Supportivtherapie-Highlights: Cannabinoide, Kardiotoxizität, orale Mukositis

Internationale MASCC/ISOO-Tagung, Wien

Cannabinoid-Rezeptoren werden im peripheren und zentralen Nervensystem und auf Immunzellen exprimiert und üben verschiedenste Funktionen aus, die z. B. die Modulation der Schmerzverarbeitung, aber auch andere physiologische Prozesse betreffen. Pharmakologisch untersuchte Cannabinoide sind vor allem der psychoaktive Cannabis-Inhaltsstoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und das nicht psychoaktive Cannabidiol (CBD).

Die medizinische Nutzung von Cannabinoid-Zubereitungen wird seit einigen Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht, erklärte Dr. Declan Walsh, Leiter der Abteilung für Supportive Onkologie am Levine Cancer Institute, Charlotte, North-Carolina, USA. Ein Großteil der Impulse dafür sei außerhalb der Schulmedizin entstanden, und anekdotische Berichte übertreiben die Vorteile und unterschätzen die Nachteile von Haschisch, Marihuana und Cannabis-Rezepturen sowie synthetischen Abkömmlingen. Onkologen sollten sich jedoch mit dem Thema auseinandersetzen und auch ihre Patienten direkt fragen, ob sie Cannabis-Produkte einnehmen. Denn je nach Erhebung und Land verwenden 10–20% der Patienten, die sich einer Krebsbehandlung unterziehen, Cannabinoide, sagte der Supportivtherapie-Experte.

Schwache Evidenz für Cannabinoid-Wirksamkeit „nur“ bei Schmerz und CINV

Wichtig sei, so Walsh, die verschiedenen Cannabinoide zu unterscheiden. In Deutschland stehen Zubereitungen aus Pflanzenteilen (Medizinal-Hanf), Extrakte (Cannabidiol und Nabiximols-Mundspray) und synthetische Derivate (Nabilon, Dronabinol) zur Verfügung [1]. 

Ein 2017 veröffentlichter Report der „National Academies of Science, Engineering und Medicine“ aus den USA hat die bisherige Evidenz für die Wirksamkeit von Cannabinoiden auf 486 Seiten dargestellt [2. Danach gibt es eine eindeutige Evidenz zur Wirksamkeit bei Krebspatienten nur bei chronischen Schmerzen für Cannabis, THC und die oromukosale Kombination aus THC und CBD sowie bei Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen (CINV) für orale Cannabinoide, Dronabinol und Nabilon. In allen anderen bei Krebspatienten untersuchten Indikationen wie zum Beispiel Schlafstörungen oder Kachexie sei keine Evidenz in Form kontrollierter randomisierter Studien vorhanden, betonte Walsh. Auch bei (Chemo)-Therapie bedingter Übelkeit und Erbrechen wären ihm zufolge gute Studien hilfreich, die die synthetischen, gezielt an den Cannabinoid-Rezeptoren ansetzenden Präparate gegen moderne Antiemetika prüfen. 

Gegen den Einsatz von Cannabis-Zubereitungen und synthetischen Derivaten sprechen die schwerwiegenden Nebenwirkungen, die in der Folge auftreten können. Wahrscheinlich erhöht der Konsum von Cannabis dosisabhängig das Risiko, an Schizophrenie und anderen Psychosen zu erkranken. Auch die ko­gnitive Leistung, vor allem in den Bereichen Lernen, Gedächtnis und Aufmerksamkeit, kann reduziert werden. Weiter gibt es erhöhte Risiken für Tod, Überdosierung und Substanzmissbrauch bis -abhängigkeit.

Fluch oder Segen?

Wie Dr. Paul Farquhar-Smith, Consultant in Anaesthetics, Pain and Intensive Care am Royal Marsden NHS Foundation Trust, London, zusammenfasste, polarisiert das Thema Cannabinoide stark: Viele Kollegen sagten: „Auf keinen Fall einsetzen“, während andere den Cannabinoiden eine Chance geben: „Vielleicht wirkt es ja“. Fakt ist, dass die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit bei Krebsschmerzen und CINV schwach ist, darin sind sich die Experten einig. Das mag auch daran liegen, so Farquhar-Smith, dass in vielen Studien Pflanzenextrakte verwendet wurden, und nicht die gegen die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 gerichteten synthetischen Agonisten.

Kardiotoxizität unter Checkpoint-Inhibitoren

In der EU sind mit Atezolizumab, Avelumab, Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab derzeit fünf Immuncheckpoint-Inhibitoren in verschiedenen Indikationen zugelassen. Sie sind gegen die Schlüsselmoleküle CTLA-4 und 

PD-(L)1 gerichtet und aktivieren die körpereigene Immunabwehr, speziell die 

T-Zellen, die in der Folge den Tumor angreifen. Dies führt bei etwa einem Fünftel der Patienten zu einem mehrere Jahre lang anhaltenden Ansprechen. Die Kehrseite des Erfolgs sind unerwünschte autoimmune Ereignisse (irAEs, immune related Adverse Events), die sich aus dem Wirkmechanismus ableiten und im Prinzip alle Organe betreffen können. Wie Prof. Ian Olver, Direktor am Sansom Institute for Health Research, University of South Australia und Past-Präsident der MASCC, betonte, ist die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren mit einer ganzen Palette von Nebenwirkungen behaftet. 

Mit einer Prävalenz von < 1% sei die inflammatorische Myokarditis eine eher selten auftretende Nebenwirkung, wie Prof. Michael Ewer vom M. D. Anderson Cancer Center in Houston, Texas, erläuterte und anhand von Fallbeispielen illustrierte. Vermutlich werden Fälle von Kardiotoxizität – Myokarditiden, kontraktile Dysfunktion und Rhythmusstörungen – unter Checkpoint-Inhibitoren mit dem zunehmenden Einsatz dieser Substanzen vermehrt auftreten, meint Ewer. Dabei besteht auch die Gefahr, dass weniger schwere Fälle übersehen werden.

Immuntherapie-bedingte Myo­karditis – noch keine ausreichende Evidenz zum Management

Noch sei unklar, so Ewer, an welchen Parametern man sich in der Prädiktion und Diagnose orientieren sollte. Derzeit kann man noch nicht vorhersagen, welche der mit Checkpoint-Inhibitoren behandelten Patienten immunbedingte bzw. immunbedingte kardiale Nebenwirkungen entwickeln werden. Es fehlen validierte Risikofaktoren, Algorithmen und Empfehlungen zum Risikomanagement. 

Ewer empfahl, bei jedem Patienten vor Beginn der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ein EKG anzufertigen. Bei Auftreten kardialer Symptome könne dann ein erneutes EKG mit dem Ausgangsbefund verglichen werden. Auch eine Bestimmung des kardialen Troponin I – ein erhöhter Wert zeigt einen kardialen Schaden an – kann sinnvoll sein, vermutlich auch die Echokardiografie als nicht-invasive Diagnostik, um Veränderungen der Pumpfunktion zu erfassen. 

Die Therapiestrategien für immunbedingte unerwünschte Ereignisse gelten im Prinzip auch für die kardialen Nebenwirkungen und umfassen Therapieunterbrechung, gegebenenfalls eine hochdosierte immunsuppressive Kortikosteroid-Therapie, die bei Bedarf auch durch Mycophenolat, Infliximab oder Anti-Thymozyten-Globulin (ATG) ergänzt werden kann.

Mukositis bei Mundhöhlenkarzinomen: Neue Therapieoptionen ante portas

Die orale Mukositis in schwerer Ausprägung betrifft ca. 70% der Patienten mit Kopf- und Halstumoren, die mit einer Chemoradiotherapie (CRT) mit im Median 40 Gy behandelt werden. Sie ist für die Patienten außerordentlich belastend. Als wichtiger Faktor für die Entstehung der oralen Mukositis gelten die durch die Bestrahlung induzierten reaktiven Sauerstoffspezies (Superoxid-Anionen), die durch das Enzym Superoxid-Dismutase (SOD) wieder abgebaut werden können. GC4419 ist ein spezifisches Mimetikum der SOD-Dismutase und konnte in einer Phase-1b/2a-Studie eine schwere orale Mukositis mildern [4].

Die Infusion von GC4419 (Galera Therapeutics) vor der Radiotherapie kann die Dauer und Inzidenz von schweren oralen Mukositiden bei Patienten mit Mundhöhlen- (OCC) und Oropharynx-Karzinomen (OPC) reduzieren, wie Dr. Carryn Anderson und Kollegen, Carver College of Medicine der University of Iowa, Iowa City, Iowa, in einer Multicenterstudie belegen konnten [5]. Diese Untersuchung wurde auf dem diesjährigen MASCC-Kongress als bestes eingereichtes Forschungs-Abstract prämiert.

223 Patienten mit lokal fortgeschrittenem Mundhöhlen- oder Oropharynxkarzinom waren in der Multicenter-Studie auf drei Arme randomisiert worden. Die Therapie bestand aus einer intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT) und Cisplatin. Unmittelbar vor der Strahlentherapie erhielten die Teilnehmer entweder 30 oder 90 mg GC4419 oder Plazebo als 60-minütige intravenöse Infusion. Bis zu acht Wochen nach der Radiotherapie wurde geprüft, ob eine schwere orale Mukositis vorlag; primärer Studienendpunkt war deren Dauer. Wie Anderson berichtete, konnte die 90-mg-Dosis von GC4419 im Vergleich zu Plazebo sowohl die Inzidenz (43% vs. 65%; p = 0,009) als auch die Dauer von schweren oralen Mukositiden (1,5 vs. 19 Tage; p = 0,0024) signifikant und klinisch bedeutsam verringern. Auch für die 30-mg-Dosis wurden Verbesserungen berichtet, die jedoch weniger deutlich ausfielen. Die Verträglichkeit war gut und lag auf Plazebo-Niveau, es wurden keine GC4419-spezifischen Toxizitäten berichtet, und auch andere bekannte Toxizitäten der Radiochemotherapie waren nicht erhöht.

Diese Studie zeigt das starke Potenzial von GC4419 für die Behandlung der oralen Mukositis bei Patienten, die eine Kopf-Hals-Strahlentherapie erhalten, sagte Dr. Rajesh V. Lalla, Präsident der MASCC. Die Substanz erhielt von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA als „Breakthrough“ einen „Fast-Track“-Status zugesprochen. Eine Phase-III-Studie, die die 90-mg-Dosierung gegen Plazebo prüft, ist in Planung.

Carola Göring

Jahrestagung der MASCC/ISOO 2018, 28.–30.06.2018, Wien.