Neue Ergebnisse und Studienkonzepte zum Multiplen Myelom
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), Wien
Am letzten Tag des DGHO-Kongresses tagen regelmäßig die Kompetenznetzwerke für akute und chronische Leukämien sowie für maligne Lymphome, um einen Überblick über die im jeweiligen Jahr stattgefundenen Neuentwicklungen sowie über Planungen für neue Studien und Therapiekonzepte zu geben. Beim Lymphom-Symposium referierte in Wien Prof. Hermann Einsele, Würzburg, über „Neues zum Multiplen Myelom 2018“.
Neue molekularbiologische Techniken ermöglichen oder erleichtern zumindest die Entwicklung neuer zielgerichteter Therapien: Die Analyse genetischer Veränderungen in Tumorzellen ist mit den modernen molekularen Methoden heute in sehr kurzer Zeit möglich, was dazu führt, dass bei der Entwicklung von Resistenzen gegen moderne Medikamente sehr schnell die verantwortlichen Mutationen identifiziert und auf ihr Potenzial für die Weiterentwicklung der Therapie untersucht werden können. Aktuelle Beispiele beim Multiplen Myelom sind laut Einsele Mutationen im MAPK-Signalweg, im TP53-Tumorsuppressor-Gen und im Cereblon-Gen, die vor allem bei therapierefraktären Patienten gefunden werden:
• Immunmodulatorische Substanzen (IMiDs) gehören zu den meistgebrauchten Medikamenten beim Myelom, und seit einigen Jahren ist bekannt, dass ihre Wirkung über die Bindung an das Protein Cereblon vermittelt wird. Mutationen im Cereblon-Gen selbst sind bei neu diagnostiziertem Myelom mit < 1% sehr selten, Mutationen im Cereblon-Signalweg mit ca. 6% etwas häufiger. Beim progredienten, IMiD-refraktären Myelom steigen die Anteile hingegen auf 12% bzw. 22% der Patienten. Alle bisher identifizierten Cereblon-Mutationen beeinflussen die Bindungsstelle für IMids und sind damit unmittelbar für die Therapieresistenz verantwortlich [1].
• Bei Resistenz gegenüber Proteasom-Inhibitoren finden sich analog Mutationen in der Proteasom-Untereinheit β5 (PSMB5), und zwar direkt im Bereich der Bindungstasche für die Medikamente.
Die genaue Kenntnis dieser Veränderungen könnte helfen, nicht nur die Resistenzmechanismen genauer zu definieren, sondern vor allem neue Medikamente zu entwickeln, mit denen sich die Resistenzen umgehen lassen.
• Bei anderen Veränderungen sind zunächst einmal gar keine neuen Medikamente nötig, weil es bereits welche gibt, die sich in der klinischen Anwendung befinden: Interessanterweise sind zum Beispiel bei 4% der Patienten mit neu diagnostiziertem, aber bereits bei 12–15% derer mit rezidiviertem oder refraktärem Myelom Mutationen in der BRAF-Kinase zu finden, wie sie vom Melanom und vom nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) bekannt sind. Die beiden deutschen Myelom-Studiengruppen German Multiple Myeloma Group (GMMG) und Deutsche Studiengruppe Multiples Myelom (DSMM) prüfen derzeit in zwei Phase-I-Studien Inhibitoren von BRAF und MEK, die bereits bei BRAF-mutierten Melanomen und NSCLC angewendet werden: In der BIRMA-1-Studie werden Patienten mit BRAF-Mutationen mit der Kombination aus dem BRAF-Inhibitor Encorafenib und dem MEK-Inhibitor Binimetinib behandelt; von bisher fünf eingeschlossenen Patienten sprachen drei komplett an. In der BIRMA-2-Studie wird getestet, wie bei Patienten mit einer Aktivierung des MEK/ERK-Signalwegs bzw. des PI3K/AKT-Wegs entsprechende Inhibitoren (Trametinib bzw. Alpelisib) wirken.
Neue Medikamente ersetzen die Transplantation (noch) nicht
Die Einführung der Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation hat die Therapie jüngerer bzw. fitterer Patienten mit Multiplem Myelom enorm vorangebracht, ist aber mit erheblichem Aufwand verbunden. In den vergangenen zehn Jahren wurde in mehreren großen randomisierten Studien untersucht, ob sie sich mit den neuen Therapien (Lenalidomid, Bortezomib) vermeiden ließe – ohne Erfolg. Die Anforderungen sind hoch: Mit einer Kombination aus Induktionstherapie, autologer Transplantation und Konsolidierung (mit Carfilzomib, Lenalidomid und Dexamethason) lassen sich bei allen Patienten nahezu komplette und bei 90% sogar stringente Komplettremissionen erzielen [2]. Die DSMM rekrutiert zurzeit in 55 Zentren in Deutschland und Österreich mehr als 500 Patienten für ihre große Phase-III-Studie DSMM XVII, in der dieses Konzept noch verbessert werden soll, indem man zu Induktion, Konsolidierung sowie zu einer zweijährigen Lenalidomid-Erhaltungstherapie noch jeweils den SLAMF7-Antikörper Elotuzumab hinzugibt. In der HD7-Studie der GMMG hingegen wird eine Induktionstherapie mit Lenalidomid, Bortezomib und Dexamethason sowie einer Lenalidomid-Erhaltungstherapie nach der Stammzelltransplantation um den CD38-Antikörper Isatuximab ergänzt.
Nicht wirklich geklärt war bisher auch die Frage, ob eine einfache autologe Transplantation ausreicht oder ob man nach dem Vorbild der US-amerikanischen Arkansas-Gruppe eine Tandem-Transplantation anwenden sollte („Total Therapy“). In den genannten deutschen Studien gilt eine zweite Transplantation als indiziert, wenn nach der ersten keine Komplettremission erreicht wurde. In der EMN02/HO95-Studie des European Myeloma Network wurde Einfach- versus Tandem-Transplantation randomisiert verglichen, mit dem Ergebnis, dass vor allem bei Patienten mit Hochrisiko-Zytogenetik eine Überlegenheit der doppelten Transplantation hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens gefunden wurde [3]. Die DSMM randomisiert in ihrer Studie DSMM XIV Patienten mit mindestens einer sehr guten partiellen Remission nach der ersten Hochdosistherapie auf entweder eine zweite Transplantation oder eine Lenalidomid-Erhaltungstherapie bis zur Progression. Patienten mit weniger guter Remission nach erster Transplantation werden auf eine zweite autologe oder eine allogene Stammzelltransplantation randomisiert.
Im Rezidiv: Dreier-Kombination neuer Standard
Bei der Rezidivtherapie, so Einsele, stellen Dreifachkombinationen den neuen Standard dar. Da in der Erstlinie (ob mit oder ohne Hochdosistherapie) die Anwendung von Bortezomib-haltigen Regimes überwiegt, wird in der Zweitlinie meist ein Lenalidomid-Dexamethason-haltiges Protokoll eingesetzt; als Kombinationspartner stehen dabei Carfilzomib, Elotuzumab, Daratumumab und Ixazomib zur Verfügung. In ihrer Phase-II-Studie DSMM XV setzt die DSMM bei Patienten, die mit Bortezomib und Lenalidomid vorbehandelt sind, die Dreierkombination aus Ixazomib, Pomalidomid und Dexamethason (PId) ein, im Falle eines biochemischen Rezidivs ergänzt um niedrigdosiertes Cyclophosphamid. Primärer Endpunkt ist die Ansprechrate unter PId, Patienten mit offener Progression können eine Salvagetherapie nach Wahl des behandelnden Arztes erhalten.
Neue Immuntherapien sind beim Myelom stark im Kommen
Zum Abschluss gab Einsele einen Überblick über neue Immuntherapien, die auch beim Multiplen Myelom stark im Kommen sind. Darunter sind etwa Myelom-spezifische bispezifische T-Zell-Enhancer-Antikörper (BiTEs), die das B-Cell Maturation Antigen (BCMA) auf Myelom-Zellen und das CD3-Antigen auf T-Lymphozyten erkennen und diese beiden Zellen dadurch miteinander in engen, für die Myelom-Zelle letalen Kontakt bringen. Außerdem befinden sich auch für das Multiple Myelom T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) als „lebende Medikamente“ in der klinischen Entwicklung, die gegen verschiedene Myelom-spezifische Antigene gerichtet sein können und für die bereits erste interessante klinische Resultate aus Phase-I-Studien existieren (z. B. [5]). In einer Phase-II-Studie mit BCMA-spezifischen CAR-T-Zellen konnte bei refraktären Patienten, die darauf mit einer MRD-negativen Remission ansprachen, ein medianes progressionsfreies Überleben von 17,7 Monaten erzielt werden. Für Patienten, die auf eine gegen BCMA gerichtete Immuntherapie nicht mehr ansprechen, werden bereits CAR-T-Zellen entwickelt, die sich gegen SLAMF7 richten; an einer Phase-I/IIa-Studie ist als deutsches Zentrum die Universität Würzburg beteiligt, eine größere Phase-II-Studie ist gerade in Vorbereitung.
Josef Gulden
Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie vom 28.09.–02.10.2018 in Wien.