutationen erfassen, werden dabei zunehmend von umfangreicheren Panels oder umfassenden Tumorprofilen ergänzt, die die vollständige Sequenzierung mehrerer hundert Gene umfassen können.
Die Rolle molekularer Pathologie in den Leitlinien
Das Portfolio zielgerichteter Wirkstoffe wächst von Jahr zu Jahr, damit wächst auch die Herausforderung, deren Einsatz evidenzbasiert, mit einem optimalen Nutzen-Risiko-Verhältnis, wirtschaftlich und allem voran zum Wohle des Patienten zu gestalten. Wichtige Orientierung bieten hier die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften. Hinweise zur molekularpathologischen Diagnostik finden dort mehr und mehr Einzug. Die Empfehlung zur Untersuchung bestimmter Marker wie HER2, EGFR, RAS oder BRAF ist in den entsprechenden Leitlinien unter bestimmten Voraussetzungen bereits verankert [9, 12, 13]. In der im letzten Jahr aktualisierten Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) zum Mammakarzinom haben darüber hinaus bereits Multigen-Untersuchungen ihren Platz gefunden [13]. Zudem unterstützt die AGO die Teilnahme an Studien, die den Einsatz umfassender Tumorprofile untersuchen. Vor dem Hintergrund wachsender therapeutischer Möglichkeiten, vor deren Einsatz eine molekularpathologische Untersuchung erforderlich ist, könnte auch die Bedeutung solcher Testmethoden in den unterschiedlichen onkologischen Leitlinien weiter zunehmen.
Molekulare Pathologie: Anforderungen an Qualität und Nutzwert sind hoch
Nicht trivial ist dabei die Frage, wann welche molekulargenetische Untersuchung ergänzend zur konventionellen Pathologie sinnvoll ist und ob ein entsprechender Service die notwendigen hohen Qualitätsanforderungen erfüllt – von der Validität der Ergebnisse bis hin zum Umgang mit den sensiblen, übermittelten Daten.
Hier gilt es bereits im Voraus Qualitätsstandards durchzusetzen und möglichst klar herauszuarbeiten, welche Patienten von einem ergänzenden umfassenden molekulargenetischen Tumorprofil für ihre Behandlung profitieren können. Die Diagnostik sollte daher mit einem klaren, realistischen Ziel verknüpft sein und die konventionelle Pathologie sinnvoll ergänzen. Vor dem Hintergrund des oftmals begrenzten Probenmaterials sollte der gewählte Service valide Ergebnisse generieren, die so umfangreich wie nötig sind, um dem Patienten auch im weiteren Verlauf erneute Probenentnahmen zu ersparen, sofern diese überhaupt möglich sind.
Je umfassender eine molekularpathologische Untersuchung ist, desto größer auch die Menge der gesammelten Daten. Deren Interpretation und Kontextualisierung stellt Pathologen und behandelnde Onkologen vor gewisse Herausforderungen, da in einigen Fällen eine Ableitung klarer Handlungsempfehlungen ohne technische Hilfe kaum möglich ist.
Der molekularen Pathologie obliegt hier die Aufgabe, diese Daten unabhängig und evidenzbasiert zu filtern und strukturiert aufzubereiten, damit daraus für Arzt und Tumorboard nutzbare und entscheidungsrelevante Informationen und – als Konsequenz für die Betroffenen – bestmögliche Behandlungsergebnisse entstehen.
Summary
From c-Src to tumor profiling: decades of molecular diagnostics
in oncology
Novel therapeutic options and prevention strategies, sensitive and specific diagnostics – innovations which fundamentally change our clinical practice, are preceded by research lasting for years if not decades. Basic science, especially molecalur biology and biochemistry, is creating the foundation for these developments. Translation of the acquired knowledge into clinical practice, however, is a big challenge for the scientific community. Pathology in this process has the function of an interface: It is utilizing the knowledge and methods to investigate the fundamentals of human disease and thereby connects medicine and basic science.
Keywords: oncogenes, tumorigenesis, molecular pathology, interface function of pathology.