Diagnostik des Prostatakarzinoms: Evidenz-basiert Schritt für Schritt voran

Editorial 02/2017

Der Schwerpunkt im vorliegenden Heft von Trillium Krebsmedizin enthält Beiträge zur Früherkennung, zur bildgebenden Diagnostik (Kernspintomografie und PET), zu den Grenzen der lokalen Therapie beim fortgeschrittenen sowie zur Chemohormontherapie beim metastasierten Prostatakarzinom. Ich will hier keine Inhaltsangaben der Artikel geben, die Sie selbst lesen können, sondern die Gelegenheit nutzen, anlässlich einer aktuell erschienenen Untersuchung einen Blick auf das Dilemma zu werfen, mit dem wir uns bei diesem Tumor seit Jahrzehnten konfrontiert sehen: Die Früherkennung – in der Onkologie eigentlich das primäre Ziel, weil sich die Tumoren dann am ehesten kurativ behandeln lassen – droht beim Prostatakarzinom über das Ziel hinauszuschießen. Sehr viele ältere Männer beherbergen in ihrer Prostata solche Tumoren, die aber bei einem Großteil von ihnen besser unbehandelt bleiben, weil sie ihnen zu Lebzeiten nie Probleme bereiten werden, während eine Operation oder Bestrahlung fast immer mit unerfreulichen Konsequenzen verbunden ist. PSA-Screening und daraus folgende systematische Biopsien haben zu Überdiagnose und Übertherapie von Millionen Männern weltweit geführt. Die entscheidende Frage, die wir bis heute nicht zufriedenstellend beantworten können, ist ganz einfach: Wie lässt sich das wirklich aggressive Prostatakarzinom identifizieren und von dem abgrenzen, das Julius Hackethal vor Jahrzehnten als „Haustierkrebs“ bezeichnet hat?
Durch den intelligenten Einsatz der PSA-Bestimmung und weiterer, in Entwicklung befindlicher Marker werden hier in Zukunft sicherlich Fortschritte zu erzielen sein. Wenn dann eine Biopsie durchgeführt wird – sei es, weil Blutmarker dafür einen triftigen Anlass lieferten, sei es, weil dem Patienten ein abwartendes Management nicht geheuer war – wird ein großer Anteil dieser Biopsien negativ ausfallen. In einer eben in Lancet Oncol­ogy publizierten großen Studie aus Dänemark war das immerhin bei 43% aller Patienten der Fall [Klemann N et al. Lancet Oncol 2017; 18: 221-9]. Die dänischen Kollegen waren in der glücklichen Lage, aus einem leistungsfähigen nationalen Prostatakrebs-Register die Daten von über 63.000 Patienten analysieren zu können, die von 1995 bis einschließlich 2011 eine transrektale, Ultraschall-geführte Prostatabiopsie erhalten hatten. Die Todesursachen-Analyse erfolgte 2015, sodass die Nachbeobachtung bis zu 20 Jahre, im Median 5,9 Jahre umfasste. Der Schätzwert für die 20-Jahres-Sterblichkeit lag bei 76,1%, wovon ziemlich genau ein Drittel auf Todesfälle durch das Prostatakarzinom entfiel.
Interessant ist aber vor allem die Subgruppenanalyse, die sehr unterschiedliche Ergebnisse in Abhängigkeit vom Ergebnis der ersten Biopsie zeigte: War diese initiale Biopsie benigne – das war eben bei rund 43% aller biopsierten Patienten der Fall –, so lag die Prostatakarzinom-spezifische Mortalitätsrate bei nur 5,2%, die Mortalität aufgrund anderer Ursachen hingegen bei 59,9%. Diese Subgruppe mit benigner erster Biopsie wurde dann zusätzlich nach dem initialen PSA-Wert stratifiziert: Betrug dieser 10 ng/ml oder weniger (das traf auf rund jeden zehnten Patienten mit initial negativer Biopsie zu), so war die kumulative Prostatakrebs-spezifische Mortalität mit 0,7% fast verschwindend gering. Bei PSA-Konzentrationen zwischen 10 und 20 ng/ml stieg der Wert auf 3,6%, bei PSA-Werten über 20 ng/ml immerhin auf 17,6%.
Patienten mit initial negativer Biopsie und niedrigen PSA-Titern, so die Schlussfolgerung der Autoren, kann man also angesichts des ungleich höheren Mortalitätsrisikos durch andere Ursachen getrost von einer Fortführung der Prostatakarzinom-Diagnostik abraten, weil das Risiko, einen letztlich letalen Krebs zu übersehen, dabei sehr gering ist. Ob die multiparametrische Kernspintomografie hier weitere Fortschritte bringt, wie Kollegen aus Schweden in einem Brief zu der Publikation [Bratt O et al. Lancet Oncol 2017; 18: e132] in die Diskussion werfen, bleibt abzuwarten, so die dänischen Autoren in ihrer Replik [Iversen P et al. Lancet Oncol 2017; 18: e133]: Auch hier ist die Gefahr einer Überdiagnose nicht von der Hand zu weisen, und letztlich werden über den Nutzen der Methode nur prospektive Studien Aufschluss geben können, in deren Design die komplexe Epidemiologie des Prostatakarzinoms ausreichend berücksichtigt wird.
Damit sind wir wieder beim Schwerpunkt des vorliegenden Hefts: Prospektive und, wo immer möglich, randomisierte Studien sind nun einmal der Goldstandard für den Gewinn neuer Erkenntnisse in einer Evidenz-basierten Medizin – und darauf beruhen auch die Übersichtsartikel, die Sie im Folgenden lesen können.

Axel Merseburger, Lübeck