Innovative Therapien fördern, Finanzierbarkeit sichern

Euroforum-Konferenz „Pharma 2019“, Berlin

Die Euroforum-Konferenz „Pharma 2019“, eine Veranstaltung des Handelsblatts, widmete sich in diesem Jahr den Herausforderungen, die die Digitalisierung an den Gesundheitsmarkt stellt, sowie der Entwicklung und Finanzierbarkeit innovativer Therapien. Individualisierte Therapien werden in Zukunft die Behandlung maligner Erkrankungen weiter vorantreiben, sind aber auch mit hohen Kosten verbunden. Wie Innovationen gefördert werden können, ohne die langfristige Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens aufs Spiel zu setzen, waren wichtige Themen.


Im vergangenen Jahrzehnt hat die klinische Onkologie enorme Fortschritte gemacht, wobei zielgerichtete Therapien, die sich an der molekularen Signatur des Tumors ausrichten, und immunonkologische Behandlungsstrategien mit Immuncheckpoint-Inhibitoren gegenüber der klassischen Chemotherapie immer mehr an Boden gewannen. Doch das ist erst der Anfang: In den kommenden zehn Jahren wird voraussichtlich eine neue therapeutische Revolution erfolgen, die dank Digitalisierung und „Big Data“ immer individuellere, sicherere und schnellere Therapiekonzepte verspricht. Dabei werden die Grenzen zwischen Immun-, Zell- und Gentherapien immer mehr verschwimmen.

CAR-T-Zellen – lebende Therapeutika gegen Malignome

Dr. Ulrike Haus, Medical Director Oncology bei Novartis, stellte das innovative Wirkprinzip von CAR-T-Zellen (T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor) vor. Das Besondere an diesen Zellen sei, dass sie eine Kombination verschiedener Wirkmechanismen (immun-, gen- und zelltherapeutisch) in sich vereinen und nur ein einziges Mal verabreicht werden müssen. Als „lebendes Therapeutikum“ entfalten sie ihre Wirkung im Organismus des Krebspatienten über lange Zeit, sodass Tumorzellen langfristig bis unter die Nachweisgrenze zurückgedrängt werden. Durch dieses bisher einmalige Wirkprinzip sorge die CAR-T-Zelltherapie bei Patienten mit extrem schlechter Prognose für anhaltende Remissionen. 

Prof. Claus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, der zuständigen Zulassungsbehörde, bestätigte, dass CAR-T-Zellen – zwei dieser Therapien sind derzeit in Europa zugelassen – aufgrund der Behandlungserfolge bei bereits aus­therapierten Leukämie- und Lymphom-Patienten die Hoffnung auf Heilung geschürt hätten. Gleichzeitig sieht Cichutek aber Probleme bei der Versorgung und Weiterentwicklung dieser Therapien. Er beklagte, dass bisher nur zwei Herstellungsstätten in den USA lieferfähig seien. Die Weiter-und Neuentwicklungen durch akademische klinische Forscher in Deutschland sei gewünscht, werde allerdings durch „die begrenzte Verfügbarkeit von Herstellungsstätten für Vektoren und Zellen unter GMP, die Notwendigkeit tiefer molekularbiologischer und immunologischer Kenntnisse und die regulatorischen Anforderungen“ begrenzt. 

Weiterhin sei die Szene der kleinen und mittelständischen Biotech-Unternehmen hierzulande möglicherweise nicht groß und kapitalstark genug, um akademische Entwicklungen zur Zulassung zu bringen. Als positiv in diesem Zusammenhang beurteilte Cichutek das zuletzt gestiegene Interesse und Engagement großer pharmazeutischer Unternehmen an diesen innovativen Therapien. Die hohen Kosten der CAR-T-Zelltherapie relativieren sich laut Cichutek dadurch, dass nur eine Einmalgabe der Zellen nötig ist „Diese Kosten fallen bei manchen konventionellen Arzneimitteln über viele Jahre an“, so Cichutek.

Hoffnung für die Zukunft: Tumor­spezifische Impfstoffe

 Eine völlig neue Art der individualisierten Tumor-Immuntherapie, die sich an der molekularen Signatur des Tumors orientiert und nur mithilfe von Digitalisierung und Big Data überhaupt möglich ist, stellte Dr. Dierk Poetting vom Biotech-Unternehmen BioNTech vor, das 2008 aus einer Ausgründung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hervorging. 

Ziel der Therapiestrategie ist es, tumorspezifische Antigene (Neoantigene) zu identifizieren und durch eine mRNA-basierte Vakzinierung für das Immunsystem erkennbar zu machen. Letztlich soll so eine körpereigene Immunreaktion induziert werden, die die Tumorzellen gezielt zerstört. Wie Poetting berichtete, werden die Neoantigene eines Tumors mittels neuer Technologien wie Next Generation Sequencing (NGS) und eigens entwickelter Algorithmen identifiziert. Auf Basis der damit erhaltenen Informationen wird eine tumorspezifische Vakzine designt und appliziert.

Nachdem 2015 die Wirksamkeit des Prinzips am Tiermodell gezeigt werden konnte, wurden 2017 die ersten Ergebnisse einer Phase-I-Studie an 13 Patienten mit fortgeschrittenem Melanom veröffentlicht [1]. Der Erstautor Prof. Dr. Ugur Sahin von TRON – Translationale Onkologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gGbmH, erhielt jüngst den Deutschen Krebspreis 2019 in der Kategorie translationale Krebsforschung. Die Daten legen nahe, dass es tatsächlich gelungen ist, eine Immunreaktion bei den Patienten zu erzeugen, die einen therapeutischen Effekt hat. Nach der Vakzinierung wurden bei den Patienten 4,82% mutationsspezifische T-Zellen identifiziert, und bei jedem einzelnen Patienten war eine Immunreaktion nachweisbar. Während in den 24 Monaten vor der Vakzinierung insgesamt 27 neue Metastasen auftraten, waren es im gleichen Zeitraum nach Beginn der Vakzinierung nur noch drei. Nun werden Studien mit größeren Patientenzahlen und unterschiedlichen Tumorentitäten durchgeführt. Neben individualisierten mRNA-Vakzinen entwickelt BioNTech auch Immuntherapien mit „duo-spezifischen“ Antikörpern sowie CAR-T-Zellen und vermarktet seine Immuntherapie-Technologieplattformen an andere Unternehmen.

Wie das alles bezahlen?

Dr. Carsten Brockmeyer, CEO des Unternehmens Formycon AG, stellte die Frage, wie unser Gesundheitssystem in Zukunft noch finanzierbar sein soll. Teure Innovationen wie immunonkologische Behandlungskonzepte inklusive CAR-T-Zellen bergen die Gefahr, den finanziellen Rahmen zu sprengen. Vor allem die biologischen Arzneimittel verursachten einen überproportionalen Anstieg der Kosten. Momentan seien weitere etwa tausend Biologika und rund 300 Zell- und Gentherapien in der Entwicklung – daher sei es zwingend notwendig, an anderer Stelle zu sparen, damit die langfristige Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme nicht bedroht werde. 

Biosimilars – Nachfolgepräparate von Biologika, deren Patentschutz ausgelaufen ist – können laut Brockmeyer bei therapeutischer Gleichwertigkeit zu Original-Biologika im Markt Wettbewerb erzeugen, der zu deutlichen Preisreduktionen führt. Diese könnten dann der Finanzierung von Innovationen zugutekommen. Biosimilars der ersten Welle, die zwischen 2006 und 2012 in der EU eingeführt wurden, umfassten im Wesentlichen Zytokine und Wachstumsfaktoren. Ab 2013 startete mit biosimilaren Antikörpern, die in Onkologie und Rheumatologie eingesetzt werden, die zweite Welle. Ab 2020 sei eine dritte Welle zu erwarten, die vor allem den Bereich Ophthalmologie und Immunologie umfasse.

Biosimilars unterstützen – aber wie?

In einer Podiumsdiskussion, an der neben Brockmeyer auch Dr. Stephan Eder, Head Sandoz Germany, Vorstandssprecher Hexal AG, sowie Brigitte Käser, Vorstandsmitglied der AOK Niedersachsen teilnahmen, ging es darum, mit welchen Mitteln der Marktanteil von Biosimilars in Deutschland weiter erhöht werden kann. 

Bei klassischen Generika sind Apotheken seit 2002 zum Austausch auf günstige Nachfolgeprodukte verpflichtet. Für Biosimilars existiert eine Aut-idem-Regelung derzeit nicht. Bundesgesundheitsminister Spahn wollte den Weg frei machen für die automatische Substitution, stieß aber auf Widerstand aus der Ärzteschaft. Der neue Entwurf des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) sieht nun eine Übergangszeit von drei Jahren vor. 

Eder sprach sich klar gegen eine Aut-idem-Regelung zum derzeitigen Zeitpunkt aus. Stattdessen hält er „ein behutsames Zusammenwirken der Selbstverwaltungen“, etwa der Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen, für Erfolg versprechend, da nur so Vertrauen bei den Ärzten geschaffen werden könne. Die Therapieentscheidung sollte weiterhin „vom Arzt in intensivem Dialog mit dem Patienten“ getroffen werden, nicht vom Apotheker. Auch Brockmeyer bestätigte: „Eine automatische Substitution halten wir derzeit nicht für zielführend, da sie zur Verunsicherung der Beteiligten beitragen kann.“

Käser betonte, dass aus rein pharmakologischer Sicht eine automatische Substitution von Original-Biologika durch Biosimilars möglich sei. Dass der Wechsel ohne Nachteile für die Patienten funktioniere, spiegele sich nicht zuletzt in den hohen Versorgungsanteilen der Biosimilars in bestimmten Marktsegmenten wider. Sie selbst sei in der Aut-idem-Frage „gespalten“, sehe aber, dass das gute Zusammenwirken von Kassen und KVen zumindest regional bereits zu einem hohen Versorgungsanteil der Biosimilars geführt habe. Möglicherweise sei ein Zeitraum von drei Jahren, wie im GSAV vorgesehen, geeignet, um dann erneut über die automatische Substitution zu diskutieren.

cls

Euroforum-Konferenz „Pharma 2019“ am 12./13.02.2019 in Berlin.