Selen-Substitution als supportive Maßnahme

Selen, ein essenzielles Spurenelement, kann antiinflammatorisch, antioxidativ und zytoprotektiv wirken, es spielt eine wesentliche Rolle bei DNA-Reparaturvorgängen, im Schilddrüsenstoffwechsel sowie bei der Fertilität. Auch wichtige immunologische Abläufe wie die Aktivierung des T-Zell-Rezeptors und die Antikörper-vermittelte Zytotoxizität sind zum Teil abhängig von einer ausreichenden Versorgung mit Selen. Entscheidend bei der Substitution ist jedoch die Wahl des richtigen Selen-Metaboliten: Natriumselenit oder Selenat.

Selen ist nicht gleich Selen: Nicht alle Selen-Metaboliten sind geeignet und hilfreich, sondern können sogar toxisch wirken, erklärte Dr. Peter Holzhauer, Oberaudorf: Speziell in der Onkologie spielen aufgrund ihrer Bioverfügbarkeit und pharmakologischen Sicherheit ausschließlich anorganische, redox-aktive Selen-Metaboliten wie Selenomethionin und Natriumselenit eine Rolle.

Deutschland gilt als Selen-Mangelgebiet: Wegen der großen Unterschiede im Selengehalt der Böden (schwefelhaltige Düngemittel, saurer Regen) schwankt der Selen-Gehalt in Nutzpflanzen sehr stark. Der in Deutschland geltende Referenzbereich für die Selen-Konzentration ist nicht genau definiert: Derzeit liegt er, so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), im Vollblut bei 100–140 µg/l (entspricht ca. 80–120 µg/l im Serum), kritisch sind Werte unter 40 µg/l. 

Frauen nehmen durchschnittlich 30 µg/Tag über die Nahrung auf, Männer 41 µg, was Holzhauer zufolge zu wenig ist. Anzeichen für einen Selen-Mangel sind Veränderungen an den Fingernägeln und Haarausfall, gegebenenfalls auch Muskelschwäche. Bei einem Selen-Defizit ist keine ausreichende und optimale Aktivität von Selen-haltigen Proteinen gewährleistet. 

Selen-Mangelzustände bei Patienten mit unterschiedlichen Tumorentitäten wurden in mehreren Publikationen beschrieben. Doch sollte eine Selen-Supplementation nur bei Personen mit defizitärer Versorgungslage nach vorheriger Messung erfolgen, da eine Supplementierung bei nicht defizitärem Selenspiegel negative Effekte mit sich bringen kann. Für die interventionelle Therapie gibt es nur wenige Daten mit einem ausreichenden Evidenzniveau, was Holzhauer zufolge daran liegt, dass bei Studien, beispielsweise in den USA, immer die falschen Selen-Metaboliten verwendet wurden. 

So wurde Selen bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom supportiv zur Chemotherapie eingesetzt, da Selenit die Cisplatin-Nephrotoxizität vermindert. In einer klinischen Phase-III-Studie wurde Natriumselenit (das in den USA nicht zugelassen ist) bei Patientinnen mit Zervix- und Endometriumkarzinom in pharmakologischer Dosierung vor der Strahlentherapie gegeben: Die Nebenwirkungen verminderten sich. Ein Langzeit-Follow-up über 10 Jahre zeigte keine nachteiligen Effekte auf die Wirkung der Strahlentherapie.

Holzhauer rät, bei einer Chemotherapie immer den Selenspiegel zu messen, da dieser unter der Therapie sinkt. Natriumselenit besitze ein vielversprechendes Potenzial beim Einsatz in der supportiven Tumortherapie und sollte intensiver in Studien evaluiert werden.

Helga Vollmer

37. Münchener Fachpresse-Workshop „Supportivtherapie in der Onkologie“ am 30.03.2017 in München, veranstaltet von POMME-med, München.