Methadon bei Krebs: Nur ein starkes Analgetikum, oder auch wirksam gegen den Tumor?

Methadon ist als starkes Schmerzmittel in der Palliativmedizin bekannt. Doch es soll noch mehr können. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest die Chemikerin
Dr. Claudia Friesen vom Universitätsklinikum Ulm und verweist dabei auf eigene Untersuchungen, nach denen Methadon Tumorzellen in die Apoptose treiben kann. Aufgrund aktueller Medienberichte setzen nun viele Krebspatienten ihre Hoffnungen auf Methadon. Wissenschaftliche Evidenz gibt es keine!

Was schon länger bekannt ist: Methadon kann an Opioid-Rezeptoren auf Tumorzellen binden und diese in die Apo­ptose führen. Dabei werden G-Proteine aktiviert und die Adenylatzyklase gehemmt mit der Folge einer cAMP-Downregulation, die Expression von Caspasen steigt an und induziert eine Apoptose. Verschiedene Hypothesen für eine antitumorale Wirkung von Methadon werden diskutiert: Die beschriebene Aktivierung der Apoptose, die direkte Abtötung der Krebszelle bei hoher Dichte an Opioid-Rezeptoren oder die Hemmung der Ausschleusung von Zytostatika aus der Zelle und damit die Steigerung von deren Effektivität. „Was dies allerdings in vivo bedeutet, ist noch unklar“, so Prof. Dr. Volker Heinemann, München (s. a. Interview).

In-vitro-Untersuchungen konsistent

Die Aussage, dass Methadon Tumoren zum Schrumpfen bringen soll, stützt sich v. a. auf Versuche an Zellkulturen und auf Tierexperimente. Darin konnte das Opioid die apoptotische Wirkung von Doxorubicin erhöhen, und der Effekt kann durch den Antagonisten Naloxon wieder weitgehend gehemmt werden. Bei Leukämiezellen ließ sich eine apoptotische Wirkung von Methadon zeigen. Auch eine Verstärkung der Wirkung von Doxorubicin durch Methadon und Buprenorphin, nicht dagegen durch Morphin wurde beobachtet. An Prostatakarzinom-Zellen erhöhte Methadon die Wirkung von Doxorubicin, nicht jedoch die eines Taxans.
Erste Daten gibt es auch aus Mausmodellen. Hier war die Kombination von Doxorubicin plus Methadon nicht nur dem Vehikel überlegen, sondern auch den einzelnen Substanzen. Heinemann betonte allerdings: „In meinen Augen besteht das Problem darin, dass hier mit sehr hohen Dosierungen gearbeitet wurde, die in der klinischen Anwendung toxisch wären und daher irrelevant sind." Auch Einzelfall-Berichte in den Medien seien für sich genommen nicht beweisend. „Die verfügbaren Daten sind sicherlich hoch suggestiv, aber nicht ausreichend, die Wirksamkeit von Methadon bei Tumorerkrankungen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu belegen“, so Heinemann. Dazu seien ausreichend große, kontrollierte klinische Studien notwendig.

Kein sicherer Überlebensvorteil

Umgekehrt gibt es Daten, die keinen Effekt von Methadon auf das Überleben von Tumorpatienten zeigen. So zeigte eine Fall-Kontroll-Studie in den USA nach einem Wechsel auf Methadon keinen Überlebensvorteil gegenüber anderen Opioiden, und zwar unabhängig davon, ob die Patienten eine Chemotherapie alleine, in Kombination mit einer zielgerichteten Therapie oder mit einer Strahlentherapie erhalten hatten. Auch eine randomisierte Studie aus Holland zeigte bei Patienten mit HNO-Tumoren keinen Vorteil von Methadon im Vergleich zu Fentanyl hinsichtlich des Überlebens. Mit Methadon war zwar die Schmerzlinderung – der primäre Endpunkt der Studie – besser, eine Post-hoc-Analyse zeigte aber keinen Überlebensvorteil. Bei der Einschätzung des Benefits müssen zudem auch die Risiken der Methadon-Therapie in Betracht gezogen werden. Dennoch sollten die Untersuchungen zum Einfluss von Methadon auf das Tumorwachstum laut Heinemann durchaus weiterverfolgt werden, um Klarheit über den tatsächlichen Stellenwert zu erhalten.

Unstrittig: Methadon als starkes Analgetikum

Unbestritten ist der Stellenwert von Methadon im Rahmen der palliativen Schmerztherapie von Tumorpatienten, allerdings nicht in der Erst-, sondern in der Zweit- oder Drittlinie. In Deutschland wird dafür allerdings, anders als im internationalen Ausland, das allein analgetisch wirksame Levo-Methadon eingesetzt, während in anderen Ländern das Racemat zum Zuge kommt, ein Gemisch aus L- und D-Methadon im Verhältnis 1 : 1. Indiziert ist L-Methadon insbesondere bei mangelndem Ansprechen auf Morphin oder andere Agonisten am µ-Opioid-Rezeptor sowie bei neuropathischen Schmerzen ohne Ansprechen auf Metamizol plus Morphin plus Koanalgetika, erläuterte Prof. Dr. Claudia Bausewein, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin der LMU München. Die Umstellung von Morphin auf das lipophilere Methadon ist allerdings nicht einfach, da sich die Substanz zunächst im Fettgewebe ansammelt. „Für die Umrechnung von Morphin gibt es keinen Äquivalenzfaktor“, betonte Bausewein. Problematisch ist auch die hohe Patienten-individuelle Halbwertszeit von 20–35, bei älteren Patienten bis zu 130 Stunden. Für die Umstellung müsse man sich deshalb eine Woche Zeit nehmen, bis die volle Wirksamkeit erreicht wird. Der Einsatz von L-Methadon erfordere daher viel Erfahrung und sollte laut Bausewein möglichst stationär erfolgen, beginnend mit einer langsamen Dosissteigerung. Zu hohe Dosen müssen frühzeitig erkannt werden, um ihnen gegensteuern zu können. Beim ambulanten Einsatz sollte ein SAPV-Team (Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgung) zur Supervision herangezogen werden.


„Ich akzeptiere die Entscheidung des Patienten“

Interview

Interview mit Prof. Dr. Volker Heinemann, Leiter des Comprehensive Cancer Center der LMU München

 

Methadon soll das Tumorwachstum hemmen – eine Hypothese, die von der Chemikerin Frau Dr. Friesen von der Universitätsklinik Ulm vehement vertreten wird, mit Verweis auf verschiedene Untersuchungen. Wie bewerten Sie die Daten?

Heinemann: Bislang liegen uns vor allem präklinische Experimente an Zellkulturen sowie tierexperimentelle Untersuchungen vor, die die Wirkung von Methadon auf das Tumorwachstum belegen. Grundsätzlich erscheinen die verfügbaren Daten konsistent. Fragen werden aktuell insbesondere dadurch aufgeworfen, dass die in den Experimenten eingesetzten Dosierungen von Methadon zum Teil im toxischen Bereich liegen. Die Daten lassen sich daher nicht einfach auf die Situation beim Patienten übertragen. Auch die nicht-kontrollierte klinische Untersuchung, die bei Glioblastom-Patienten durchgeführt wurde, liefert zunächst nur Beobachtungsdaten, aus denen allein noch keine konkreten Schlussfolgerungen abgeleitet werden können.

Bedeutet dies das „Aus“ für Methadon bei dieser Indikation?

Heinemann: Nein, wir können die vorliegenden Ergebnisse keinesfalls ignorieren. Vielmehr gilt es, durch klinische Studien das Wirkprinzip zu hinterfragen und die medizinische Evidenz weiter zu vertiefen. So ist am Universitätsklinikum Ulm eine Studie mit Methadon bei Patienten mit Darmkrebs geplant, aber auch die Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft (NOA) hat reagiert und will aufgrund des großen öffentlichen Drucks eine Studie zu Methadon bei Hirntumoren auflegen. Auch wir sind mit Frau Dr. Friesen in Kontakt getreten, um den bisherigen Beobachtungen gegebenenfalls auch im Rahmen einer klinischen Studie weiter auf den Grund zu gehen. Wir wollen das keinesfalls in eine falsche Ecke schieben.

Werden die geplanten Studien mit dem Racemat oder mit L-Methadon durchgeführt werden?

Heinemann: Mit dem Racemat, wie die In-vitro-Untersuchungen auch. Welcher Stellenwert konkret dem D-Methadon zukommt, ist derzeit noch unklar.

Wie reagieren Sie, wenn Patienten in die Tagesklinik kommen, die bereits Methadon einnehmen?

Heinemann: Sind die Patienten in Hinblick auf ihre Methadon-Einnahme gut kontrolliert, akzeptiere ich ihre Entscheidung und versage ihnen eine weitere chemotherapeutische Behandlung nicht. Aus meiner Sicht gehört dies zum Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Patienten. Wichtig ist, dass die Patienten auch über die Risiken der Therapie gut aufgeklärt und die behandelnden Ärzte über die Methadon-Behandlung informiert sind. Unsere wissenschaftliche Sicht auf die Daten ist eben nur ein Teil der Wahrheit; die Patienten haben dafür einen anderen Blick.


Potenziell tödlich

Typische Nebenwirkungen sind gastro­intestinale Störungen wie Obstipation, Übelkeit und Erbrechen, bei Überdosierung steht die Atemdepression im Vordergrund. Möglich ist auch ein Serotonin-Syndrom. Besonders betonte Bausewein das Risiko von Herzrhythmusstörungen als Folge einer QT-Zeit-Verlängerung, die tödlich enden können. Entsprechend ist vor Gabe von Methadon der Ausschluss eines „Long-QT-Syndroms“ mittels EKG erforderlich. Zu beachten ist zudem das erhöhte Risiko für Interaktionen mit Substanzen, die wie Methadon über CYP3A/4 abgebaut werden. Insgesamt ist Methadon ein wichtiges Schmerzmittel in der Palliativmedizin, dessen Einsatz sorgfältig kontrolliert werden muss. Nicht umsonst gilt es aufgrund der komplexen Pharmako­dynamik als potenziell risikobehaftet. Es hat den höchsten „Fatal toxicity index“ mit 42,65 Todesfällen pro einer Million DDD (20-mal höher als Fentanyl und achtmal höher als Morphin).

Beate Fessler


Veranstaltung des Krebszentrums München in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landes­ärztekammer – Akademie für Ärztliche Fortbildung: „Aktuelle Standards und Perspektiven in der Onkologie: Methadon und Cannabis als Begleittherapie“ am 13.12.2017 in München.