Frühes Mammakarzinom: St.-Gallen-Konsens 2017 – ‚Escalating‘ oder ‚De-Escalating‘

15th St. Gallen International Breast Cancer Conference 2017, Wien

Alle zwei Jahre findet die internationale St. Gallen Konsensuskonferenz zur Behandlung des primären Mammakarzinoms statt. Ziel ist es, die Behandlung von Patientinnen mit frühem Mammakarzinom international zu standardisieren. Die diesjährige 15. Konferenz stand unter dem Motto ‚Escalating and De-escalating‘: Patientinnen sollen immer individueller behandelt und das Risiko einer Über- bzw. Untertherapie vermieden werden.

Das internationale Experten-Panel setzte sich dieses Jahr aus 72 Fachleuten aus über 20 Ländern zusammen, darunter fünf Vertreter aus Deutschland: Prof. Sara Brucker, Universitätsklinik Tübingen, Prof. Carsten Denkert, Institut für Pathologie der Charité Berlin, Prof. Nadia Harbeck, Brustzentrum der Universitätsfrauenklinik München, Prof. Jens Huober, Universitätsfrauenklinikum Ulm, und Prof. Sibylle Loibl, German Breast Group (GBG), Neu-Isenburg. 

Stellenwert der Axilla-Dissektion im neoadjuvanten Konzept

Bei den operativen Fragestellungen zur Behandlung des primären Mammakarzinoms ging es unter anderem um das Vorgehen nach neoadjuvanter Chemotherapie (NACT). Ein zentraler Punkt war der Stellenwert der axillären Lymphknotendissektion (ALND) nach NACT. Das Panel votierte mehrheitlich dafür, dass bei einer Patientin mit klinisch unauffälliger Axilla (cN0) bei Erstdiagnose eine Sentinel-Node-Biopsie (SNB) ausreicht und keine Indikation für eine ALND besteht. Die SNB sollte nach und nicht vor NACT durchgeführt werden.
Hat eine Patientin mit klinisch suspektem Lymphknoten bei Erstdiagnose nach NACT klinisch/sonografisch eine unauffällige Axilla, hielt eine knappe Mehrheit des Panels bei Patientinnen mit 1–2 detektierten axillären Lymphknoten nach NACT eine SNB für nicht ausreichend. Auf eine ALND sollte zudem auch dann nicht verzichtet werden, wenn ein oder mehrere makrometastatisch befallene SLN nach NACT vorliegen.

Adjuvante Bestrahlung reduzieren?

Bei der adjuvanten Strahlentherapie konzentrierte sich die Diskussion auf die Frage, ob bzw. in welchen klinischen Situationen das Ausmaß der Bestrahlung reduziert werden kann, ohne die Prognose der Patientin zu verschlechtern. Nach brusterhaltender Operation sieht das Panel in der hypofraktionierten Bestrahlung der Brust eine Standardoption, die insbesondere für die über 50-jährigen Patientinnen infrage kommt.
Die Brust-Teilbestrahlung nach brust­erhaltender Operation ist laut St. Gallen-Votum dann eine Option, wenn die Patientin nach den Kriterien der ASTRO (American Society of Radiation Oncology) und der ESTRO (European Society for Radiotherapy & Oncology) als geeignet (‚suitable‘) eingestuft werden kann. Das Votum geht damit über die aktuelle AGO-Empfehlung hinaus.

Stellenwert von Multigen-Expressionsanalysen

Multigen-Expressionsanalysen sollen in unklaren Fällen eine individuellere Behandlung der Patientinnen ermöglichen. Grundsätzlich, so das Panel, ist jedoch die immunhistochemisch basierte Unterscheidung zwischen ‚luminal A-like‘ und den ‚luminal B-like‘ (HER2-negativen) frühen Mammakarzinomen tumorbiologisch von Bedeutung. Laut Mehrheitsvotum lassen sich daraus klinisch relevante Informationen ableiten, die bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden sollten.
Eine deutliche Mehrheit des Panels sah dagegen die Möglichkeit, mit den derzeit verfügbaren Expressionstests bei Patientinnen mit ER-positiven/HER2-negativen frühen Tumoren prognostisch relevante Informationen für die nächsten fünf Jahre zu erhalten. Die Hälfte der Teilnehmer würde bei Patientinnen ohne Lymphknotenbefall (und HR-positivem Tumor) Multigen-Expressionsanalysen einsetzen, um im Zweifelsfall die Indikation für eine verlängerte endokrine Therapie (über fünf Jahre hinaus) stellen zu können.

Ovarielle Suppression kann eine Option sein

Das St.-Gallen-Panel sah bei prämenopausalen Patientinnen in der Kombination aus Tamoxifen und ovarieller Suppression (OFS) eine Option, wenn die Patientin nach (neo-)adjuvanter Chemotherapie noch prämenopausale Östrogen-Serumwerte aufweist. Darüber hinaus bestehe eine Indikation bei sehr jungen Patientinnen (< 35 Jahre) sowie jenen mit vier und mehr befallenen Lymphknoten. Ist ein Aromatasehemmer bei prämenopausalen Patientinnen indiziert, sollte dieser immer mit einer OFS kombiniert werden.
Für postmenopausale Patientinnen ist Tamoxifen nach wie vor eine Option. Grundsätzlich und speziell bei erhöhtem Risiko sollte jedoch innerhalb der ersten fünf Jahre der adjuvanten endokrinen Therapie ein Aromatasehemmer eingesetzt werden. Ein erhöhtes Risiko besteht zum Beispiel bei Patientinnen mit Lymphknoten-Befall, bei einem G3-Karzinom oder einem hohen Ki-67-Wert sowie bei invasiv lobulärer Histologie.
Auch in der erweiterten adjuvanten endokrinen Behandlung über den 5-Jahres-Zeitraum hinaus sahen die St.-Gallen-Panelisten eine Option bei erhöhtem Rezidivrisiko. Für nach wie vor prämenopausale Patientinnen ist die Weiterbehandlung mit Tamoxifen eine Option. Postmenopausale Patientinnen sollten mit einem Aromatasehemmer weiterbehandelt werden und diesen – je nach endokriner Vorbehandlung – insgesamt mindestens fünf bis acht Jahre erhalten. Patientinnen, die bereits von Anfang an einen Aromatasehemmer bekommen haben, sollten bei erhöhtem Rezidivrisiko für weitere drei bis fünf Jahre mit dem Aromatasehemmer weiterbehandelt werden.

Mammakarzinom und Schwangerschaft

Möchte eine Mammakarzinom-Patientin schwanger werden, kann eine adjuvante endokrine Behandlung unterbrochen werden, so das Mehrheitsvotum im Panel. Eine Unterbrechung sollte jedoch frühestens 18 Monate nach Beginn der endokrinen Behandlung erfolgen, da andernfalls das Rezidivrisiko erhöht sein könnte.

Indikation für die adjuvante Chemotherapie

Die Entscheidung für bzw. gegen eine adjuvante Chemotherapie sollte sich bei Patientinnen ohne Lymphknoten-Befall an der immunhistochemisch bestimmten Tumorbiologie orientieren, die im Zweifelsfall durch eine Multigen-Expressionstestung ergänzt werden kann, so das St.-Gallen-Votum. Relative Indikationen für eine adjuvante Chemotherapie sah das Panel bei G3-Tumoren, Patientinnen mit befallenen Lymphknoten, einem hohen Ki67-Proliferationsindex, bei sehr jungen Frauen (< 35 Jahre) sowie bei geringer Hormonrezeptor-Expression.
Eine adjuvante Chemotherapie sollte bei Patientinnen mit ‚luminal B-like‘ Mammakarzinom (HER2-negativ) Anthrazyklin- und Taxan-basiert sein. Das gilt auch für Patientinnen mit invasiv-duktalem tripel-negativem Mammakarzinom (TNBC). Liegt kein Lymphknoten-Befall und ein sehr kleiner Primärtumor (pT1a pN0) vor, kann man bei diesen Patientinnen auch auf eine adjuvante Chemotherapie verzichten. Dosisdichte Regimes (mit G-CSF-Support) können bei Patientinnen mit frühem TNBC eingesetzt werden, sind aber für eine Mehrheit des Panels keine bevorzugte Option.
Anthrazykline und Taxane sind auch bei Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom mit Lymphknoten-Befall die Substanzen der Wahl. Ab dem Stadium pT1b ist zusätzlich eine gegen HER2 gerichtete Behandlung indiziert.

Neoadjuvantes Therapiekonzept hat an Akzeptanz gewonnen

Erstmals bestätigte das Panel mit überzeugender Mehrheit sowohl für die Patientinnen mit frühem HER2-positivem Mammakarzinom als auch für jene mit TNBC die neoadjuvante Behandlung als bevorzugtes Therapiekonzept ab Stadium II – auch dann, wenn eine brusterhaltende Operation schon zu Beginn möglich wäre. Über 80% der Panel-Teilnehmer sehen in der doppelten Antikörper-Blockade mit Pertuzumab/Trastuzumab in Kombination mit einem Taxan eine zu empfehlende neoadjuvante Therapie.
Für Patientinnen mit TNBC empfahl das St.-Gallen-Panel eine neoadjuvante Chemotherapie mit Platin oder einem Alkylans bzw. eine sequenzielle Chemotherapie mit Anthrazyklinen und Taxanen. Mehrheitlich sah das Panel zudem auch im neoadjuvanten Einsatz des Albumin-gebundenen nab-Paclitaxel gefolgt von Epirubicin/Cyclophosphamid (EC) ein mögliches neoadjuvantes Regime für Patientinnen mit frühem TNBC.
Der Einsatz einer adjuvanten Standard-(Chemo-)Therapie ist nicht vom Alter der Patientin abhängig. Die Therapieentscheidung wird durch Komorbiditäten, die verbleibende Lebenserwartung, das Krankheitsstadium sowie die Präferenzen der Patientin beeinflusst. Entsprechend sah das St.-Gallen-Panel kein maximales Lebensalter für die Indikation einer adjuvanten Chemotherapie.
Das gilt bei postmenopausalen Patientinnen auch für die Indikation der adjuvanten Strahlentherapie, wenn die Patientin brusterhaltend operiert wurde, eine adjuvante endokrine Therapie geplant ist und eine Niedrigrisiko-Situation vorliegt mit einem Östrogenrezeptor-positivem Mammakarzinom ohne Lymphknoten-Befall. Die Indikation für eine adjuvante Bestrahlung sollte sich an der Lebenserwartung (< oder ≥ 10 Jahre) sowie an potenziellen Komorbiditäten orientieren.


Birgit-Kristin Pohlmann


15th St.Gallen International Breast Cancer Conference 2017: Primary Therapy of Early Breast Cancer. Evidence, Controversies, Consensus, am 18.03.2017 in Wien.