Qualitätsgesicherte Molekulardiagnostik in der Onkologie
Zielgerichtet – integriert – wissensgenerierend
Angesichts der Vielfalt der aktuellen molekulardiagnostischen Möglichkeiten und der dynamischen Entwicklung in der Onkologie hat die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) in Kooperation mit weiteren wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften ein Positionspapier zum Einsatz der Molekulardiagnostik in der Versorgung von Krebspatienten erarbeitet und gemeinsam mit der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) in Berlin vorgestellt [1].
Diagnostik und Therapie maligner Erkrankungen befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die mikroskopische Charakterisierung bösartiger Erkrankungen wird zunehmend ergänzt um eine komplexe biologische Diagnostik unter Verwendung molekulargenetischer und anderer Verfahren. Immer neu hinzukommende diagnostische und therapeutische Optionen verändern nicht nur die Behandlungsalgorithmen oder erfordern die kontinuierliche Aktualisierung bestehender Leitlinien – es verändert sich auch das grundlegende Verständnis der Definition von Krebs selbst. Aufgrund der Bedeutung dieser Veränderungen – deren Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen ist – und vor dem Hintergrund der Vielfalt der molekulardiagnostischen Möglichkeiten und der bestehenden Angebote haben die kooperierenden wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften* unter Federführung der DGHO ihre Position zum Einsatz der Molekulardiagnostik in der Versorgung von Krebspatienten in Deutschland beschrieben und zentrale Punkte definiert [1].

Molekulare Diagnostik im klinischen Kontext sinnvoll einsetzen und interpretieren
Ein wesentlicher Punkt ist die zielgerichtete Indikationsstellung zur Anforderung von Molekulardiagnostik bei Fragen zu Prävention, Screening, Diagnosesicherung und/oder Therapie. Prof. Olaf Ortmann, Regensburg, berichtete von der steigenden klinischen Relevanz und der stetigen Zunahme der Zahl molekulardiagnostisch nachgewiesener, krankheitsbezogener Aberrationen im Kontext einer individuellen Risikoabschätzung. Im Bereich Diagnostik seien molekulardiagnostische Verfahren zur Typisierung einer Tumorerkrankung indiziert, wenn mit konventionellen Verfahren die Diagnose nicht gesichert werden konnte und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, mittels der ergänzenden Diagnostik diese Sicherheit zu erlangen.
Für den therapeutischen Bereich ist die Prädiktion von zentraler Bedeutung. Prof. Ortmann erläuterte das am Beispiel des Mammakarzinoms: „Mit der Publikation der TAILORx-Studie liegen jetzt erstmals Daten einer großen, prospektiv randomisierten Studie zum prädiktiven Wert einer Genexpressionsanalyse bei Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem, nodal negativem Mammakarzinom vor. Auf Basis der TAILORx-Studie kann bei einer definierten Gruppe von Patientinnen mit HR-positivem Mammakarzinom die Empfehlung zur adjuvanten Chemotherapie gegeben, bei einer anderen Gruppe auf die Chemotherapie verzichtet werden“, so der DKG-Präsident weiter.
Grundsätzlich müsse die molekulare Testung in ein klinisches Umfeld eingebettet sein, das eine sinnvolle Indikationsstellung und Umsetzung bzw. Interpretation ermögliche, erklärte Prof. Carsten Bokemeyer, Hamburg (Abb. 1). „Am Ende der Diagnostik steht die interdisziplinäre Diskussion im Tumorboard (Tumorkonferenz) zur Erstellung der Therapieempfehlung für unsere Patientinnen und Patienten. An vielen Zentren sind in den letzten Jahren zudem molekulare Tumorboards mit besonderer Expertise in der Interpretation molekulardiagnostischer Befunde entstanden, die auch überregional zusammenarbeiten“, so der Vorsitzende der DGHO. Eine daraus resultierende Therapie müsse kontrolliert durchgeführt und umfassend dokumentiert werden, führte Bokemeyer weiter aus.

Molekulare Testung: technische Expertise und Qualitätssicherung
Wie Prof. Wilko Weichert, München, erläuterte, verfolge die Klinische Pathologie den Ansatz einer integrierten morpho-molekularen „ganzheitlichen“ Diagnose zur Personalisierung der Behandlung von Patienten. Molekulare Diagnostik an sich habe keinen Eigenwert, sondern müsse in einen Prozess eingebunden sein. Das Vorstandsmitglied der DGP verdeutlichte die rasante Entwicklung der molekulargenetischen Untersuchungstechniken in den letzten Jahren. Eine technische Herausforderung sei insbesondere die Analyse der meist kleinen, in Formalin fixierten und in Paraffin eingebetteten Biopsiepartikel bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, die einer Operation nicht mehr zugänglich sind.
Bezüglich der genannten molekularen Charakterisierungen sei es zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, eine bestimmte Methode vorzugeben; vielmehr ist das Erreichen eines validen Ergebnisses in der jeweiligen Testung entscheidend. „Erforderlich ist die regelmäßige Durchführung der spezifischen molekulardiagnostischen Analysen und damit eine hohe technische Expertise, die externe Validierung der Analyse-Qualität durch Teilnahme an Qualitätskontrollen in Form von Ringversuchen und eine Akkreditierung beziehungsweise Zertifizierung der Labore“, so Weichert. Dies kann dazu führen, dass nicht jedes Institut für Pathologie und nicht jedes hämatologische Labor eine umfassende Molekulardiagnostik anbieten kann. Aus diesem Grund ist der Auf- und Ausbau kooperativer Strukturen erforderlich, um den Arbeitsablauf und die Einhaltung der Kriterien der Qualitätssicherung zu garantieren.
In diesem Zusammenhang wies Weichert auf die etwas kontrovers zu diskutierende Rolle von kommerziellen Anbietern hin, die zurzeit in einigen Bereichen versuchen, Elemente und Strukturen der molekularpathologischen Diagnostik in zentralisierter Form mit einem Fokus auf ökonomische Aspekte zu übernehmen. „Voraussetzung für jedwede Art kommerziell orientierter Molekulardiagnostik ist ihre Integration in den im Positionspapier skizzierten Arbeitsablauf. Dieser beginnt mit der gezielten Indikationsstellung, reicht über die sichere mikroskopische Identifizierung von Tumorgewebe und die zielgerichtete Auswahl des korrekten Untersuchungsverfahrens über die qualifizierte Analyse einschließlich der Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen bis zur umfassenden Diskussion der Ergebnisse im Tumorboard. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch die volle Integration dieser Diagnostik in lokale beziehungsweise regionale klinisch-onkologische Strukturen, um die Integration der molekularen Diagnostik in den Gesamtkontext der Behandlung nicht zu gefährden“, so Weichert.
Wissensgenerierende Versorgung
Ein weiterer Abschnitt des Papiers beschäftigt sich mit der Generierung von Wissen und dem kontinuierlichen Wissenstransfer bis hin in die Versorgung. Die Erkenntnisse aus Testung und Therapie in der patientenindividuellen Situation bieten neue Chancen, um daraus breiteres Wissen für die Gesellschaft zu erzielen. Die Spezialsituation molekular individualisierter Medizin erlaube in besonderer Weise, Erkenntnisse für die Verbesserung der Versorgung im Krebssektor zu gewinnen, so Bokemeyer. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Daten geschützt und in anonymisierter oder pseudonymisierter Form für die Grundlagen- und Versorgungsforschung zur Verfügung stehen können [1]. „Auch vor Ort in den jeweiligen Zentren ist ein kontinuierlicher Wissensaustausch zwischen den Diagnostikern und den Therapeuten unerlässlich. Das diagnostische Angebot muss ständig den sich rasch ändernden Anforderungen angepasst werden, zum Beispiel bei der Publikation von den Therapiestandard verändernden Studiendaten oder beim Auftreten von Resistenzen unter zielgerichteten Therapien“, so Bokemeyer.
Ziele: verfügbar – vernetzt – verbindlich
Welche neuen gesundheitspolitischen Handlungsfelder sich angesichts der neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten eröffnen, verdeutlichte Prof. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO. So müsse neben der Sicherstellung der flächendeckenden Verfügbarkeit der molekularen Diagnostik in der Onkologie auch die zeitnahe, qualitätsgesicherte Durchführung und die kontinuierliche ärztliche Fortbildung in der Molekulardiagnostik maligner Erkrankungen gewährleistet werden. Hinsichtlich der Finanzierung ist auf der Basis von kontinuierlichen Analysen der Kosten und der Vergütungsstrukturen für molekulare Diagnostik im ambulanten und im stationären Bereich eine bedarfsgerechte Anpassung der Erstattung zu fordern [1]. Des Weiteren gelte es vor dem Hintergrund einer Patienten-orientierten Abwägung, Angebote externer kommerzieller Anbieter gegenüber der Durchführung von Analysen im regionalen/nationalen Rahmen kritisch zu prüfen. „Dazu gehört für uns die Förderung des Aufbaus und der Vernetzung akademischer Datenbanken mit Zugang zu allen molekulardiagnostischen Ergebnissen der Patienten, unter Berücksichtigung der nationalen und internationalen Vorgaben des Datenschutzes“, so Wörmann. Und letztlich fordert das Positionspapier auch eine „verbindliche Interpretation des Gendiagnostik-Gesetzes zur Analyse von genetischen Aberrationen, die gleichzeitig prädiktiv für die individuelle Tumortherapie sind, aber auch Hinweis auf eine hereditäre Belastung für den betroffenen Patienten und seine Angehörigen geben können“ [1].
Bettina Baierl
Pressekonferenz „Qualitätsgesicherte Molekulardiagnostik in der Onkologie: zielgerichtet – integriert“ der DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V.), 15.01.2019 in Berlin.