„Drängende onkologische Fragen schnell und kooperativ beantworten“

Interview

Zwischen dem Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ) und der Firma Bristol-Myers Squibb wurde im vergangenen Jahr eine Kooperationsvereinbarung für die künftige Zusammenarbeit in der onkologischen Forschung abgeschlossen. Der Direktor des WTZ, der Dermatoonkologe Prof. Dr. Dirk Schadendorf, erläutert Zielsetzung und Inhalte dieser Kooperation.

 

Was prädestiniert das WTZ für eine solche Zusammenarbeit?
Schadendorf: Im Klinikum Essen kam es vor genau 50 Jahren zu einer ersten strukturellen und formalen Zusammenarbeit von onkologischer Klinik und Strahlentherapie, um gemeinschaftliche Therapiekonzepte zu besprechen und festzulegen. Das war sozusagen das erste interdisziplinäre Tumorboard deutschlandweit und der Nukleus, aus dem dann vor 40 Jahren das Westdeutsche Tumorzentrum als solches entstand. Im Übrigen wird diese Kooperation zwischen BMS und WTZ Teil eines europaweiten Netzwerkes sein, d. h. eines Zusammenschlusses von klinisch und wissenschaftlich starken Tumorzentren europaweit, die dann in einem Netzwerk-Ansatz versuchen, drängende onkologische Fragen schnell und kooperativ zu beantworten.


Wie sieht die Partnerschaft zwischen WTZ und BMS konkret und in der Praxis aus?
Schadendorf: Die vertragliche Vereinbarung betrifft v. a. die Zusammenarbeit bei der frühen Entwicklung von Medikamenten v. a. für die Immun-Onkologie, die ja im Moment die onkologische Therapie deutlich verändert. BMS ist eine der führenden Entwicklungsfirmen auf diesem Gebiet, ist jetzt auch kommerziell erfolgreich und hat bereits zwei Immuncheckpoint-Inhibitoren (Ipilimumab und Nivolumab) mit Zulassungen in einer Reihe von Indikationen auf dem Markt. Ein Großteil dieser Entwicklungen läuft ja traditionell in den USA, und ein Ziel dieser Kooperationsvereinbarung ist eben, die frühe Medikamentenentwicklung auch nach Deutschland zu holen, in diesem Falle in Kooperation mit dem WTZ. Dazu öffnet die Firma ihre Pipelines und stellt ihre Substanzen für wissenschaftliche Aktivitäten zur Verfügung, also z. B. auch für präklinische Untersuchungen, um etwa nach Biomarkern, nach Resistenzmechanismen usw. zu suchen. Daneben soll aber eben auch die frühe klinische Entwicklung gestärkt werden, d. h. die Medikamente werden hier auch in Phase-I- und Phase-II-Studien auf Verträglichkeit bzw. klinische Zeichen einer Effektivität untersucht werden. Das ist ein Teil und ein großes Kernstück der Vereinbarung.


Bezieht sie sich nur auf Hauttumoren oder nur auf die Immuntherapie?

Schadendorf: BMS hat zwar sein immun-onkologisches Engagement begonnen mit Hauttumoren, insbesondere mit dem Melanom, hat es aber inzwischen erheblich ausgedehnt – wir haben hier bestehende Kooperationen bei Kopf-Hals-Tumoren, beim Nierenzellkarzinom, beim Lungenkarzinom und bei einer ganzen Reihe weiterer Tumoren mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Immuntherapie.


Nur zu den schon zugelassenen Substanzen oder sind da auch schon neue Medikamente im Spiel?

Schadendorf: Das ist eben das Interessante: Es sind zum einen die zugelassenen Medikamente, aber bei neuen Indikationen, z. B. für seltene Tumorerkrankungen, für die es vielleicht niemals eine Zulassungsstudie geben wird. Dazu werden nun Basket-Studien durchgeführt mit der Möglichkeit, auch seltene Tumoren wie z. B. Merkelzellkarzinom, Sarkome, seltene gastrointestinale Tumoren – etwa Gallengangskarzinome – zu behandeln und zu prüfen, ob man da einen Effekt sieht. Auf der anderen Seite geht es auch um neue, noch nicht zugelassene Medikamente. Das ist auch für uns hoch interessant – einerseits unter wissenschaftlichen Aspekten, aber auch im Hinblick darauf, dass wir unseren Patienten möglichst frühzeitig diesen Zugang zu Innovationen ermöglichen können.


Können Sie ein paar Substanzen nennen, die da aus der Pipeline kommen?

Schadendorf: Eines der Medikamente, die wir im Moment schon testen, ist Urelumab, ein noch nicht zugelassener Antikörper, der die Immunantwort besonders stimuliert. Im Gegensatz zu den bereits zugelassenen Immuncheckpoint-Inhibitoren ist Urelumab ein Checkpoint-Aktivator, der jetzt auch in einer Phase-I/II-Studie, die im Rahmen dieser Kooperation am WTZ angelaufen ist, bei einer Reihe von Tumoren eingesetzt wird. Er zielt u. a. auf Natural-Killer-Zellen, die neben anderen Komponenten des Immunsystems wie den T-Lymphozyten auch kritisch sind für eine Immunantwort.
Es gibt eine Pipeline von mehr als 40 Substanzen, die uns grundsätzlich zur Verfügung stehen oder die jetzt in Absprache mit BMS zu priorisieren sind und wo zu klären sein wird, wo man was testen will. Das ist Teil dieser Kooperation und verspricht letztendlich sehr spannende Interaktionen.


Die größere Schwierigkeit wird sein, dann genug Patienten in den einzelnen Indikationen für die Studien zu finden?

Schadendorf: Genau. Andererseits ist das WTZ eines der größten Tumorzentren in Deutschland. Wir behandeln alleine etwa 60.000 Krebs-Patienten im Jahr. Dennoch ist natürlich eine der Herausforderungen im Rahmen dieser Aktivitäten, z. B. durch Biomarker Patienten zu identifizieren, die vielleicht besonders gut von der einen oder anderen Substanz profitieren. Die Suche nach prognostischen und prädiktiven Markern ist sicherlich ein ganz wichtiger Punkt. So wissen wir zum Beispiel schon, dass manche Tumoren offenbar sensibler auf Immuntherapien reagieren als andere, und wir wollen dazu beitragen, herauszufinden, ob man Tumoren, die nicht oder nicht so gut auf Immuntherapien reagieren, sensitiver machen kann.


Haben Sie Ideen für Maßnahmen, mit denen das zu schaffen sein könnte?
Schadendorf: Da gibt es eine Reihe von Konzepten: Man spricht zum Beispiel von sogenannten „heißen“ Tumoren, bei denen schon sehr viele Entzündungsparameter vorhanden sind und die offenbar sensitiver auf eine Immuntherapie mit Checkpoint-Modulatoren ansprechen, immunologisch „kalte“ Tumoren mit weniger Entzündungszeichen dagegen schlechter. Man kann sich jetzt überlegen, wie man vielleicht eine Entzündung rund um einen Tumor induzieren kann, damit er empfänglicher für eine Immuntherapie wird. Das bringt uns zu dem weiteren interessanten Gedanken, dass es möglicherweise darum geht, den Tumor nicht alleine zu behandeln, sondern zusammen mit dem Stroma, in das er eingelagert ist. Auch da gibt es verschiedene Ansätze, die einerseits forschungsmäßig von Bedeutung sein, aber dann eben auch ziemlich rasch in die klinische Erprobung kommen könnten.
Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Josef Gulden