Patient mit Multiplem Myelom

Kasuistik

Fall:

Bei dem damals 49-jährigen Patienten war 2009 erstmals ein Multiples Myelom diagnos­tiziert worden. Beckenschmerzen hatten zur Entdeckung von Osteolysen vor allem im
Beckenknochen geführt. Im Knochenmark fand sich eine Infiltration mit 5–20% Plasmazellen mit hyperdiploider Genetik, also einem niedrigen Risiko. Im International Staging System (ISS) kam dem Patienten ein Stadium I zu. Aufgrund des Alters und guten Allgemeinzustands erhielt er eine Induktionstherapie mit drei Zyklen Bortezomib, Cyclophosphamid und Prednisolon (wegen schlechter Verträglichkeit von Dexamethason), eine Stammzellmobilisierung mit Cyclophosphamid und nach der Hochdosistherapie mit 200 mg/m2 Melphalan die Reinfusion der Stammzellen. Es schloss sich eine Erhaltungstherapie mit Thalidomid an.


Verlauf:

Der Patient erzielte mit dieser Behandlung eine gute partielle Remission; eine sehr gute partielle Remission (VGPR) nach den IMWG-Kriterien [1] wurde knapp verfehlt, weil die Abnahme des M-Proteins in der Serumelektrophorese nicht ganz 90% erreichte. Die Remission hielt insgesamt 27 Monate an, im Oktober 2011 kam es zu einer Progression der Erkrankung. Diese wurde daraufhin mit zwei Zyklen Lenalidomid und Dexamethason sowie im März 2012 mit einer zweiten autologen Stammzelltransplantation (Konditionierung mit 200 mg/m2 Melphalan) behandelt. Lenalidomid wurde als Erhaltungstherapie gegeben, aber nach zwei Jahren wegen einer Neutropenie beendet. Zu diesem Zeitpunkt war der Patient beinahe in einer VGPR, und diese Remission hielt für insgesamt 47 Monate an.
Im September 2015 wurde eine erneute Progression diagnostiziert, im Januar 2016 klagte der Patient wieder über starke Beckenschmerzen, die radiologisch  mit einem massiven osteolytischen Defekt des Sitzbeins korrelierte (Abb. 1).

Für die Drittlinien-Therapie waren mehrere Kriterien zu berücksichtigen: Unter Lenalidomid war zuletzt eine starke Neutropenie aufgefallen. Obwohl man dieser mit Wachstumsfaktoren hätte begegnen können, entschieden wir uns, auf Bortezomib zurückzugreifen, weil der Patient davon anfänglich profitiert hatte. Wegen der starken Knochenschmerzen wollten wir zusätzlich ein neues Element in die Behandlung einführen, und weil der Patient keine Fatigue oder Diarrhö aufwies, bot sich dazu der Histondeacetylase-Inhibitor Panobinostat an, sodass als Therapieprotokoll schließlich Panobi­nostat, Bortezomib und Dexamethason (FBD) gewählt wurde. Dem Patienten, der eine relativ lange Anfahrtszeit in die Klinik hatte, kam dabei zusätzlich zugute, dass Bortezomib in der subkutanen Galenik nur einmal pro Woche gegeben werden konnte und daher keine langen Infusionszeiten erforderlich waren. Der Patient sprach gut auf diese Behandlung an, wie der Verlauf von IgA und Leichtketten zeigt (Abb. 2). Die Knochenschmerzen konnten unter der Behandlung schnell gelindert werden. An Nebenwirkungen war lediglich eine leichte Thrombozytopenie erwähnenswert.
Im Mai 2016 bat der Patient um  eine therapiefreie Periode, während der er derzeit alle sechs Wochen zur Kontrolle kommt. Insgesamt ist er in einer sehr guten partiellen Remission (VGPR) mit positiver Immunfixation


Diskussion

In der Behandlung des Multiplen Myeloms war in den letzten 10 bis 15 Jahren eine eindrucksvolle Entwicklung zu beobachten. Insbesondere in den vergangenen drei Jahren hat sich deren Geschwindigkeit noch einmal rasant beschleunigt, mit der Einführung neuer Immunmodulatoren und Proteasominhibitoren (darunter auch die erste oral zu verabreichende Substanz), aber auch völlig neuer Klassen von Medikamenten wie Histondeacetylase(HDAC)-Inhibitoren und monoklonalen Antikörpern gegen Oberflächenantigene auf den Myelomzellen. Das kommt unseren Patienten zugute, weil das Multiple Myelom nach wie vor im Regelfall nicht heilbar ist. Das heißt, dass man bei jedem Rezidiv von Neuem überlegen muss, auf welche Weise man die möglicherweise durch die vorhergehende Therapie selektierten aggressiven oder sogar refraktären Zellklone wirksam bekämpfen kann. Es gibt jetzt schon zahlreiche Myelom-Patienten, die mehr als ein halbes Dutzend Therapien hinter sich haben und damit immer wieder gute und lang anhaltende Remissionen erzielen konnten. Grundsätzlich nimmt aber die ereignisfreie Überlebenszeit mit jeder Therapielinie weiter ab: Bei Patienten, die gegenüber Bortezomib und Immunmodulatoren resistent sind, liegt sie beispielsweise bei median fünf Monaten [2].
Mit der Vielzahl an neuen Substanzen wächst auch die Zahl der Möglichkeiten, Patienten immer wieder in eine neue und möglichst lang anhaltende Remission zu bringen; auch bietet diese große Auswahl zunehmend mehr Chancen, individuell zu behandeln - wie im vorliegenden Fall, in dem wir uns aus logistischen Gründen für subkutanes Bortezomib entschieden und dieses mit Panobinostat kombiniert haben, weil es keine Hinweise auf drohende gastrointestinale Probleme gab. Panobinostat ist in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason ab der dritten Therapie­linie für Patienten zugelassen, die bereits Bortezomib und einen Immunmodulator erhalten haben. Grundlage dafür war die PANORAMA-1-Studie, in der die Kombination gegenüber Bortezomib und Dexamethason alleine das mediane progressionsfreie Überleben von 4,7 auf 12,5 Monate und die Komplettremissionsrate von 8,1% auf 21,9% mehr als verdoppeln konnte [3]. Das ist von großer Bedeutung, weil Patienten mit kompletter Remission unter Panobinostat mit einer deutlichen und signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens [4] und einer nicht signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens profitieren [5].
Es gibt mittlerweile außerdem Belege dafür, dass HDAC-Inhibitoren Resistenzmechanismen durchbrechen können: So hatten in der PANORAMA-2-Studie Patienten mit Bortezomib-Resistenz unter FBD eine Ansprechrate von immerhin 34,5% erzielt [6]. Bei unserem Patienten war das vermutlich nicht der Fall: Wenn eine Remission nach einer Therapie mit Bortezomib lange angedauert hat, wird eine Rechallenge mit dieser Substanz durchaus empfohlen.
Daneben laufen zahlreiche Studien, in denen Panobinostat mit anderen Medikamenten (z. B. monoklonalen Antikörpern und anderen Proteasominhibitoren als Bortezomib) kombiniert wird, sodass die Zahl möglicher Therapieregimes in absehbarer Zeit noch weiter zunehmen wird.

Literatur
1. Durie BGM et al. Leukemia 2006; 20: 1467-73.
2. Kumar SK et al. Leukemia 2012; 26: 149-57.
3. Richardson PG et al Blood 2016; 127: 713-21.
4. San Miguel SF et al. ASH 2015, Abstract #4230.
5. San Miguel JF et al. ASH 2015, Abstract #3026.
6. Richardson PG et al. Blood 2013; 122: 2331-7.


Dr. med. Andreas Günther

Sektion für Stammzell- und Immuntherapie
Medizinische Klinik 2
Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
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